Leit­sät­ze

1. Begehrt eine Grund­schü­le­rin mit einem schwer ein­stell­ba­ren, insu­lin­pflich­ti­gen Dia­be­tes mel­li­tus mit kon­kre­tem Risiko einer lebens­ge­fähr­li­chen Unter­zu­cke­rung eine Begleit­per­son für den Schul­be­such zur Über­wa­chung und zum Ein­grei­fen im Falle einer Unter­zu­cke­rung, rich­tet sich der Anspruch gegen die Kran­ken­kas­se nicht nach § 37c SGB V (außer­kli­ni­sche Inten­siv­pfle­ge), son­dern nach § 37 Abs. 2 SGB V (häus­li­che Kran­ken­pfle­ge).

2. Es han­delt sich auch nicht einen Fall der Ein­glie­de­rungs­hil­fe als Leis­tung des Sozi­al­hil­fe­trä­gers. Dient die Leis­tung der Bewäl­ti­gung von Anfor­de­run­gen des Schul­all­tags (Integrationshelfer/Teilhabeassistent), ist der Bedarf der Ein­glie­de­rungs­hil­fe zuzu­ord­nen. Han­delt es sich um die Not­wen­dig­keit, die kör­per­li­che Situa­ti­on zu beob­ach­ten und ggf. in medi­zi­nisch-pfle­ge­ri­scher Hin­sicht zu inter­ve­nie­ren, so han­delt es ich um häus­li­che Kran­ken­pfle­ge in Form der Siche­rungs­pfle­ge.

Tenor

Der Bescheid der Beklag­ten vom 17. Febru­ar 2023 in der Gestalt des Wider­spruchs­be­scheids vom 27. Juni 2023 wird auf­ge­ho­ben und die Beklag­te wird ver­ur­teilt, der Klä­ge­rin auf jeweils ent­spre­chen­de ärzt­li­che Ver­ord­nun­gen häus­li­che Kran­ken­pfle­ge in Form der Siche­rungs­pfle­ge für den Schul­be­such in der E.-Schule, C‑Straße, A‑Stadt, mon­tags bis don­ners­tags von 08.00 Uhr bis 17.00 Uhr und frei­tags von 08.00 Uhr bis 15.00 Uhr zur Ver­fü­gung zu stel­len.

Die Beklag­te hat die außer­ge­richt­li­chen Kosten der Klä­ge­rin zu erstat­ten.

Tat­be­stand

Die Betei­lig­ten strei­ten um einen Anspruch der Klä­ge­rin auf eine Schul­be­glei­tung als Leis­tung nach dem Fünf­ten Buch des Sozi­al­ge­setz­buchs – Gesetz­li­che Kran­ken­ver­si­che­rung (SGB V).

Die 2015 gebo­re­ne Klä­ge­rin ist im Rahmen einer Fami­li­en­ver­si­che­rung bei der Beklag­ten gesetz­lich kran­ken­ver­si­chert. Sie bezieht seit dem 1. Novem­ber 2022 Leis­tun­gen der gesetz­li­chen Pfle­ge­ver­si­che­rung nach dem Pfle­ge­grad 1.

Die Klä­ge­rin wurde am 6. Sep­tem­ber 2022 in der E.-Schule zum Besuch der Grund­schu­le ein­ge­schult. Hier besucht sie das sog. „Modul 2“ (mon­tags bis don­ners­tags bis 17.00 Uhr und frei­tags bis 15.00 Uhr).

Am 14. Novem­ber 2022 erfolg­te die Erst­ma­ni­fes­ta­ti­on eines Dia­be­tes mel­li­tus Typ 1. Seit Januar 2023 ist sie mit einem rtCGM (kon­ti­nu­ier­li­che inters­ti­ti­el­le Glu­ko­se­mes­sung mit Real-Time-Mess­ge­rät) zur elek­tro­ni­schen Blut­zu­cker­mes­sung, Pro­to­kol­lie­rung und War­nung bei zu hohen oder zu nied­ri­gen Werten aus­ge­stat­tet. Neben der Dia­be­tes­er­kran­kung bestehen Sprach­ent­wick­lungs­stö­run­gen mit pho­ne­ti­scher und pho­no­lo­gi­scher Stö­rung, Defi­zi­te in der Gra­pho­mo­to­rik und in der Kör­per­ko­or­di­na­ti­on.

Mit Schrei­ben vom 14. Dezem­ber 2022, ein­ge­gan­gen bei der Beklag­ten am 21. Dezem­ber 2022, bean­trag­ten die Eltern der Klä­ge­rin die Gewäh­rung einer Schul­be­glei­tung zur Sicher­stel­lung der Insu­lin­the­ra­pie und Über­wa­chung hin­sicht­lich Unter­zu­cke­run­gen beim Schul­be­such. Zeit­gleich stell­ten sie den Antrag beim Kreis­aus­schuss Groß-Gerau. Die Beklag­te lei­te­te den Antrag mit Schrei­ben vom 23. Dezem­ber 2022 gemäß § 14 Abs. 1 Satz 2 Sozi­al­ge­setz­buch Neun­tes Buch (SGB IX) an den Kreis­aus­schuss Groß-Gerau weiter. Der Kreis­aus­schuss Groß-Gerau sei­ner­seits lei­te­te den bei ihm ein­ge­gan­gen Antrag mit Schrei­ben vom 22. Dezem­ber 2022 an die Beklag­te weiter. Beide ver­tra­ten die Auf­fas­sung, dass der jeweils andere Träger zustän­dig sei.

Mit Erst- und Fol­ge­ver­ord­nung häus­li­cher Kran­ken­pfle­ge der Kin­der­klink C‑Stadt vom 18. Januar 2023 für die Zeit vom 23. Januar 2023 bis 6. Febru­ar 2023 für die Zeit vom 7. Febru­ar 2023 bis 7. Febru­ar 2024 bean­trag­ten die Eltern der Klä­ge­rin bei der Beklag­ten (erneut) für die Zeit des Schul­be­suchs in der E.-Schule auf­grund der Dia­gno­se E 10.90 G (Dia­be­tes mel­li­tus, Typ 1: Ohne Kom­pli­ka­tio­nen: nicht als ent­gleist bezeich­net) die Medi­ka­men­ten­ga­be Novor­a­pid und Actra­pid sowie Dia­be­tes­ver­sor­gung mit Insu­lin-Pen, Injek­tio­nen sub­ku­tan (jeweils 3 — 4 x täg­lich), die Blut­zu­cker­mes­sung bei inten­si­vier­ter Insu­lin­the­ra­pie (jeweils 3 – 4 x täg­lich) sowie als sons­ti­ge Maß­nah­men der Behand­lungs­pfle­ge kon­ti­nu­ier­li­che spe­zi­el­le Kran­ken­be­ob­ach­tung von 8.00 Uhr bis 17.00 Uhr bei Not­wen­dig­keit einer jeder­zei­ti­gen Inter­ven­ti­ons­mög­lich­keit und bei Bedarf Gabe von schnel­len Koh­len­hy­dra­ten bei Hypo­glyk­ämie, min­des­tens 3 – 4 x Insu­lin­ga­be nach Koh­len­hy­drat­kal­ku­la­ti­on mit­tels Insu­lin­pen sowie die Behand­lung von Unter­zu­cke­rung. Ange­ge­ben wurde hier­bei, dass die Klä­ge­rin alters­be­dingt noch nicht in der Lage sei, die Leis­tung selbst­stän­dig durch­zu­füh­ren.

