Lan­des­so­zi­al­ge­richt  Mainz, L 4 SB  182/10, Urteil vom 25. Juli 2011

 

1. Die Beru­fung des Klä­gers gegen den Gerichts­be­scheid des Sozi­al­ge­richts Trier vom 23.07.2010 wird zurück­ge­wie­sen.

2. Außer­ge­richt­li­che Kosten sind nicht zu erstat­ten.

3. Die Revi­si­on wird nicht zuge­las­sen.

Tat­be­stand:

Die Betei­lig­ten strei­ten über die Höhe des Grades der Behin­de­rung (GdB) nach dem Sozi­al­ge­setz­buch — Reha­bi­li­ta­ti­on und Teil­ha­be behin­der­ter Men­schen — (SGB IX) sowohl im Zuguns­ten­ver­fah­ren als auch im Neu­fest­stel­lungs­ver­fah­ren.

Der im Jahre 1964 gebo­re­ne Kläger leidet seit seinem drei­zehn­ten Lebens­jahr an Dia­be­tes mel­li­tus Typ I.

Erst­mals im Juli 2003 bean­trag­te er die Fest­stel­lung seiner Behin­de­rung und des GdB.

Der Beklag­te zog dar­auf­hin zahl­rei­che ärzt­li­che Unter­la­gen bei.

Nach ver­sor­gungs­ärzt­li­cher Betei­li­gung stell­te der Beklag­te mit Bescheid vom 13.10.2003 als Behin­de­rung mit einem GdB von 40 ab dem 01.01.1999 fest:

Insu­lin­pflich­ti­ger Dia­be­tes mel­li­tus (Einzel-GdB 40);
Blut­hoch­druck (Einzel-GdB 10).

Wider­spruch, Klage, Beru­fung, Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de und Ver­fas­sungs­be­schwer­de des Klä­gers gegen diese Ent­schei­dung hatten keinen Erfolg (Urteil des Sozi­al­ge­richts — SG — Trier vom 26.08.2004 — S 6 SB 3/04; Urteil des Lan­des­so­zi­al­ge­richts — LSG — vom 29.03.2006 — L 4 SB 195/04 -; Beschluss des Bun­des­so­zi­al­ge­richts — BSG — vom 21.11.2007 — B 9/9a 34/06 B -; Beschluss des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts — BVerfG — vom 17.04.2008 — 1 BvR 410/08).

Im Januar 2009 bean­trag­te der Kläger gemäß § 44 Sozi­al­ge­setz­buch — Ver­wal­tungs­ver­fah­ren — (SGB X) die Rück­nah­me der frü­he­ren Ent­schei­dun­gen sowie die Fest­stel­lung eines höhe­ren GdB im Zuguns­ten­ver­fah­ren. Nach der Ent­schei­dung des BSG vom 24.04.2008 habe sich die Rechts­la­ge ent­schei­dend geän­dert. Nun­mehr sei auch der The­ra­pie­auf­wand zu berück­sich­ti­gen. Sein The­ra­pie­auf­wand sei sehr hoch. Er benö­ti­ge bis zu zehn Sprit­zen pro Tag nach ent­spre­chen­den Blut­zu­cker­mes­sun­gen.

Der Beklag­te holte Befund­be­rich­te des Inter­nis­ten und Dia­be­to­lo­gen Dr B aus T (M d B ) vom 12.06.2009 ein und nahm ein Attest der Fach­ärz­te für All­ge­mein­me­di­zin Dr W S und Frau Dr S T vom 25.06.2009 zu den Akten.

Nach ver­sor­gungs­ärzt­li­cher Betei­li­gung lehnte das Amt für sozia­le Ange­le­gen­hei­ten Trier mit Bescheid vom 22.07.2009 die Ertei­lung eines Zuguns­ten­be­schei­des und die Fest­stel­lung eines höhe­ren GdB ab. Das BSG-Urteil habe seinen Nie­der­schlag in der Ver­sor­gungs­me­di­zin-Ver­ord­nung (Vers­MedV) vom 10.12.2008 (Ver­sor­gungs­me­di­zi­ni­sche Grund­sät­ze — VmG -) gefun­den. Danach sei der GdB unter Insu­lin­the­ra­pie, auch in Kom­bi­na­ti­on mit ande­ren blut­zu­cker­sen­ken­den Medi­ka­men­ten, je nach Sta­bi­li­tät oder Stoff­wech­sel­la­ge (stabil oder mäßig schwan­kend) mit 30 bis 40 zu bewer­ten. Ein GdB von 50 komme erst bei dem gele­gent­li­chen Auf­tre­ten schwe­rer Hypo­glyk­ämien in Betracht. Diese seien bei dem Kläger nicht nach­ge­wie­sen.

Im Wider­spruchs­ver­fah­ren machte der Kläger gel­tend, es bestehe eine Stoff­wech­sel­in­sta­bi­li­tät. Außer­dem sei es zu einer Ver­schlim­me­rung gekom­men. Neu auf­ge­tre­ten sei in den letz­ten beiden Quar­tals­un­ter­su­chun­gen eine Mikro­al­bu­mi­n­urie. Die augen­ärzt­li­che Unter­su­chung habe keine dia­be­ti­sche Reti­no­pa­thie erge­ben. Die ver­gleichs­wei­se guten Zucker­hä­mo­glo­bin­wert (HbA1c-Werte) (6,2 % bis 6,8 %) könn­ten nur dadurch erreicht werden, dass die hohen Blut­zu­cker­wer­te durch eine ent­spre­chend große Zahl tief nor­ma­ler bzw hypo­glyk­ämischer Blut­zu­cker­wer­te kom­pen­siert würden. Dies ergebe sich auch aus der ärzt­li­chen Beschei­ni­gung von Dr B vom 12.06.2009.

Der Beklag­te holte eine Aus­kunft bei Dr B vom 31.08.2009 ein.

