Lan­des­so­zi­al­ge­richt Berlin-Bran­den­burg, L 13 SB 15/08, Urteil vom 10.08.2011

Auf die Beru­fung des Klä­gers wird das Urteil des Sozi­al­ge­richts Pots­dam vom 9. Novem­ber 2007 geän­dert. Der Beklag­te wird unter Abän­de­rung des Beschei­des vom 25. Okto­ber 2004 in der Gestalt des Wider­spruchs­be­schei­des vom 6. Dezem­ber 2005 in der Fas­sung des Teil­an­er­kennt­nis­ses mit Schrift­satz vom 22. Sep­tem­ber 2009 ver­pflich­tet, bei dem Kläger mit Wir­kung vom 15. Januar 2008 einen GdB von 50 fest­zu­stel­len. Der Beklag­te hat dem Kläger dessen not­wen­di­ge außer­ge­richt­li­che Kosten für das gesam­te Ver­fah­ren zu 2/3 zu erstat­ten. Die Revi­si­on wird nicht zuge­las­sen.

Tat­be­stand:

Die Betei­lig­ten strei­ten über die Höhe des beim Kläger fest­zu­stel­len­den Grades der Behin­de­rung (GdB). Der Kläger begehrt im Beru­fungs­ver­fah­ren von dem Beklag­ten die Fest­stel­lung eines GdB von 50 mit Wir­kung ab 15. Januar 2008.

Für den 1950 gebo­re­nen Kläger stell­te der Beklag­te zuletzt mit Bescheid vom 28. August 2003 rück­wir­kend ab 4. Dezem­ber 2002 einen GdB von 30 unter Aner­ken­nung von Funk­ti­ons­be­ein­träch­ti­gun­gen durch Dia­be­tes mel­li­tus, Funk­ti­ons­be­hin­de­run­gen der Wir­bel­säu­le, Band­schei­ben­schä­den, Spi­nal­ka­nals­teno­se sowie Blut­hoch­druck, abge­lau­fe­ner Herz­in­farkt fest.

Auf einen Ände­rungs­an­trag des Klä­gers vom 15. Juli 2004 holte der Beklag­te neben einem Befund­be­richt des Prak­ti­schen Arztes vom 23. Sep­tem­ber 2004 eine gut­ach­ter­li­che Stel­lung­nah­me des Ver­sor­gungs­arz­tes Dr. vom 20. Okto­ber 2004 nach Akten­la­ge ein, der einen GdB von 30 fest­stell­te und dem fol­gen­de Funk­ti­ons­be­ein­träch­ti­gun­gen zu Grunde legte (in Klam­mern jeweils die ver­wal­tungs­in­tern zuge­ord­ne­ten Einzel-GdB):

a) Dia­be­tes mel­li­tus, Leber­scha­den – Ver­schlim­me­rung – (30) b) dege­ne­ra­ti­ve Ver­än­de­run­gen der Wir­bel­säu­le (20) c) Blut­hoch­druck, Herz­rhyth­mus­stö­run­gen (10).

Dem fol­gend lehnte der Beklag­te mit Bescheid vom 25. Okto­ber 2004 die Fest­stel­lung eines höhe­ren GdB ab und ver­wies darauf, dass sich die fest­ge­stell­te Ver­än­de­rung auf die Höhe des Gesamt-GdB von 30 nicht aus­wir­ke. Auf den dage­gen vom Kläger am 23. Novem­ber 2004 ein­ge­leg­ten Wider­spruch holte der Beklag­te einen wei­te­ren Befund­be­richt des Prak­ti­schen Arztes vom 18. Okto­ber 2005 sowie wei­te­re ver­sor­gungs­ärzt­li­che Stel­lung­nah­men von Dr. und Dr. jeweils datie­rend vom 14. Novem­ber 2005 nach Akten­la­ge ein. Mit Wider­spruchs­be­scheid vom 6. Dezem­ber 2005 wies der Beklag­te den Wider­spruch zurück und führte aus, dass der GdB nach Aus­wer­tung der ärzt­li­chen Unter­la­gen mit 30 zutref­fend bewer­tet sei. Mit der dage­gen am 5. Januar 2006 beim Sozi­al­ge­richt Cott­bus erho­be­nen Klage, welche durch Beschluss vom 30. Januar 2006 an das Sozi­al­ge­richt Pots­dam ver­wie­sen wurde, ver­folg­te der Kläger sein Begeh­ren auf Zuer­ken­nung eines GdB von 50 weiter.

