Das Bun­des­so­zi­al­ge­richt hat heute ent­schie­den (B 3 KR 5/14 R, Urteil vom 08.07.2015) , daß Sys­te­me zur “kon­ti­nu­ier­li­chen Mes­sung des Zucker­ge­halts im Unter­haut­fett­ge­we­be” (CGM) kein Hilfs­mit­tel sind, son­dern als sog. “Neue Unter­su­chungs- und Behand­lungs­me­tho­de” (NUB) anzu­se­hen  seien. 

Diese unter­schie­den sich “im Hin­blick auf die dia­gnos­ti­sche Wir­kungs­wei­se sowie mög­li­che Risi­ken und Aspek­te der Wirt­schaft­lich­keit erheb­lich von der her­kömm­li­chen Blut­zu­cker­mes­sung” und stell­ten daher “eine “neue”, bisher nicht aner­kann­te Unter­su­chungs­me­tho­de” dar. Solan­ge “der Gemein­sa­me Bun­des­aus­schuss hierzu keine posi­ti­ve Emp­feh­lung abge­ge­ben habe, bestehe daher kein Anspruch auf Ver­sor­gung mit den Hilfs­mit­teln, die für die kon­ti­nu­ier­li­che Blut­zu­cker­be­stim­mung erfor­der­lich sind”.

Der Hin­ter­grund ist fol­gen­der:
Für die Ver­ord­nungs­fä­hig­keit eines Hilfs­mit­tels gelten gem. § 139 SGB V rela­tiv nied­ri­ge Vor­aus­set­zun­gen: der Her­stel­ler muß die Erfül­lung der Qua­li­täts­an­for­de­run­gen und im Zwei­fel den medi­zi­ni­schen Nutzen nach­wei­sen und eine aus­rei­chen­de Bedien­an­lei­tung mit­lie­fern.  Nur wenn das Pro­dukt kein Medi­zin­pro­dukt ist bzw. über kein CE-Zei­chen ver­fügt, muß zusätz­lich noch die Funk­ti­ons­taug­lich­keit und Sicher­heit nach­ge­wie­sen werden.
Liegen diese Vor­aus­set­zun­gen vor, dann wird das Pro­dukt in das Hilfs­mit­tel­ver­zeich­nis der gesetz­li­chen Kran­ken­kas­sen auf­ge­nom­men und kann ver­ord­net werden.

Anders sieht es aus, wenn es um eine neue Unter­su­chungs- und Behand­lungs­me­tho­de geht:
Diese dürfen gem. § 135 SGB V grund­sätz­lich nur erbracht werden, wenn der dia­gnos­ti­sche und the­ra­peu­ti­sche Nutzen aner­kannt ist, eine medi­zi­ni­sche Not­wen­dig­keit hier­für besteht und auch die Kri­te­ri­en der Wirt­schaft­lich­keit erfüllt sind. Die Bewer­tung erfolgt nach dem jewei­li­gen Stand der wis­sen­schaft­li­chen Erkennt­nis­se in der jewei­li­gen The­ra­pie­rich­tung, sie hat jeweils auch im Ver­gleich zu bereits zu Lasten der Kran­ken­kas­sen erbrach­ten Metho­den zu erfol­gen. Werden diese Kri­te­ri­en nicht erfüllt, dürfen solche Leis­tun­gen gem. § 135 Abs. 1 S.3 SGB V nicht (mehr) als ver­trags­ärzt­li­che Leis­tun­gen zu Lasten der Kran­ken­kas­sen erbracht werden

Das Bun­des­so­zi­al­ge­richt hat nun ent­schie­den, daß CGM als neue Unter­su­chungs- und Behand­lungs­me­tho­de (NUB) anzu­se­hen sind. Diese Auf­fas­sung muss man nicht rich­tig finden, sie ist aber — ins­be­son­de­re im Lichte der bis­he­ri­gen Recht­spre­chung zur Abgren­zung Hilfsmittel/NUB — alles andere als abwe­gig.

Sich den Blut­zu­cker im Finger zu messen, um auf­grund eines sol­chen “Echtzeit”-Werts sofort reagie­ren zu können, ist näm­lich schon etwas ande­res als einen im Unter­haut­fett­ge­we­be gemes­se­nen Wert bzw. Trend abzu­le­sen, der bis zu 20 Minu­ten alt ist.  Und auch die Daten­men­ge, die ein CGMS lie­fert, erlaubt ganz andere Ein­bli­cke und dia­gnos­ti­sche Mög­lich­kei­ten als nur spo­ra­di­sche Selbst­mes­sun­gen.
Vor diesem Hin­ter­grund ist es daher nicht voll­kom­men über­ra­schend, dass nach den Vor­in­stan­zen auch das Bun­des­so­zi­al­ge­richt ein CGM und die damit eröff­ne­ten The­ra­pie­mög­lich­kei­ten als “neue Unter­su­chungs- und Behand­lungs­me­tho­de” (NUB) ein­ge­stuft hat.

Auch der G‑BA war der Auf­fas­sung, daß es sich bei CGM um eine NUB han­delt und hat daher bereits vor eini­gen Jahren  sog. “Metho­den­be­wer­tungs­ver­fah­ren” ein­ge­lei­tet. Das Ergeb­nis lag im Mai 2015 vor und war durch­aus posi­tiv. So gut wie sicher ist daher, daß das CGM künf­tig in bestimm­ten Fällen ver­ord­net werden darf, ins­be­son­de­re wohl bei Pro­ble­men durch häu­fi­ge bzw. schwe­re Unter­zu­cke­run­gen. Denn es gibt offen­sicht­lich hin­rei­chend wis­sen­schaft­li­che Belege dafür, daß in sol­chen Fällen ein effeki­ver Nutzen von CGM nach­ge­wie­sen ist. Umge­kehrt ist aber auch klar: es wird nicht für jede(n) ein CGM geben. Die Emp­feh­lung des G‑BA wird gegen Ende des Jahres erwar­tet.

Welche wei­te­ren Vor­aus­set­zun­gen das Bun­des­so­zi­al­ge­richt mit diesem Urteil an eine Ver­ord­nung auf­stellt und ob die Ent­schei­dung auch Aus­wir­kun­gen auf die Erstat­tung von Free­Style Libre hat, wird man seriö­ser­wei­se erst dann abschät­zen können, wenn die Urteils­be­grün­dung vor­liegt.

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