OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22.02.2018 — OVG 11 S 93.17 (Diabetes und Jagdschein)
Vorinstanz: VG Cottbus, Beschluss vom 23.11.2017 — 3 L 632/17
Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Cottbus vom 23. November 2017 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Beschwerde trägt die Antragstellerin.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 4.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
Mit Beschluss vom 23. November 2017 hat das Verwaltungsgericht Cottbus den Antrag der Antragstellerin abgelehnt, die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen den für sofort vollziehbar erklärten Bescheid des Antragsgegners vom 23. Oktober 2017 wiederherzustellen, mit dem der ihr bis zum 31. März 2018 erteilte Jahresjagdschein Nr. … gemäß § 18 Satz 1 i.V.m. § 17 Abs. 1 Satz1 Nr. 2 BJagdG wegen nachträglich bekannt gewordener fehlender körperlicher Eignung für ungültig erklärt, eingezogen und dessen unverzügliche Abgabe zwecks Unbrauchbarmachung verlangt worden war.
Zur Begründung des Beschlusses wird zunächst ausgeführt, die Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren seien wegen überwiegend wahrscheinlicher Rechtmäßigkeit der behördlichen Verfügung als gering anzusehen. Die Antragstellerin leide unstreitig an Diabetes mellitus Typ 1. Zwar führe eine derartige Erkrankung nicht für sich schon zur Annahme fehlender körperlicher Eignung zur Jagd. Anders sei dies jedoch u.a. dann, wenn trotz einer an sich ausreichenden Diabetes-Behandlung eine Gefährdung von Jagdteilnehmern deshalb nicht ausgeschlossen werden könne, weil nicht sicher und sofort beherrschbare Unterzuckerungserscheinungen auftreten bzw. auftreten können. Bei einer Unterzuckung komme es zu Nervosität, Schwitzen, erhöhtem Herzschlag, Zittern der Hände, Bluthochdruck bis hin zu Krampfanfällen, Lähmungen, Sprachstörungen und Schläfrigkeit.
Aufgrund der letztlich nicht bestrittenen Aussagen von Ausbildern während der Teilnahme der Antragstellerin am Lehrgang zum Jagdschein sei es mehrmals zu einer Zuckerschock-Unterzuckerung gekommen, wobei sogar häufig ein Notarzt habe geholt werden müssen; in diesem Zustand sei sie nicht ansprechbar gewesen. Ausweislich der auf Anforderung des Antragsgegners eingeholten amtsärztlichen Untersuchung habe es solche Ereignisse im Zeitraum Ende 2016 Anfang 2017 tatsächlich auch gegeben. Die diesbezügliche Begutachtung vom 9. Oktober 2017 sei zum Ergebnis gekommen, dass die erforderliche körperliche Eignung der Antragstellerin zur Jagdausübung nicht gegeben sei.
Ihre dies bestreitenden Ausführungen rechtfertigten keine andere Beurteilung. Dies gelte auch mit Blick auf die beigebrachte ärztliche Stellungnahme der Fachärztin für Innere Medizin K… vom 22. August 2017. Die dortige Annahme, eine Hypoglämie mit Fremdhilfebedarf sei in den letzten 12 Monaten nicht aufgetreten, sei angesichts der eigenen anderslautenden Angaben der Antragstellerin gegenüber dem Amtsarzt und der Aussagen der Ausbilder während des Jagdscheinlehrgangs nicht erklärlich bzw. stehe im Widerspruch hierzu. Dass die dargestellten Unterzuckerungserscheinungen nunmehr ca. 10 Monate zurücklägen, sei bis zu einem amts- oder fachärztlich untersetzten sicheren Nachweis für eine Änderung der Situation unerheblich.