Das Sozi­al­ge­richt hat zur medi­zi­ni­schen Sach­auf­klä­rung neben der Ein­ho­lung von Befund­be­rich­ten Beweis erho­ben durch Ein­ho­lung eines Sach­ver­stän­di­gen­gut­ach­tens der Fach­ärz­tin für All­ge­mein­me­di­zin vom 4. Juli 2007. Die Sach­ver­stän­di­ge stell­te einen GdB von 30 fest und legte dem fol­gen­de Funk­ti­ons­be­ein­träch­ti­gun­gen zu Grunde (in Klam­mern jeweils die zuge­ord­ne­ten Einzel-GdB):

a) insu­lin­pflich­ti­ger Dia­be­tes mel­li­tus Typ II (30)
b) Funk­ti­ons­be­hin­de­rung der Wir­bel­säu­le mit Wur­zel­reiz­erschei­nun­gen der Len­den­wir­bel­säu­le (max. 20)
c) Blut­hoch­druck (10)
d) chro­ni­sche Magen­schleim­haut­ent­zün­dung mit Ent­zün­dung der Spei­se­röh­re (10).

Mit Urteil vom 9. Novem­ber 2007 hat das Sozi­al­ge­richt die Klage abge­wie­sen. Unter Berück­sich­ti­gung und Aus­wer­tung aller erho­be­nen Befun­de, der ver­sor­gungs­ärzt­li­chen Stel­lung­nah­men und den schlüs­si­gen Fest­stel­lun­gen der Sach­ver­stän­di­gen könne der Kläger einen höhe­ren GdB als 30 nicht bean­spru­chen.

Gegen das am 20. Dezem­ber 2007 zuge­stell­te Urteil hat der Kläger am 16. Januar 2008 Beru­fung zum Lan­des­so­zi­al­ge­richt ein­ge­legt. Er ver­weist ins­be­son­de­re auf eine Ver­schlech­te­rung seines Gesund­heits­zu­stan­des durch Ein­set­zen eines Herz­schritt­ma­chers und eine zwi­schen­zeit­lich erfol­gen­de ortho­pä­di­sche Behand­lung.

Der Senat hat zur wei­te­ren Sach­auf­klä­rung diver­se Befund­be­rich­te ein­ge­holt. Der Beklag­te erkann­te dar­auf­hin nach Ein­ho­lung ver­sor­gungs­ärzt­li­cher Stel­lung­nah­men mit Schrift­satz vom 22. Januar 2009 ab 15. Januar 2008 einen GdB von 40 an. Dem legte er ent­spre­chend den Fest­stel­lun­gen der Ver­sor­gungs­ärz­tin Dr. vom 16. Januar 2009 fol­gen­de Funk­ti­ons­be­ein­träch­ti­gun­gen zugrun­de (in Klam­mern jeweils die ver­wal­tungs­in­tern zuge­ord­ne­ten Einzel-GdB):

a) Dia­be­tes mel­li­tus Typ II (30)
b) Funk­ti­ons­be­hin­de­rung der Wir­bel­säu­le, dege­ne­ra­ti­ve Ver­än­de­rung der Wir­bel­säu­le, Band­schei­ben­schä­den, Spi­nal­ka­nals­teno­se, Soma­ti­sie­rungs­stö­rung (30)
c) Blut­hoch­druck, Herz­rhyth­mus­stö­run­gen, abge­lau­fe­ner Herz­in­farkt, Herz- schritt­ma­cher (10)
d) chro­ni­sche Magen­schleim­haut­ent­zün­dung, Reflux­krank­heit der Spei­se­röh­re (10).

Der Kläger hat das Teil­an­er­kennt­nis im Termin zur münd­li­chen Ver­hand­lung am 10. August 2011 ange­nom­men und die Beru­fung auf die Zeit ab 15. Januar 2008 beschränkt. Inso­weit ver­folgt er sein Begeh­ren auf Fest­stel­lung eines GdB von 50 unter Gel­tend­ma­chung einer wei­te­ren Ver­schlech­te­rung seines Gesund­heits­zu­stan­des weiter. Er ver­weist ins­be­son­de­re auf eine Erkran­kung an Morbus Led­der­ho­se und inso­weit erfolg­te Ope­ra­tio­nen im August 2008 und April 2009 sowie auf wei­te­re Band­schei­ben­vor­fäl­le im Sep­tem­ber 2009 und Mai 2010. Hin­sicht­lich des Dia­be­tes mel­li­tus sei es wie­der­holt zu Blut­zu­cke­rent­glei­sun­gen gekom­men, die einen Not­arzt­ein­satz erfor­der­lich gemacht hätten, so am 26. Juni 2010 und 8. Novem­ber 2010. Zudem sei als Aus­wir­kung der Dia­be­tes­er­kran­kung eine strich­för­mi­ge Blu­tung am rech­ten Augen­hin­ter­grund fest­ge­stellt worden. Ferner ver­weist der Kläger auf Reha-Auf­ent­hal­te in der Zeit vom 12. Novem­ber 2008 bis 3. Dezem­ber 2008 sowie vom 24. August 2010 bis 14. Sep­tem­ber 2010 und die ent­spre­chen­den Ent­las­sungs­be­rich­te vom 17. Dezem­ber 2008 und 24. Sep­tem­ber 2010.

