Für Men­schen mit Dia­be­tes wird es zuneh­mend schwe­rer, einen Schwer­be­hin­der­ten­aus­weis zu bekom­men. Ein aktu­el­les Urteil des Lan­des­so­zi­al­ge­richt setzt nun die restrik­ti­ven Vor­ga­ben des Bun­des­so­zi­al­ge­richts kon­se­quent um.

Das Bun­des­so­zi­al­ge­richt hatte schon in eini­gen Urtei­len (Bun­des­so­zi­al­ge­richt, Urteil vom 17.04.2013, B 9 SB 3/12 RUrteil vom 25.10.2012, B 9 SB 2/12 RUrteil vom 02.12.2010, B 9 SB 3/09 R) klar­ge­stellt, daß der bloße The­ra­pie­auf­wand für Messen und Sprit­zen nicht aus­reicht, um als schwer­be­hin­dert aner­kannt zu werden. Man muss zusätz­lich nach­wei­sen, daß man dar­über hinaus auch noch “durch erheb­li­che Ein­schnit­te gra­vie­rend in seiner Lebens­füh­rung” beein­träch­tigt wird.

In einer aktu­el­len Ent­schei­dung hat das Lan­des­so­zi­al­ge­richt Sach­sen-Anhalt (Urteil vom 27.08.2014, L 7 SB 23/13) diese Anfor­de­run­gen nun kon­kre­ti­siert. Nach Auf­fas­sung des Gerichts reicht es nicht aus, wenn es auf­grund der Krank­heit bei Pla­nung des Tages­ab­laufs, der Gestal­tung der Frei­zeit, der Zube­rei­tung der Mahl­zei­ten und der Mobi­li­tät zu Ein­schrän­kun­gen oder Belas­tun­gen kommt. Selbst wenn diese Akti­vi­tä­ten “mit einem erhöh­ten pla­ne­ri­schen Auf­wand ver­bun­den” bzw. nur “unter erschwer­ten Bedin­gun­gen (wei­te­re Blut­zu­cker­mes­sun­gen; beim Schwim­men erneu­tes Anle­gen der Pumpe), letzt­lich aber nicht aus­ge­schlos­sen” seien, lasse dies noch keinen Rück­schluss auf gra­vie­ren­de Teil­ha­be­ein­schrän­kun­gen zu.

Auch benach­tei­li­gen­de Umstän­de bei den erfor­der­li­chen Blut­zu­cker­mes­sun­gen und beim Sprit­zen (sepa­ra­ter Raum bzw. Toi­let­te) seien “der Krank­heit imma­nent und können nicht als geson­dert zu berück­sich­ti­gen­de Teil­ha­be­ein­schrän­kun­gen bewer­tet werden”. Schliess­lich könne die Schwer­be­hin­der­ten­ei­gen­schaft nur ange­nom­men werden, wenn “die zu berück­sich­ti­gen­de Gesamt­aus­wir­kung der ver­schie­de­nen Funk­ti­ons­stö­run­gen die Teil­ha­be am Leben in der Gesell­schaft so schwer wie etwa die voll­stän­di­ge Ver­stei­fung großer Abschnit­te der Wir­bel­säu­le, der Ver­lust eines Beins im Unter­schen­kel oder eine Apha­sie (Sprach­stö­rung) mit deut­li­cher Kom­mu­ni­ka­ti­ons­stö­rung beein­träch­ti­gen.”

Eine der­ar­tig schwe­re Funk­ti­ons­stö­rung liege allein auf­grund des Dia­be­tes aber nicht vor.

Es ist davon aus­zu­ge­hen, daß sich wei­te­re Gerich­te diesen restrik­ti­ven Vor­ga­ben anschlies­sen. Eine Schwer­be­hin­de­rung wird künf­tig wohl nur noch fest­ge­stellt werden, wenn eine schlech­te Ein­stel­lungs­qua­li­tät bzw. einer insta­bi­le Stoff­wech­sel­la­ge vor­liegt.

Wer gut ein­ge­stellt ist bzw. seinen Dia­be­tes gut im Griff hat, der wird in Zukunft also kaum mehr Chan­cen haben, allein auf­grund seiner Dia­be­tes-Krank­heit einen Schwer­be­hin­der­ten­aus­weis zu erhal­ten.

Auch wird das Bun­des­so­zi­al­ge­richt seine Recht­spre­chung in abseh­ba­rer Zeit nicht ändern, denn es hat unlängst erst klar­ge­stellt, dass  es diese Vor­ga­ben  schliess­lich “allein auf­grund einer Aus­le­gung des Wort­lauts der Vor­schrift”  bzw.  vor dem Hin­ter­grund seiner Recht­spre­chung gewon­nen habe. “Unklar­hei­ten, die nur mit Hilfe medi­zi­ni­schen oder ander­wei­ti­gen Sach­ver­stands besei­tigt werden können, sind nicht ersicht­lich. Aus diesem Grund ist vor­lie­gend eine Befra­gung des zustän­di­gen Sach­ver­stän­di­gen­bei­rats beim BMAS nicht erfor­der­lich.” (BSG, Urteil 17.04.2013, AZ: B 9 SB 3/12 R).

Es ist sehr trau­rig, daß man die nun­meh­ri­ge Situa­ti­on ein­fach hätte ver­mei­den können. Vor Neu­fas­sung der ein­schlä­gi­gen Vor­schrif­ten im Jahr 2010 hatte ich näm­lich nach­drück­lich darauf hin­ge­wie­sen, daß der vor­ge­se­he­ne Wort­laut drin­gend geän­dert werden müsse, um genau die nun auf­ge­tre­te­nen Folgen zu ver­mei­den.  Leider hat meine fach­li­che Exper­ti­se nie­man­den inter­es­siert. Noch immer habe ich im Ohr, wie meine fun­dier­ten juris­ti­schen Beden­ken von betei­lig­ten Ärzten damals als “abso­lut abwe­gig” ver­lacht ‑und kon­se­quent igno­riert- wurden.

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