Tenor:

Die Beklag­te wird unter Auf­he­bung des Bescheids vom 23. Mai 2011 in Gestalt des Wider­spruchs­be­schei­des vom 25. Novem­ber 2011 ver­pflich­tet, die Kosten für eine kon­ti­nu­ier­li­che Glu­ko­se­mes­sung mit­tels Glu­ko­sen­sor nebst sämt­li­chen Zube­hör­tei­len zu über­neh­men.

Die Beklag­te trägt die außer­ge­richt­li­chen Kosten des Klä­gers.

 

Tat­be­stand

Der Kläger begehrt die Kos­ten­über­nah­me für ein Gerät zur kon­ti­nu­ier­li­chen Glu­ko­se­mes­sung mit­tels Glu­ko­se­sen­sor nebst Zube­hör (CGM — Real-Time-Mess­ge­rät zur The­ra­pie­steue­rung),

Der am 07. Januar 1996 gebo­re­ne Kläger ist bei der Beklag­ten gesetz­lich kran­ken­ver­si­chert und leidet unter Dia­be­tes mel­li­tus Typ 1. Mit ärzt­li­cher Ver­ord­nung vom 06, Mai 2011 bean­trag­te er bei der Beklag­ten die Ver­sor­gung mit dem Real-Time-Mess­ge­rät Mini­Med Para­digm zur kon­ti­nu­ier­li­chen Glu­ko­se­mes­sung, das Gerät ver­fügt über einen Sensor, wel­cher die Glu­ko­se­kon­zen­tra­ti­on in der Zwi­schen­zell­flüs­sig­keit des Unter­haut­fett­ge­we­bes bestimmt. Der Glu­ko­se­spie­gel wird alle zehn Sekun­den ermit­telt und alle fünf Minu­ten als Durch­schnitts­wert ange­zeigt. Die ent­spre­chen­den Mess­wer­te werden an die Insu­lin­pum­pe über­mit­telt. Dort kann die Ent­wick­lung (der Trend) der Glu­ko­se­kon­zen­tra­ti­on abge­le­sen werden. Außer­dem kann das Gerät vor Über- oder Unter­zu­cke­rung warnen und ver­fügt über eine zuschalt­ba­re Hypo-Abschal­tung. Diese Option ermög­licht eine auto­ma­ti­sche Unter­bre­chung der Insu­lin­ab­ga­be bei stark abge­fal­le­nen Sen­sor­glu­ko­se­wert für zwei Stun­den sowie eine auto­ma­ti­sche Fort­set­zung der Insu­lin­ab­ga­be nach zwei Stun­den, wenn der Anwen­der nicht vorher ein­greift. Der Sensor kann bis zu sechs Tagen getra­gen werden. Das Gerät soll nach den Inter­net­an­ga­ben des Her­stel­lers die mit­tels her­kömm­li­cher Blut­zu­cker­mess­ge­rä­te bestimm­ten Infor­ma­tio­nen zum Blut­zu­cker­spie­gel ergän­zen, jedoch nicht erset­zen. Die emp­foh­le­ne Anzahl von Blut­zu­cker­mes­sun­gen soll wei­ter­hin durch­ge­führt werden. Das Gerät wird min­des­tens einmal in zwölf Stun­den mit­tels einer her­kömm­li­chen Blut­zu­cker­mes­sung kali­briert.

Mit Bescheid vom 23. Mai 2011 lehnte die Beklag­te den Antrag ab und ver­wies darauf, dass das begehr­te Pro­dukt keine Leis­tung der Gesetz­li­chen Kran­ken­ver­si­che­rung sei. Eine Zulas­sung der Metho­de durch den Gemein­sa­men Bun­des­aus­schuss (0‑BA) liege nicht vor.

