Der 1. Senat des Bun­des­so­zi­al­ge­richts hat auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 4. April 2006

für Recht erkannt:

Auf die Revi­si­on der Klä­ge­rin werden die Urtei­le des Lan­des­so­zi­al­ge­richts Ham­burg vom 15. Dezem­ber 2004 und des Sozi­al­ge­richts Ham­burg vom 17. Mai 2004 sowie der Bescheid der Beklag­ten vom 10. Sep­tem­ber 2002 in der Gestalt des Wider­spruchs­be­scheids vom 12. Febru­ar 2003 geän­dert.

Die Beklag­te wird ver­ur­teilt, an die Klä­ge­rin 8.284,59 Euro zu zahlen.

Die Beklag­te hat der Klä­ge­rin ihre außer­ge­richt­li­chen Kosten in allen Rechts­zü­gen zu erstat­ten.

Gründe:

I

Die Betei­lig­ten strei­ten über die Kos­ten­er­stat­tung für ein aus Kanada beschaff­tes che­mo­the­ra­peu­ti­sches Fer­tig­arz­nei­mit­tel.

Der 1947 gebo­re­nen, bei der beklag­ten Kran­ken­kas­se ver­si­cher­ten Klä­ge­rin wurde im Juni 2002 ein Zoe­kum­kar­zi­nom (Tumor im Über­gangs­be­reich des Dick­darms zum Dünn­darm) des Sta­di­ums III (Dukes C, pT3, pN2, pMx) ope­ra­tiv ent­fernt (T3 bezeich­net die Größe des Tumors ; N2 weist darauf hin, dass nahe und weiter ent­fern­te Lymph­kno­ten befal­len waren; Mx bezeich­net einen unkla­ren Meta­sta­sen­sta­tus); im Rahmen der fol­gen­den Behand­lung wurden Meta­sta­sen nach­ge­wie­sen. Im Anschluss an die Ope­ra­ti­on erhielt die Klä­ge­rin zunächst ent­spre­chend all­ge­mein aner­kann­tem Stan­dard eine unter­stüt­zen­de (adju­van­te) Che­mo­the­ra­pie mit dem Wirk­stoff 5‑Fluorouracil (5‑FU). Nach der drit­ten Ver­ab­rei­chung traten bei ihr koro­nar­spas­ti­sche Neben­wir­kun­gen (Prinz­me­tal-Angina) auf, die zur Abset­zung der The­ra­pie mit 5‑FU führ­ten. Der behan­deln­de Onko­lo­ge Dr. H. bean­trag­te für die Klä­ge­rin dar­auf­hin am 8. August 2002 bei der Beklag­ten die “umge­hen­de Geneh­mi­gung” der Behand­lung der Klä­ge­rin mit dem Fer­tig­arz­nei­mit­tel Tomu­dex® (Wirk­stoff Ral­ti­tre­x­ed) in einem indi­vi­du­el­len Heil­ver­such; inter­na­tio­na­le Publi­ka­tio­nen beleg­ten für den spe­zi­el­len Behand­lungs­fall Wirk­sam­keit und Nutzen einer sol­chen The­ra­pie, für die es aktu­ell keine gleich­wer­ti­ge Alter­na­ti­ve gebe. Er bat um Ent­schei­dung binnen einer Woche, da der Krank­heits­ver­lauf keinen Auf­schub dulde und der Ver­zicht auf die Behand­lung vor­aus­sicht­lich einen erheb­li­chen Nach­teil dar­stel­le sowie die vor­zei­ti­ge Ent­wick­lung gra­vie­ren­der Folgen wahr­schein­lich mache. Tomu­dex® ist arz­nei­mit­tel­recht­lich zwar in Kanada, aber weder in Deutsch­land noch EU-weit (auch nicht in den USA) zuge­las­sen. Nach Mit­tei­lung des Her­stel­lers wurden aller­dings zwi­schen 1995 und 1998 Zulas­sun­gen zB in Bel­gi­en, Frank­reich, Irland, Ita­li­en, Luxem­burg, den Nie­der­lan­den, Nor­we­gen, Spa­ni­en, Öster­reich und der Schweiz erteilt.

Vom 19. August 2002 bis 24. Febru­ar 2003 wurde die Klä­ge­rin mit neun Ein­hei­ten Tomu­dex® behan­delt; beschafft wurde das Arz­nei­mit­tel über eine deut­sche Apo­the­ke, die es aus Kanada impor­tier­te. Dr. H. , der inso­weit Pri­vat­re­zep­te aus­ge­stellt hatte, legte zur Bekräf­ti­gung seiner Ansicht Schrei­ben der Onko­lo­gen Prof. Dr. Köhne (Uni­ver­si­tät Dres­den) und Prof. Dr. Schmoll (Deut­sche Krebs­ge­sell­schaft e.V.; Uni­ver­si­tät Halle) vor, die — unter Hin­weis auf eine medi­zi­ni­sche Fach­ver­öf­fent­li­chung — Tomu­dex® bei kar­dio­to­xi­schen Neben­wir­kun­gen von 5‑FU für die ein­zi­ge Behand­lungs­al­ter­na­ti­ve hiel­ten; ein kom­plet­tes Abset­zen der beglei­ten­den Che­mo­the­ra­pie schei­de aus, da dann die Über­le­bens­chan­ce um 33 % gemin­dert werde.