Nach ver­sor­gungs­ärzt­li­cher Betei­li­gung wies das Lan­des­amt für Sozia­les, Jugend und Ver­sor­gung den Wider­spruch mit Bescheid vom 19.10.2009 zurück. Für den Dia­be­tes mel­li­tus sei ein GdB von 40 aus­rei­chend. Ein erhöh­ter The­ra­pie­auf­wand, der zu einem höhe­ren GdB führen würde, liege nicht vor. Nach den Aus­füh­run­gen des Dia­be­to­lo­gen Dr B führe der Kläger eine typi­sche inten­si­vier­te Insu­lin­the­ra­pie mit den typi­schen Dosie­run­gen durch. Schwe­re Hypo­glyk­ämien seien nicht auf­ge­tre­ten. Es liege ein ver­gleichs­wei­se guter HbA1c-Wert vor. Ein außer­ge­wöhn­li­cher The­ra­pie­auf­wand bestehe nicht. Eine insta­bi­le Stoff­wech­sel­la­ge liege nicht vor. Zu Schä­den an Nieren, Herz und den Gefä­ßen sei es nicht gekom­men.

Im hier­ge­gen durch­ge­führ­ten Kla­ge­ver­fah­ren hat das SG Trier ein Gut­ach­ten des Fach­arz­tes für Innere Medi­zin, Dia­be­to­lo­gie und Kar­dio­lo­gie Dr S vom 22.12.2009 ein­ge­holt. Der Sach­ver­stän­di­ge hat aus­ge­führt, bei dem Kläger bestehe ein Typ I‑Diabetes mel­li­tus seit 1977. Aus diesem Dia­be­tes-Typ ergebe sich zwangs­läu­fig die Not­wen­dig­keit einer Insu­lin­the­ra­pie. Diese prak­ti­zie­re der Kläger in Form eines Insu­lin­re­gimes bestehend aus drei­mal täg­lich Basa­l­in­su­lin und vier- bis sie­ben­mal täg­lich kurz­wirk­sa­mes Insu­lin. Die Stoff­wech­sel­ein­stel­lung sei hier­un­ter bei einem HbA1c-Wert von 6,8 % und feh­len­den schwe­ren Hypo­glyk­ämien (keine ärzt­li­che oder sons­ti­ge Fremd­hil­fe) zufrie­den­stel­lend. Es bestehe eine krank­heits­ty­pi­sche Stoff­wech­sel­in­sta­bi­li­tät. Der The­ra­pie­auf­wand sei als durch­schnitt­lich anzu­se­hen. Fol­ge­schä­den, welche eine Teil­ha­be des Klä­gers am Leben in der Gesell­schaft beein­träch­tig­ten, seien nicht zu objek­ti­vie­ren. Der The­ra­pie­auf­wand nehme zwei­fels­frei täg­lich eine gewis­se Zeit für das Messen des Blut­zu­ckers und die Injek­tio­nen in Anspruch, jedoch nur in für die Erkran­kung typi­schem Umfang. Der Kläger gehe einer regel­mä­ßi­gen beruf­li­chen Tätig­keit nach und prak­ti­zie­re auch Frei­zeit­ak­ti­vi­tä­ten (Vol­ley­ball, Bad­min­ton). Unter Berück­sich­ti­gung aller Facet­ten der Grund­er­kran­kung, der Fol­ge­schä­den und des The­ra­pie­auf­wan­des sei ein GdB von 40 aus­rei­chend. Des Wei­te­ren leide der Kläger an einer Hyper­to­nie, die mit einem GdB von 10 zu bewer­ten sei. Der Gesamt-GdB betra­ge 40.

Der Kläger hat Ein­wän­de gegen dieses Gut­ach­ten erho­ben. Es könne nicht zu seinem Nach­teil aus­ge­legt werden, dass die Eigen­the­ra­pie weit­ge­hend gelun­gen sei. Bewer­te man den Dia­be­tes mel­li­tus Typ I nur mit einem GdB von 40, so stelle dies einen Ver­stoß gegen den Gleich­heits­grund­satz (Art 3 Grund­ge­setz — GG -) dar. Auch Art 1 GG (Men­schen­wür­de) und Art 2 Abs 2 (Frei­heits­rech­te) seien ver­letzt. Die Lebens­zeit sei durch seine chro­ni­sche Krank­heit erheb­lich ver­kürzt. Hier­aus resul­tie­re bereits eine Min­de­rung der Teil­ha­be am gesell­schaft­li­chen Leben. Dr S lasse in seinem Gut­ach­ten wesent­li­che Fak­to­ren unbe­rück­sich­tigt.

Die Beklag­te hat ver­sor­gungs­ärzt­li­che Stel­lung­nah­men von Dr B vom 28.01.2010 und 14.04.2010 vor­ge­legt.

Mit Gerichts­be­scheid vom 23.07.2010 hat das SG die Klage abge­wie­sen. Zur Begrün­dung hat es im Wesent­li­chen aus­ge­führt, der Kläger habe keinen Anspruch auf Fest­stel­lung eines höhe­ren GdB nach dem SGB IX. Dies habe auch der Sach­ver­stän­di­ge Dr S zutref­fend dar­ge­legt. Betrach­te man die The­ra­pie des Klä­gers kon­kret, so bestehe sie in der Regel in der Gabe von drei­mal täg­lich Basa­l­in­su­lin und vier- bis sie­ben­mal täg­lich kurz­wirk­sa­mem Insu­lin. Dar­un­ter werde eine zumin­dest zufrie­den­stel­len­de Stoff­wech­sel­ein­stel­lung erreicht. Auch der behan­deln­de Dia­be­to­lo­ge Dr B habe inso­weit eine “krank­heits­ty­pi­sche” Stoff­wech­sel­in­sta­bi­li­tät beschrie­ben. Fol­ge­schä­den, durch die eine Teil­ha­be des Klä­gers am Leben in der Gesell­schaft beein­träch­tigt würde, seien nicht fest­stell­bar. Der The­ra­pie­auf­wand sei nicht so hoch, dass hier­aus ein GdB von 50 resul­tie­re. Dies zeige auch ein Ver­gleich mit sons­ti­gen Behin­de­run­gen, die einen GdB von 50 recht­fer­tig­ten.