Der Kläger legte am 29, Mai 2011 Wider­spruch ein. Durch die kon­ti­nu­ier­li­che Glu­ko­se­mes­sung sei es mög­lich, die Schwan­kun­gen des Blut­zu­cker­spie­gels auf ein Mini­mum zu redu­zie­ren. Die Gefahr einer Unter­zu­cke­rung sei durch die stän­di­ge Über­wa­chung und Alar­mie­rung sowie Abschal­tung der Insu­lin­zu­fuhr dras­tisch redu­ziert. Ferner seien die Gefah­ren von Fol­ge­er­kran­kun­gen durch die sta­bi­le­ren Blut­zu­cker­wer­te stark mini­miert. Auf­grund der bes­se­ren Aus­wer­te­mög­lich­keit könne auch der Arzt viel besser auf die Pro­ble­me ein­ge­hen und den Blut­zu­cker­ver­lauf gut aus­wer­ten. Ebenso finde eine Scho­nung der Fin­ger­kup­pen statt. Die Beklag­te beauf­trag­te den Medi­zi­ni­schen Dienst der Kran­ken­ver­si­che­rung (MDK), wel­cher in seiner Stel­lung­nah­me vom 22. Juni 2011 zu dem Ergeb­nis kam, dass sich der G‑BA bisher noch nicht mit dieser dia­gnos­ti­schen Metho­de beschäf­tigt habe, womit die ambu­lan­te Ver­sor­gung wei­ter­hin als nicht zuge­las­sen gelte. Mit Wider­spruchs­be­scheid vom 25. Novem­ber 2011 wies die Beklag­te den Wider­spruch als unbe­grün­det zurück. Zur Begrün­dung führte sie aus, dass die Abrech­nung einer nicht all­ge­mein aner­kann­ten Behand­lungs­me­tho­de grund­sätz­lich aus­ge­schlos­sen sei, solan­ge sich der G‑BA nicht zur Not­wen­dig­keit und zum the­ra­peu­ti­schen Nutzen der Metho­de geäu­ßert habe. Gehöre eine neue Unter­su­chungs- und Behand­lungs­me­tho­de nicht zum Leis­tungs­be­reich der gesetz­li­chen Kran­ken­ver­si­che­rung, so gelte dies auch für die zur Durch­füh­rung dieser Behand­lung ein­ge­setz­ten Hilfs­mit­tel, hier Glu­ko­se­sen­sor.

Der Kläger hat am 12. Dezem­ber 2011 Klage zum Sozi­al­ge­richt Stutt­gart erho­ben.

Der Kläger trägt vor, dass es sich bei dem begehr­ten Gerät um ein reines Mess­ge­rät han­de­le. Es werde nur dau­er­haft der Blut­zu­cker­wert bestimmt. Einzig die Art der Mes­sung sei eine andere. Inso­fern sei die kon­ti­nu­ier­li­che Glu­ko­se­mes­sung keine neue Behand­lungs­me­tho­de.

Der Kläger bean­tragt,

die Beklag­te unter Auf­he­bung des Bescheids vom 23. Mai 2011 in Gestalt Wider­spruchs­be­schei­des vom 25. Novem­ber 2011 zu ver­pflich­ten, die Kosten für eine kon­ti­nu­ier­li­che Glu­ko­se­mes­sung mit­tels Glu­ko­se­sen­sor nebst sämt­li­chen Zube­hör­tei­len zu bewil­li­gen.

Die Beklag­te bean­tragt, die Klage abzu­wei­sen.

Die Beklag­te meint, dass der Glu­ko­sen­sor als Hilfs­mit­tel untrenn­bar mit einer neuen Behand­lungs­me­tho­de ver­bun­den sei.

Mit Beschluss vom 24. Novem­ber 2011 hat der G‑BA das Bera­tungs­ver­fah­ren zur Bewer­tung der kon­ti­nu­ier­li­chen Glu­ko­se­mes­sung mit Real-Time-Mess­ge­rä­ten zur The­ra­pie­steue­rung bei Pati­en­ten mit insu­lin­pflich­ti­gem Dia­be­tes mel­li­tus ein­ge­lei­tet.