Die Beklag­te bewil­lig­te hier­auf mit zwei Beschei­den vom 17. Febru­ar 2023 die inten­si­vier­te Insu­lin­the­ra­pie 4 x täglich/ 5 x wöchent­lich wäh­rend der Schul­zeit und lehnte sowohl die Geneh­mi­gung der sub­ku­ta­nen Injek­tio­nen als auch die Inten­siv­be­hand­lungs­pfle­ge in der Schule für die Zeit vom 23. Januar 2023 bis 6. Febru­ar 2023 und für die Zeit vom 7. Febru­ar 2023 bis 7. Febru­ar 2024 ab.

Gegen die Ableh­nung der Leis­tun­gen der spe­zi­el­len Kran­ken­pfle­ge in den Beschei­den vom 17. Febru­ar 2023 wandte sich die Mutter der Klä­ge­rin mit Wider­spruch vom 19. März 2023. Zur Begrün­dung führte sie unter Vor­la­ge von Stel­lung­nah­men der behan­deln­den Dia­be­to­lo­gin, der Kin­der­ärz­te und der Schule im Wesent­li­chen an, dass die Klä­ge­rin auf­grund ihrer Dia­be­tes­er­kran­kung nicht in der Lage sei, ohne stän­di­ge Beauf­sich­ti­gung am Schul­un­ter­richt teil­zu­neh­men. Die Klä­ge­rin erfül­le die Vor­aus­set­zun­gen für einen Anspruch auf häus­li­che Kran­ken­pfle­ge nach § 27, 37 Abs. 2 SGB V. Die Behand­lungs­pfle­ge bezeich­net die ärzt­li­che Behand­lung ergän­zen­den nicht­ärzt­li­chen Heil­maß­nah­men. Zur Behand­lungs­pfle­ge würden alle Pfle­ge­maß­nah­men gehö­ren, die durch bestimm­te Erkran­kun­gen erfor­der­lich werden, spe­zi­ell auf den Krank­heits­zu­stand des Ver­si­cher­ten aus­ge­rich­tet sind und dazu bei­tra­gen, die Krank­heit zu heilen, ihre Ver­schlim­me­rung zu ver­hü­ten oder Krank­heits­be­schwer­den zu ver­hin­dern oder zu lin­dern, wobei diese Maß­nah­men typi­scher­wei­se nicht von einem Arzt, son­dern von Ver­tre­tern medi­zi­ni­scher Hilfs­be­ru­fe oder auch von Laien erbracht würden. Die Hil­fe­leis­tun­gen würden Maß­nah­men ver­schie­dens­ter Art umfas­sen, wie z.B. Injek­tio­nen, Ver­band­wech­sel, Kathe­te­ri­sie­rung, Ein­läu­fe, Spü­lun­gen, Ein­rei­bun­gen, Deku­bi­tus­ver­sor­gung, Kri­sen­in­ter­ven­ti­on, Fest­stel­lung und Beob­ach­tung des jewei­li­gen Kran­ken­stan­des und der Krank­heits­ent­wick­lung, die Siche­rung not­wen­di­ger Arzt­be­su­che, die Medi­ka­men­ten­ga­be sowie die Kon­trol­le der Wir­kun­gen und Neben­wir­kun­gen von Medi­ka­men­ten. Eine Begren­zung der Kran­ken­be­ob­ach­tung auf eine Beob­ach­tung durch medi­zi­ni­sche Fach­kräf­te oder nur die in Nr. 24 der Anlage zur HKP-RL auf­ge­führ­ten spe­zi­el­len Kran­ken­be­ob­ach­tung ergebe sich daraus nicht. In Anleh­nung daran sehe § 1 Abs. 4 Satz 3 und 4 der aktu­el­len HKP-RL vor, dass nicht im Leis­tungs­ver­zeich­nis auf­ge­führ­te Maß­nah­men der häus­li­chen Kran­ken­pfle­ge im Sinne von § 37 SGB V in medi­zi­nisch zu begrün­de­ten Aus­nah­me­fäl­len ver­ord­nungs- und geneh­mi­gungs­fä­hig seien, wenn sie Bestand­teil des von der Ver­ord­ne­rin oder dem Ver­ord­ner erstell­ten Behand­lungs­plans seien, im Ein­zel­fall erfor­der­lich und wirt­schaft­lich sind und von geeig­ne­ten Pfle­ge­kräf­ten erbracht werden sollen. Dies sie durch den ver­ord­nen­den Arzt ein­deu­tig dar­ge­legt worden. Die bean­trag­te Schul­be­glei­tung diene der Ver­sor­gung ihrer Dia­be­tes-Erkran­kung. Die ledig­li­che Gewäh­rung regel­mä­ßi­ger Blut­zu­cker­mes­sun­gen und Insu­lin­ga­ben wäh­rend des Schul­be­suchs zu im Voraus bestimm­ten Zeiten sei hierzu nicht aus­rei­chend. Auf­grund der im Tages­ver­lauf unvor­her­seh­bar häufig schwan­ken­den Blut­zu­cker­wer­te sei es not­wen­dig, dass jeder­zeit eine Inter­ven­ti­on mög­lich ist. Die Klä­ge­rin benö­ti­ge daher auch wäh­rend des Schul­be­suchs eine stän­di­ge Beob­ach­tung, damit in den jewei­li­gen unvor­her­seh­bar auf­tre­ten­den Situa­tio­nen die geeig­ne­ten Maß­nah­men ergrif­fen werden könn­ten, um Über- oder Unter­zu­cke­rung zu ver­mei­den.

Hier­auf for­der­te die Beklag­te ärzt­li­che Berich­te, einen aktu­el­len Medi­ka­men­ten­plan, aktu­el­le the­ra­peu­ti­sche Berich­te und die Blut­zu­cker­pro­to­kol­le der letz­ten vier Wochen bei der Antrag­stel­le­rin und den behan­deln­den Ärzten an und beauf­trag­te den Medi­zi­ni­schen Dienst Hessen (MD Hessen) mit einer gut­ach­ter­li­chen Stel­lung­nah­me.