Nach Ein­schal­tung des Medi­zi­ni­schen Diens­tes der Kran­ken­ver­si­che­rung (MDK) und Ein­ho­lung von Infor­ma­tio­nen bei der Her­stel­ler­fir­ma von Tomu­dex® lehnte die Beklag­te die Kos­ten­über­nah­me wegen der in Deutsch­land feh­len­den arz­nei­mit­tel­recht­li­chen Zulas­sung ab. Die Recht­spre­chung des Bun­des­so­zi­al­ge­richts (BSG) zum Off-Label-Use könne nicht ange­wandt werden, weil es keine ver­läss­li­chen Daten zur Anwen­dung von Tomu­dex® bei der adju­van­ten Che­mo­the­ra­pie gebe und Hin­wei­se auf eine erhöh­te Zahl von the­ra­pie­be­ding­ten Todes­fäl­len gegen­über der Stan­dard­the­ra­pie mit 5‑FU bestün­den. Im Übri­gen liege nach § 29 Bun­des­man­tel­ver­trag-Ärzte die Ver­ord­nung von Arz­nei­mit­teln in der Ver­ant­wor­tung des Ver­trags­arz­tes, sodass es einer Geneh­mi­gung der Kran­ken­kas­se nicht bedür­fe (Bescheid vom 10. Sep­tem­ber 2002; Wider­spruchs­be­scheid vom 12. Febru­ar 2003).

Die anschlie­ßen­de Klage ist in den Vor­in­stan­zen ohne Erfolg geblie­ben. Das Lan­des­so­zi­al­ge­richt (LSG) hat die von der Klä­ge­rin gegen das sozi­al­ge­richt­li­che Urteil vom 17. Mai 2004 ein­ge­leg­te Beru­fung zurück­ge­wie­sen: Vor­aus­set­zung für den Anspruch auf Ver­sor­gung mit Arz­nei­mit­teln sei die Zulas­sung des betref­fen­den Mit­tels in Deutsch­land bzw EU-weit, die für Tomu­dex® fehle. Nach der Recht­spre­chung des 1. Senats des BSG seien die Grund­sät­ze für den Off-Label-Gebrauch von Arz­nei­mit­teln zu Lasten der gesetz­li­chen Kran­ken­ver­si­che­rung (GKV) in sol­chen Fällen nicht anzu­wen­den. Bei der Klä­ge­rin liege auch keine extrem sel­te­ne Krank­heit vor, denn obwohl kar­dio­to­xi­sche Neben­wir­kun­gen von 5‑FU selten auf­trä­ten, sei die Grund­er­kran­kung aus­rei­chend erforscht und sys­te­ma­tisch zu behan­deln. Dar­über hinaus fehl­ten grund­sätz­li­che Erkennt­nis­se, dass die Behand­lung mit Tomu­dex® weni­ger Neben­wir­kun­gen mit sich bringe als die­je­ni­ge mit 5‑FU. Aus der Recht­spre­chung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts (BVerfG) folge eben­falls keine Leis­tungs­pflicht der Beklag­ten (Urteil vom 15. Dezem­ber 2004).

Mit ihrer Revi­si­on rügt die Klä­ge­rin sinn­ge­mäß die Ver­let­zung von § 13 Abs 3, § 27 Abs 1 und § 31 Abs 1 Fünf­tes Buch Sozi­al­ge­setz­buch (SGB V) durch das LSG. Sie meint, der Behand­lungs­er­folg habe ihr Recht gege­ben, denn weder seien unter Tomu­dex® Neben­wir­kun­gen auf­ge­tre­ten noch seien bis dato wieder Tumor­zel­len nach­ge­wie­sen worden. Sie leide an einer lebens­be­droh­li­chen bzw ihre Lebens­qua­li­tät nach­hal­tig beein­träch­ti­gen­den Krank­heit, ohne dass es zur The­ra­pie mit Tomu­dex® eine Alter­na­ti­ve gebe. Auf Grund der Zulas­sung des Mit­tels in ande­ren Staa­ten bestehe Erfolg­aus­sicht auf wis­sen­schaft­li­cher Basis. Nach der bereits im Ver­wal­tungs­ver­fah­ren ein­ge­reich­ten Studie von Prof. Dr. Köhne ua (Bri­tish Jour­nal of Cancer 1998 <77>, 973) gebe es außer­dem Hin­wei­se, dass mit Tomu­dex® kar­dio­to­xi­sche Neben­wir­kun­gen ver­mie­den werden könn­ten, was sich bei ihr bestä­tigt habe; seine Ver­öf­fent­li­chung belege die Ein­zig­ar­tig­keit der Kom­pli­ka­ti­on. Die Gefahr eines Miss­brauchs bei einem Ein­zel­im­port des Arz­nei­mit­tels nach § 73 Abs 3 Arz­nei­mit­tel­ge­setz (AMG) bestehe nicht, da kar­dio­lo­gi­sche Neben­wir­kun­gen von 5‑FU aus­ge­spro­chen selten seien.