Das Gericht hat Beweis erho­ben und den behan­deln­den Arzt Dr.XX  schrift­lich als sach­ver­stän­di­gen Zeugen ver­nom­men. Dr. XX  teilte am 04, Okto­ber 2013 mit, dass der Kläger seit April 2007 mit der Insu­lin­pum­pen­the­ra­pie behan­delt werde. Der HbA1c-Wert des Klä­gers habe in den letz­ten zwei Jahren zwi­schen 7.5 % bis 10,2 % gele­gen. Inso­fern sei es bei dem Kläger immer wieder zu einer deut­li­chen Ver­schlech­te­rung seiner Stoff­wech­sel­ein­stel­lung, haupt­säch­lich bedingt durch seine aus­ge­präg­ten Blut­zu­cker­schwan­kun­gen (Glu­ko­se­va­ria­bi­li­tät) gekom­men. Von einer guten Stoff­wech­sel­ein­stel­lung spre­che man bei HbA1c-Werten von <7,5%. Auf­grund seiner star­ken Blut­zu­cker­schwan­kun­gen habe der Kläger immer wieder Hypo­glyk­ämien, auch nachts. Von einer Hypo­glyk­ämie spre­che man bei Jugend­li­chen bei einem Blut­zu­cker­wert von <80mg%. Bei einer schwe­ren Unter­zu­cke­rung sei der Blut­zu­cker­spie­gel so nied­rig, dass er indi­vi­du­ell zur Bewusst­seins­ein­schrän­kung oder zum Bewusst­seins­ver­lust führe. Erfreu­li­cher­wei­se sei es beim Kläger bisher noch nicht zu einer schwers­ten Hypo­glyk­ämie, welche nur mit­tels Fremd­hil­fe zu behe­ben sei, gekom­men. Von der großen DCCT-Studie wisse man jedoch, dass eine Ver­bes­se­rung der Stoff­wech­sel­ein­stel­lung zu einer deut­li­chen Zunah­me von Hypo­glyk­ämien führe, vor allem bei aus­ge­präg­ten Blut­zu­cker­schwan­kun­gen. Die Hypo­glyk­ämie­wahr­neh­mung des Klä­gers sei noch akzep­ta­bel, aber durch die anhal­ten­den Blut­zu­cker­schwan­kun­gen der letz­ten zwei Jahre nicht mehr so zuver­läs­sig. Dieses „Nach­las­sen” der Hypo­glyk­ämie­wahr­neh­mung auf­grund von aus­ge­präg­ter Glu­ko­se­va­ria­bli­tät sei gut bekannt und könne zu einer Zunah­me von Hypo­gly­kä­men führen.

Mit Schrift­satz vom 11. Okto­ber 2013 über­sand­te der Kläger einen Bericht seines Augen­arz­tes Dr.XXX vom 07. Okto­ber 2013. Dieser stell­te beim Kläger eine begin­nen­de milde nicht­pro­li­fe­ra­ti­ve dia­be­ti­sche Reti­no­pa­thie fest. Bei ana­mnes­tisch guter Stoff­wech­sel­ein­stel­lung seien seines Erach­tens momen­tan keine the­ra­peu­ti­schen Kon­se­quen­zen not­wen­dig.

Wegen der wei­te­ren Ein­zel­hei­ten des Sach- und Streit­stan­des wird auf die Gerichts- sowie Ver­wal­tungs­ak­te Bezug genom­men.

 

Ent­schei­dungs­grün­de

Die Klage ist zuläs­sig und begrün­det.

Der Bescheid vom 23. Mai 2011 in der Gestalt des Wider­spruchs­be­schei­des vom 25. Novem­ber 2011 ist rechts­wid­rig und ver­letzt den Kläger in seinen Rech­ten. Der Kläger hat einen Anspruch auf Kos­ten­über­nah­me für die Ver­sor­gung mit einem Real-Time-Mess­ge­rät zur kon­ti­nu­ier­li­chen Glu­ko­se­mes­sung durch Glu­ko­se­sen­sor nebst dem not­wen­di­gen Zube­hör.