Der MD Hessen kam in seinem Gut­ach­ten nach Akten­la­ge vom 28. April 2023 zu dem Ergeb­nis, dass es bei der Klä­ge­rin jeder­zeit zu Hypo­glyk­ämien kommen könne, welche jedoch durch zeit­na­hes und adäqua­tes Ein­grei­fen einer geschul­ten Person /Schulbegleitung durch schnel­le Ver­ab­rei­chung schnel­ler und lang­sa­mer Koh­len­hy­drat­ein­hei­ten schnell beho­ben werden könn­ten. Die Blut­zu­cker­pro­to­kol­le für den Zeit­raum vom 11. Febru­ar 2023 bis 30. März 2023 würden die Blut­zu­cker­schwan­kun­gen mit den erfor­der­li­chen Maß­nah­men bestä­ti­gen. Die Blut­zu­cker­wer­te würden zwi­schen 51 mg/dl und 377 mg/dl schwan­ken. Es müss­ten täg­lich The­ra­pie­an­pas­sun­gen erfol­gen, was das Kind mit knapp 7 Jahren noch nicht allei­ne könne. Nicht ange­pass­te Blut­zu­cker­wer­te könn­ten zu lebens­be­droh­li­chen Situa­tio­nen führen. Das Mäd­chen benö­ti­ge eine Unter­stüt­zung auf­grund ihrer Dia­be­tes-Erkran­kung. Die Not­wen­dig­keit einer Schul­be­glei­tung könne sozi­al­me­di­zi­nisch nach­voll­zo­gen werden. Der MD Hessen äußer­te dar­über hinaus — die recht­li­che Auf­fas­sung — dass dies jedoch keiner Leis­tung der medi­zi­ni­schen Behand­lungs­pfle­ge nach dem SGB V ent­spre­che.

Am 24. Mai 2023 bean­trag­te die Klä­ge­rin den Erlass einer einst­wei­li­gen Anord­nung bei dem Sozi­al­ge­richt Darm­stadt. Das unter dem Akten­zei­chen S 10 KR 181/23 ER geführ­te Ver­fah­ren wurde durch über­wie­gend statt­ge­ben­den Beschluss vom 28. Juni 2023 been­det.

Mit Wider­spruchs­be­scheid vom 27. Juni 2023 wies die Beklag­te den Wider­spruch der Klä­ge­rin zurück. Der Gemein­sa­me Bun­des­aus­schuss habe in einer Richt­li­nie gem. § 82 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 SGB V in Ver­bin­dung mit § 92 Abs. 7 SGB V das Wirt­schaft­lich­keits­ge­bot betref­fend die Erbrin­gung häus­li­cher Kran­ken­pfle­ge zuläs­si­ger­wei­se kon­kre­ti­siert. In der Anlage zur häus­li­chen Kran­ken­pfle­ge-Richt­li­nie sei in Nr. 24 die spe­zi­el­le Kran­ken­be­ob­ach­tung gere­gelt. Die Leis­tung sei unter ande­rem ver­ord­nungs­fä­hig, wenn mit hoher Wahr­schein­lich­keit sofor­ti­ge pflegerische/ärztliche Inter­ven­ti­on bei lebens­be­droh­li­chen Situa­tio­nen täg­lich erfor­der­lich ist und nur die genau­en Zeit­punk­te und das genaue Ausmaß nicht im Voraus bestimmt werden können. Weiter sei dort unter Nr. 24 der Leis­tungs­be­schrei­bung der Richt­li­nie der häus­li­chen Kran­ken­pfle­ge die Leis­tung der spe­zi­el­len Kran­ken­be­ob­ach­tung detail­liert wie folgt beschrie­ben: „Kon­ti­nu­ier­li­che Beob­ach­tung und Inter­ven­ti­on mit den not­wen­di­gen medi­zi­nisch-pfle­ge­ri­schen Maß­nah­men / Doku­men­ta­ti­on der Vital­funk­tio­nen wie: Puls, Blut­druck, Tem­pe­ra­tur, Haut, Schleim­haut ein­schließ­lich aller in diesem Zeit­raum anfal­len­den pfle­ge­ri­schen Maß­nah­men.“ Die Leis­tung sei dem­nach ver­ord­nungs­fä­hig, wenn mit hoher Wahr­schein­lich­keit sofor­ti­ge pflegerische/ärztliche Inter­ven­ti­on bei lebens­be­droh­li­chen Situa­tio­nen täg­lich erfor­der­lich ist und nur die genau­en Zeit­punk­te und das genaue Ausmaß nicht im Voraus bestimmt werden können oder wenn über einen Zeit­raum von min­des­tens 24 Stun­den fest­ge­stellt werden soll, ob die ärzt­li­che Behand­lung zu Hause sicher­ge­stellt werden kann oder ob Kran­ken­haus­be­hand­lung erfor­der­lich ist. Die Ver­ord­nung sei nur begrün­det, wenn auf­grund schwer­wie­gen­der akuter Ver­schlech­te­rung des Krank­heits­ver­laufs die Kon­trol­le der Vital­funk­tio­nen erfor­der­lich ist und erst auf­grund des über den gesam­ten Betrach­tungs­zeit­raum zu füh­ren­den Ver­laufs­pro­to­kolls die ärzt­li­che Ent­schei­dung über die Not­wen­dig­keit der Kran­ken­haus­be­hand­lung oder des Ver­bleibs zu Hause getrof­fen werden kann. Die spe­zi­el­le Kran­ken­be­ob­ach­tung setze die per­ma­nen­te Anwe­sen­heit der Pfle­ge­kraft über den gesam­ten Ver­sor­gungs­zeit­raum voraus. Zur spe­zi­el­len Kran­ken­be­ob­ach­tung gehör­ten auch die dau­ern­de Erreich­bar­keit der Ärztin oder des Arztes und die lau­fen­de Infor­ma­ti­on der Ärztin oder des Arztes über Ver­än­de­run­gen der Vital­zei­chen. Die all­ge­mei­ne Kran­ken­be­ob­ach­tung sei Bestand­teil jeder pfle­ge­ri­schen Leis­tung. Diese Vor­aus­set­zun­gen seien aus­weis­lich des ein­ge­hol­ten Gut­ach­tens des Medi­zi­ni­schen Diens­tes im Fall der Klä­ge­rin aber nicht erfüllt. Es han­de­le sich bei dem Bedarf der Klä­ge­rin nicht um einen Fall der Behand­lungs­pfle­ge, son­dern um einen Fall der Schul­be­glei­tung im Sinne des Zwölf­ten Buchs des Sozi­al­ge­setz­buchs (SGB XII).

Dage­gen hat die Klä­ge­rin am 7. Juli 2023 Klage vor dem Sozi­al­ge­richt Darm­stadt erho­ben. Die Kammer hat mit Beschluss vom 3. Januar 2024 den Kreis­aus­schuss des Krei­ses Groß-Gerau bei­gela­den.

