Das Ober­ver­wal­tungs­ge­richt Müns­ter hat in einer aktu­el­len Ent­schei­dung (OVG Müns­ter, Beschluss vom 21.01.2013, AZ 6 A 246/12) beschlos­sen, dass eine Ver­be­am­tung eines Dia­be­tes-Pati­en­ten auf­grund des hohen Risi­kos für Fol­ge­er­kran­kun­gen ver­wei­gert werden kann. Dies bedeu­tet jedoch nicht, daß eine Ver­be­am­tung mit Dia­be­tes gene­rell nicht mög­lich ist.

Der Ent­schei­dung vor­aus­ge­gan­gen war der Antrag eines jungen Leh­rers auf Über­nah­me in ein Beam­ten­ver­hält­nis auf Probe. Dies wurde vom Land Nord­rhein-West­fa­len mit der Begrün­dung abge­lehnt, dass er die für die Über­nah­me in ein Beam­ten­ver­hält­nis erfor­der­li­che gesund­heit­li­che Eig­nung” nicht mit­brin­ge. Gestützt wurde dies auf eine hohe Wahr­schein­lich­keit von Fol­ge­er­kran­kun­gen, welche bei Dia­be­tes besteht und die womög­lich dazu führe, dass der Bewer­ber schon vor Errei­chen der Alters­gren­ze dienst­un­fä­hig wird.

Das Ober­ver­wal­tungs­ge­richt hat diese Ableh­nung bestä­tigt. Zur Begrün­dung führt es an, dass eine Ableh­nung gerecht­fer­tigt sei, wenn bereits “die Mög­lich­keit häu­fi­ger Erkran­kun­gen oder des Ein­tritts dau­ern­der Dienst­un­fä­hig­keit schon vor Errei­chen der Alters­gren­ze nicht mit einem hohen Grad der Wahr­schein­lich­keit aus­ge­schlos­sen” werden könne. Fol­ge­er­kran­kun­gen sowie das damit ein­her­ge­hen­de Risiko einer vor­zei­ti­gen Dienst­un­fä­hig­keit seien aber bei Men­schen mit Dia­be­tes beson­ders wahr­schein­lich.

Unbe­acht­lich sei das Argu­ment des Bewer­bers, dass solche Folgen bzw. Risi­ken bei wei­ter­hin guter Blut­zu­cker- und Blut­druck­ein­stel­lung sowie gesund­heits­be­wuß­tem Lebens­stils redu­ziert werden können. Das Gericht beton­te hierzu, dass bei der Pro­gno­se der zukünf­ti­gen Dienst­fä­hig­keit nicht davon aus­ge­gan­gen werden muss, dass sich Bewer­ber tat­säch­lich gesund­heits­be­wusst ver­hal­ten bzw. der Stoff­wech­sel dau­er­haft gut ein­ge­stellt ist.
Im Übri­gen gelte auch beim Beam­ten­ver­hält­nis auf Probe kein ande­rer gesund­heit­li­cher Maß­stab wie bei einer Ver­be­am­tung auf Lebens­zeit.

Die Ent­schei­dung des Ober­ver­wal­tungs­ge­richt scheint auf den ersten Blick dis­kri­mi­nie­rend, ent­spricht inso­weit aber den gel­ten­den gesetz­li­chen Rege­lun­gen sowie der bis dahin ergan­ge­nen Recht­spre­chung.

Dies bedeu­tet jedoch nicht, dass Men­schen mit Dia­be­tes oder ande­ren chro­ni­schen Krank­hei­ten nun über­haupt nicht mehr in das Beam­ten­ver­hält­nis über­nom­men werden dürfen bzw. können.

Tat­säch­lich darf zwar nur ver­be­am­tet werden, wer die Gewähr bietet, auch dau­er­haft und bis zum Errei­chen der Alters­gren­ze dienst­fä­hig zu sein. Die vor­lie­gen­de Ent­schei­dung — wie auch andere zu dieser Pro­ble­ma­tik ergan­ge­ne Urtei­le — bezie­hen sich jedoch nur auf solche Beam­ten­an­wär­ter, die zwar erheb­li­che gesund­heit­li­che Beein­träch­ti­gun­gen haben (wie z.B. den Dia­be­tes), sich aber nicht zugleich auf einen Schwer­be­hin­der­ten­sta­tus beru­fen konn­ten.

Für Men­schen mit Dia­be­tes, bei wel­chen eine Schwer­be­hin­de­rung fest­ge­stellt wurde,  ist eine Ver­be­am­tung  näm­lich sogar rela­tiv unpro­ble­ma­tisch mög­lich, sofern ansons­ten keine erheb­li­chen Fol­ge­er­kran­kun­gen oder Beein­träch­ti­gun­gen vor­lie­gen.

Dies liegt daran, dass die Gleich­be­hand­lung bzw. För­de­rung behin­der­ter Men­schen Ver­fas­sungs­rang geniesst: gem.  Arti­kel 3 Grund­ge­setz muß der Staat dafür sorgen, dass nie­mand wegen seiner Behin­de­rung benach­tei­ligt wird. Aus diesem Grund gibt es zahl­rei­che sog. Nach­teils­aus­glei­che für behin­der­te Men­schen, hierzu zählen auch Son­der­re­ge­lun­gen im Beam­ten­recht.