Der Kläger bean­tragt,

das Urteil des Sozi­al­ge­richts Pots­dam vom 9. Novem­ber 2007 zu ändern und den Beklag­ten unter Abän­de­rung des Beschei­des vom 25. Okto­ber 2004 in der Gestalt des Wider­spruchs­be­schei­des vom 6. Dezem­ber 2005 in der Fas­sung des Teil­an­er­kennt­nis­ses mit Schrift­satz vom 22. Januar 2009 zu ver­pflich­ten, bei ihm ab 15. Januar 2008 einen GdB von 50 fest­zu­stel­len.

Der Beklag­te bean­tragt,

die Klage abzu­wei­sen.

Er hält seine Ent­schei­dung für zutref­fend und ver­weist ergän­zend darauf, dass nach den ver­sor­gungs­ärzt­li­chen Stel­lung­nah­men zu den wei­te­ren vom Kläger gel­tend gemach­ten Beein­träch­ti­gun­gen die begehr­te Anhe­bung des GdB auf 50 nicht gerecht­fer­tigt sei.

Dem Senat haben die Ver­wal­tungs­vor­gän­ge des Beklag­ten vor­ge­le­gen. Diese waren Gegen­stand der münd­li­chen Ver­hand­lung. Wegen der wei­te­ren Ein­zel­hei­ten des Sach- und Streit­stan­des wird Bezug genom­men auf die Schrift­sät­ze, das Pro­to­koll und die Ver­wal­tungs­vor­gän­ge des Beklag­ten.

 

Ent­schei­dungs­grün­de

Die Beru­fung ist gemäß §§ 143, 144 Sozi­al­ge­richts­ge­setz (SGG) zuläs­sig, ins­be­son­de­re form- und frist­ge­recht erho­ben, und nach Beschrän­kung auf die Zeit ab 15. Januar 2008 bei Rück­nah­me im Übri­gen auch begrün­det.

Zu Unrecht hat das Sozi­al­ge­richt die Klage mit Urteil vom 9. Novem­ber 2007 für den noch streit­be­fan­ge­nen Zeit­raum ab 15. Januar 2008 abge­wie­sen. Der Bescheid des Beklag­ten vom 25. Okto­ber 2004 in der Gestalt des Wider­spruchs­be­schei­des vom 6. Dezem­ber 2005 in der Fas­sung des Teil­an­er­kennt­nis­ses mit Schrift­satz vom 22. Sep­tem­ber 2009 ist inso­weit rechts­wid­rig und ver­letzt den Kläger in seinen Rech­ten. Der Kläger hat für die Zeit ab 15. Januar 2008 einen Anspruch auf Zuer­ken­nung eines GdB von 50.

Nach den §§ 2 Abs. 1, 69 Abs. 1 Sozi­al­ge­setz­buch Neun­tes Buch (SGB IX) sind die Aus­wir­kun­gen der länger als 6 Monate anhal­ten­den Funk­ti­ons­stö­run­gen nach Zeh­ner­gra­den abge­stuft ent­spre­chend den Maß­stä­ben des § 30 Bun­des­ver­sor­gungs­ge­setz (BVG) zu bewer­ten. Hier­bei sind als anti­zi­pier­tes Sach­ver­stän­di­gen­gut­ach­ten die vom Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Gesund­heit und sozia­le Siche­rung her­aus­ge­ge­be­nen Anhalts­punk­te für die ärzt­li­che Gut­ach­ter­tä­tig­keit (AHP) her­an­zu­zie­hen und zwar ent­spre­chend dem streit­ge­gen­ständ­li­chen Zeit­raum ab 15. Januar 2008 in der Fas­sung von 2008. Seit dem 1. Januar 2009 sind die in der Anlage zur Ver­sor­gungs­me­di­zin – Ver­ord­nung (Vers­MedV) vom 10. Dezem­ber 2008 (Bun­des­ge­setz­blatt I S. 2412) fest­ge­leg­ten “ver­sor­gungs­me­di­zi­ni­schen Grund­sät­ze” in Form einer Rechts­ver­ord­nung in Kraft, welche die AHP – ohne das hin­sicht­lich der medi­zi­ni­schen Bewer­tung eine grund­sätz­li­che Ände­rung ein­ge­tre­ten wäre – abge­löst haben.

