Der Gemein­sa­me Bun­des­aus­schuss (G‑BA) hat heute (16. Juni 2016) ent­schie­den, daß bestim­me Sys­te­me zur kon­ti­nu­ier­li­chen Glu­ko­se­mes­sung (rtCGM) künf­tig von der Kran­ken­kas­se über­nom­men werden dürfen.

Mit Hilfe sol­cher Sys­te­me können die Blut­glu­kos­eselbst­mes­sun­gen ver­rin­gert und die Stoff­wech­sel­la­ge lang­fris­tig ver­bes­sert werde, ohne dass dabei das Risiko schwe­rer Unter­zu­cke­run­gen in Kauf genom­men werden muss. Dies gelte ins­be­son­de­re dann, wenn die fest­ge­leg­ten indi­vi­du­el­len The­ra­pie­zie­le zur Stoff­wech­sel­ein­stel­lung ohne die Nut­zung der rtCGM nicht erreicht werden können.

Blut­zu­cker­mess­ge­rä­te sowie die benö­tig­ten Test­strei­fen sind bei insu­lin­pflich­ti­gen Pati­en­ten in medi­zi­nisch not­wen­di­gem Umfang und ohne Men­gen­ober­gren­ze zu Lasten der gesetz­li­chen Kran­ken­kas­sen ver­ord­nungs­fä­hig.
Bei CGMS (Sys­te­men zur kon­ti­nu­ier­li­chen Glu­ko­se­mes­sung) war es bis­lang aber schwie­ri­ger: Denn sie unter­schei­den sich „im Hin­blick auf die dia­gnos­ti­sche Wir­kungs­wei­se sowie mög­li­che Risi­ken und Aspek­te der Wirt­schaft­lich­keit erheb­lich von der her­kömm­li­chen Blut­zu­cker­mes­sung“ und stell­ten daher „eine „neue“, bisher nicht aner­kann­te Unter­su­chungs­me­tho­de“ dar.

Bis­lang war Erstat­tung schwie­rig

Gemäß § 135 SGB V dürfen solche neuen Unter­su­chungs- und Behand­lungs­me­tho­den („NUB“) nur dann als Kas­sen­leis­tung über­nom­men werden, wenn der dia­gnos­ti­sche und the­ra­peu­ti­sche Nutzen aner­kannt ist, eine medi­zi­ni­sche Not­wen­dig­keit hier­für besteht und auch die Kri­te­ri­en der Wirt­schaft­lich­keit erfüllt sind.

Solan­ge der Gemein­sa­me Bun­des­aus­schuss (https://www.g‑ba.de/) hierzu keine posi­ti­ve Emp­feh­lung abge­ge­ben hatte, bestand “daher kein Anspruch auf Ver­sor­gung mit den Hilfs­mit­teln, die für die kon­ti­nu­ier­li­che Blut­zu­cker­be­stim­mung erfor­der­lich sind“. (Bun­des­so­zi­al­ge­richt, AZ: B 3 KR 5/14 R, Urteil vom 08.07.2015).

Der G‑BA hatte hierzu  ein gesetz­lich vor­ge­se­he­nes Metho­den­be­wer­tungs­ver­fah­ren ein­ge­lei­tet, wel­ches nun heute mit posi­ti­vem Ergeb­nis abge­schlos­sen wurde: der G‑BA bestä­tigt, daß mit Hilfe von sog. rtCGM-Sys­te­men die Blut­glu­kos­eselbst­mes­sun­gen ver­rin­gert und die Stoff­wech­sel­la­ge lang­fris­tig ver­bes­sert werden kann, ohne dass dabei das Risiko schwe­rer Unter­zu­cke­run­gen in Kauf genom­men werden muss. Dies gelte ins­be­son­de­re dann, wenn die fest­ge­leg­ten indi­vi­du­el­len The­ra­pie­zie­le zur Stoff­wech­sel­ein­stel­lung ohne die Nut­zung der rtCGM nicht erreicht werden können.

rtCGM ist nicht gleich CGM !

Die Emp­feh­lung des G‑BA gilt aller­dings nicht für alle kon­ti­nu­ier­li­chen Glu­ko­se­mess­sys­te­me, denn der medi­zi­ni­sche Nutzen wurde nur für solche Sys­te­me aner­kannt, die den gemes­se­nen Glu­ko­se­wert in Echt­zeit (rt, “real­time”) dann auch auto­ma­tisch an ein Emp­fangs­ge­rät senden bzw. eine Alar­mie­rung ermög­li­chen.

Bekommt nun jeder Pati­ent ein CGM ?

Auch wenn der Weg nun grund­sätz­lich frei ist: CGM-System wird es auch künf­tig nicht immer auf Kas­sen­re­zept geben !
Ein Anspruch auf Ver­sor­gung mit einem CGM besteht nur dann, wenn bestimm­te Vor­aus­set­zun­gen vor­lie­gen, d.h. eine Indi­ka­ti­on für den Ein­satz eines CGM besteht und auch ärzt­li­cher­seits eine fach­kom­pe­ten­te Betreu­ung sicher­ge­stellt ist.