Die Klä­ge­rin bean­tragt, die Urtei­le des Lan­des­so­zi­al­ge­richts Ham­burg vom 15. Dezem­ber 2004 und des Sozi­al­ge­richts Ham­burg vom 17. Mai 2004 sowie den Bescheid der Beklag­ten vom 10. Sep­tem­ber 2002 in Gestalt des Wider­spruchs­be­scheids vom 12. Febru­ar 2003 auf­zu­he­ben und die Beklag­te zu ver­ur­tei­len, ihr 8.284,59 Euro zu zahlen.

Die Beklag­te bean­tragt, die Revi­si­on zurück­zu­wei­sen.

Sie hält das LSG-Urteil für zutref­fend.

Der Senat hat beim Her­stel­ler von Tomu­dex® Aus­künf­te über den Zulas­sungs­sta­tus des Mit­tels ein­ge­holt sowie dessen tech­ni­sche Mono­gra­phie (Tech­ni­cal Mono­graph Inter­na­tio­nal Edi­ti­on, August 2000) bei­gezo­gen. Der Senat hat den Betei­lig­ten ferner Fragen zum Sach­ver­halt vor­ge­legt, die im Vor­feld der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 4. April 2006 bzw in der Ver­hand­lung beant­wor­tet und unstrei­tig gestellt worden sind.

II

Die zuläs­si­ge Revi­si­on der Klä­ge­rin ist begrün­det. Die Urtei­le der Vor­in­stan­zen und die ableh­nen­den Beschei­de der Beklag­ten sind zu ändern. Die Klä­ge­rin hat gegen die Beklag­te Anspruch auf Erstat­tung des begehr­ten Betra­ges von (noch) 8.284,59 Euro.

1. Rechts­grund­la­ge für die Erstat­tung der Kosten für das vom 19. August 2002 bis 24. Febru­ar 2003 auf ärzt­li­ches Pri­vat­re­zept von der Klä­ge­rin selbst beschaff­te Fer­tig­arz­nei­mit­tel Tomu­dex® ist § 13 Abs 3 Satz 1 Alt 1 SGB V (hier anzu­wen­den in der seit 1. Juli 2001 gel­ten­den Fas­sung von Art 5 Nr 7 Buchst b Neun­tes Buch Sozi­al­ge­setz­buch — Reha­bi­li­ta­ti­on und Teil­ha­be behin­der­ter Men­schen vom 19. Juni 2001, BGBl I 1046). Danach ist eine Kran­ken­kas­se zur Kos­ten­er­stat­tung ver­pflich­tet, wenn sie eine unauf­schieb­ba­re Leis­tung nicht recht­zei­tig erbrin­gen konnte und dem Ver­si­cher­ten dadurch für die selbst­be­schaff­te Leis­tung Kosten ent­stan­den sind. Diese Vor­aus­set­zun­gen sind erfüllt.

a) Der Klä­ge­rin war es ange­sichts der Gesamt­um­stän­de nicht zumut­bar, mit dem Beginn der Behand­lung bis zu einer Ent­schei­dung der Beklag­ten zu warten. Die Behand­lung war daher iS von § 13 Abs 3 Satz 1 Alt 1 SGB V unauf­schieb­bar. Die bean­trag­te Leis­tung war im Zeit­punkt ihrer tat­säch­li­chen Erbrin­gung so dring­lich, dass aus medi­zi­ni­scher Sicht keine Mög­lich­keit eines nen­nens­wer­ten Auf­schu­bes mehr bestand (vgl BSG SozR 3–2500 § 13 Nr 22 S 105; BSGE 73, 271, 287 = SozR 3–2500 § 13 Nr 4 S 26). Die Che­mo­the­ra­pie der Klä­ge­rin musste ohne län­ge­re Pause schnells­tens wei­ter­ge­führt werden, um den ange­streb­ten Behand­lungs­er­folg nicht zu gefähr­den und die gute Chance auf ein Über­le­ben trotz des fort­ge­schrit­te­nen Sta­di­ums des Tumors zu erhal­ten.

b) Tomu­dex® musste der Klä­ge­rin von der Beklag­ten aus­nahms­wei­se als Leis­tung der GKV gewährt werden.