Die Klä­ge­rin behaup­tet, dass bei ihr ein schwer ein­stell­ba­rer, insu­lin­pflich­ti­ger Dia­be­tes mel­li­tus Typ1 vor­lie­ge, mit wel­chem das Risiko einer lebens­ge­fähr­li­chen Unter­zu­cke­rung ein­her­ge­he, die von ihr (noch) nicht immer selbst bzw. recht­zei­tig erkannt werden könne. Daher sei erfor­der­lich, dass eine dritte Person die erfor­der­li­chen Über­wa­chungs­maß­nah­men vor­neh­me bzw. im Gefah­ren­fall ein­schrei­te. Dies könne die Schule nicht sicher­stel­len. Eine unein­ge­schränk­te Teil­nah­me am Schul­be­such sei daher ohne per­ma­nen­te Über­wa­chung bzw. ohne Begleit­per­son nicht mög­lich. Ledig­lich teil­wei­se könne die Klä­ge­rin dank der Bereit­schaft einer ein­zel­nen Leh­re­rin im Rahmen einer Über­gangs­lö­sung an deren Unter­richts­stun­den in der Par­al­lel­klas­se teil­neh­men. Die schu­li­sche Aus­bil­dung könne den­noch hier­durch nicht ord­nungs­ge­mäß durch­ge­führt werden. Da die Klä­ge­rin auch wäh­rend der außer­schu­li­schen Zeit der stän­di­gen Über­wa­chung bedür­fe und diese durch ihre Eltern sicher­ge­stellt werde, sei die bean­trag­te Leis­tung eine Siche­rungs­pfle­ge und nicht dem Bereich der Teilhabe/Eingliederungshilfe zuzu­ord­nen.

Die Klä­ge­rin bean­tragt schrift­lich,
die Beklag­te unter Auf­he­bung ihrer Beschei­de vom 17. Febru­ar 23 in Gestalt des Wider­spruchs­be­scheids vom 27. Juni 23 zu ver­pflich­ten, ihr ärzt­lich ver­ord­ne­te häus­li­che Kran­ken­pfle­ge (Siche­rungs­pfle­ge) für den Schul­be­such in der E.-Schule, C‑Straße, A‑Stadt von Montag bis Don­ners­tag von 08.00 Uhr bis 17.00 Uhr und Frei­tag von 08.00 Uhr bis 15.00 Uhr zur Ver­fü­gung zu stel­len.

Die Beklag­te bean­tragt schrift­lich,
die Klage abzu­wei­sen.

Die Beklag­te behaup­tet, aus den ein­ge­reich­ten Unter­la­gen sei klar erkenn­bar, dass bei der Klä­ge­rin bereits seit dem 3. Lebens­jahr, min­des­tens seit 02/2019 und damit vor der Erst­ma­ni­fes­ta­ti­on des Dia­be­tes, wei­te­re Erkran­kun­gen und Ein­schrän­kun­gen vor­ge­le­gen hätten, die eine Vor­stel­lung im Sozi­al­päd­ia­tri­schen Zen­trum (2018) und in der Folge Maß­nah­men der Früh­för­de­rung sowie der Logo­pä­die (ab 05/2019) und der Ergo­the­ra­pie (ab 11/2020) begrün­det hätten. Es hätte also bereits vor der Erst­ma­ni­fes­ta­ti­on der Dia­bes­tes-Erkran­kung im Novem­ber 2022 deut­li­che Unter­schie­de der Klä­ge­rin zu ande­ren Kin­dern und Mit­schü­lern bestan­den, die der Bewäl­ti­gung des Kin­der­gar­ten­all­tags und jetzt der Bewäl­ti­gung des Schul­all­tags (Inte­gra­ti­ons­hil­fe) und nicht der (Behand­lungs-) Siche­rungs­pfle­ge der Dia­be­tes-Erkran­kung zuge­ord­net werden müss­ten. Unter ande­rem sei eine Rück­stel­lung in den Kin­der­gar­ten erfor­der­lich gewe­sen. Um den regu­lä­ren Schul­be­such auf­grund dieser beschrie­be­nen Ein­schrän­kun­gen und Dia­gno­sen über­haupt erst zu ermög­li­chen, sei eine Teil­ha­be­as­sis­tenz für die Klä­ge­rin erfor­der­lich. Dies seien aber Leis­tun­gen der Ein­glie­de­rungs­hil­fe nach dem SGB IX, die der Bewäl­ti­gung von Anfor­de­run­gen des Schul­all­tags (Inte­gra­ti­ons­hel­fer) dien­ten und keine Leis­tun­gen der (Behand­lungs-) Siche­rungs­pfle­ge, die dem Ziel der Siche­rung der ärzt­li­chen Behand­lung auf­grund der Dia­be­tes-Erkran­kung dien­ten. Die (Behand­lungs-) Siche­rungs­pfle­ge werde u.a. mit einem Blut­zu­cker­sen­sor­sys­tem „Dexcom G6“ sicher­ge­stellt, das eine elek­tro­ni­sche Blut­zu­cker­mes­sung, Über­tra­gung der Daten an dazu geschul­te Per­so­nen sowie die Pro­to­kol­lie­rung der Werte ermög­li­che und Warn­si­gna­le bei zu hohen oder zu nied­ri­gen Werten abgebe. Mit dem Inten­siv­pfle­ge- und Reha­bi­li­ta­ti­ons­stär­kungs­ge­setz vom 23. Okto­ber 2020 sei mit § 37c SGB V ein neuer Leis­tungs­an­spruch auf außer­kli­ni­sche Inten­siv­pfle­ge in das SGB V auf­ge­nom­men worden. Der Gemein­sa­me Bun­des­aus­schuss habe eine Richt­li­nie hierzu erlas­sen (AKI-RL). Wei­ter­hin habe der Gemein­sa­me Bun­des­aus­schuss Über­gangs­re­ge­lun­gen fest­ge­legt. Ab dem 31. Okto­ber 2023 hätten sämt­li­che Ver­ord­nun­gen nach § 37 SGB V ihre Gül­tig­keit ver­lo­ren. Ab diesem Datum könn­ten aus­schließ­lich Ver­ord­nun­gen nach § 37c SGB V aus­ge­stellt werden. § 37c SGB V nor­mie­re in Absatz 1 expli­zit einen Leis­tungs­an­spruch für Kinder und Jugend­li­che. Nach Absatz 2 Satz 1 Nr. 4 der Vor­schrift könne die Leis­tung in der Schule abge­ge­ben werden. Aller­dings for­mu­lie­re § 37c SGB V keinen Anspruch auf eine Teil­ha­be­as­sis­tenz gegen­über der Gesetz­li­chen Kran­ken­ver­si­che­rung. Im Übri­gen sei zu beach­ten, dass die Beklag­te die Kos­ten­über­nah­me für ein „Omnipod“-Insulinpumpensystem erklärt habe. Es han­de­le sich inso­weit um eine opti­ma­le Aus­stat­tung, die die Not­wen­dig­keit der stän­di­gen Über­wa­chung der Blut­zu­cker­wer­te ent­fal­len lasse. Hin­sicht­lich der Wei­ter­lei­tung des Leis­tungs­an­trags durch den Bei­gela­de­nen behaup­tet die Beklag­te, der Zeit­punkt des Post­ein­gangs sei erst am 28. Dezem­ber 2022 gewe­sen. Es sei nicht ersicht­lich, dass das Schrei­ben tat­säch­lich bereits am 22. Dezem­ber 2022 zur Post auf­ge­ge­ben worden sei.