Ist ein Bewer­ber schwer­be­hin­dert im Sinne von § 2 Abs. 2 SGB IX, dann darf regel­mä­ßig nur ein Min­dest­maß an gesund­heit­li­cher Eig­nung ver­langt werden, welche für den vor­ge­se­he­nen Dienst­pos­ten erfor­der­lich ist. Es ist auch nicht erfor­der­lich, dass alle denk­ba­ren Dienst­pos­ten der beab­sich­tig­ten Lauf­bahn wahr­ge­nom­men werden können. Bei der Anstel­lung muss ledig­lich die Pro­gno­se gestellt werden, dass in abseh­ba­rer Zeit nicht mit einer Dienst­un­fä­hig­keit zu rech­nen ist. Wie lange diese Pro­gno­se in die Zukunft reicht, ist bun­des­weit unter­schied­lich gere­gelt. In zahl­rei­chen Bun­des­län­dern ist diese Zukunfts­pro­gno­se auf einen Zeit­raum von 5 Jahren befris­tet oder gar ledig­lich auf den Ablauf der Pro­be­zeit beschränkt.

So gibt es auch in Nord­rhein-West­fa­len ‑also in dem Land, in dem der Kläger hier eine Ver­be­am­tung anstreb­te — keine solche Frist.

Dies ist gere­gelt in  § 13 Abs. 1 der Lauf­bahn­ver­ord­nung NRW LVO, dort heisst es:
Bei der Ein­stel­lung von schwer­be­hin­der­ten und ihnen gleich­ge­stell­ten behin­der­ten Men­schen darf nur das für die Lauf­bahn erfor­der­li­che Min­dest­maß kör­per­li­cher Eig­nung ver­langt werden. ”

Für die Ein­stel­lung von Schwer­be­hin­der­ten darf hier­nach in NRW nur ein für die kon­kre­te Lauf­bahn erfor­der­li­ches Min­dest­maß an kör­per­li­cher Eig­nung ver­langt werden. Nach Ziffer 4.4.1 der Richt­li­ni­en im öffent­li­chen Dienst im Land NRW ist dabei das erfor­der­li­che Min­dest­maß kör­per­li­cher Eig­nung “bereits dann als gege­ben anzu­se­hen, wenn schwer­be­hin­der­te Men­schen nur bestimm­te Dienst­pos­ten ihrer Lauf­bahn wahr­neh­men können. Dabei sind Mög­lich­kei­ten der behin­de­rungs­ge­rech­ten und bar­rie­re­frei­en Arbeits­platz­ge­stal­tung (z. B. mit tech­ni­schen Arbeits­hil­fen) nach dem SGB IX aus­zu­schöp­fen.

Gem. Ziff. 4.2.2 dürfen Schwer­be­hin­der­te auch dann als Beam­tin oder Beamte ein­ge­stellt werden, wenn “als Folge ihrer Behin­de­rung eine vor­zei­ti­ge Dienst­un­fä­hig­keit mög­lich ist”. Eine kon­kre­te Pro­gno­se, dass in den kom­men­den 5 Jahren nicht mit dem Ein­tre­ten einer Dienst­un­fä­hig­keit zu rech­nen ist, wird also  in Nord­rhein-West­fa­len nicht einmal gefor­dert.

Im Klar­text: Hätte der Kläger einen Schwer­be­hin­der­ten­aus­weis gehabt, dann wäre er trotz Dia­be­tes ver­be­am­tet worden.

Eine rela­tiv aktu­el­le Ent­schei­dung des OVG Lüne­burg ( Urteil vom 25.01.2011, 5 LC 190/09) geht sogar noch weiter:

Im dor­ti­gen Fall war beim Bewer­ber ein Grad der Behin­de­rung (GdB) von ledig­lich 30 fest­ge­stellt, es  lag also keine Schwer­be­hin­de­rung vor. Das Gericht stell­te dazu fest, daß  auch Beam­ten­be­wer­ber, die zwar behin­dert, aber eben nicht schwerbehin­dert sind,   für die Über­nah­me in das Beam­ten­ver­hält­nis als gesund­heit­lich geeig­net anzu­se­hen sein könn­ten. Aller­dings setze dies voraus, dass  sich künf­ti­ge Erkran­kun­gen des Bewer­bers und dau­ern­de vor­zei­ti­ge Dienst­un­fä­hig­keit mit einem über­wie­gen­den Grad an Wahr­schein­lich­keit, also mit mehr als 50 vom Hun­dert, aus­schlie­ßen lies­sen. Das Gericht leitet dies aus dem all­ge­mei­nen Benach­tei­li­gungs­ver­bot behin­der­ter Men­schen aus Art. 3 GG ab, was nicht nur Schwer­be­hin­der­te schüt­ze.

Vor diesem Hin­ter­grund ist also klar, dass es für Men­schen mit Dia­be­tes oder ande­ren chro­ni­schen Krank­hei­ten selbst­ver­ständ­lich immer noch mög­lich ist, eine Ver­be­am­tung zu errei­chen. Um die hohe Hürde der Gesund­heits­pro­gno­se zu meis­tern, ist es ratsam, sich vorab aber um die Fest­stel­lung einer Schwer­be­hin­de­rung zu bemü­hen.

Im vor­lie­gen­den Ver­fah­ren war der Antrag­stel­ler daher mög­li­cher­wei­se nicht opti­mal bera­ten: Men­schen mit insu­lin­pflich­ti­gem Dia­be­tes können nach der­zei­ti­ger Rechts­la­ge in vielen Fällen des Schwer­be­hin­der­ten­sta­tus fest­stel­len lassen;es müssen hierzu auch keine Fol­ge­schä­den vor­lie­gen. Wei­te­re Infos finden Sie in der Rubrik “Schwer­be­hin­de­rung”.

Tipp: Eine Bro­schü­re mit Tipps und Check­lis­ten für den Antrag auf Fest­stel­lung einer Schwer­be­hin­de­rung, die ich ehren­amt­lich für dia­be­tes­DE erstellt habe, können Sie hier her­un­ter­la­den.

 

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