Selbst wenn man die Erfolgsaussichten in der Hauptsache als offen ansähe, würde die dann gebotene Interessenabwägung zum selben Ergebnis führen. Für das öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug spreche die Gefahr nicht ordnungsgemäßer Verwendung von Waffen, wenn sich diese im Besitz der Antragstellerin befänden. Im Falle begründeter Zweifel an der Geeignetheit müsse den drohenden Gefahren unverzüglich vorgebeugt werden. Gerade die dargestellten Umstände einer Unterzuckerung, die die Zuziehung eines Notarztes erfordert hätten, zeigten eine potentielle Gefährdung für Leib, Leben, Gesundheit und Sachwerte anderer Personen. Denkbar sei neben einer Gefährdung anderer Jagdteilnehmer auch eine Eigengefährdung der Antragstellerin oder ein möglicher Fremdzugriff auf die Jagdwaffe im Falle der Beeinträchtigung ihrer Steuerungsfähigkeit. Demgegenüber müsse ihr Interesse zurücktreten. Ihr werde zunächst bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens die Möglichkeit der Jagdausübung genommen. Im Vergleich zu den für den Sofortvollzug sprechenden Umständen sei dieses Interesse als gering zu gewichten, da weder vorgetragen noch ersichtlich sei, dass dies vorliegend über eine bloße Freizeitbetätigung hinausgehe.
II.
Die rechtzeitig erhobene und begründete Beschwerde der Antragstellerin gegen den verwaltungsgerichtlichen Beschluss hat auf der Grundlage der gemäß § 146 Abs. 4 Satz 4 VwGO allein maßgeblichen Darlegungen der Beschwerdebegründung keinen Erfolg.
Die Antragstellerin macht hiermit im Wesentlichen geltend, die Erfolgsaussichten ihres Widerspruchs seien entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts keineswegs gering, der Bescheid vom 23. Oktober 2017 vielmehr überwiegend wahrscheinlich nicht rechtmäßig. Bei der Anzeige des Herrn W…über ihre angebliche fehlende körperliche Eignung für die Erteilung eines Jagdscheines handele es sich um eine “Racheaktion”, die auf zivilrechtlichen Auseinandersetzungen mit ihm und einer früheren persönlichen Beziehung zu ihm beruhe. Ihre Grunderkrankung (Diabetes mellitus Typ 1) werde medikamentös ausreichend behandelt, eine Gefährdung anderer Jagdteilnehmer sei nicht zu erwarten. Zwar könnten Unterzuckerungserscheinungen selbstverständlich immer auftreten, es komme aber nicht bei jeder Unterzuckerung zu den vom Verwaltungsgericht aufgezählten körperlichen Folgen. Im amtsärztlichen Gutachten seien nur allgemeine Ausführungen zur Frage gemacht worden, wozu ein Zuckerschock führen könne; auch beruhe dieses Gutachten auf den falschen Anschuldigungen des Herrn W… und sei darin die Stellungnahme der Fachärztin K… geringfügiger gewertet worden. Keineswegs habe es häufige Notarztbesuche während der Teilnahme am Lehrgang zum Jagdschein oder auch ansonsten gegeben, sondern nur einen einzigen Vorfall mit geringfügiger Unterzuckerung, den die Antragstellerin selbst im Griff gehabt und behandelt habe. Dass der Jagdschulleiter Herr H… damals einen Krankenwagen gerufen habe, liege daran, dass er mit der Situation nicht habe umgehen können, keineswegs habe der Notarzt seinerzeit “eine vollkommene Unterzuckerung” festgestellt. Zwar habe die Antragstellerin gegenüber dem Amtsarzt erklärt, zu einer (weiteren) Unterzuckerung sei es auch am 12. Januar 2017 um 08.00 Uhr gekommen, der Antragsgegner habe es jedoch unterlassen zu hinterfragen und zu gewichten, welchen Umfang diese gehabt habe. Tatsächlich habe es sich nur um eine durch geeignete Maßnahmen von ihr selbst behandelte geringfügige Unterzuckerung infolge einer nachts naturgemäß nicht so häufigen Überprüfung des Blutzuckers gehandelt. Im Übrigen sei die Entziehung des Jagdscheins bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache vorliegend unangemessen, da als milderes Mittel die Erteilung einer Auflage in Betracht gekommen wäre, die Jagd nur in Begleitung einer Person auszuüben, die im Besitz eines Jagdscheines sei und die ihr im Falle eines massiven Zuckerschocks die Waffe abnehmen könne.