Der nach § 13 Abs 3 SGB V in Betracht kom­men­de Kos­ten­er­stat­tungs­an­spruch reicht nicht weiter als ein ent­spre­chen­der Sach­leis­tungs­an­spruch des Ver­si­cher­ten gegen seine Kran­ken­kas­se. Er setzt daher im Regel­fall voraus, dass die selbst­be­schaff­te Behand­lung zu den Leis­tun­gen gehört, welche die Kran­ken­kas­sen all­ge­mein in Natur als Sach- oder Dienst­leis­tung zu erbrin­gen haben (stRspr, vgl zB BSGE 79, 125, 126 f = SozR 3–2500 § 13 Nr 11 S 51 f mwN; BSGE 93, 236 = SozR 4–2500 § 27 Nr 1, jeweils RdNr 10 — Visu­dy­ne®; BSG SozR 4–2500 § 27a Nr 1 RdNr 3 — ICSI; zuletzt: Senats­ur­teil vom 27. Sep­tem­ber 2005 — B 1 KR 28/03 R extra­kor­po­ra­le Stoß­wel­len­the­ra­pie). Dies ist bei dem Arz­nei­mit­tel Tomu­dex® im Grund­satz nicht der Fall. Denn Fer­tig­arz­nei­mit­tel sind man­gels Zweck­mä­ßig­keit und Wirt­schaft­lich­keit (§ 2 Abs 1 Satz 1, § 12 Abs 1 SGB V) nicht von der Leis­tungs­pflicht der GKV nach § 27 Abs 1 Satz 2 Nr 1 und 3, § 31 Abs 1 Satz 1 SGB V umfasst, wenn ihnen die erfor­der­li­che (§ 21 Abs 1 AMG) arz­nei­mit­tel­recht­li­che Zulas­sung fehlt (vgl Senats­ur­teil vom 4. April 2006 — B 1 KR 12/04 R — D‑Ribose, RdNr 22 mwN, zur Ver­öf­fent­li­chung vor­ge­se­hen).

Für das zulas­sungs­pflich­ti­ge Tomu­dex® lag weder in Deutsch­land noch EU-weit eine solche Arz­nei­mit­tel­zu­las­sung vor. Die in ein­zel­nen EU-Staa­ten und der Schweiz beschränkt auf diese Staa­ten erteil­te Arz­nei­mit­tel­zu­las­sung von Tomu­dex® ent­fal­te­te nicht zugleich auch ent­spre­chen­de Rechts­wir­kun­gen für Deutsch­land; denn weder das deut­sche Recht noch das Euro­pa­recht sehen eine solche Erwei­te­rung der Rechts­wir­kun­gen der nur von natio­na­len Behör­den erteil­ten Zulas­sun­gen ohne ein ent­spre­chend vom Her­stel­ler ein­ge­lei­te­tes sowie posi­tiv beschie­de­nes Antrags­ver­fah­ren vor (vgl im Ein­zel­nen BSGE 93, 1 = SozR 4–2500 § 31 Nr 1, jeweils Leit­satz und RdNr 11 ff — Immu­co­thel®). Damit kam man­gels Zulas­sung von Tomu­dex® seine zulas­sungs­über­schrei­ten­de Anwen­dung (vgl dazu BSGE 89, 184 ff = SozR 3–2500 § 31 Nr 8 — San­do­glo­bu­lin®) eben­falls von vorn­her­ein nicht in Betracht (BSGE 93, 1 = SozR aaO, jeweils RdNr 22).

c) Die ein­schlä­gi­gen Rege­lun­gen des Leis­tungs­rechts der GKV zur Arz­nei­mit­tel­ver­sor­gung bedür­fen jedoch in Fällen der vor­lie­gen­den Art auf Grund des Beschlus­ses des BVerfG vom 6. Dezem­ber 2005 (1 BvR 347/98 — SozR 4–2500 § 27 Nr 5 = NZS 2006, 84 = NJW 2006, 891 = MedR 2006, 164 — immun­bio­lo­gi­sche The­ra­pie) auch im Arz­nei­mit­tel­be­reich (dazu unter 2.) einer weiter gehen­den ver­fas­sungs­kon­for­men Aus­le­gung. Diese Aus­le­gung hat zur Folge, dass die Anspruchs­vor­aus­set­zun­gen von § 27 Abs 1 Satz 2 Nr 3 und § 31 Abs 1 Satz 1 SGB V in Fällen wie dem der Klä­ge­rin aus­nahms­wei­se bejaht werden müssen. Die Klä­ge­rin litt an einer lebens­be­droh­li­chen Erkran­kung, bei der die Anwen­dung der übli­chen Stan­dard-Behand­lung mit 5‑FU aus medi­zi­ni­schen Grün­den aus­schied und andere Behand­lungs­mög­lich­kei­ten nicht zur Ver­fü­gung stan­den. Der Ver­trags­arzt Dr. H. durfte daher in diesem medi­zi­nisch begrün­de­ten Ein­zel­fall Tomu­dex® aus­nahms­wei­se auf Kosten der Beklag­ten ver­ord­nen, obwohl das Mittel bloß gemäß § 73 Abs 3 AMG im Wege des Ein­zel­im­ports über eine Apo­the­ke aus Kanada beschafft und des­halb an sich von der Ver­sor­gung aus­ge­schlos­sen war (vgl oben 1.b).

