Hilfsmittelversorgung durchsetzen
Moderne Hilfsmittel wir rtCGM, Insulinpumpen oder automatische Insulindosiersysteme (AID) sind aus der Diabetes-Therapie nicht mehr wegzudenken. Diese Hilfsmittel müssen grundsätzlich von der Krankenkasse übernommen werden, sofern sie zur Erreichung des Therapiezwecks medizinisch notwendig sind.
Allerdings kommt es immer wieder zu Ablehnungen — oder die Krankenkasse genehmigt nur ein anderes System, was man aber nicht haben will.
Gesetzlicher Anspruch auf Hilfsmittelversorgung
Mitglieder einer gesetzlichen Krankenkasse haben Anspruch auf die Versorgung mit notwendigen Hilfsmitteln. Unter Hilfsmittel versteht man dabei laut Definition in der Hilfsmittelverordnung „sächliche medizinische Leistungen, die von zugelassenen Leistungserbringern abgegeben werden”.
Zur Kostenübernahme durch die Krankenkassen ist eine ärztliche Verordnung notwendig. Der Arzt darf ein Hilfsmittel verordnen, wenn es medizinisch notwendig für den Erfolg einer Behandlung ist oder dabei hilft, eine wesentliche Behinderung zu vermeiden oder auszugleichen. Die Krankenkasse übernimmt dann die Kosten für die Anschaffung bzw. stellt ein Hilfsmittel als Sachleistung zur Verfügung.
Auch die Kosten für eine Änderung, Reparatur oder Ersatzbeschaffung der Hilfsmittel müssen von der Krankenkasse übernommen werden, ebenso auch notwendige Schulungen und Unterweisungen.
Prüfung durch den medizinischen Dienst
Die Krankenkasse darf allerdings durch ihren Medizinischen Dienst (MD) prüfen lassen, ob eine medizinische Notwendigkeit zur Versorgung mit dem Hilfsmittel besteht und ob das Produkt auch zweckmäßig und wirtschaftlich ist, insbesondere vor dem Hintergrund der Therapiesituation und Versorgungslage.
Das kann mitunter zu sehr problematischen Auseinandersetzungen und langwierigen Streitigkeiten führen: So wird beispielsweise die Notwendigkeit einer Insulinpumpe oder eines AID oft angezweifelt, wenn nicht zuvor andere, günstigere Therapieformen (zB ICT) ausgeschöpft wurden bzw. nachweislich nicht ausreichend waren.
Selbst ein Rollstuhl für einen querschnittsgelähmten Patienten muss nicht automatisch als notwendig angesehen werden: es kommt nämlich darauf an, ob der Rollstuhl auch wirklich genutzt wird bzw. genutzt werden kann. Dies kann beispielsweise bei sehr schwachen, gebrechlichen, altersdementen oder blinden Patienten im Einzelfall möglicherweise fraglich sein.
Grundsätzlich keine Eigenbeschaffung möglich
Auch kann man ein Hilfsmittel nicht in jedem Fall einfach beliebig kaufen und dann die Kosten der Krankenkasse in Rechnung stellen: die Krankenkassen sind nämlich berechtigt, die Hilfsmittelversorgung exklusiv über ausgewählte Vertragsunternehmen vorzunehmen.
Dies bedeutet, dass man sein Hilfsmittelrezept bei einem solchen exklusiven Vertragspartner der Krankenkasse einlösen muss. Erkundigen Sie sich daher vorab bei Ihrer Krankenkasse, ob es in Ihrer Region einen solchen Versorgungsvertrag gibt. bzw. lassen sich dann die entsprechenden Unternehmen nennen.
Die Krankenkassen sind übrigens auch berechtigt, dem Patienten ein bereits auf Lager befindliches Hilfsmittel zu überlassen, sofern dieses gleichwertig mit dem verordneten und geeignet ist. Zudem prüft die Kasse meist, ob nicht auch ein anderes, günstigeres Hilfsmittel ausreicht, um denselben medizinischen Zweck zu erreichen.
Voraussetzung für Kostenübernahme
Voraussetzung für eine Kostenübernahme ist, dass die Verordnungsvoraussetzungen vorliegen. Eine Insulinpumpe kommt beispielsweise daher nur in Frage, wenn eine sog. medizinische Indikation dafür vorliegt, die vom Arzt zu begründen ist. In der Regel wird auch verlangt, dass die Möglichkeiten einer intensivierten Insulintherapie zuvor ausgeschöpft sind und der Patient dieses auch durch ein vernünftig geführtes Blutzuckertagebuch nachweisen kann. Wichtig dabei ist, dass dort nicht nur die reinen Messwerte, sondern auch Insulingaben und Mahlzeiten dokumentiert sein sollten. Die Krankenkasse darf dazu allerdings kein handschriftlich geführtes Tagebuch verlangen; auch Computerausdrucke müssen akzeptiert werden.