Der Bei­gela­de­ne meint, die Beklag­te sei bereits durch die Wei­ter­lei­tung des am 20. Dezem­ber 2022 ein­ge­gan­ge­nen Antrags inner­halb der Frist des § 14 Abs. 1 SGB IX für die Leis­tungs­ge­wäh­rung zustän­dig gewor­den. Die Wei­ter­lei­tung durch die Beklag­te ihrer­seits sei erst einen Tag später erfolgt. Es han­de­le sich ferner bei der bean­trag­ten Leis­tung aus­schließ­lich um eine Leis­tung der häus­li­chen Kran­ken­pfle­ge nach § 37 Abs. 2 S. 1 SGB V. Die Abgren­zung zwi­schen Leis­tun­gen der Kran­ken­pfle­ge einer­seits und Leis­tun­gen der Ein­glie­de­rungs­hil­fe ande­rer­seits erfol­ge anhand der Ziel­rich­tung der Leis­tung. Leis­tun­gen, die der Bewäl­ti­gung der Anfor­de­rung des Schul­all­tags dien­ten, seien dabei der Ein­glie­de­rungs­hil­fe zuzu­ord­nen, Leis­tun­gen, die der Beob­ach­tung der kör­per­li­chen Situa­ti­on und gege­be­nen­falls medi­zi­nisch-pfle­ge­ri­schen Inter­ven­ti­on dien­ten, der Kran­ken­pfle­ge. Im vor­lie­gen­den Fall werde sei­tens der Klä­ge­rin aus­schließ­lich ein Unter­stüt­zungs­be­darf im Hin­blick auf die Über­wa­chung des kör­per­li­chen Zustands und erfor­der­li­chen­falls das Ergrei­fen der ange­zeig­ten medi­zi­ni­schen Maß­nah­men gel­tend gemacht. Dass sie auch einen Unter­stüt­zungs­be­darf im Hin­blick auf ander­wei­ti­ge Ein­schrän­kun­gen hätte, der der Ein­glie­de­rungs­hil­fe zuge­ord­net werden könnte, sei von der Klä­ge­rin weder vor­ge­tra­gen worden, noch ersicht­lich.

Mit Schrei­ben vom 4. Sep­tem­ber 2024 hat das Gericht die Betei­lig­ten zu seiner Absicht, den Rechts­streit ohne münd­li­che Ver­hand­lung und ohne Hin­zu­zie­hung ehren­amt­li­cher Rich­te­rin­nen und Rich­ter durch Gerichts­be­scheid zu ent­schei­den, ange­hört.

Zur Ergän­zung des Tat­be­stands wird Bezug genom­men auf den Inhalt der Gerichts­ak­te und der bei­gezo­ge­nen Ver­wal­tungs­ak­te.

Ent­schei­dungs­grün­de

Das Gericht konnte gem. § 105 Sozi­al­ge­richts­ge­setz (SGG) durch Gerichts­be­scheid ohne münd­li­che Ver­hand­lung und ohne Betei­li­gung ehren­amt­li­cher Rich­te­rin­nen und Rich­ter ent­schei­den, weil der Sach­ver­halt als geklärt anzu­se­hen ist und Rechts­streit keine beson­de­ren Schwie­rig­kei­ten tat­säch­li­cher oder recht­li­cher Art auf­weist. Die Betei­lig­ten sind hierzu gehört.

Die Klage ist zuläs­sig und begrün­det.

Die Klage ist ins­be­son­de­re als Anfech­tungs- und Leis­tungs­kla­ge statt­haft. Der Antrag rich­tet sich nicht ledig­lich auf Kos­ten­über­nah­me bzw. Kos­ten­er­stat­tung für eine Schul­be­glei­tung als Leis­tung der häus­li­chen Kran­ken­pfle­ge in einem bestimm­ten Zeit­raum, son­dern aus­weis­lich des Kla­ge­an­trags und des tat­säch­li­chen Inter­es­ses der Klä­ge­rin auf Bewil­li­gung der Sach­leis­tung im Fall einer ärzt­li­chen Ver­ord­nung für die Zukunft. Da eine kon­kre­te Leis­tung begehrt wird, han­delt es sich inso­weit auch nicht ledig­lich um eine Fest­stel­lungs­kla­ge.
Die so ver­stan­de­ne Klage ist auch begrün­det.

Der Bescheid der Beklag­ten vom 17. Febru­ar 2023 in der Gestalt des Wider­spruchs­be­scheids vom 27. Juni 2023 ist rechts­wid­rig und betrifft die Klä­ge­rin in ihren Rech­ten. Die Klä­ge­rin hat gegen die Beklag­te einen Anspruch auf jeweils ent­spre­chen­de ärzt­li­che Ver­ord­nun­gen häus­li­che Kran­ken­pfle­ge in Form der Siche­rungs­pfle­ge für den Schul­be­such in der E.-Schule, C‑Straße, A‑Stadt mon­tags bis don­ners­tags von 08.00 Uhr bis 17.00 Uhr und frei­tags von 08.00 Uhr bis 15.00 Uhr zur Ver­fü­gung zu stel­len.

Der Anspruch der Klä­ge­rin kann sich auf § 37 Abs. 2 S. 1 SGB V stüt­zen.