Die Behand­lung war bei der Klä­ge­rin “not­wen­dig” iS von § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V, um die Ver­schlim­me­rung ihrer Krank­heit zu ver­hü­ten.

2. Die vom BVerfG zum Anspruch von Ver­si­cher­ten auf ärzt­li­che Behand­lung mit nicht all­ge­mein aner­kann­ten Metho­den im Beschluss vom 6. Dezem­ber 2005 (1 BvR 347/98, aaO) ent­wi­ckel­ten Grund­sät­ze gelten sinn­ge­mäß auch im Bereich der Ver­sor­gung mit Arz­nei­mit­teln.

a) Das BVerfG hat in dem genann­ten Beschluss zu einer ärzt­li­chen Behand­lungs­me­tho­de das Urteil des Senats vom 16. Sep­tem­ber 1997 (BSGE 81, 54 = SozR 3–2500 § 135 Nr 4) auf­ge­ho­ben und ent­schie­den, dass es mit den Grund­rech­ten aus Art 2 Abs 1 in Ver­bin­dung mit dem Sozi­al­staats­prin­zip und aus Art 2 Abs 2 Satz 1 Grund­ge­setz nicht ver­ein­bar ist, einen gesetz­lich Kran­ken­ver­si­cher­ten, für dessen lebens­be­droh­li­che oder regel­mä­ßig töd­li­che Erkran­kung eine all­ge­mein aner­kann­te, medi­zi­ni­schem Stan­dard ent­spre­chen­de Behand­lung nicht zur Ver­fü­gung steht, gene­rell von der Gewäh­rung einer von ihm gewähl­ten, ärzt­lich ange­wand­ten Behand­lungs­me­tho­de aus­zu­schlie­ßen, wenn eine nicht ganz ent­fernt lie­gen­de Aus­sicht auf Hei­lung oder auf eine spür­ba­re posi­ti­ve Ein­wir­kung auf den Krank­heits­ver­lauf besteht. Der Beschluss bean­stan­det inso­weit eine ver­fas­sungs­wid­ri­ge Aus­le­gung im Grund­satz ver­fas­sungs­ge­mä­ßer Vor­schrif­ten des SGB V durch das BSG.

Eine Leis­tungs­ver­wei­ge­rung der Kran­ken­kas­se unter Beru­fung darauf, eine bestimm­te neue ärzt­li­che Behand­lungs­me­tho­de sei im Rahmen der GKV aus­ge­schlos­sen, weil der zustän­di­ge Gemein­sa­me Bun­des­aus­schuss (G‑BA, vgl § 91 SGB V) diese noch nicht aner­kannt oder sie sich zumin­dest in der Praxis und in der medi­zi­ni­schen Fach­dis­kus­si­on noch nicht durch­ge­setzt hat (zusam­men­fas­send BSGE 94, 221 RdNr 23 = SozR 4–2400 § 89 Nr 3 RdNr 24 mwN), ver­stößt nach dieser Recht­spre­chung des BVerfG gegen das Grund­ge­setz, wenn fol­gen­de drei Vor­aus­set­zun­gen kumu­la­tiv erfüllt sind:

- Es liegt eine lebens­be­droh­li­che oder regel­mä­ßig töd­lich ver­lau­fen­de Erkran­kung vor (dazu unter 4.a).
— Bezüg­lich dieser Krank­heit steht eine all­ge­mein aner­kann­te, medi­zi­ni­schem Stan­dard ent­spre­chen­de Behand­lung nicht zur Ver­fü­gung (dazu unter 4.b).
— Bezüg­lich der beim Ver­si­cher­ten ärzt­lich ange­wand­ten (neuen, nicht all­ge­mein aner­kann­ten) Behand­lungs­me­tho­de besteht eine “auf Indi­zi­en gestütz­te” nicht ganz fern lie­gen­de Aus­sicht auf Hei­lung oder wenigs­tens auf eine spür­ba­re posi­ti­ve Ein­wir­kung auf den Krank­heits­ver­lauf (BVerfG, aaO, RdNr 64 = SozR, aaO, RdNr 33; dazu unter 9.).