Abwei­chend von den oben bezeich­ne­ten recht­li­chen Grund­la­gen legt der Senat bei der Beur­tei­lung der von einem Dia­be­tes mel­li­tus aus­ge­hen­den Funk­ti­ons­be­ein­träch­ti­gun­gen für Zeit­räu­me bis 31. Dezem­ber 2008 aller­dings nicht die AHP in der jewei­li­gen Fas­sung zugrun­de, son­dern geht inso­weit von der Tabel­le aus, deren Anwen­dung der Ärzt­li­che Sach­ver­stän­di­gen­bei­rat “Ver­sor­gungs­me­di­zin” beim Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Arbeit und Sozia­les (BMAS) den zustän­di­gen obers­ten Lan­des­be­hör­den bis zu einer end­gül­ti­gen Klä­rung der Frage der GdB ‑Bewer­tung bei Dia­be­tes mel­li­tus emp­foh­len hat (siehe Rund­schrei­ben des BMAS vom 22. Sep­tem­ber 2008 – IV C 3 — 48064 — 3). Die Tabel­le ist ent­wi­ckelt worden, nach­dem das Bun­des­so­zi­al­ge­richt (BSG) mit Urteil vom 24. April 2008 — B 9/9a SB 10/06 -, zitiert nach Juris, wel­ches vom Sozi­al­ge­richt bei seiner Ent­schei­dung am 9. Novem­ber 2007 noch nicht berück­sich­tigt werden konnte, ent­schie­den hatte, dass die Nr. 26.15 der AHP 1996 und 2004 (und damit auch die Nr. 26.15 der AHP 2005 und 2008) nur mit gewis­sen Maß­ga­ben dem höher­ran­gi­gen Recht und dem Stand der medi­zi­ni­schen Wis­sen­schaft ent­spricht. Sie ersetzt die ent­spre­chen­de Nr. in den AHP (vgl. BSG, Urteil vom 11. Dezem­ber 2008 — B 9/9a SB 4/07 R -, zitiert nach Juris) und sieht für die GdB-Bewer­tung fol­gen­de Ein­tei­lung vor:

Zucker­krank­heit (Dia­be­tes mel­li­tus)

mit Diät allein (ohne blut­zu­cker­re­gu­lie­ren­de Medi­ka­men­te) 0

mit Medi­ka­men­ten ein­ge­stellt, die die Hypo­glyk­ämie­nei­gung nicht erhö­hen 10

mit Medi­ka­men­ten ein­ge­stellt, die die Hypo­glyk­ämie­nei­gung erhö­hen 20

unter Insu­lin­the­ra­pie, auch in Kom­bi­na­ti­on mit ande­ren blut­zu­cker­sen­ken­den Medi­ka­men­ten, je nach Sta­bi­li­tät der Stoff­wech­sel­la­ge (stabil oder mäßig schwan­kend) 30 – 40

unter Insu­lin­the­ra­pie insta­bi­le Stoff­wech­sel­la­ge ein­schließ­lich gele­gent­li­cher schwe­rer Hypo­glyk­ämien 50

Häu­fi­ge, aus­ge­präg­te oder schwe­re Hypo­glyk­ämien sind zusätz­lich zu bewer­ten. Schwe­re Hypo­glyk­ämien sind Unter­zu­cke­rung, die eine ärzt­li­che Hilfe erfor­dern.

Diese (vor­läu­fi­ge) Tabel­le ist als Teil B Nr. 15.1 in der seit dem 1. Januar 2009 maß­geb­li­chen Anlage zu § 2 der Vers­MedV (siehe dort S. 73 f.) ‑zunächst- über­nom­men worden und findet des­halb auch für die Zeit ab dem 1. Januar 2009 wei­ter­hin Anwen­dung (vgl. BSG (Urteil vom 23. April 2009 — B 9 SB 3/08 R -; zitiert nach Juris), jedoch beschränkt auf die Zeit bis zum 21. Juli 2010 infol­ge der mit der Zwei­ten Ver­ord­nung zur Ände­rung der Vers­MedV vom 14. Juli 2010 zum 22. Juli 2010 in Kraft getre­te­nen Neu­fas­sung des Teil B Nr. 15.1 der Vers­MedV die nun­mehr aus­drück­lich den The­ra­pie­auf­wand bei der Bil­dung des GdB berück­sich­tigt (vgl. hierzu im Ein­zel­nen: BSG, Urteil vom 2. Dezem­ber 2010 -B 9 SB 3/09 R-; zitiert nach Juris).