Am 19.08.2010 hat der Kläger gegen den am 30.07.2010 zuge­stell­ten Gerichts­be­scheid Beru­fung ein­ge­legt.

Der Kläger trägt vor, er leide seit drei­und­drei­ßig Jahren an Dia­be­tes mel­li­tus Typ I. Hier­für sei ein GdB von 40 viel zu nied­rig. Mitt­ler­wei­le gebe es neue Erkennt­nis­se. Der Gesetz­ge­ber habe mit der “Zwei­ten Ver­ord­nung zur Ver­än­de­rung der Vers­MedV vom 14.07.2010” die Bewer­tung des Dia­be­tes mel­li­tus geän­dert. Diese neuen Erkennt­nis­se habe auch der Sach­ver­stän­di­ge Dr S unbe­rück­sich­tigt gelas­sen. Schwe­re Hypo­glyk­ämien seien nun­mehr für die Fest­stel­lung eines GdB von 50 nicht mehr not­wen­dig. Gleich­wohl bleibe die neue Ver­ord­nung in seiner Aus­ge­stal­tung hinter den For­de­run­gen des The­ra­pie-Urteils des BSG zurück. Das BSG for­de­re aus­drück­lich einen Ver­gleich mit ande­ren Behin­de­run­gen. Gerecht­fer­tigt sei ein Ver­gleich von Dia­be­tes-Typ I‑Patienten mit Dia­ly­se-Pati­en­ten. Die neue Ver­ord­nung erlau­be einen höhe­ren GdB bei einer “außer­ge­wöhn­lich schwer regu­lier­ba­ren Stoff­wech­sel­la­ge”. Der Rechts­streit sei an das SG zurück­zu­ver­wei­sen. Durch die Ent­schei­dung durch Gerichts­be­scheid sei das Recht auf Gehör (Art 103 GG) ver­letzt. Durch die Rechts­schutz­ver­kür­zung habe das Gericht auch gegen die Art 1 bis 3 GG ver­sto­ßen. Sein Anlie­gen sei seit dem Jahre 2003 ver­schleppt worden. Der durch­schnitt­li­che Ver­lust von 15 bis 20 Lebens­jah­ren durch die Krank­heit Dia­be­tes mel­li­tus Typ I erspa­re dem deut­schen Staat für die Rente dieser Men­schen auf­kom­men zu müssen. Die Steu­er­ge­rech­tig­keit werde erheb­lich ver­letzt. Die Blut­zu­cker­mes­sun­gen seien in seinen fünf ver­schie­de­nen Mess­ge­rä­ten gespei­chert. Dies werde durch die Mess­ta­bel­len bewie­sen. Vor jeder Mahl­zeit und vor jeder Insu­lin­in­jek­ti­on bestim­me er die Menge des zu geben­den Insu­lins. Er benö­ti­ge zwei ver­schie­de­ne Sorten Insu­lin. Beim Ver­tau­schen könne es zu erheb­li­chen gesund­heit­li­chen Pro­ble­men kommen. Er sei nicht ver­pflich­tet, ein manu­el­les Tage­buch zu führen. Dies habe das BSG im Urteil vom 02.12.2010 ent­schie­den. Es gebe keine Ent­bin­dung von der Amts­er­mitt­lungs­pflicht. Dieses Urteil sei im Übri­gen auf seinen Fall nicht über­trag­bar. Es han­de­le sich offen­sicht­lich um eine Klä­ge­rin mit Dia­be­tes Typ II. Diese sei mit dem viel schlim­me­ren Dia­be­tes Typ I nicht ver­gleich­bar. Im Übri­gen über­zeu­ge das Urteil des BSG nicht. Sein Leben sei jeden Tag bedroht. Über­zu­cke­rung bedeu­te, dass sobald der Norm­be­reich ver­las­sen werde, eine Not­la­ge bestehe. Dies sei 1 Stunde und 46 Minu­ten pro Tag der Fall. Bei 10 Sprit­zen pro Tag bedeu­te dies einen Zeit­ver­lust von 20 Minu­ten (10 x 2 Minu­ten). Der Zeit­ver­lust bei Dia­ly­se-Pati­en­ten sei viel gerin­ger.

Der Kläger bean­tragt,
den Gerichts­be­scheid des Sozi­al­ge­richts Trier vom 23.07.2010 sowie den Bescheid des Beklag­ten vom 22.07.2009 in Gestalt des Wider­spruchs­be­schei­des vom 19.10.2009 auf­zu­he­ben und den Beklag­ten unter Rück­nah­me frü­he­rer Beschei­de zu ver­ur­tei­len, seinen Behin­de­rungs­zu­stand mit einem höhe­ren GdB fest­zu­stel­len,
hilfs­wei­se,
den Rechts­streit an das Sozi­al­ge­richt zurück­zu­ver­wei­sen,
weiter hilfs­wei­se, die Revi­si­on zuzu­las­sen.

Der Beklag­te bean­tragt,
die Beru­fung zurück­zu­wei­sen,

hilfs­wei­se, die Revi­si­on zuzu­las­sen.