b) Sach­li­che Gründe dafür, bei Vor­lie­gen der oben genann­ten Vor­aus­set­zun­gen danach zu dif­fe­ren­zie­ren, ob der kran­ken­ver­si­che­rungs­recht­li­che Anspruch des Ver­si­cher­ten auf eine bestimm­te Art der ärzt­li­chen Behand­lung oder auf die Ver­sor­gung mit einem Arz­nei­mit­tel gerich­tet ist, sind nicht ersicht­lich, weil die ver­fas­sungs­recht­li­che Pro­ble­ma­tik sich unab­hän­gig davon stellt, welche kon­kre­te Leis­tungs­art des SGB V im Streit ist. Dies wird im Übri­gen dadurch bestä­tigt, dass das BVerfG in seinem Beschluss vom 6. Dezem­ber 2005 in zustim­men­der Weise das Urteil des 1. Senats des BSG vom 19. Okto­ber 2004 (BSGE 93, 236 = SozR 4–2500 § 27 Nr 1 — Visu­dy­ne®) zitiert hat (aaO, RdNr 67 = SozR, aaO, RdNr 36), bei dem es — wie im vor­lie­gen­den Fall (auch) um die Anwen­dung eines Fer­tig­arz­nei­mit­tels gegan­gen war. In diesem Urteil hat der erken­nen­de Senat bereits selbst auf die Not­wen­dig­keit hin­ge­wie­sen, dass Maß­nah­men zur Behand­lung einer Krank­heit, die so selten auf­tritt, dass ihre sys­te­ma­ti­sche Erfor­schung prak­tisch aus­schei­det, vom Leis­tungs­um­fang der GKV nicht allein des­halb aus­ge­schlos­sen sind, weil das bei der Behand­lung ver­wen­de­te, in Deutsch­land nicht zuge­las­se­ne Arz­nei­mit­tel im Ein­zel­fall aus dem Aus­land beschafft werden muss. Der erken­nen­de Senat über­trägt daher die vom BVerfG zum Anspruch von Ver­si­cher­ten auf ärzt­li­che Behand­lung mit nicht all­ge­mein aner­kann­ten Metho­den ent­wi­ckel­ten Grund­sät­ze sinn­ge­mäß auch auf den Bereich der Ver­sor­gung mit Arz­nei­mit­teln.

3. Bei der sinn­ge­mä­ßen Über­tra­gung der vom BVerfG ent­wi­ckel­ten Grund­sät­ze auf den Arz­nei­mit­tel­be­reich ist aller­dings eine ver­fas­sungs­kon­for­me Aus­le­gung nur der­je­ni­gen Normen des SGB V gebo­ten, die einem ver­fas­sungs­recht­lich begrün­de­ten Anspruch auf Arz­nei­mit­tel­ver­sor­gung ent­ge­gen­ste­hen. Dage­gen bleibt die Prü­fung der all­ge­mei­nen Vor­aus­set­zun­gen des SGB V für einen Leis­tungs­an­spruch auch unter Berück­sich­ti­gung der Ver­fas­sungs­mä­ßig­keit eines abge­schlos­se­nen Leis­tungs­ka­ta­logs der GKV-Leis­tun­gen (vgl dazu Senats­ur­teil vom 4. April 2006 — B 1 KR 12/04 R — D‑Ribose, RdNr 28 ff mwN, zur Ver­öf­fent­li­chung vor­ge­se­hen) unbe­rührt (vgl dazu 5.).

Die vom BVerfG ent­wi­ckel­ten Maß­stä­be auf den Bereich der Arz­nei­mit­tel­ver­sor­gung anzu­wen­den bedeu­tet auch, zu berück­sich­ti­gen, dass die ver­fas­sungs­recht­li­chen Schutz­pflich­ten den Leis­tungs­an­sprü­chen Ver­si­cher­ter selbst im Falle regel­mä­ßig töd­lich ver­lau­fen­der Krank­hei­ten Gren­zen setzen. Das hat das BVerfG betont, indem es in seinem Beschluss vom 6. Dezem­ber 2005 (aaO RdNr 57 bzw SozR, aaO, RdNr 26) her­aus­ge­stellt hat, dass es mit der Ver­fas­sung in Ein­klang steht, die Kon­kre­ti­sie­rung der Leis­tun­gen vor allem den Ärzten vor­zu­be­hal­ten (§ 15 Abs 1 SGB V), und dass dem­entspre­chend gerade die ärzt­li­che Ein­schät­zung der Behand­lungs­chan­cen maß­geb­lich ist. Damit bezieht es in einem umfas­sen­den Sinne die Regeln der ärzt­li­chen Kunst in die Vor­ga­ben für eine ver­fas­sungs­kon­for­me Aus­le­gung des SGB V mit ein. Dem ent­spricht es, für den Bereich der Arz­nei­mit­tel die spe­zi­fi­schen Siche­run­gen auch des Arz­nei­mit­tel­rechts in den Blick zu nehmen.