Nach 27 Abs. 1 Fünf­tes Buch Sozi­al­ge­setz­buch (SGB V) haben Ver­si­cher­te Anspruch auf Kran­ken­be­hand­lung, wenn sie not­wen­dig ist, um eine Krank­heit zu erken­nen, zu heilen, ihre Ver­schlim­me­rung zu ver­hü­ten oder Krank­heits­be­schwer­den zu lin­dern. Die Kran­ken­be­hand­lung umfasst neben der ärzt­li­chen Behand­lung, § 27 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 1 SGB V, auch die Ver­sor­gung mit Hilfs­mit­teln gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 3 SGB V. Der Anspruch auf Kran­ken­be­hand­lung bzw. Hilfs­mit­tel­ver­sor­gung unter­liegt den für alle Leis­tungs­an­sprü­che gel­ten­den all­ge­mei­nen Maß­ga­ben der §§ 2, 12 SGB V. Gern. § 2 Abs. 1. SGB V stel­len die Kran­ken­kas­sen den Ver­si­cher­ten die Leis­tun­gen unter Beach­tung des Wirt­schaft­lich­keits­ge­bots (§ 12 SGB V) zur Ver­fü­gung, soweit diese Leis­tun­gen nicht der Eigen­ver­ant­wor­tung der Ver­si­cher­ten zuge­rech­net werden. Qua­li­tät und Wirk­sam­keit der Leis­tun­gen haben dem all­ge­mein aner­kann­ten Stand der medi­zi­ni­schen Erkennt­nis­se zu ent­spre­chen und den medi­zi­ni­schen Fort­schritt zu berück­sich­ti­gen (LSG Baden-Würt­tem­berg, Beschluss vorn 25.02.2013 — L 5 KR 4459/12 ER‑B). Gem. § 12 Abs. 1 SGB V müssen die Leis­tun­gen aus­rei­chend, zweck­mä­ßig und wirt­schaft­lich sein; sie dürfen das Maß des Not­wen­di­gen nicht über­schrei­ten.

Aus­weis­lich des § 33 SGB V haben Ver­si­cher­te Anspruch auf Ver­sor­gung mit Hör­hil­fen, Kör­per­er­satz­stü­cken, ortho­pä­di­schen und ande­ren Hilfs­mit­teln, die im Ein­zel­fall erfor­der­lich sind, um den Erfolg der Kran­ken­be­hand­lung zu sichern, einer dro­hen­den Behin­de­rung vor­zu­beu­gen oder eine Behin­de­rung aus­zu­glei­chen, soweit die Hilfs­mit­tel nicht als all­ge­mei­ne Gebrauchs­ge­gen­stän­de des täg­li­chen Lebens anzu­se­hen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V aus­ge­schlos­sen sind.

Bei dem vom Kläger begehr­ten Real-Time-Mess­ge­rät zur kon­ti­nu­ier­li­chen Glu­ko­se­mes­sung mit­tels Glu­ko­se­sen­sor han­delt es sich um ein Hilfs­mit­tel im Sinne des § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Das Gerät ist dem Kläger zur Siche­rung einer Kran­ken­be­hand­lung ver­ord­net worden, § 33 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 SGB V. Der Siche­rung des Erfol­ges einer Kran­ken­be­hand­lung dient ein säch­li­ches Mittel, soweit es spe­zi­fisch im Rahmen der ärzt­lich ver­ant­wor­te­ten Kran­ken­be­hand­lung ein­ge­setzt wird, um zu ihrem Erfolg bei­zu­tra­gen. Der spe­zi­fi­sche Bezug zur ärzt­lich ver­ant­wor­te­ten Kran­ken­be­hand­lung setzt voraus, dass die Ver­wen­dung des begehr­ten Hilfs­mit­tels in einem engen Zusam­men­hang zu einer andau­ern­den, auf einem ärzt­li­chen The­ra­pie­plan beru­hen­den Behand­lung durch ärzt­li­che und ärzt­lich ange­lei­te­te Leis­tungs­er­brin­ger steht und für die geziel­te Ver­sor­gung im Sinne der Behand­lungs­zie­le des § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V als erfor­der­lich anzu­se­hen ist. Dabei ist es im Rahmen des § 33 Abs. 1 Satz I Alt. 1 SGB V aus­rei­chend, wenn mit dem Hilfs­mit­tel ein the­ra­peu­ti­scher Erfolg ange­strebt wird (BSG, Urteil vom 15.03.2012 B 3 KR 2/11 R). Ein sol­cher the­ra­peu­ti­scher Erfolg ist bei einer Auto­im­mun­erkran­kung wie im kon­kre­ten Fall Dia­be­tes mel­li­tus Typ I regel­mä­ßig die Gewähr­leis­tung einer guten Stoff­wech­sel­ein­stel­lung und der damit ein­her­ge­hen­den Prä­ven­ti­on von Fol­ge­schä­den.