Dieses Beschwerdevorbringen vermag die verwaltungsgerichtliche Ablehnung des Antrags der Antragstellerin auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die für sofort vollziehbar erklärte Ungültigkeitserklärung und Einziehung ihres Waffenscheins sowie das entsprechende Herausgabeverlangen im Ergebnis nicht in Frage zu stellen.
Dabei kann dahinstehen, ob die Annahme des Verwaltungsgerichts, die behördliche Entscheidung sei “überwiegend wahrscheinlich rechtmäßig” (BA Seite 3 Absatz 2), mit Blick auf die Darlegungen zur Beschwerdebegründung noch gerechtfertigt ist. Denn das Gericht hat seine Entscheidung darüber hinaus zusätzlich damit begründet (BA Seite 6 Absatz 2), dass selbst im Falle, dass sich die Rechtmäßigkeitsbeurteilung als offen darstellen würde, die Abwägung von öffentlichen und privaten Interessen zum selben Ergebnis führen würde. Begründet hat es diese Einschätzung damit, dass es das öffentliche Interesse gebiete, im Falle von hier bestehenden “begründeten Zweifeln” an der (körperlichen) Eignung eines Jagdscheininhabers den hierdurch entstehenden Gefahren unverzüglich vorzubeugen. Demgegenüber sei das private Interesse der Antragstellerin als gering zu gewichten, da weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich sei, dass im vorliegenden Fall die Jagdausübung über eine bloße Freizeitbetätigung hinausgehe.
Hiervon ausgehend — zu weitergehenden privaten Interessen der Antragstellerin oder einzustellenden gegenläufigen öffentlichen Interessen verhält sich die Beschwerdebegründung nicht — ist die zumindest nicht dezidiert angegriffene Interessenabwägung nicht zu beanstanden. Das Beschwerdevorbringen stellt den dargelegten rechtlichen Ansatz des Verwaltungsgerichts, dass mögliche Gefahren für andere Personen, aber auch für die Antragstellerin selbst bei der Jagdausübung ausgeschlossen sein müssen und bei begründeten Zweifeln an der Geeignetheit eines Jagdscheininhabers dem Eintritt derartiger Gefahren unverzüglich vorgebeugt werden müsse, nicht in Frage. Die Behauptungen der Beschwerde, die Antragstellerin werde “durch ihre Medikamente ausreichend behandelt”, es sei deshalb von keinen anderen Gefährdungen auszugehen als ohne ihre Grunderkrankung, ist auf der Grundlage der gegenwärtigen tatsächlichen Erkenntnisse Richtigkeit jedenfalls nicht hinreichend sicher feststellbar.
Zwar macht die Antragstellerin geltend, bei den Angaben des Herrn W… in der behördlicher Gesprächsnotiz/Telefonnotiz vom 4. Mai 2017 (VV Bl. 7), wonach dieser als ihr “Lehrprinz” und Ausbilder erklärt habe, sie sei “in der Jagdschule und auch während der praktischen Ausbildung bei ihm im Revier mehrfach umgefallen, so dass ein Krankenwagen gerufen werden musste”, was der Ausbildungsleiter Herr H… bestätigen könne, und seiner schriftlichen Bestätigung vom 14. Mai 2017 über ein “sehr häufiges Wegtreten (Zuckerschock-Unterzuckerung)”, weshalb Außenstehende häufig den Notarzt holen mussten (VV 10 f.), handele es sich um eine “Racheaktion” wegen persönlicher zivilrechtlicher Auseinandersetzungen und einer früheren dreijährigen Beziehung. Ob die geschilderte Darstellung des Herrn W… tatsächlich — und ggf. in welchem Umfang — zutrifft, wird im Widerspruchs- bzw. im Hauptsacheverfahren zu klären sein. Dass diese Darlegungen jedenfalls nicht gänzlich aus der Luft gegriffen sind, dürfte die weitere behördliche Gesprächsnotiz/Telefonnotiz vom 11. Mai 2017 (VV Bl. 9) belegen, wonach Herr H… erklärt habe, während des Lehrgangs zum Jagdschein in der Jagdschule habe die Antragstellerin einmal einen “Zuckerschock” gehabt, es sei ihr schlecht gegangen, sie sei aber noch ansprechbar gewesen, der herbeigerufene Notarzt habe festgestellt, dass sie “vollkommen unterzuckert” gewesen sei. Zwar bestreitet die Antragstellerin Letzteres und behauptet sinngemäß, die Herbeirufung eines Notarztes sei nicht notwendig gewesen, da sie die Situation “vollständig allein im Griff” gehabt habe, jedoch bedarf auch das ggf. weiterer Aufklärung. Dass bei diesem Notarzteinsatz nicht einmal ein Protokoll gefertigt worden sei, weil eine Behandlung nicht stattgefunden habe, so die Beschwerdebegründung weiter, belegt nicht, dass der Notruf zuvor nicht hinreichend veranlasst war. Soweit es in dieser Gesprächsnotiz/Telefonnotiz heißt “Die Medikamente seien zu der Zeit umgestellt worden”, belegt das nicht, dass es sich dabei um einen künftig nicht mehr zu befürchtenden einmaligen Ausnahmefall gehandelt hat.