a) Der Senat kann bei der Umset­zung des Beschlus­ses des BVerfG vom 6. Dezem­ber 2005 nicht außer Acht lassen, dass die vom BVerfG beton­ten ver­fas­sungs­recht­li­chen Schutz­pflich­ten (aaO, RdNr 65 = SozR, aaO, RdNr 34) nicht nur die leis­tungs­er­wei­tern­de Kon­kre­ti­sie­rung der Leis­tungs­an­sprü­che der Ver­si­cher­ten bestim­men. Diese Schutz­pflich­ten sollen die Ver­si­cher­ten auch davor bewah­ren, auf Kosten der GKV mit zwei­fel­haf­ten The­ra­pien behan­delt zu werden, wenn auf diese Weise eine nahe lie­gen­de, medi­zi­ni­schem Stan­dard ent­spre­chen­de Behand­lung nicht wahr­ge­nom­men wird. Ebenso wenig darf die Recht­spre­chung des BVerfG dazu führen, dass unter Beru­fung auf sie im Ein­zel­fall Rechte begrün­det werden, die bei kon­se­quen­ter Aus­nut­zung durch die Leis­tungs­be­rech­tig­ten insti­tu­tio­nel­le Siche­run­gen aus­he­beln, die der Gesetz­ge­ber gerade im Inter­es­se des Gesund­heits­schut­zes der Ver­si­cher­ten und der Gesamt­be­völ­ke­rung errich­tet hat.

b) Um die Not­wen­dig­keit der Kran­ken­be­hand­lung iS von §§ 27, 31 SGB V mit einem nicht zuge­las­se­nen, aus dem Aus­land impor­tier­ten Arz­nei­mit­tel trotz der Anfor­de­run­gen des § 2 Abs 1 und § 12 Abs 1 SGB V über die bis­he­ri­ge BSG-Recht­spre­chung hinaus beja­hen zu können, müssen daher neben der nach dem BVerfG erfor­der­li­chen Krank­heits­si­tua­ti­on (dazu unter 4.a und 4.b) und den all­ge­mei­nen kran­ken­ver­si­che­rungs­recht­li­chen Erfor­der­nis­sen (dazu 5.) fol­gen­de Vor­aus­set­zun­gen erfüllt sein: ‑Es darf kein Ver­stoß gegen das Arz­nei­mit­tel­recht vor­lie­gen (dazu 6.). ‑Unter Berück­sich­ti­gung des gebo­te­nen Wahr­schein­lich­keits­maß­sta­bes (vgl dazu 7.a) über­wiegt bei der vor der Behand­lung erfor­der­li­chen sowohl abs­trak­ten als auch spe­zi­ell auf den Ver­si­cher­ten bezo­ge­nen kon­kre­ten Ana­ly­se und Abwä­gung von Chan­cen und Risi­ken der vor­aus­sicht­li­che Nutzen (vgl dazu 7.b bis d). ‑Die — in erster Linie fach­ärzt­li­che — Behand­lung muss auch im Übri­gen den Regeln der ärzt­li­chen Kunst ent­spre­chend durch­ge­führt und aus­rei­chend doku­men­tiert werden (dazu unter 8.).

Ist diesen Kri­te­ri­en genügt, bietet die Arz­nei­mit­tel­the­ra­pie im Sinne der Recht­spre­chung des BVerfG hin­rei­chen­de Aus­sicht auf Erfolg (dazu unter 9.). Zusätz­lich muss — im Sinne einer all­ge­mei­nen, aber zweck­mä­ßig erst nach Dar­stel­lung der Nutzen-Risiko-Ana­ly­se zu prü­fen­den Vor­aus­set­zung — sicher­ge­stellt sein, dass der Ver­si­cher­te nach der erfor­der­li­chen ärzt­li­chen Auf­klä­rung aus­drück­lich in die beab­sich­tig­te Behand­lung ein­ge­wil­ligt hat (dazu unter 10.; zum Ganzen ähn­lich in Bezug auf den Behand­lungs­an­spruch des Ver­si­cher­ten all­ge­mein: Francke/Hart, MedR 2006, 131, 133 ff, die eine Lösung aller­dings aus den Grund­sät­zen zum medi­zin- bzw arzt­haf­tungs­recht­li­chen Insti­tut des indi­vi­du­el­len Heil­ver­suchs her­lei­ten, ferner bereits Hart, MedR 1994, 94 ff).