Dem Anspruch des Klä­gers steht auch nicht ent­ge­gen, dass der G‑BA für die kon­ti­nu­ier­li­che Glu­ko­se­mes­sung keine Emp­feh­lung abge­ge­ben hat.

Bei der Ver­sor­gung der Ver­si­cher­ten mit ärzt­li­cher Heil­be­hand­lung ist hin­sicht­lich neuer Unter­su­chungs- und Behand­lungs­me­tho­den das in § 135 Abs. I Satz 1 SGB V fest­ge­leg­te Verbot mit Erlaub­nis­vor­be­halt (BSG, Urteil vom 07.11.2006 — B 1 KR 24/06 R; Urteil vom 04.04.2006 ­B 1 KR 12105 R) zu beach­ten. Danach dürfen neue Unter­su­chungs- und Behand­lungs­me­tho­den in der ver­trags­ärzt­li­chen Ver­sor­gung zu Lasten der Kran­ken­kas­se nur erbracht werden und gehö­ren auch dann nur zu den Ver­si­cher­ten von der Kran­ken­kas­se geschul­de­ten Leis­tun­gen (vgl. BSG, Urteil vom 04.04.2006 — B 1 KR 12/05 R), wenn der Bun­des­aus­schuss der Ärzte und Kran­ken­kas­sen in Richt­li­ni­en nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V Emp­feh­lun­gen u. a. über die Aner­ken­nung des dia­gnos­ti­schen und the­ra­peu­ti­schen Nut­zens der neuen Metho­de sowie deren medi­zi­ni­sche Not­wen­dig­keit und Wirt­schaft­lich­keit abge­ge­ben hat. An die Ent­schei­dun­gen des Bun­des­aus­schus­ses sind Kran­ken­kas­sen und Gerich­te gebun­den (BSG, Urteil vom 04.04.2006 ­B 1 KR 12/05 R). Ohne befür­wor­ten­de Ent­schei­dung des Gemein­sa­men Bun­des­aus­schus­ses kommt eine Leis­tungs­pflicht der Kran­ken­kas­sen nicht in Betracht (LSG Baden-Würt­tem­berg, Beschluss vorn 25.02.2013 — L 5 KR 4459/12 ER‑B).

Wird ein Hilfs­mit­tel im Sinne des § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V im Rahmen einer neuen Unter­su­chungs- und Behand­lungs­me­tho­de im vor­ste­hend beschrie­be­nen Sinn ange­wen­det, unter­liegt es eben­falls dem Erlaub­nis­vor­be­halt des § 135 Abs. 1 SGB V (BSG, Urteil vom 12.08.2009 — B 3 KR 10/07 R).

Die Sperr­wir­kung des § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V erfasst neue Unter­su­chungs- und Behand­lungs­me­tho­den. Der Begriff der „Metho­den” erfasst Maß­nah­men, die bei einem bestimm­ten Krank­heits­bild „sys­te­ma­tisch” ange­wandt werden und als leis­tungs­über­grei­fen­de metho­di­sche Kon­zep­te auf ein bestimm­tes dia­gnos­ti­sches oder the­ra­peu­ti­sches Ziel aus­ge­rich­tet sind (BSG, Urteil vom 19.10.2004 — B 1 KR 27/02 R). Eine Metho­de betrifft dabei nicht nur die ärzt­li­che Leis­tung im enge­ren Sinne, son­dern alle für die ver­trags­ärzt­li­che Ver­sor­gung rele­van­ten dia­gnos­ti­schen und the­ra­peu­ti­schen Maß­nah­men (jurisPK-SGB V, 2. Auf­la­ge, § 135 SGB V Rn. 18),