Im Gegen­satz zur Rechts­auf­fas­sung der Beklag­ten, rich­tet sich der Anspruch der Klä­ge­rin nicht nach § 37c SGB V. Es han­delt sich nicht um einen Fall der außer­kli­ni­schen Inten­siv­pfle­ge. Nur inso­weit geht § 37c SGB V als spe­zi­el­le­re Rege­lung dem all­ge­mei­nen Anspruch auf (häus­li­che) Kran­ken­pfle­ge aus § 37 SGB V vor, vgl. § 37 Abs. 2 S. 3 SGB V (BeckOK SozR/Knispel, 75. Ed. 1.12.2024, SGB V § 37c Rn. 7). Vor­lie­gend fehlt es an einem Fall, des beson­ders hohen Bedarfs an medi­zi­ni­scher Behand­lungs­pfle­ge. Es ist für die erfor­der­li­chen Leis­tun­gen gerade keine „geeig­ne­te Pfle­ge­fach­kraft“ not­wen­dig. Sinn und Zweck der Ein­füh­rung des § 37c SGB V war der bedarfs­ge­rech­te Ein­satz spe­zi­ell aus­ge­bil­de­ter Pfle­ge­kräf­te vor dem Hin­ter­grund des hier bereits bestehen­den Fach­kräf­te­man­gels. Es kommt des­halb darauf hin, ob ein medi­zi­ni­scher Behand­lungs­pfle­ge­be­darf nur durch spe­zi­ell qua­li­fi­zier­te Pfle­ge­kräf­te sicher­ge­stellt werden kann. Kann dage­gen – wie hier – der Behand­lungs­pfle­ge­be­darf durch schlicht ange­lern­te Kräfte aus­rei­chend gedeckt werden, liegt ledig­lich ein Fall des § 37 SGB V vor.

Es liegt im Gegen­satz zur Rechts­au­fas­sung der Beklag­ten auch kein Fall der Ein­glie­de­rungs­hil­fe vor. Die Abgren­zung zwi­schen Ein­glie­de­rungs­hil­fe und (Behandlungs-)Sicherungspflege erfolgt nach der Ziel­rich­tung der Leis­tung: Dient die Leis­tung der Bewäl­ti­gung von Anfor­de­run­gen des Schul­all­tags (Integrationshelfer/Teilhabeassistent), ist der Bedarf der Ein­glie­de­rungs­hil­fe nach §§ 75, 90 Abs. 4, 112 SGB IX zuzu­ord­nen. Han­delt es sich um die Not­wen­dig­keit, die kör­per­li­che Situa­ti­on zu beob­ach­ten und ggf. in medi­zi­nisch-pfle­ge­ri­scher Hin­sicht zu inter­ve­nie­ren, so han­delt es ich um Siche­rungs­pfle­ge nach § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V (vgl. Hes­si­sches Lan­des­so­zi­al­ge­richt v. 15. März 2017 — L 4 SO 23/17 B ER Rn. 8). Da die Klä­ge­rin auch wäh­rend der außer­schu­li­schen Zeit der stän­di­gen Über­wa­chung bedarf und diese durch ihre Eltern sicher­ge­stellt wird, ist die bean­trag­te Leis­tung nicht dem Bereich der Teilhabe/Eingliederungshilfe zuzu­ord­nen, son­dern stellt eine Siche­rungs­pfle­ge dar. Die Abgren­zung zwi­schen Leis­tun­gen der Kran­ken­pfle­ge einer­seits und Leis­tun­gen der Ein­glie­de­rungs­hil­fe ande­rer­seits erfolgt anhand der Ziel­rich­tung der Leis­tung. Leis­tun­gen, die der Bewäl­ti­gung der Anfor­de­rung des Schul­all­tags dienen, sind dabei der Ein­glie­de­rungs­hil­fe zuzu­ord­nen, Leis­tun­gen, die der Beob­ach­tung der kör­per­li­chen Situa­ti­on und gege­be­nen­falls medi­zi­nisch-pfle­ge­ri­schen Inter­ven­ti­on dienen, der Kran­ken­pfle­ge (vgl. Hes­si­sches Lan­des­so­zi­al­ge­richt, Beschluss vom 15.03.2017, Az. L 4 SO 23/17 B ER). Sind Maß­nah­men unab­hän­gig vom Schul­be­such medi­zi­nisch not­wen­dig, so fehlt es an der für die Ein­glie­de­rungs­hil­fe erfor­der­li­chen unmit­tel­ba­ren Ver­knüp­fung mit dem Schul­be­such; die Ein­glie­de­rungs­hil­fe ist im Zusam­men­hang mit dem Schul­be­such näm­lich auf Teil­ha­be an Bil­dung gerich­tet. Hier wird sei­tens der Klä­ge­rin aus­schließ­lich ein Unter­stüt­zungs­be­darf im Hin­blick auf die Über­wa­chung des kör­per­li­chen Zustands und erfor­der­li­chen­falls das Ergrei­fen der ange­zeig­ten medi­zi­ni­schen Maß­nah­men gel­tend gemacht. Dass sie, wie die Beklag­te meint, auch einen Unter­stüt­zungs­be­darf im Hin­blick auf ander­wei­ti­ge Ein­schrän­kun­gen hätte, der der Ein­glie­de­rungs­hil­fe zuge­ord­net werden könnte, ist von der Klä­ge­rin weder vor­ge­tra­gen worden, noch aus dem Akten­in­halt, ins­be­son­de­re den Berich­ten der Schule, ersicht­lich.

Die Klä­ge­rin erfüllt die Vor­aus­set­zun­gen für einen Anspruch auf häus­li­che Kran­ken­pfle­ge nach §§ 27, 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V. Danach erhal­ten Ver­si­cher­te in ihrem Haus­halt, ihrer Fami­lie oder sonst an einem geeig­ne­ten Ort, ins­be­son­de­re in betreu­ten Wohn­for­men, Schu­len und Kin­der­gär­ten, bei beson­ders hohem Pfle­ge­be­darf auch in Werk­stät­ten für behin­der­te Men­schen als häus­li­che Kran­ken­pfle­ge Behand­lungs­pfle­ge, wenn diese zur Siche­rung des Ziels der ärzt­li­chen Behand­lung erfor­der­lich ist. Der Gemein­sa­me Bun­des­aus­schuss (GBA) legt in Richt­li­ni­en nach § 92 fest, an wel­chen Orten und in wel­chen Fällen Leis­tun­gen nach den Absät­zen 1 und 2 auch außer­halb des Haus­halts und der Fami­lie des Ver­si­cher­ten erbracht werden können (§ 37 Abs. 6 SGB V). Dies ist in der HKP-RL gesche­hen. Der kran­ken­ver­si­che­rungs­recht­li­che Anspruch auf häus­li­che Kran­ken­pfle­ge in Form der Behand­lungs­si­che­rungs­pfle­ge besteht neben dem Anspruch auf Leis­tun­gen bei häus­li­cher Pflege aus der sozia­len Pfle­ge­ver­si­che­rung (§ 13 Abs. 2 SGB XI). Die Behand­lungs­pfle­ge bezeich­net die ärzt­li­che Behand­lung ergän­zen­den nicht­ärzt­li­chen Heil­maß­nah­men (vgl. Padé in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., § 37 SGB V, Rn. 72). Zur Behand­lungs­pfle­ge gehö­ren alle Pfle­ge­maß­nah­men, die durch bestimm­te Erkran­kun­gen erfor­der­lich werden, spe­zi­ell auf den Krank­heits­zu­stand des Ver­si­cher­ten aus­ge­rich­tet sind und dazu bei­tra­gen, die Krank­heit zu heilen, ihre Ver­schlim­me­rung zu ver­hü­ten oder Krank­heits­be­schwer­den zu ver­hin­dern oder zu lin­dern, wobei diese Maß­nah­men typi­scher­wei­se nicht von einem Arzt, son­dern von Ver­tre­tern medi­zi­ni­scher Hilfs­be­ru­fe oder auch von Laien erbracht werden. Die Hil­fe­leis­tun­gen umfas­sen Maß­nah­men ver­schie­dens­ter Art, wie z.B. Injek­tio­nen, Ver­band­wech­sel, Kathe­te­ri­sie­rung, Ein­läu­fe, Spü­lun­gen, Ein­rei­bun­gen, Deku­bi­tus­ver­sor­gung, Kri­sen­in­ter­ven­ti­on, Fest­stel­lung und Beob­ach­tung des jewei­li­gen Kran­ken­stan­des und der Krank­heits­ent­wick­lung, die Siche­rung not­wen­di­ger Arzt­be­su­che, die Medi­ka­men­ten­ga­be sowie die Kon­trol­le der Wir­kun­gen und Neben­wir­kun­gen von Medi­ka­men­ten (vgl. BSG v. 10. Novem­ber 2005 – B 3 KR 38/04 R Rn. 14 m.w.N.; Lan­des­so­zi­al­ge­richt Baden-Würt­tem­berg v. 25. März 2021 – L 4 KR 3741/20 ER‑B Rn.39; SG Darm­stadt v. 24. August 2021 – S 17 SO 120/21 ER).