Er trägt — unter Bezug­nah­me auf eine ver­sor­gungs­ärzt­li­che Stel­lung­nah­men von Dr B vom 08.10.2010 und 09.05.2011 — vor, der ange­foch­te­ne Gerichts­be­scheid sei zutref­fend. Etwas ande­res ergebe sich auch nicht aus der neuen Fas­sung der VmG. Dabei gehe es nicht allein um die Anzahl der täg­li­chen Blut­zu­cker­mes­sun­gen und Insu­lin­in­jek­tio­nen. Hier­auf habe das BSG bereits im April 2008 aus­drück­lich hin­ge­wie­sen. Um einen GdB von 50 zu erhal­ten, seien täg­lich nicht nur min­des­tens vier Insu­lin­in­jek­tio­nen erfor­der­lich. Ver­langt würden zusätz­lich erheb­li­che Ein­schnit­te in der Lebens­füh­rung. Der Kläger führe seit Jahren erfolg­reich eine Insu­lin­the­ra­pie durch. Dies habe auch sein Dia­be­to­lo­ge Dr B bestä­tigt. Der Kläger sei mitt­ler­wei­le bei der Umset­zung seiner The­ra­pie so erfah­ren gewor­den, dass er schon im Jahre 2006 die täg­lich gemes­se­nen Blut­zu­cker­wer­te und die ange­pass­ten Insulin­do­sen nicht mehr doku­men­tiert habe. Er führe kein Dia­be­tes-Tage­buch mehr. Dies­be­züg­lich habe ihm bisher sein indi­vi­du­el­les The­ra­pie­kon­zept auch Recht gege­ben. Der Kläger sei in der Lage, alles aus dem “Steh­greif” zu regeln. Dies nehme sicher­lich eine gewis­se Zeit in Anspruch, zu Unter­zu­cke­run­gen, die eine Fremd­hil­fe im Sinne eines Not­arzt­ein­sat­zes erfor­der­lich gemacht hätten, sei es seit Jahren nicht mehr gekom­men. Aus sozi­al­me­di­zi­ni­scher Sicht habe der Sach­ver­stän­di­ge Dr S zutref­fend darauf hin­ge­wie­sen, dass bei dem Kläger keine derart aus­ge­präg­te Teil­ha­be­be­ein­träch­ti­gung vor­lie­ge, die einen GdB von 50 begrün­den könnte. Der Behin­de­rungs­zu­stand des Klä­gers sei nicht so schwer, wie etwa bei einem Herz­kran­ken, der bereits bei all­täg­li­cher leich­ter Belas­tung (Trep­pen­stei­gen bis zu einem Stock­werk, leich­te kör­per­li­che Arbeit) Beschwer­den habe und bei dem es bereits bei einer Ergo­me­ter­be­las­tung mit 50 Watt zu patho­lo­gi­schen Mess­da­ten komme. Etwas ande­res ergebe sich auch nicht aus der Ent­schei­dung des BSG vom 02.12.2010. Der The­ra­pie­auf­wand des Klä­gers sei nicht derart hoch, dass hier­durch die Schwer­be­hin­der­ten­ei­gen­schaft gerecht­fer­tigt werde. Auch das BSG habe darauf hin­ge­wie­sen, dass sport­li­che Betä­ti­gun­gen nicht als Teil des The­ra­pie­auf­wan­des gerech­net werden könn­ten. Auch alle ande­ren Maß­nah­men, die die medi­ka­men­tö­se The­ra­pie des Klä­gers unter­stütz­ten, gehör­ten zur gesun­den Lebens­füh­rung eines jeden Men­schen. Wenn der Kläger meh­re­re Glu­ko­se­mess­ge­rä­te habe und diese auch benut­ze, so seien die jewei­li­gen Blut­zu­cker­wer­te regis­triert, nicht aber die tat­säch­li­che The­ra­pie.

Zur Ergän­zung des Tat­be­stan­des wird auf den Inhalt der Pro­zess­ak­te und den Inhalt der den Kläger betref­fen­den Schwer­be­hin­der­ten­ak­te des Amtes für sozia­le Ange­le­gen­hei­ten Trier ver­wie­sen. Er war Gegen­stand der münd­li­chen Ver­hand­lung.

 

Ent­schei­dungs­grün­de:

Die zuläs­si­ge Beru­fung hat in der Sache keinen Erfolg. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Fest­stel­lung eines höhe­ren GdB, weder im Zugunsten‑, noch im Neu­fest­stel­lungs­ver­fah­ren.

Gemäß § 44 Abs 2 S 1 SGB X ist ein rechts­wid­ri­ger nicht begüns­ti­gen­der Ver­wal­tungs­akt, auch nach­dem er unan­fecht­bar gewor­den ist, ganz oder teil­wei­se mit Wir­kung für die Zukunft zurück­zu­neh­men. Nach S 2 dieser Vor­schrift kann der Ver­wal­tungs­akt auch für die Ver­gan­gen­heit zurück­ge­nom­men werden. Auf Fest­stel­lungs­be­schei­den nach dem Schwer­be­hin­der­ten­recht findet § 44 Abs 2 SGB X Anwen­dung.

Der Senat hat bereits mit Urteil vom 29.03.2006 (Az.: L 4 SB 195/04) fest­ge­stellt, dass die frü­he­ren Fest­stel­lun­gen über die Höhe des GdB des Klä­gers (Erst­fest­stel­lung mit Bescheid vom 13.10.2003) der damals gel­ten­den Sach- und Rechts­la­ge ent­spro­chen haben. Auf diese Aus­füh­run­gen wird — um Wie­der­ho­lun­gen zu ver­mei­den — Bezug genom­men.