Neu ist eine Metho­de, wenn sie sich bewusst von den bisher in der ver­trags­ärzt­li­chen Ver­sor­gung ange­wand­ten Dia­gnos­tik- und The­ra­pie­ver­fah­ren abgrenzt und sich dar­über hinaus auf nicht weit­ge­hend ein­hel­lig aner­kann­te wis­sen­schaft­li­che Erkennt­nis­se beruft, die gerade des­halb der Prü­fung auf Qua­li­täts­si­che­rung unter­zo­gen werden sollen (SG Berlin, Beschluss vorn 15.05.2012 — S 72 KR 500/12 ER). Geht es hin­ge­gen um ein Hilfs­mit­tel, das im Rahmen her­kömm­li­cher ärzt­li­cher Behand­lungs­me­tho­den ein­ge­setzt werden soll, ist der G‑BA in seinem spe­zi­el­len Zustän­dig­keits­be­reich der Bewer­tung neuer Unter­su­chungs- und Behand­lungs­me­tho­den (§ 135 SGB V) und des Erlas­ses ein­schlä­gi­ger Richt­li­ni­en (§ 92 Abs 1 Satz 2 Nr 5 SGB V) nicht berührt (BSG, Urteil vom 22.04.2009 — B 3 KR 11/07 R),

Die kon­ti­nu­ier­li­che Glu­ko­se­mes­sung ist nicht als neue Behand­lungs­me­tho­de zu qua­li­fi­zie­ren. Die dem streit­ge­gen­ständ­li­chen Hilfs­mit­tel zugrun­de lie­gen­de Kran­ken­be­hand­lung ist die Behand­lung der Dia­be­tes mit­tels Insu­lin­the­ra­pie. Inso­fern muss hei Dia­be­tes mel­li­tus Typ I das den Betrof­fe­nen feh­len­de Hormon Insu­lin künst­lich in Form von Insu­lin­prä­pa­ra­ten zuge­führt werden. Der Kläger ist unab­hän­gig von dem begehr­ten Real-Time-Mess­ge­rät bereits mit einer Insu­lin­pum­pe ver­sorgt, welche die täg­li­che Insu­lin­ga­be steu­ert und kon­ti­nu­ier­lich eine ein­pro­gram­mier­te Basal­ra­te zur Deckung des Insu­lin­grund­be­darfs über einen Kunst­stoff­schlauch in das Unter­haut­fett­ge­we­be abgibt (Funk­ti­ons­wei­se der Insu­lin­pum­pe nach­zu­le­sen auf der Inter­net­sei­te des Her­stel­lers: http://www.medtronic-diabetes.de/produktinformation/paradigm­veo/key-features-and-benefits.html, 14.11.2013). Bei Bedarf (z.B. nach einer Nah­rungs­auf­nah­me oder beim Sport) kann der Kläger seinem Körper zusätz­li­ches Insu­lin über die Insu­lin­pum­pe zufüh­ren. Der wich­tigs­te Unter­schied der klas­si­schen Blut­zu­cker­mes­sun­gen im Blut zur kon­ti­nu­ier­li­chen Glu­ko­se­mes­sung in der Gewe­be­flüs­sig­keit ist die Wer­teer­fas­sung. Die her­kömm­li­chen Blut­zu­cker­mes­sun­gen ermög­li­chen grund­sätz­lich nur eine momen­ta­ne Wert­erfas­sung, selbst wenn eine große Anzahl an Mes­sun­gen (10–30 pro Tag) durch­ge­führt wird, sie ist eine rein sta­tis­ti­sche Mes­sung und ermög­licht keine oder allen­falls eine vage Aus­kunft dar­über, ob die Stoff­wech­sel­ein­stel­lung stabil ist oder ob der Blut­zu­cker die Ten­denz hat anzu­stei­gen oder abzu­fal­len. Im Gegen­satz dazu bietet das begehr­te CGM-System durch die fort­lau­fen­de Mes­sung und Dar­stel­lung der Glu­ko­se­wer­te die Mög­lich­keit, zu erken­nen, aus wel­cher „Rich­tung” der Glu­ko­se­spie­gel kommt und erlaubt eine Abschät­zung, wie sich dieser in der nähe­ren Zukunft ver­än­dern wird (dia­be­tes­DE: Kon­ti­nu­ier­li­che Glu­ko­se­mes­sung (CGM) in der Gewe­be­flüs­sig­keit. Wis­sen­schaft­li­che Bewer­tung von CGM und medi­zi­ni­sche Beur­tei­lung des Nut­zens für die Dia­be­tes­the­ra­pie, 20.01.2010). Mithin erfolgt durch die kon­ti­nu­ier­li­che Glu­ko­se­mes­sung weder eine Ände­rung der Behand­lungs­me­tho­de, noch des The­ra­pie­kon­zepts. Neben der Blut­zu­cker­mes­sung im Blut wird dem Kläger ledig­lich eine andere bzw. zusätz­li­che Mess­me­tho­de in Form der Mes­sung der Glu­ko­se­kon­zen­tra­ti­on in der inters­ti­ti­el­len Flüs­sig­keit zur Ver­fü­gung gestellt. Dem Körper des Klä­gers wird wei­ter­hin Insu­lin über die vor­han­de­ne Insu­lin­pum­pe zuge­führt. Eine andere Beur­tei­lung ergibt sich auch nicht aus der Tat­sa­che, dass das Gerät mit einer zuschalt­ba­ren Option zur auto­ma­ti­schen Abschal­tung der Insu­lin­zu­fuhr aus­ge­stat­tet ist. Diese Funk­ti­on ist ledig­lich eine zusätz­li­che Siche­rung, um den Anwen­der vor schwe­ren Hypo­glyk­ämien zu schüt­zen. In diesem Zusam­men­hang teilte - in seiner schrift­li­chen Zeu­gen­aus­sa­ge vom 04. Okto­ber 2013 mit, dass eine Ver­bes­se­rung der Stoff­wech­sel­ein­stel­lung zu einer deut­li­chen Zunah­me von Hypo­glyk­ämien, auch schwe­ren Hypo­glyk­ämien führe, vor. allem bei aus­ge­präg­ten Blut­zu­cker­schwan­kun­gen. Dar­über hinaus kann der Anwen­der die Insu­lin­ga­be jeder­zeit wieder per Knopf­druck star­ten.