Auch kontinuierliche Glukosemesssystem (rtCGM) oder ein automatisches Insulindosierungssystem (AID) bekommt man auf Kassenrezept, wenn es dafür eine anerkannte medizinische Notwendigkeit gib und die Voraussetzungen für eine Verordnung vorliegen. Allein der mit einem solchen System verbundene Komfort und Gewinn an Lebensqualität reichen allerdings nicht aus. Vielmehr muss u.a. nachgewiesen werden, dass sich die vom Arzt definierten Therapieziele allein mit Selbstmessungen nicht erreichen lassen. Dies ist beispielsweise oft bei Patienten der Fall, die Unterzuckerungen nicht mehr (rechtzeitig) wahrnehmen können.
Generell gilt: es besteht kein Anspruch auf eine Optimalversorgung, d.h. man hat keinen Anspruch auf das jeweils neueste Modell bzw. den neuesten Stand der Technick;
Kassen verweisen oft auf andere Pumpen- bzw. rtCGM-Systeme
Immer öfter kommt es aber vor, dass die Krankenkasse es ablehnen, das vom Arzt verordnete bzw. vom Patient gewünschte Insulinpumpenmodell bzw. das rtCGM-System zu übernehmen.
Stattdessen wird dem Patienten ein System eines anderen Herstellers angeboten, der Vertragspartner der Krankenkasse ist. Begründet wird dies damit, dass die Krankenkasse das sog. „Wirtschaftlichkeitsgebot“ aus § 12 SGB V zu beachten hat: „Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen.“
Dies bedeutet: wenn derselbe medizinische Zweck auch mit einer anderen, für die Krankenkasse günstigeren Insulinpumpe erreicht werden kann, dann darf das teurere System in der Regel nicht (mehr) bewilligt werden.
Ablehnungsschreiben einer Krankenkasse (hier: AOK Bayern)
Dies führt teilweise zu absurd anmutenden Ergebnissen: Patienten, die bereits jahrelang eine Insulinpumpe nutzen und mit dieser gut klarkommen, sollen im Rahmen einer Folgeverordnung dann mit ungewissem Erfolg plötzlich auf ein ganz anderes System umsteigen. Oder der Arzt verordnet ein rtCGM-System, damit dieses mit der Insulinpumpe gekoppelt werden kann – beispielsweise für eine automatische Hypo-Abschaltung oder Dosisberechnung. Die Krankenkasse bewilligt dann aber nur ein rtCGM, welches mit der vorhandenen Pumpe gar nicht kompatibel ist,
Grundsätzlich ist ja nichts dagegen einzuwenden, dass die Krankenkassen nach Möglichkeit unnötige Mehrkosten sparen. Auch wenn moderne Insulinpumpen- oder CGM-Systeme zahlreiche Möglichkeiten bieten: maßgeblich sind allein die Funktionen, die zur Erreichung des Therapiezwecks medizinisch notwendig und ausreichend sind und deren medizinischer Nutzen auch belegt ist. Alles andere ist zwar vielleicht ebenfalls sinnvoll und wichtig, aber aus medizinischer Sicht eben nicht zwingend notwendig. Man hat als Kassenpatient auch keinen Anspruch, von der Krankenkasse das modernste oder „beste“ System zu erhalten.
Vor diesem Hintergrund wird man die gewünschte Insulinpumpe bzw. das CGM nur dann bekommen können, wenn sich mit dem von der Krankenkasse angebotenen System der medizinische Zweck nicht oder nur ungenügend erreichen ließe,
Wie kann man sich wehren
Besprechen Sie daher mit Ihrem Behandlungsteam, aus welchen konkreten medizinischen Gründen nur das beantragte System in Frage kommen kann. Gegen das von der Krankenkasse angebotene System könnte beispielsweise sprechen, wenn es dort zu einer Pflasterallergie kommt oder man die dortigen Katheter-/Kanülen nicht verträgt.