Hieran hat sich auch durch die Recht­spre­chung des BSG nichts geän­dert. Nach dem Urteil des BSG vom 24.04.2008 (Az.: B 9/9a SB 10/06 R) bedurf­ten die Aus­füh­run­gen der Anhalts­punk­te für die ärzt­li­che Gut­ach­ter­tä­tig­keit im sozia­len Ent­schä­di­gungs­recht und nach dem Schwer­be­hin­der­ten­recht (AHP) 2008, soweit sie die Bewer­tung des mit Insu­lin behan­del­ten Dia­be­tes mel­li­tus betref­fen, eine Modi­fi­ka­ti­on: Die (im Gegen­satz zu den AHP 1996 und 2004 getrof­fe­ne) Unter­schei­dung zwi­schen den Typen I und II des Dia­be­tes mel­li­tus ist für die GdB-Bewer­tung nicht aus­rei­chend, da sie kli­ni­scher Natur ist und — unter Berück­sich­ti­gung der Ent­ste­hung der Stoff­wech­sel­stö­rung — in erster Linie der Bestim­mung der Behand­lungs­me­tho­de dient. Bei dem Vor­lie­gen einer Insu­lin­be­hand­lung erlaubt sie jedoch keine trenn­schar­fe Dif­fe­ren­zie­rung nach den jeweils bestehen­den Teil­ha­be­be­ein­träch­ti­gun­gen. Dem­entspre­chend sind für die GdB-Bewer­tung andere Kri­te­ri­en maß­ge­bend. Der Begriff “ein­stell­bar” in Nr 26.15 der AHP 2008 ist des­halb dahin­ge­hend aus­zu­le­gen, dass er darauf abstellt, ob bei dem behin­der­ten Men­schen (nicht nur vor­über­ge­hend) tat­säch­lich eine sta­bi­le oder insta­bi­le Stoff­wech­sel­la­ge besteht und wel­cher The­ra­pie­auf­wand dabei erfolgt. Maß­ge­bend ist, wie leicht oder wie schwer die all­ge­mei­nen The­ra­pie­zie­le beim Dia­be­tes mel­li­tus, näm­lich das Ver­mei­den und Hyper­glyk­ämien (erhöh­ten Blut­zu­cker­wer­ten) und Hypo­glyk­ämien (Unter­zu­cke­rung), erreicht werden können.

Ange­sichts dieser Ent­schei­dung des BSG hat der Ver­ord­nungs­ge­ber unter Auf­ga­be der Dif­fe­ren­zie­rung nach dem Typ I und dem Typ II des Dia­be­tes mel­li­tus — der Emp­feh­lung des ärzt­li­chen Sach­ver­stän­di­gen­bei­ra­tes “Ver­sor­gungs­me­di­zin” beim Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Arbeit und Sozia­les (Rund­schrei­ben vom 22.09.2008, IV C 3–48046‑3) fol­gend — in Nr 15.1 Teil B VmG fol­gen­de Bewer­tung vor­ge­se­hen:

Zucker­krank­heit (Dia­be­tes mel­li­tus mit Diät allein ohne blut­zu­cker­re­gu­lie­ren­de Medi­ka­ti­on) (GdB 0);
mit Medi­ka­men­ten ein­ge­stellt, die die Hypo­glyk­ämie­nei­gung nicht erhö­hen (GdB 10);
mit Medi­ka­men­ten ein­ge­stellt, die die Hypo­glyk­ämie­nei­gung erhö­hen (GdB 20);
unter Insu­lin­the­ra­pie, auch in Kom­bi­na­ti­on mit ande­ren blut­zu­cker­sen­ken­den Medi­ka­men­ten, je nach Sta­bi­li­tät der Stoff­wech­sel­la­ge (GdB 30 bis 40);
unter Insu­lin­the­ra­pie insta­bi­le Stoff­wech­sel­la­ge ein­schließ­lich gele­gent­lich schwe­rer Hypo­glyk­ämien (GdB 50);

Diese Bestim­mun­gen soll­ten grund­sätz­lich auch für noch nicht bestands­kräf­tig beschie­de­ne Zeit­räu­me vor Inkraft­tre­ten der Vers­MedV am 01.01.2009 her­an­zu­zie­hen sein (vgl BSG, Urteil vom 11.12.2008 — B 9/9a SGB 4/07 R).

Auf der Grund­la­ge dieser Vor­ga­ben stand dem Kläger kein höhe­rer GdB als 40 zu. Eine insta­bi­le Stoff­wech­sel­la­ge ist nicht nach­ge­wie­sen und zu schwe­ren Hypo­glyk­ämien ist es nicht gekom­men. Dies hat das SG im ange­foch­te­nen Gerichts­be­scheid aus­führ­lich und zutref­fend dar­ge­legt. Hier­auf wird — um Wie­der­ho­lun­gen zu ver­mei­den — gemäß § 153 Abs 2 Sozi­al­ge­richts­ge­setz (SGG) Bezug genom­men. Auch der Sach­ver­stän­di­ge Dr S hat in seinem Gut­ach­ten vom 22.12.2009 unter Berück­sich­ti­gung der Vor­ga­ben des BSG sowie der zum Zeit­punkt seiner Begut­ach­tung gel­ten­den VmG aus­führ­lich und zutref­fend dar­ge­legt, dass der Dia­be­tes mel­li­tus des Klä­gers mit einem GdB von 40 zu bewer­ten ist. Der Senat hat keine Ver­an­las­sung hieran zu zwei­feln.

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Neu­fest­stel­lung seines GdB wegen der Ände­rung der Vers­MedV vom 14.07.2010 (BGBl I S 928).

Rechts­grund­la­ge für die Fest­stel­lung von Behin­de­run­gen und des GdB ist § 69 SGB IX. Hier­nach ist auf einen ent­spre­chen­den Antrag des Behin­der­ten das Vor­lie­gen einer Behin­de­rung gemäß § 2 Abs 1 S 1 SGB IX und der GdB — nach Zeh­ner­gra­den abge­stuft — in einem Bescheid fest­zu­stel­len. Gemäß § 2 Abs 1 S 1 SGB IX sind Men­schen behin­dert, wenn ihre kör­per­li­che Funk­ti­on, geis­ti­ge Fähig­keit oder see­li­sche Gesund­heit mit hoher Wahr­schein­lich­keit länger als sechs Monate von dem für das Lebens­al­ter typi­schen Zustand abweicht und daher ihre Teil­ha­be am Leben in der Gesell­schaft beein­träch­tigt ist.