Ferner wirkt sich die Durch­füh­rung der kon­ti­nu­ier­li­chen Glu­ko­se­mes­sung nicht auf das über­ge­ord­ne­te The­ra­pie­kon­zept des behan­deln­den Arztes aus, Inso­weit trägt ins­be­son­de­re nicht das Argu­ment, dass es dem Arzt die Mög­lich­keit eröff­ne, sich bei seinen The­ra­pie­ent­schei­dun­gen auch an den durch die kon­ti­nu­ier­li­che Mes­sung erho­be­nen Blut­zu­cker­da­ten zu ori­en­tie­ren (vgl. SG Ham­burg, Beschluss vom 12.04.2013 — S 23 KR 338/13 ER). Dies­be­züg­lich ist für die Kammer ein Unter­schied zur her­kömm­li­chen Blut­zu­cker­mes­sung im Blut nicht erkenn­bar. Der Kläger führte stets ein Blut­zu­cker-Tage­buch, sodass die dort fest­ge­hal­te­nen Mess­wer­te und Daten in iden­ti­scher Weise bei der The­ra­pie­ent­schei­dung des behan­deln­den Arztes Berück­sich­ti­gung finden konn­ten.

Der Ein­satz des Hilfs­mit­tels ist auch erfor­der­lich im Sinne der §§ 12, 33 SGB V. Eine ebenso wirk­sa­me, aber wirt­schaft­li­che­re Alter­na­ti­ve steht nicht zur Ver­fü­gung. Der Kläger leidet unter einer schlech­ten Stoff­wech­sel­ein­stel­lung. Inso­fern lagen seine HbA1c-Werte in den letz­ten zwei Jahren zwi­schen 7,5 % bis 10,2 %, wobei bei einem Wert von <7,5 % von einer guten Stoff­wech­sel­ein­stel­lung aus­zu­ge­hen ist. Trotz seiner Teil­nah­me an Schu­lun­gen zum Umgang mit seiner Dia­be­tes, regel­mä­ßi­gen Blut­zu­cker­mes­sun­gen von etwa sie­ben­mal täg­lich, sorg­fäl­ti­ger Berech­nung seiner Mahl­zei­ten mit­hil­fe der Insu­lin­pum­pe und ent­spre­chen­der Füh­rung seines Blut­zu­cker-Tage­buchs konnte der Kläger keine Bes­se­rung seiner Stoff­wech­sel­ein­stel­lung erzie­len. Statt­des­sen wurde auf­grund seiner star­ken Blut­zu­cker­schwan­kun­gen eine dia­be­ti­sche Reti­no­pa­thie, das heißt eine Netz­haut­er­kran­kung des Auges her­vor­ge­ru­fen. Diese kann aus­weis­lich des Berichts seines Augen­arz­tes im wei­te­ren Ver­lauf sogar zu einer Erblin­dung führen. Eben­falls bedingt durch seine star­ken Blut­zu­cker­schwan­kun­gen leidet der Kläger unter einer nach­las­sen­den Hypo­glyk­ämie­wahr­neh­mung, welche wie­der­um zu einer Zunah­me von Hypo­glyk­ämien führen kann. Dar­über hinaus treten beim Kläger nach der Aus­sa­ge des  XXX  immer wieder Hypo­glyk­ämien auf, auch nachts. In diesem Zusam­men­hang