Wie das BSG im zitier­ten Urteil vom 23. April 2009 zu den in der (vor­läu­fi­gen) Tabel­le gere­gel­ten Vor­ga­ben ent­schie­den hat, können diese jedoch nicht abschlie­ßen­de Grund­la­ge für die Beur­tei­lung des GdB bei Dia­be­tes mel­li­tus sein. Denn sie erfas­sen zwar mit dem Begriff der Ein­stell­bar­keit die für die GdB-Beur­tei­lung wesent­li­che Frage, ob bei den betrof­fe­nen behin­der­ten Men­schen eine sta­bi­le oder insta­bi­le Stoff­wech­sel­la­ge besteht, nicht jedoch den auf­grund von § 69 Abs. 1 Satz 4 (vor­mals Satz 3) SGB IX dar­über hinaus zwin­gend zu berück­sich­ti­gen­den medi­zi­nisch not­wen­di­gen The­ra­pie­auf­wand, der erfor­der­lich ist, um eine bestimm­te Ein­stel­lungs­qua­li­tät zu errei­chen. Dieser The­ra­pie­auf­wand kann je nach Umfang dazu führen, dass der anhand der Ein­stel­lungs­qua­li­tät des Dia­be­tes mel­li­tus beur­teil­te GdB auf den nächst höhe­ren Zeh­ner­grad fest­zu­stel­len ist, was nicht nur für die Zeiten bis zum 31. Dezem­ber 2008 gilt, in denen die AHP in der Fas­sung der Emp­feh­lung des Ärzt­li­chen Sach­ver­stän­di­gen­bei­rats “Ver­sor­gungs­me­di­zin” beim BMAS her­an­zu­zie­hen sind, son­dern auch für die Zeiten ab dem 1. Januar 2009 (bis zum 21. Juli 2010) zu beach­ten ist, für die die Rege­lun­gen der Anlage zu § 2 Vers­MedV Anwen­dung finden. Dass diese Rege­lun­gen in Form einer Rechts­ver­ord­nung erlas­sen worden sind und damit Ver­wal­tung und Gerich­te grund­sätz­lich binden, steht der ergän­zen­den Berück­sich­ti­gung des jewei­li­gen The­ra­pie­auf­wan­des nicht ent­ge­gen. Denn wie das BSG mit dem Urteil vom 23. April 2009 ent­schei­den hat, ver­stößt Teil B Nr. 15.1 der Anlage zu § 2 Vers­MedV (vgl. Seite 73 f.) gegen § 69 Abs. 1 Satz 4 (vor­mals Satz 3) SGB IX, soweit der The­ra­pie­auf­wand danach nicht zu berück­sich­ti­gen ist und bindet die Rechts­an­wen­der nicht. Dieser Rechts­spre­chung des BSG schließt sich der Senat an.

Nach Teil B Nr. 15.1 der Anlage zu § 2 Vers­MedV in der seit 22. Juli 2010 gel­ten­den Fas­sung, die nun­mehr den recht­li­chen Vor­ga­ben des § 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX genügt (vgl. das Urteil des BSG vom 2. Dezem­ber 2010) gelten hin­sicht­lich einer Dia­be­tes mel­li­tus Erkran­kun­gen fol­gen­de GdB-Bewer­tun­gen:

Dia­be­tes erkrank­ten Men­schen, deren The­ra­pie regel­haft keine Hypo­glyk­ämie aus­lö­sen kann und somit in der Lebens­füh­rung kaum beein­träch­tigt sind, erlei­den auch durch den The­ra­pie­auf­wand keine Teil­ha­be­be­ein­träch­ti­gung, die die Fest­stel­lung eines GdB recht­fer­tigt. Der GdB beträgt 0.

Die an Dia­be­tes erkrank­ten Men­schen, deren The­ra­pie eine Hypo­glyk­ämie aus­lö­sen kann und die durch Ein­schnit­te in der Lebens­füh­rung beein­träch­tigt sind, erlei­den durch den The­ra­pie­auf­wand eine signi­fi­kan­te Teil­ha­be­be­ein­träch­ti­gung. Der GdB beträgt 20.

Die an Dia­be­tes erkrank­ten Men­schen, deren The­ra­pie eine Hypo­glyk­ämie aus­lö­sen kann, die min­des­tens einmal täg­lich eine doku­men­tier­te Über­prü­fung des Blut­zu­ckers selbst durch­füh­ren müssen und durch wei­te­re Ein­schnit­te in der Lebens­füh­rung beein­träch­tigt sind, erlei­den je nach Ausmaß des The­ra­pie­auf­wan­des und der Güte der Stoff­wech­sel­ein­stel­lung eine stär­ke­re Teil­ha­be­be­ein­träch­ti­gung. Der GdB beträgt 30 bis 40.