Im Inter­es­se einer ein­heit­li­chen und gleich­mä­ßi­gen Behand­lung hat der Gesetz­ge­ber die Vers­MedV (BGBl I S 2412) mit der Anlage zu § 2 VmG (Anla­ge­band zum BGBl I Nr 57 vom 15.12.2008), geän­dert durch die Erste Ver­ord­nung zur Ände­rung der Vers­MedV vom 01.03.2010 (BGBl I S 249) sowie Zweite Ver­ord­nung zur Ände­rung der Vers­MedV vom 14.07.2010 (BGBl I S 928) erlas­sen. Die darin auf­ge­führ­ten GdB-Werte beru­hen grund­sätz­lich auf neu­es­ten medi­zi­ni­schen Erkennt­nis­sen; sie sollen einen Anhalt zur Ermitt­lung des GdB und zur Aus­le­gung des § 2 SGB IX bilden. Die VmG dienen somit der gleich­mä­ßi­gen Aus­le­gung der unbe­stimm­ten Rechts­be­grif­fe des Schwer­be­hin­der­ten­rechts wie dies zuvor die AHP getan haben.

Bei dem Kläger sind zwei Teil-Behin­de­run­gen nach­ge­wie­sen:

Dia­be­tes mel­li­tus Typ I;
Hyper­to­nie.

Der Dia­be­tes mel­li­tus (Teil-Behin­de­rung Nr 1) ist mit einem GdB von 40 wei­ter­hin zutref­fend bewer­tet.

Die an Dia­be­tes erkrank­ten Men­schen, deren The­ra­pie eine Hypo­glyk­ämie aus­lö­sen kann, die min­des­tens einmal täg­lich eine doku­men­tier­te Über­prü­fung des Blut­zu­ckers selbst durch­füh­ren müssen und durch wei­te­re Ein­schnit­te in der Lebens­füh­rung beein­träch­tigt sind, erlei­den je nach Ausmaß des The­ra­pie­auf­wan­des und der Güte der Stoff­wech­sel­ein­stel­lung eine stär­ke­re Teil­ha­be­be­ein­träch­ti­gung. Der GdB beträgt 30 bis 40.

Ein GdB von 50 ist nach der VmG (Teil B Ziffer 15.1) erst für an Dia­be­tes erkrank­te Men­schen gerecht­fer­tigt, die eine Insu­lin­the­ra­pie mit täg­lich min­des­tens vier Insu­lin­in­jek­tio­nen durch­füh­ren, wobei die Insulin­do­sis in Abhän­gig­keit vom aktu­el­len Blut­zu­cker, der fol­gen­den Mahl­zeit und der kör­per­li­chen Belas­tung selb­stän­dig vari­iert werden muss, und durch erheb­li­che Ein­schnit­te gra­vie­rend in der Lebens­füh­rung beein­träch­tigt sind, erlei­den auf Grund dieses The­ra­pie­auf­wan­des eine aus­ge­präg­te Teil­ha­be­be­ein­träch­ti­gung. Die Blut­zu­cker­selbst­mes­sung und die Insulin­do­sen (bzw Insu­lin­ga­ben und die Insu­lin­pum­pe) müssen doku­men­tiert sein. In diesem Falle ist ein GdB von 50 gerecht­fer­tigt.

Bei sys­te­ma­ti­scher Betrach­tungs­wei­se der Neu­fas­sung der VmG sind bei einem GdB von 50 fol­gen­de Kri­te­ri­en zu berück­sich­ti­gen:

Min­des­tens vier Insu­lin­in­jek­tio­nen pro Tag;
selb­stän­di­ges Vari­ie­ren der Insulin­do­sis;
gra­vie­ren­de und erheb­li­che Ein­schnit­te in der Lebens­füh­rung;

Die Doku­men­ta­ti­on der Blut­zu­cker­selbst­mes­sun­gen stellt keine Anspruchs­vor­aus­set­zung dar, son­dern ein Beweis­mit­tel (vgl BSG Urteil vom 02.12.2010 — B 9 SB 3/09 R).

Die Vor­aus­set­zun­gen für die Fest­stel­lung eines GdB von 50 sind im vor­lie­gen­den Fall nicht erfüllt.

Der Kläger führt zwar eine Insu­lin­the­ra­pie mit täg­lich min­des­tens vier Insu­lin­in­jek­tio­nen durch. Wie sich aus den ärzt­li­chen Unter­la­gen und dem Gut­ach­ten des Sach­ver­stän­di­gen Dr S ergibt, benö­tigt der Kläger drei­mal täg­lich Basa­l­in­su­lin. Hinzu kommt vier- bis sie­ben­mal täg­lich die Gabe eines kurz­wirk­sa­men Insu­lins. Die Insulin­do­sis ist auch abhän­gig vom aktu­el­len Blut­zu­cker, der fol­gen­den Mahl­zeit sowie der kör­per­li­chen Belas­tung. Anläss­lich der Begut­ach­tung durch Dr S hat der Kläger vor­ge­tra­gen, er passe die gespritz­te Insulin­do­sis an die Essens­art und ‑menge an.

Erheb­li­che Ein­schnit­te, die sich so gra­vie­rend in der Lebens­füh­rung des Klä­gers aus­wir­ken, diese beein­träch­ti­gen und die Schwer­be­hin­der­ten­ei­gen­schaft recht­fer­ti­gen, bestehen indes­sen nicht. Der Kläger wird ins­be­son­de­re nicht durch eine schlech­te Ein­stel­lungs­qua­li­tät beein­träch­tigt. Bei der Beur­tei­lung der Ein­stel­lungs­qua­li­tät (Stoff­wech­sel­la­ge) des Dia­be­tes ist der HbA1c-Wert ent­schei­dend. Bei einem Wert unter 6 % ist davon aus­zu­ge­hen, dass kein Dia­be­tes vor­liegt oder dass der Pati­ent “her­vor­ra­gend” ein­ge­stellt ist. Bei einer Ein­stel­lung von 6 % bis 7 % ist von einer “guten bis aus­rei­chen­den”, bei Werten zwi­schen 7 % und 8 % ist von einer “eher mäßi­gen”, bei 8 % bis 10 % ist von einer “schlech­ten” und bei über 10 % von einer “sehr schlech­ten” Ein­stel­lung des Dia­be­tes aus­zu­ge­hen. Aus den ärzt­li­chen Unter­la­gen erge­ben sich bei dem Kläger HbA1c-Werte von 6,2 % bis 6,8 %. Dies bedeu­tet einen gut allen­falls mäßig schwan­ken­den bzw zufrie­den ein­ge­stell­ten Dia­be­tes mel­li­tus.