haben die Eltern des Klä­gers in der münd­li­chen Ver­hand­lung glaub­haft dar­ge­legt, dass ihr Sohn des Öfte­ren einen Blut­zu­cker­wert von 40 mg% auf­wei­se. Die Eltern des Klä­gers haben wei­ter­hin vor­ge­tra­gen, dass sein Ziel­be­reich bei 80 bis 120 mg% liege. Unter Berück­sich­ti­gung dieser Werte habe der Kläger täg­lich Über- oder Unter­zu­cke­run­gen. Wenn er Über­zu­cke­run­gen habe, dann seien die Werte min­des­tens bei 210 bis 280 mg%. Mithin wird dem Kläger mit der kon­ti­nu­ier­li­chen Glu­ko­se­mes­sung durch das Auf­zei­gen des Glu­ko­se­trends ein wich­ti­ges Hilfs­mit­tel zur bes­se­ren Kon­trol­le und Opti­mie­rung seiner Insu­lin­zu­fuhr sowie zur Gewähr­leis­tung einer guten Stoff­wech­sel­ein­stel­lung zur Ver­fü­gung gestellt.

Das Hilfs­mit­tel ist auch wirt­schaft­lich im Sinne des § 12 Abs. 1 SGB V. Der Wirt­schaft­lich­keit stehen ins­be­son­de­re nicht die Inter­net­an­ga­ben des Her­stel­lers ent­ge­gen, wonach die her­kömm­li­che Anzahl von Blut­zu­cker­mes­sun­gen wei­ter­hin durch­ge­führt werden solle. In diesem Zusam­men­hang haben die Eltern des Klä­gers glaub­haft dar­ge­legt, dass sie im Rahmen der wie­der­hol­ten leih­wei­sen Nut­zung des Mess­ge­räts eine Ver­rin­ge­rung der Blut­zu­cker­mes­sun­gen erreicht haben. Inso­fern seien nach ihren Erfah­run­gen ledig­lich zu den Kali­brie­run­gen des Geräts bzw. zu den Mahl­zei­ten her­kömm­li­che Blut­zu­cker­mes­sun­gen vor­zu­neh­men.

Die feh­len­de Lis­tung im Hilfs­mit­tel­ver­zeich­nis steht dem Anspruch des Klä­gers eben­falls nicht ent­ge­gen. Das nach § 139 Abs. 1 SGB V zu erstel­len­de Hilfs­mit­tel­ver­zeich­nis des Spit­zen­ver­ban­des der Kran­ken­kas­sen ist ledig­lich eine unver­bind­li­che Aus­le­gungs­hil­fe. Wenn das begehr­te Hilfs­mit­tel nicht im Ver­zeich­nis auf­ge­führt ist, hat dies keinen Ein­fluss auf den Ver­sor­gungs­an­spruch des Ver­si­cher­ten (BSG, Urteil vom 29.09.1997, SozR 3–2500 § 33 Nr. 25). Denn der Spit­zen­ver­band der Kran­ken­kas­sen hat nach § 139 SGB V keine gesetz­li­che Ermäch­ti­gung, den Leis­tungs­an­spruch des Ver­si­cher­ten zu begren­zen (SG Det­mold, Urteil vom 01.12.2010 — 5 5 KR 325/09).

Die Kos­ten­ent­schei­dung folgt aus § 193 SGG.

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