Die an Dia­be­tes erkrank­ten Men­schen, die eine Insu­lin­the­ra­pie mit täg­lich min­des­tens 4 Insu­lin­in­jek­tio­nen durch­füh­ren, wobei die Insulin­do­sis in Abhän­gig­keit vom aktu­el­len Blut­zu­cker, der fol­gen­den Mahl­zeit und der kör­per­li­chen Belas­tung selb­stän­dig vari­iert werden muss, und durch erheb­li­che Ein­schnit­te gra­vie­rend in der Lebens­füh­rung beein­träch­tigt sind, erlei­den auf­grund dieses The­ra­pie­auf­wan­des eine aus­ge­präg­te Teil­ha­be­be­ein­träch­ti­gung. Die Blut­zu­cker­selbst­mes­sun­gen und Insulin­do­sen (bzw. Insu­lin­ga­ben über die Insu­lin­pum­pe) müssen doku­men­tiert sein. Der GdB beträgt 50.

Außer­ge­wöhn­lich schwer regu­lier­ba­re Stoff­wech­sel­la­gen können jeweils höhere GdB-Werte bedin­gen.

Der Begriff des The­ra­pie­auf­wan­des im Sinne der Rechts­spre­chung des BSG mit Urteil vom 2. Okto­ber 2010 ist dabei weit aus­zu­le­gen. Der The­ra­pie­auf­wand muss aller­dings medi­zi­nisch not­wen­dig sein, tat­säch­lich durch­ge­führt werden und sich nach­tei­lig auf die Teil­ha­be am Leben in der Gemein­schaft aus­wir­ken. Er beur­teilt sich dabei auch für die Zeit vor dem 22. Juli 2010 anhand der neuen Bewer­tungs­grund­sät­ze, wie sie in der Neu­fas­sung des Teils B Nr. 15.1 der Anlage zu § 2 Vers­MedV auf­grund der Zwei­ten Ände­rungs­ver­ord­nung anhand des Ober­be­griffs “Ein­schnit­te in die Lebens­füh­rung” zusam­men­ge­fasst sind, danach, ob und wie die Pla­nung des Tages­ab­lau­fes, die Gestal­tung der Frei­zeit, die Zube­rei­tung der Mahl­zei­ten, die Berufs­aus­übung und die Mobi­li­tät beein­träch­tigt ist. Die Inten­si­tät der Ein­schnit­te in die Lebens­füh­rung ist dabei davon abhän­gig, ob der The­ra­pie­auf­wand aus medi­zi­ni­schen Grün­den nach Ort, Zeit oder Art und Weise fest­ge­legt ist oder die Teil­ha­be am Leben in der Gesell­schaft in ande­ren Lebens­be­rei­chen wegen des zeit­li­chen Umfangs der The­ra­pie erheb­lich beein­träch­tigt wird.

Unter Berück­sich­ti­gung der vor­ge­nann­ten recht­li­chen Vor­ga­ben kann der Kläger für den noch streit­be­fan­ge­nen Zeit­raum ab 15. Januar 2008 statt des ihm vom Beklag­ten mit Teil­an­er­kennt­nis mit Schrift­satz vom 22. Januar 2009 zuer­kann­ten GdB von 40 den begehr­ten GdB von 50 bean­spru­chen.