Zu schwe­ren hyper­glyk­ämischen Ent­glei­sun­gen (ärzt­li­che Fremd­hil­fe) ist es seit Jahren nicht gekom­men. Schwe­re Unter­zu­cke­run­gen, welche eine Fremd­hil­fe bedurf­ten, sind in den letz­ten zehn Jahren nicht auf­ge­tre­ten. In der Ent­schei­dung vom 02.12.2010 hat das BSG (aaO) aus­ge­führt, dass ein Einzel-GdB von 50 — wie das Lan­des­so­zi­al­ge­richt zutref­fend aus­ge­führt habe — schon des­halb aus­schei­de, weil bin­dend fest­ge­stellt sei, dass “aus­ge­präg­te und schwe­re Hypo­glyk­ämien ver­mie­den” würden. So ver­hält es sich auch im vor­lie­gen­den Fall. Strei­tig war zudem in der Ent­schei­dung vom 02.12.2010, ob ein GdB von 30 oder 40 gerecht­fer­tigt wäre. Ein GdB von 50 — allei­ne wegen des Dia­be­tes — war nicht Gegen­stand der Ent­schei­dung. Da bei dem Kläger — wie dar­ge­legt — aus­ge­präg­te und schwe­re Hypo­glyk­ämien nicht nach­ge­wie­sen sind — schei­det ein GdB von 50 aus. Der Kläger hat anläss­lich der Begut­ach­tung durch Dr S ange­ge­ben, bei Hypo­glyk­ämie­sym­pto­men messe er nicht seinen Blut­zu­cker, son­dern nehme unmit­tel­bar Kost zum Aus­gleich zu sich. Zu wesent­li­chen Fol­ge­schä­den durch den Dia­be­tes mel­li­tus ist es nicht gekom­men. Bei dem Kläger besteht kein dia­be­ti­sches Fuß­syn­drom. Zwar wurde mitt­ler­wei­le eine begin­nen­de Mikro­al­bu­mi­n­urie fest­ge­stellt. Diese bestä­tig­te sich in einem Wert von 2,35 mg/dl (normal bis 2,0 mg/dl). Es han­delt sich hier­bei jedoch noch nicht um einen dia­be­ti­schen Nie­ren­scha­den, son­dern ledig­lich um das Früh­zei­chen einer der­ar­ti­gen Schä­di­gung. Die Aus­schei­dungs­funk­ti­on der Niere ist bei dem Kläger — worauf der Sach­ver­stän­di­ge Dr S hin­weist — völlig normal. Anhalts­punk­te für eine Makro­an­gio­pa­thie im Sinne einer peri­phe­ren all­ge­mei­nen Ver­schluss­krank­heit oder Hin­wei­se für eine koro­na­re Herz­krank­heit bzw für eine Augen­schä­di­gung oder Steno­sie­run­gen an den zere­bra­len Gefä­ßen haben sich bis­lang nicht gezeigt.

Auch dar­über hinaus sind keine derart erheb­li­chen Ein­schrän­kun­gen in der Lebens­füh­rung durch den The­ra­pie­auf­wand erkenn­bar, die eine gra­vie­ren­de Ein­schrän­kung der Teil­ha­be am Leben in der Gesell­schaft erken­nen lassen. Der Kläger betreibt nach eige­nen Anga­ben mehr­mals wöchent­lich ein leich­tes Aus­dau­er­trai­ning. Er geht einer regel­mä­ßi­gen beruf­li­chen Tätig­keit nach und prak­ti­ziert auch sons­ti­ge Frei­zeit­ak­ti­vi­tä­ten. Beim Ver­gleich mit ande­ren Krank­heits­bil­dern ist in Über­ein­stim­mung mit den Aus­füh­run­gen des Sach­ver­stän­di­gen Dr S und des Ver­sor­gungs­arz­tes Dr B keine Schwer­be­hin­der­ten­ei­gen­schaft anzu­neh­men. Nach den VmG (Teil B Ziffer 9.1) ist ein GdB von 50 etwa gerecht­fer­tigt, bei Erkran­kun­gen des Her­zens mit Leis­tungs­be­ein­träch­ti­gung bereits bei all­täg­li­cher leich­ter Belas­tung (zB Spa­zie­ren­ge­hen 3 km/h bis 4 km/h, Trep­pen­stei­gen bis zu einem Stock­werk, leich­te kör­per­li­che Arbeit). Der Kläger ist trotz seines Dia­be­tes wesent­lich leis­tungs­fä­hi­ger.

Wenn sich der medi­zi­nisch not­wen­di­ge The­ra­pie­auf­wand seiner Art und Weise nach nicht als krank­heits­spe­zi­fisch dar­stellt (zB Blut­zu­cker­mes­sun­gen, Insu­lin­in­jek­tio­nen), son­dern all­ge­mein einer gesun­den Lebens­wei­se ent­spricht (zB Ernäh­rungs­ver­hal­ten, kör­per­li­che Akti­vi­tät) ist grund­sätz­lich davon aus­zu­ge­hen, dass eine solche Lebens­füh­rung zumut­bar in den Tages­ab­lauf ein­be­zo­gen und unter wer­ten­der Betrach­tung nicht als nach­tei­li­ge Aus­wir­kung auf die Teil­ha­be am Leben in der Gesell­schaft iS des § 69 Abs 1 S 4 SGB IX ange­se­hen werden kann. Inso­weit sind Men­schen mit und ohne Behin­de­rung in glei­cher Weise dafür ver­ant­wort­lich, durch eine gesun­de Lebens­wei­se den Ein­tritt von Krank­hei­ten und Behin­de­rung zu ver­mei­den bzw ihre Folgen zu über­win­den oder zu ver­rin­gern. Hält sich der medi­zi­nisch not­wen­di­ge The­ra­pie­auf­wand in dem Rahmen dessen, was auch Men­schen ohne Behin­de­rung all­ge­mein als gesun­de Lebens­wei­se emp­foh­len wird, kann er mithin im All­ge­mei­nen nicht bei der Bemes­sung des GdB (hier von Dia­be­tes mel­li­tus) berück­sich­tigt werden.