Vor­aus­set­zun­gen

Die Kon­ti­nu­ier­li­che inters­ti­ti­el­le Glu­ko­se­mes­sung mit Real-Time-Mess­ge­rä­ten (rtCGM) darf bei Vor­lie­gen fol­gen­der Vor­aus­set­zun­gen zu Lasten der gesetz­li­chen Kran­ken­ver­si­che­rung erbracht werden:

  • Inten­si­vier­te Insu­lin­the­ra­pie (ICT,FIT) oder Insu­lin­pum­pen­the­ra­pie (CSII)
  • die zwi­schen Arzt und Pati­ent fest­ge­leg­ten indi­vi­du­el­len The­ra­pie­zie­le zur Stoff­wech­sel­ein­stel­lung können auch bei Beach­tung der jewei­li­gen Lebens­si­tua­ti­on des Pati­en­ten nicht erreicht werden
  • Verordnung/Durchführung darf nur durch Fach­ärz­te mit dia­be­to­lo­gi­scher Qua­li­fi­ka­ti­on erfol­gen (z.B. Fach­arzt für Innere Medi­zin, Dia­be­to­lo­gen)
  • Umfas­sen­de Doku­men­ta­ti­on des bis­he­ri­gen Behand­lungs­ver­laufs
  • Pati­ent muss umfas­send geschult sein, sowohl hin­sicht­lich der Insu­lin­the­ra­pie als auch für das CGM
  • System muss als real­time-CGM zuge­las­sen sein
  • Anhand einer Alarm­funk­ti­on mit indi­vi­du­ell ein­stell­ba­ren Grenz­wer­ten muss das Gerät vor dem Errei­chen zu hoher oder zu nied­ri­ger Glu­ko­se­wer­te warnen können.
  • Soweit der Ein­satz des Gerä­tes eine Ver­wen­dung, Erhe­bung, Ver­ar­bei­tung oder Nut­zung per­so­nen­be­zo­ge­ner oder per­so­nen­be­zieh­ba­rer Daten vor­sieht, muss sicher­ge­stellt sein, dass diese allein zum Zwecke der Behand­lung der Pati­en­tin oder des Pati­en­ten erfol­gen und eine Nut­zung ohne Zugriff Drit­ter, ins­be­son­de­re der Her­stel­ler, mög­lich ist

Im Ergeb­nis werden also nur solche Pati­en­ten ein rtCGM bekom­men können, bei denen die The­ra­pie­zie­le nicht mit her­kömm­li­chen Mög­lich­kei­ten erreicht werden können und/oder die Unter­zu­cke­run­gen nicht (mehr) recht­zei­tig wahr­neh­men. Auch muss der Pati­ent gut geschult sein und mit dem CGM sicher umge­hen können. Der Kom­fort­ge­winn allein bzw. die Ver­mei­dung des „Pik­sens“ rei­chen daher nicht aus, um die Not­wen­dig­keit für ein CGM zu begrün­den. Nicht in Frage kommen wird ein CGM auch für Pati­en­ten, die kein Insu­lin sprit­zen

Welche CGM-Sys­te­me sind vom Beschluss nicht umfasst?

Für Fans des Free­Style Libre dürfte der Beschluss des G‑BA leider wenig brin­gen, denn die Emp­feh­lung ist aus­drück­lich auf sog. Real­time-Glu­co­se­mes­sung beschränkt. Ein medi­zi­ni­scher Nutzen wurde näm­lich nur für solche Sys­te­me zum kon­ti­nu­ier­li­chen Glu­ko­se­mes­sung nach­ge­wie­sen, welche vor Unter­zu­cke­run­gen bzw. zu hohen Werten alar­mie­ren. Das Free­Style Libre misst zwar kon­ti­nu­ier­lich den Glu­ko­se­ge­halt, bietet aber keine solche Alar­mie­rung. Auch sendet es die Werte nicht auto­ma­tisch und in Echt­zeit zu einem Emp­fangs­ge­rät, son­dern der Pati­ent muss den Mess­wert selbst abru­fen (“scan­nen”). Solan­ge der Pati­ent das nicht macht (oder nicht machen kann, bei­spiels­wei­se im Schlaf), dann wird ihm der gemes­se­ne Wert nicht bekannt und er kann auch nicht reagie­ren.

Auch Sys­te­me, bei denen ein Zugriff auf die gespei­cher­ten Werte nur über eine Cloud bzw. über einen Online-Dienst mög­lich ist, sind grund­sätz­lich von der Ver­sor­gung aus­ge­schlos­sen. Denn eine Nut­zung muss “ohne Zugriff Drit­ter” mög­lich sein. Der Her­stel­ler muss dem Arzt und Pati­en­ten also zwin­gend eine Mög­lich­keit bieten, auf die Daten zuzu­grei­fen, ohne daß dabei einem Drit­ten ein Zugriff auf die Daten gewährt werden muss.

Wie geht es weiter ?

Der Beschluss wird dem Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Gesund­heit (BMG) zur Prü­fung vor­ge­legt und tritt nach Nicht­be­an­stan­dung und Bekannt­ma­chung im Bun­des­an­zei­ger in Kraft. Ent­spre­chen­de Anträ­ge können aller­dings schon jetzt bei den Kran­ken­kas­sen gestellt werden.
Man sollte jedoch in eige­nem Inter­es­se darauf achten, daß die obigen Vor­aus­set­zun­gen auch wirk­lich erfüllt sind. Ins­be­son­de­re sollte auch eine plau­si­ble und mög­lichst umfas­sen­de Doku­men­ta­ti­on vor­ge­legt werden. Der Arzt sollte die Not­wen­dig­keit des Sys­tems aus­rei­chend begrün­den (nicht nur in weni­gen Sätzen) und auch dar­le­gen, dass bzw. warum die The­ra­pie­zie­le nicht mit her­kömm­li­chen Metho­den erreicht werden (konn­ten).
Ich emp­feh­le, daß man sich bis auf Wei­te­res an dem stan­dar­di­sier­ten Antrag der Arbeits­ge­mein­schaft Dia­be­to­lo­gi­sche Tech­no­lo­gie (AGDT) ori­en­tiert.