Ohne­hin kann sich ein ent­spre­chen­der Leis­tungs­aus­schluss im vor­lie­gen­den Fall gerade nicht aus den HKP-Richt­li­ni­en erge­ben. Zwar han­delt es sich bei den Richt­li­ni­en nach § 92 Abs. 1 SGB V um unter­ge­setz­li­che Normen, die auch inner­halb des Leis­tungs­rechts zu beach­ten sind. Ein Aus­schluss der im Ein­zel­fall gebo­te­nen Kran­ken­be­ob­ach­tung aus dem Kata­log der ver­ord­nungs­fä­hi­gen Leis­tun­gen ver­stößt aber gegen höher­ran­gi­ges Recht. Ebenso wenig wie der Gemein­sa­me Bun­des­aus­schuss ermäch­tigt ist, den Begriff der Krank­heit in § 27 Abs. 1 SGB V hin­sicht­lich seines Inhalts und seiner Gren­zen zu bestim­men, ist er befugt, medi­zi­nisch not­wen­di­ge Maß­nah­men der häus­li­chen Kran­ken­pfle­ge aus­zu­neh­men (BSG v. 17. März 2005 — B 3 KR 35/04 R. Die HKP-Richt­li­ni­en binden die Gerich­te des­halb inso­weit nicht. In Anleh­nung daran sieht § 1 Abs. 4 Satz 3 und 4 der aktu­el­len HKP-RL vor, dass nicht im Leis­tungs­ver­zeich­nis auf­ge­führ­te Maß­nah­men der häus­li­chen Kran­ken­pfle­ge im Sinne von § 37 SGB V in medi­zi­nisch zu begrün­de­ten Aus­nah­me­fäl­len ver­ord­nungs- und geneh­mi­gungs­fä­hig sind, wenn sie Bestand­teil des von der Ver­ord­ne­rin oder dem Ver­ord­ner erstell­ten Behand­lungs­plans sind, im Ein­zel­fall erfor­der­lich und wirt­schaft­lich sind und von geeig­ne­ten Pfle­ge­kräf­ten erbracht werden sollen.

Im vor­lie­gen­den Fall sind die Leis­tungs­vor­aus­set­zun­gen des § 37 SGB V gege­ben.

Bei der Klä­ge­rin liegt ein schwer ein­stell­ba­rer, insu­lin­pflich­ti­ger Dia­be­tes mel­li­tus Typ1 vor. Die Kammer kann sich inso­weit u.a. auf das Gut­ach­ten des MD Hessen aus dem Ver­wal­tungs­ver­fah­ren stüt­zen. Darin wird schlüs­sig fest­ge­stellt, dass es bei der Klä­ge­rin jeder­zeit zu Hypo­glyk­ämien bei schwan­ken­den Blut­zu­cker­wer­ten kommen könne, was durch die vor­ge­leg­ten Blut­zu­cker­pro­to­kol­le bestä­tigt werde. Durch zeit­na­hes und adäqua­tes Ein­grei­fen einer geschul­ten Person/ Schul­be­glei­tung und durch schnel­le Ver­ab­rei­chung schnel­ler und lang­sa­mer Koh­len­hy­drat­ein­hei­ten könn­ten diese jedoch schnell beho­ben werden. Auch bestä­tigt der MD Hessen, dass nicht ange­pass­te Blut­zu­cker­wer­te zu lebens­be­droh­li­chen Situa­tio­nen führen könn­ten und, dass täg­lich The­ra­pie­an­pas­sun­gen erfol­gen müss­ten, was die Klä­ge­rin in ihrem Alter noch nicht allei­ne könne.

Hier­bei ist nach Auf­fas­sung der Kammer eben­falls zu berück­sich­ti­gen, dass die Erst­ma­ni­fes­ta­ti­on erst im Novem­ber 2022 erfolg­te und die Ver­sor­gung mit dem Blut­zu­cker­sen­sor erst im Januar 2023. Nach­voll­zieh­bar ist für die Kammer auch, dass die Klä­ge­rin, welche erst – zudem mit erheb­li­chen Fehl­zei­ten und einer zuvor erfolg­ten Rück­stel­lung – die Grund­schu­le besucht, die Zah­len­wer­te des Blut­zu­cker­sen­sors nicht hin­rei­chend sicher nach­voll­zie­hen kann und daher auch selbst nicht mit der dafür erfor­der­li­chen Sicher­heit einer etwa­igen Unter­zu­cke­rung ent­ge­gen­wir­ken kann. Eine adäqua­te Beur­tei­lung und ange­mes­se­ne Reak­ti­on auf die ange­zeig­ten Blut­wer­te sind von der Klä­ge­rin natur­ge­mäß auf­grund des jungen Alters im Übri­gen in der ablen­ken­den, kom­ple­xen sozia­len Situa­ti­on des Schul­be­suchs nicht zu erwar­ten. Diese Ein­schät­zung wird auch durch die Ver­sor­gungs­me­di­zin-Ver­ord­nung gestützt. Nach Nr. 5 jj) der Ver­sor­gungs­me­di­zin-Ver­ord­nung ist beim Dia­be­tes mel­li­tus Hilf­lo­sig­keit bis zur Voll­endung des 16. Lebens­jah­res anzu­neh­men. Hilf­los sind nach Nr. 4b) Ver­sor­gungs­me­di­zin-Ver­ord­nung die­je­ni­gen, die infol­ge von Gesund­heits­stö­run­gen für eine Reihe von häufig und regel­mä­ßig wie­der­keh­ren­den Ver­rich­tun­gen zur Siche­rung ihrer per­sön­li­chen Exis­tenz im Ablauf eines jeden Tages frem­der Hilfe dau­ernd bedür­fen. Diese Vor­aus­set­zun­gen sind auch erfüllt, wenn die Hilfe in Form einer Über­wa­chung oder einer Anlei­tung zu den genann­ten Ver­rich­tun­gen erfor­der­lich ist oder wenn die Hilfe zwar nicht dau­ernd geleis­tet werden muss, jedoch eine stän­di­ge Bereit­schaft zur Hil­fe­leis­tung erfor­der­lich ist (vgl. SG Darm­stadt, v. 24. August 2021 – S 17 SO 120/21 ER). So kommt auch der MD Hessen zu dem – für die Kammer über­zeu­gen­den – Schluss, dass die Klä­ge­rin eine Unter­stüt­zung auf­grund ihrer Dia­be­tes-Erkran­kung benö­tigt und die Not­wen­dig­keit einer Schul­be­glei­tung sozi­al­me­di­zi­nisch nach­voll­zo­gen werden kann.