Unter Berück­sich­ti­gung diese Gege­ben­hei­ten ist davon aus­zu­ge­hen, dass sport­li­che Betä­ti­gung, soweit sie zur Behand­lung einer Krank­heit medi­zi­nisch not­wen­dig ist, in der Regel keine nach­tei­li­gen Aus­wir­kun­gen auf die Teil­ha­be am Leben in der Gesell­schaft iS des § 69 Abs 1 S 4 SGB IX hat. Nur bei Hin­zu­tre­ten beson­ders ein­schrän­ken­der Umstän­de kann im Ein­zel­fall eine bei der Bemes­sung des GdB zu berück­sich­ti­gen­de Teil­ha­be­be­ein­träch­ti­gung ange­nom­men werden, wenn die medi­zi­nisch not­wen­di­ge sport­li­che Betä­ti­gung als Ein­schnitt in die Lebens­füh­rung die Gestal­tung des Tages­ab­lau­fes in beson­de­rem Maße prägt, weil sie zB aus medi­zi­ni­schen Grün­den nach Ort, Zeit oder Art und Weise fest­ge­legt ist oder ihrem Umfang nach erheb­lich über das Maß einer auch Men­schen ohne Behin­de­rung emp­foh­le­nen gesun­den Lebens­wei­se hin­aus­geht.

Dies ist bei dem Kläger nicht der Fall. Inso­weit wäre unter allei­ni­ger Berück­sich­ti­gung des The­ra­pie­auf­wan­des (Blut­zu­cker­mes­sung, Insu­lin­ga­be) selbst ein GdB von 30 — kei­nes­falls aber ein GdB von 50 — ver­tret­bar.

Der Senat schließt sich inso­weit der Bewer­tung durch den Sach­ver­stän­di­gen Dr S und den Aus­füh­run­gen des Ver­sor­gungs­arz­tes Dr B an.

Als wei­te­re Teil-Behin­de­rung besteht bei dem Kläger eine Hyper­to­nie (Nr 2). Hier­für ist ein GdB von 10 aus­rei­chend. Der Kläger berich­tet über zumeist gemes­se­ne Werte zwi­schen 130 mm/Hg bis 135 mm/Hg (systo­lisch) und 80 mm/Hg bis 85 mm/Hg (dia­sto­lisch). Die Not­wen­dig­keit für eine blut­druck­sen­ken­de Medi­ka­ti­on besteht — worauf der Sach­ver­stän­di­ge Dr S hin­weist — bis­lang noch nicht. Zu einer Organ­be­tei­li­gung ist es nicht gekom­men. Ins­ge­samt han­delt es sich um einen gerin­gen Blut­hoch­druck, der nach den VmG (Teil B, Ziffer 9.3) mit einem GdB von 10 zu bewer­ten ist.

Sons­ti­ge Gesund­heits­stö­run­gen mit Behin­de­rungs­wert liegen bei dem Kläger nicht vor. Für die Bil­dung des Gesamt-GdB ist somit von Einzel-GdB-Werten von 40, und 10 aus­zu­ge­hen.

Liegen meh­re­re Funk­ti­ons­ein­schrän­kun­gen der Teil­ha­be am Leben in der Gesell­schaft vor, so ist der GdB nach den Aus­wir­kun­gen der Funk­ti­ons­ein­schrän­kun­gen in ihrer Gesamt­heit unter Berück­sich­ti­gung ihrer wech­sel­sei­ti­gen Bezie­hun­gen fest­zu­stel­len (§ 69 Abs 3 SGB IX). Eine Addi­ti­on der ein­zel­nen Werte findet nicht statt. Auch andere Rechen­me­tho­den sind unzu­läs­sig. Viel­mehr sind im Rahmen einer natür­li­chen, wirk­lich­keits­ori­en­tier­ten und funk­tio­nel­len Gesamt­schau alle Aus­wir­kun­gen in freier rich­ter­li­cher Über­zeu­gung zu werten (§ 287 Zivil­pro­zess­ord­nung — ZPO -). Von Aus­nah­me­fäl­len abge­se­hen, führen zusätz­li­che leich­te Gesund­heits­stö­run­gen mit einem GdB von 10 und viel­fach auch mit einem GdB von 20 nicht zu einer wesent­li­chen Zunah­me des Aus­ma­ßes der Gesamt­be­ein­träch­ti­gung (VmG, aaO, Teil A Ziffer 3).

Der höchs­te Einzel-GdB von 40 ist im vor­lie­gen­den Fall auf Grund des leich­ten Blut­hoch­drucks (Einzel-GdB 10) nicht zu erhö­hen. Ein in den VmG vor­ge­se­he­ner Aus­nah­me­fall, in denen Einzel-GdB-Werte von 10 addiert werden können, liegt nicht vor.

Der Senat hat auch keine Ver­an­las­sung den Rechts­streit an das SG zurück­zu­ver­wei­sen. Selbst wenn die Vor­aus­set­zun­gen des § 159 Abs 1 SGG für eine Zurück­ver­wei­sung an das SG vor­lie­gen, steht es im Ermes­sen des Senats, ob es in der Sache selbst ent­schei­det oder zurück­ver­wei­sen will (vgl Meyer-Lade­wig, SGG, 9. Aufl § 159 Rn 5). Das LSG ist in keinem Fall zur Zurück­ver­wei­sung ver­pflich­tet.

Nach alle­dem ist die Beru­fung zurück­zu­wei­sen.

Die Kos­ten­ent­schei­dung beruht auf § 193 SGG.

Die Revi­si­on wird nicht zuge­las­sen, da Revi­si­ons­zu­las­sungs­grün­de (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG) nicht vor­lie­gen.