Auch die — nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist und somit verspätet vorgebrachten — Ausführungen der Antragstellerin im Schriftsatz vom 16. Februar 2018 rechtfertigen keine andere Beurteilung, zumal die beigefügte Anlage nicht geeignet ist, glaubhaft zu machen, dass die dort erwähnten weiteren Notarzteinsätze — etwa der Verkehrsunfall vom 24. März 2016 — nicht auch Folge einer Unterzuckerung der Antragstellerin waren.
Die möglichen körperlichen und gesundheitlichen Folgen einer Unterzuckerung sind in der amtsärztlichen Eignungsuntersuchung vom 9. Oktober 2017 im Einzelnen dargelegt worden, ohne dass hierbei, wie die Beschwerde zu Unrecht rügt, behauptet wird, “jede Unterzuckerung” führe zu den genannten Beeinträchtigungen. In dem Gutachten wird neben der oben erwähnte Unterzuckerung während der Jagdausbildung im Jahre 2016 auch eine von der Antragstellerin selbst benannte Unterzuckerung am 12. Januar 2017 um 08.00 Uhr erwähnt. Soweit mit der Beschwerdebegründung geltend gemacht wird, es habe sich nur um eine geringfügige Unterzuckerung gehandelt, die sie durch geeignete Maßnahmen sofort selbst beseitigt habe und die unmittelbare Folge einer nachts naturgemäß nicht so häufigen Überprüfung des Blutzuckers gewesen sei, drängt sich die (unbeantwortet gebliebene) Frage auf, warum eine solche dann überhaupt von der Antragstellerin gegenüber dem Amtsarzt erwähnt wurde und warum entsprechende einschränkende Hinweise diesem gegenüber nicht sofort geltend gemacht worden sind.
Dass die “Beurteilung/Stellungnahme” der Fachärztin für Inneres Medizin K… vom 22. August 2017 eine andere Einschätzung der gesundheitlichen Situation der Antragstellerin gebieten würden, ist nicht ersichtlich. Diesbezüglich ist darauf hinzuweisen, dass diese durchaus in die amtsärztliche Begutachtung eingegangen ist, wie Absatz 2 des Gutachtens vom 9. Oktober 2017 belegt. Wenn die genannte Fachärztin dort ausführt, “Hypoglykämien mit Fremdhilfebedarf traten in den letzten 12 Monaten nicht auf”, lässt das schon nicht erkennen, auf welcher objektiven Tatsachengrundlage diese Feststellung getroffen worden ist.
Soweit mit der Beschwerdebegründung geltend gemacht wird, anstelle des sofortigen Entzugs des Jagdscheins habe als milderes Mittel die Auflage genügt, dass die Antragstellerin die Jagd nur in Begleitung einer Person, die im Besitz eines Jagdscheins sei, ausüben dürfe, kann dahinstehen, ob das, wie der Antragsgegner meint, nicht mit dem Jagdrecht vereinbar ist. Denn jedenfalls ist nicht ersichtlich, dass eine solche Auflage die benannten Gefahren hinreichend sicher auszuschließen vermag.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).