Die Beklag­te ver­kennt dar­über hinaus, dass das Begeh­ren der Klä­ge­rin nicht einer­seits auf die Gewäh­rung von Blut­zu­cker­mes­sun­gen und Insu­lin­ga­ben im Rahmen der häus­li­chen Kran­ken­pfle­ge und ande­rer­seits auf eine Beglei­tung zur Beob­ach­tung, jeweils wäh­rend des Schul­be­suchs, gerich­tet ist. Die begehr­te Leis­tung ver­eint und ver­zahnt diese Leis­tun­gen, indem die Begleit­per­son wäh­rend des Schul­be­suchs einer­seits die regel­mä­ßig erfor­der­li­chen Blut­zu­cker­kon­trol­len und Insu­lin­ga­ben über­nimmt, glei­cher­ma­ßen aber auch in Son­der­si­tua­tio­nen, wie bspw. bei Bedarf vor bestimm­ten schu­li­schen Akti­vi­tä­ten (wie z.B. dem Schul­sport, Schul­mit­tag­essen), und gerade auch bei unvor­her­seh­bar auf­tre­ten­den Sym­pto­men einer Über- oder Unter­zu­cke­rung Blut­zu­cker­mes­sun­gen durch­führt und nach Inter­pre­ta­ti­on der Blut­zu­cker­wer­te die ent­spre­chen­de Insulin­do­sis ver­ab­reicht (vgl. Lan­des­so­zi­al­ge­richt Baden-Würt­tem­berg v. 25. März 2021 – L 4 KR 3741/20 ER‑B Rn. 32). Das dies in unvor­her­seh­bar auf­tre­ten­den Situa­tio­nen vor­kom­men kann, ent­spricht der all­ge­mei­nen Lebens­er­fah­rung. Die Klä­ge­rin benö­tigt daher auch wäh­rend des Schul­be­suchs eine stän­di­ge Beob­ach­tung, damit geeig­ne­ten Maß­nah­men ergrif­fen werden, um Über- oder Unter­zu­cke­rung zu ver­mei­den (vgl. auch Lan­des­so­zi­al­ge­richt Baden-Würt­tem­berg v. 25. März 2021 – L 4 KR 3741/20 ER Rn. 39).

Ebenso kann nicht von den Leh­rern erwar­tet werden, dass diese die Blut­zu­cker­kon­trol­le und Über­wa­chung für die Antrag­stel­le­rin mit über­neh­men. Dies zählt zum einen nicht zu den Auf­ga­ben eines Leh­rers. Zum ande­ren fehlt es bei den Lehr­kräf­ten über­wie­gend an ent­spre­chen­den Fähig­kei­ten und Kennt­nis­sen, so dass es ihnen dies auch nicht – ins­be­son­de­re unter Berück­sich­ti­gung etwa­iger Haf­tungs­fra­gen – zumut­bar ist. Ferner können sie diese Auf­ga­be nicht hin­rei­chend ohne Ver­nach­läs­si­gung ihrer Lehr- und Auf­sichts­ver­pflich­tung gegen­über den übri­gen Kin­dern in der Grund­schul­klas­se wahr­neh­men.

Im Gegen­satz zur Rechts­auf­fas­sung der Beklag­ten ist ihre Zustän­dig­keit gege­ben, nicht die Zustän­dig­keit des Bei­gela­de­nen. Es kommt inso­weit bereits nicht auf § 14 SGB IX an. Bei der bean­trag­ten Leis­tung han­delt es sich nicht um eine Leis­tung der Ein­glie­de­rungs­hil­fe als Hilfe zu ange­mes­se­nen Schul­bil­dung. Die Rechts­fol­gen des § 14 SGB IX löst aber nicht jeder bei einem Reha­bi­li­ta­ti­ons­trä­ger (§ 6 SGB IX) gestell­te Leis­tungs­an­trag aus, son­dern nur ein auf Leis­tun­gen zur Teil­ha­be gerich­te­ter Antrag. Obwohl das Ziel der (Wieder-) Her­stel­lung der Gesund­heit (vgl. § 1 Satz 1 SGB V) den Zielen von Teil­ha­be­leis­tun­gen gleicht (vgl. § 4 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX), haben nicht alle Leis­tun­gen der Gesetz­li­chen Kran­ken­ver­si­che­rung auch reha­bi­li­ta­ti­ven Cha­rak­ter. Leis­tun­gen der häus­li­chen Kran­ken­pfle­ge haben bereits aus­weis­lich ihrer gesetz­li­chen Anspruchs­vor­aus­set­zun­gen aber (nur) kura­ti­ven Cha­rak­ter, ist Tat­be­stands­vor­aus­set­zung des § 37 Abs. 2 Satz 1 Hs. 2 SGB V doch, dass die Kran­ken­pfle­ge „zur Siche­rung des Ziels der ärzt­li­chen Behand­lung erfor­der­lich“ ist. (LSG Sach­sen v. 21.4.2021 – L 1 KR 539/17 Rn. 41). Die Kammer musste sich des­halb gerade nicht gedrängt sehen, der Frage nach­zu­ge­hen, wenn wel­cher Antrag vom Bei­gela­de­nen an die Beklag­te bzw. von der Beklag­ten an den Bei­gela­de­nen wei­ter­ge­lei­tet worden ist.

Die Kos­ten­ent­schei­dung beruht auf § 193 Sozi­al­ge­richts­ge­setz (SGG) und ent­spricht dem Aus­gang des Ver­fah­rens.