Unter Zugrun­de­le­gung der dar­ge­leg­ten Bewer­tungs­grund­sät­ze ist die Funk­ti­ons­be­ein­träch­ti­gung des Klä­gers durch Dia­be­tes mel­li­tus zur Über­zeu­gung des Senats mit einem Einzel-GdB von (jeden­falls) 40 zu bewer­ten. Die Zucker­krank­heit des Klä­gers wird seit Juni 2004 und somit auch im streit­be­fan­ge­nen Zeit­raum ab 15. Januar 2008 mit Insu­lin in Kom­bi­na­ti­on mit ande­ren Blut­zu­cker sen­ken­den Medi­ka­men­ten behan­delt. Der Kläger muss 4 x täg­lich Insu­lin sprit­zen und seinen Blut­zu­cker kon­trol­lie­ren und betä­tigt sich seinen eige­nen Anga­ben zufol­ge zur The­ra­pie der Dia­be­tes­er­kran­kung kör­per­lich durch Spa­zier­gän­ge, leich­tes Rad­fah­ren, gym­nas­ti­sche Übun­gen daheim und am Arbeits­platz sowie durch Gar­ten­ar­beit. Die Umstän­de der Ver­ab­rei­chung von Insu­lin und die Blut­zu­cker­kon­trol­le wie auch der dar­ge­leg­te The­ra­pie­auf­wand durch kör­per­li­che Betä­ti­gung ist vor­lie­gend für sich genom­men noch nicht geeig­net einen höhe­ren Einzel-GdB als 30 zu begrün­den. Die Annah­me eines Einzel-GdB von 40 recht­fer­tigt sich aber aus der akten­kun­di­gen Stoff­wech­sel­la­ge, die als insta­bil zu bewer­ten ist. Die Sach­ver­stän­di­ge hat in ihrem Gut­ach­ten vom 4. Juli 2007 neben einem befrie­digt ein­ge­stell­ten Dia­be­tes mel­li­tus ohne ‑wesent­li­che- Hypo­glok­ämie auf schwan­ken­de Lang­zeit­blut­zu­cker­wer­te (Hba1c) ver­wie­sen und damit das Auf­tre­ten von Hypo­glok­ämien an sich bejaht. Die Begut­ach­tung durch die Sach­ver­stän­di­ge ist zwar ange­sichts der Beschrän­kung der Beru­fung etwa ein halbes Jahr vor dem noch streit­be­fan­ge­nen Zeit­raum erfolgt, berück­sich­tigt jedoch bereits die Umstel­lung des Klä­gers auf eine Insu­lin­the­ra­pie. Nach den akten­kun­di­gen ärzt­li­chen Unter­la­gen ist über­dies auch für die Fol­ge­zeit mit einem Hba1c zwi­schen 6,4 und 8,2 keine sta­bi­le Stoff­wech­sel­la­ge belegt, so dass nach Über­zeu­gung des Senats ab 15. Januar 2008 wei­ter­hin von einer mäßig schwan­ken­den Stoff­wech­sel­la­ge aus­zu­ge­hen ist, zumal es auch nach den Anga­ben von Dr. Krüger im Befund­be­richt vom 13. Novem­ber 2009 betref­fend den Behand­lungs­zeit­raum ab März 2008 immer wieder zu Hypo­glok­ämien gekom­men ist. Dies wird zudem durch den ärzt­li­chen Ent­las­sungs­be­richt vom 17. Dezem­ber 2008 hin­sicht­lich einer vom Kläger in der Zeit vom 12. Novem­ber bis 3. Dezem­ber 2008 absol­vier­ten Reha-Maß­nah­me bestä­tigt, in dem auf zwei bis vier monat­li­che Hypo­glok­ämien ver­wie­sen wird. Dar­über hinaus hat der Kläger für Juni und Novem­ber 2010 sogar Hypo­glok­ämien belegt, die jeweils einen Not­arzt­ein­satz erfor­der­lich gemacht haben. Ob und in wel­chem Umfang der Kläger im streit­be­fan­ge­nen Zeit­raum ab 15. Januar 2008 ggf. häu­fi­ge, aus­ge­präg­te oder schwe­re Hypo­glyk­ämien erlit­ten, die GdB erhö­hend zu berück­sich­ti­gen wären, kann vor­lie­gend dahin­ste­hen. Denn unter Berück­sich­ti­gung der vor­be­schrie­ben­den Ein­stel­lungs­qua­li­tät ist zur Über­zeu­gung des Senats jeden­falls von keiner sta­bi­len Stoff­wech­sel­la­ge aus­zu­ge­hen, son­dern eine mäßig schwan­ken­de Stoff­wech­sel­la­ge anzu­neh­men, so dass nach den oben dar­ge­stell­ten Tabel­len­wer­ten für die Funk­ti­ons­be­ein­träch­ti­gung des Klä­gers durch den Dia­be­tes mel­li­tus für den streit­be­fan­ge­nen Zeit­raum ab 15. Januar 2008 durch­ge­hend (jeden­falls) ein Einzel-GdB von 40 anzu­set­zen ist.

Aus­ge­hend von der Bewer­tung der Funk­ti­ons­be­ein­träch­ti­gung durch Dia­be­tes mel­li­tus mit einem Einzel-GdB von 40 ergibt sich bereits unter Berück­sich­ti­gung der vom Beklag­ten für die wei­te­ren beim Kläger ab 15. Januar 2008 aner­kann­ten Beein­träch­ti­gun­gen durch Funk­ti­ons­be­hin­de­run­gen im Bereich der Wir­bel­säu­le mit einem Einzel-GdB von 30 und Funk­ti­ons­be­hin­de­run­gen durch Blut­hoch­druck, Herz­rhyth­mus­stö­run­gen, abge­lau­fe­ner Herz­in­farkt, Herz­schritt­ma­cher und chro­ni­sche Magen­schleim­haut­ent­zün­dung, Reflux­krank­heit der Spei­se­röh­re jeweils mit einem Einzel-GdB von 10 der im hie­si­gen Ver­fah­ren begehr­te Gesamt-GdB von 50.