Wenn eine tageszeitlich häufig angepasste Basalrate erforderlich ist, dann muss die angebotene Insulinpumpe eine entsprechende Programmierung ermöglichen. Manche Insulinpumpen erlauben die Programmierung der Basalrate in 30minütigen Intervallen, während andere Modelle dies nur in Blöcken von 1,5 Stunden vorsehen. Auch die Dosiergenauigkeit (1/10 oder 1/100 Einheiten) kann aus medizinischer Sicht wichtig sein. Nicht zu unterschätzen ist auch die Komplexität der Bedienbarkeit: wenn man als Patient mit dem von der Kasse angebotenen System nicht zurechtkommen kann bzw. damit überfordert ist, dann wird der Einsatz dieses Hilfsmittels nur wenig Sinn machen. Es muss dann auf ein anderes, einfacher bedienbares Modell ausgewichen werden, mit dem sich der medizinische Zweck dann erreichen lässt. Dies betrifft auch die Handhabbarkeit: wenn ein Patient beispielsweise aufgrund von Neuropathien oder rheumatischer Erkrankung eine Insulinpumpe wegen der dort für ihn zu kleinen Tasten nicht oder nur schwer betätigen kann, dann muss er mit einem anderen, geeigneteren System versorgt werden. Und wenn aufgrund der Therapiesituation eine automatische Hypo-Abschaltung notwendig ist, dann muss das von der Krankenkasse angebotene rtCGM ‑System natürlich auch mit der Insulinpumpe zusammenarbeiten.
Wenn Ihr Arzt also nachvollziehbare medizinische Gründe darlegen kann, die gegen das von der Kasse angebotene System sprechen, dann bestehen gute Chancen, dass man die Kostenübernahme der eigentlich gewünschten Insulinpumpe bzw. rtCGM-System durchsetzen kann.
Datenschutz-Verstöße der Hersteller können sich rächen
Selbst wenn sich gegen das von der Krankenkasse angebotene System keine überzeugenden medizinischen Einwände finden lassen — gegen das Argument des Datenschutzes dürfte die Krankenkasse wohl machtlos sein: Eine medizinisch sinnvolle Insulinpumpen- oder rtCGM-Therapie setzt nämlich voraus, dass die mit dem Gerät erhobenen Daten vom Arzt ausgewertet werden können. Bei fast allen Insulinpumpen und rtCGM-Systeme ist ein solches Datenmanagement aber nur möglich, wenn und solange der Patient zustimmt, dass seine Gesundheitsdaten an den Gerätehersteller übermittelt und dort gewerblich genutzt werden dürfen. Wenn man dies als Patient nicht möchte, dann gibt es keine andere Möglichkeit, die in Pumpe/CGM gespeicherten Daten für die Therapie zu nutzen. Manche neueren Insulinpumpen bzw. CGM-Systeme lassen sich sogar nicht einmal in Betrieb nehmen, wenn keine solche Einwilligung in die Datenübermittlung erfolgt.
Ein derartiger Zwang zur Datenübermittlung ist aus technischen Gründen nicht erforderlich und verstößt daher u.a. gegen das sog. Koppelungsverbot aus Art. 7 DSGVO: der Patient muss nämlich eine echte Wahl haben, ob er seine Daten preisgeben will oder nicht. Auch im Rahmen der ärztlichen Behandlung muss er eine gleichwertige Datenanalyse auch ohne derartige Datenpreisgabe erhalten können.
Patienten dürfen von der Krankenkasse auch nicht gezwungen werden, ihre laufenden Gesundheitsdaten an Gerätehersteller zu übermitteln und in die dortige kommerzielle Verwertung einzuwilligen. Ein von der Krankenkasse überlassenes Hilfsmittel muss bestimmungsgemäß eingesetzt werden können, auch ohne dass die damit erhobenen Daten an irgendwelche Dritte übermittelt werden.
Prüfen Sie also, ob das von der Krankenkasse angebotene System eine Preisgabe Ihrer Gesundheitsdaten abnötigt, lesen Sie hierzu insbesondere die Nutzungsbedingungen genau durch.
Teilen Sie dann der Krankenkasse mit, dass Sie nicht bereit und verpflichtet sind, Ihre Daten an den jeweiligen Hersteller zu übermitteln. Da die angebotene Insulinpumpe/CGM ohne Ihre Einwilligung zur Datenpreisgabe aber ja nicht (sinnvoll) genutzt werden können, müssen Sie von der Krankenkasse mit einem anderen System versorgt werden.
Übrigens: Die Krankenkasse kann nicht erfolgreich damit argumentieren, dass auch das von Ihnen gewünschte System womöglich eine solche Datenübermittlung erzwingt. Denn es ist allein Ihre Entscheidung, ob und welchem Hersteller Sie Ihre Daten überlassen wollen.