Liegen – wie hier – meh­re­re Beein­träch­ti­gun­gen am Leben in der Gesell­schaft vor, ist der GdB gemäß § 69 Abs. 3 SGB IX nach den Aus­wir­kun­gen der Beein­träch­ti­gun­gen in ihrer Gesamt­heit unter Berück­sich­ti­gung ihrer wech­sel­sei­ti­gen Bezie­hun­gen fest­zu­stel­len. Nach § 19 Abs. 3 der AHP bzw. Teil A Nr. 3 c der Anlage zur Vers­MedV ist bei der Beur­tei­lung des Gesamt-GdB von der Funk­ti­ons­stö­rung aus­zu­ge­hen, die den höchs­ten Einzel-GdB bedingt und dann im Hin­blick auf alle wei­te­ren Funk­ti­ons­be­ein­träch­ti­gun­gen zu prüfen, ob und inwie­weit hier­durch das Ausmaß der Behin­de­rung größer wird, wobei leich­te Gesund­heits­stö­run­gen, die nur einen GdB von 10 bedin­gen nach § 19 Abs. 3 der AHP bzw. Teil A Nr. 3 d der Anlage zu § 2 Vers­MedV nicht zu einer Zunah­me des Aus­ma­ßes der Gesamt­be­ein­träch­ti­gung führen. Bei Zugrun­de­le­gung eines Einzel-GdB für den Dia­be­tes mel­li­tus als füh­ren­des Leiden von 40 und einem Einzel-GdB für den Kom­plex der Beein­träch­ti­gung der Wir­bel­säu­le von 30 ergibt sich der vom Kläger begehr­te Gesamt-GdB von 50.

Bei dieser Sach­la­ge kann dahin­ste­hen, ob für den streit­be­fan­ge­nen Zeit­raum ab 15. Januar 2008 der vom Beklag­ten mit einem Einzel-GdB von 30 ange­setz­te Kom­plex der Beein­träch­ti­gun­gen der Wir­bel­säu­le wie auch die wei­te­ren vom Beklag­ten jeweils mit einem Einzel-GdB von 10 berück­sich­tig­ten Funk­ti­ons­be­ein­träch­ti­gun­gen (noch) hin­rei­chend bemes­sen sind und ob dar­über hinaus ferner ange­sichts der gel­tend gemach­ten wei­te­ren Ver­schlech­te­rung des Gesund­heits­zu­stan­des ggf. wei­te­re bis­lang nicht aner­kann­te Funk­ti­ons­be­ein­träch­ti­gun­gen zu berück­sich­ti­gen wären.

Die Kos­ten­ent­schei­dung beruht auf § 193 SGG und ent­spricht dem Aus­gang des Ver­fah­rens in der Sache selbst. Inso­weit war neben dem Teil­an­er­kennt­nis des Beklag­ten mit Schrift­satz vom 22. Januar 2009 als Reak­ti­on auf den sich im Ver­lauf des Ver­fah­rens ver­schlech­ter­ten Gesund­heits­zu­stan­des des Klä­gers zu berück­sich­ti­gen, dass der Kläger sein ursprüng­li­ches Begeh­ren auf Gewäh­rung eines GdB von 50 für die Zeit vom 15. Juli 2004 bis 14. Januar 2008 auf einen ent­spre­chen­den gericht­li­chen Hin­weis im Termin zur münd­li­chen Ver­hand­lung am 10. August 2011 zwar nicht weiter ver­folgt hat, jedoch die Klage auch inso­weit teil­wei­se hin­rei­chen­de Aus­sicht auf Erfolg gebo­ten hätte, als dass dem Kläger für diesen Zeit­raum ein Gesamt-GdB von 40 statt der zuer­kann­ten 30 zuge­stan­den hätte. Nach Auf­fas­sung des Senats wäre ange­sichts der im Juni 2004 erfolg­ten Umstel­lung auf eine Insu­lin­the­ra­pie und einer mäßig schwan­ken­den Stoff­wech­sel­la­ge auch für die Zeit vor dem 15. Januar 2008 ein Einzel-GdB für den Dia­be­tes mel­li­tus von 40 anzu­set­zen, so dass sich unter Berück­sich­ti­gung der wei­te­ren vom Beklag­ten inso­weit ange­setz­ten Beein­träch­ti­gun­gen, ins­be­son­de­re der Funk­ti­ons­be­hin­de­run­gen für den Kom­plex der Wir­bel­säu­le mit einem Einzel-GdB von 20 ein Gesamt-GdB von 40 erge­ben hätte.

Die Revi­si­on war man­gels Vor­lie­gen der Vor­aus­set­zun­gen von § 160 Abs. 2 SGG nicht zuzu­las­sen.