4. Vor­lie­gend han­delt es sich um eine Krank­heits­si­tua­ti­on, für die das BVerfG eine ver­fas­sungs­kon­for­me Aus­le­gung der Vor­schrif­ten des SGB V im oben unter 2. auf­ge­zeig­ten Sinne gefor­dert hat.

a) Die Klä­ge­rin litt (auch) nach der im Juni 2002 durch­ge­führ­ten Ope­ra­ti­on an einer lebens­be­droh­li­chen Erkran­kung. Das bei ihr zunächst ope­ra­tiv und dann che­mo­the­ra­peu­tisch behan­del­te Dick­darm-Kar­zi­nom befand sich nicht mehr im Anfangs­sta­di­um (zu einem sol­chen Fall: Senats­ur­teil vom 4. April 2006 — B 1 KR 12/05 R — inters­ti­ti­el­le Brachy­the­ra­pie mit Per­ma­nent-Seeds bei Pro­sta­ta­kar­zi­nom, zur Ver­öf­fent­li­chung in SozR vor­ge­se­hen), son­dern war bereits min­des­tens bis zum Sta­di­um III gewach­sen. Nach der ope­ra­ti­ven Ent­fer­nung des Tumors und der ver­bun­de­nen Lymph­kno­ten war die sta­tis­ti­sche Über­le­bens­wahr­schein­lich­keit auf Grund des fort­ge­schrit­te­nen Sta­di­ums und der unkla­ren Situa­ti­on in Bezug auf Fern­me­ta­sta­sen erheb­lich her­ab­ge­setzt.

b) Um ent­spre­chend den Zielen der 5‑FU-The­ra­pie die Bil­dung von Fern­me­ta­sta­sen und das Wie­der­auf­tre­ten des Tumors zu ver­hin­dern, stan­den Metho­den, die dem all­ge­mein aner­kann­ten Stand der medi­zi­ni­schen Erkennt­nis­se ent­spra­chen, im Zeit­punkt der Behand­lung im Jahre 2002/2003 nicht zur Ver­fü­gung. Weder gab es inso­weit für die kon­kret erfor­der­li­che Behand­lung ein zuge­las­se­nes Arz­nei­mit­tel noch konnte im Rahmen eines zuläs­si­gen Off-Label-Gebrauchs ein Mittel ein­ge­setzt werden, mit dem mit hin­rei­chen­der Erfolgs­aus­sicht zumin­dest eine Ver­zö­ge­rung des Krank­heits­ver­laufs hätte erreicht werden können. Fälle, in denen über­haupt keine Behand­lungs­me­tho­de zur Ver­fü­gung steht, stehen dabei jenen Fällen gleich, bei denen es zwar grund­sätz­lich eine solche aner­kann­te Metho­de gibt, diese aber bei dem kon­kre­ten Ver­si­cher­ten wegen des Bestehens gra­vie­ren­der gesund­heit­li­cher Risi­ken nicht ange­wandt werden kann (ähn­lich schon zum Anspruch auf Aus­lands­be­hand­lung: BSG SozR 3–2500 § 18 Nr 1 S 2). Letz­te­res ist ins­be­son­de­re dann der Fall, wenn schwer­wie­gen­de Neben­wir­kun­gen (vgl deren Defi­ni­ti­on in Art 1 Nr 11 der “Richt­li­nie 2001/83/EG des Euro­päi­schen Par­la­ments und des Rates vom 6. Novem­ber 2001 zur Schaf­fung eines Gemein­schafts­ko­de­xes für Human­arz­nei­mit­tel”, ABl L 311, S 67) auf­tre­ten, die eine wei­te­re Anwen­dung der Stan­dard-Arz­nei­mit­tel­the­ra­pie aus­schlie­ßen, und auch die Anwen­dung eines (wei­te­ren) ande­ren aner­kann­ten Arz­nei­mit­tels aus­schei­det. Solche Neben­wir­kun­gen erga­ben sich bei der Klä­ge­rin bei der Stan­dard­the­ra­pie mit 5‑FU. Die bei der Klä­ge­rin auf­ge­tre­te­ne Prinz­me­tal-Angina bewirk­te, dass 5‑FU kon­tra­in­di­ziert war und abge­setzt werden musste. Eine andere “schul­mä­ßi­ge” Arz­nei­mit­tel­the­ra­pie stand für ihre Behand­lung eben­falls nicht erkenn­bar zur Ver­fü­gung. Die Mög­lich­keit, die Che­mo­the­ra­pie voll­stän­dig zu been­den, kam aus medi­zi­ni­schen Grün­den nicht in Betracht.

5. Bis auf die feh­len­de Arz­nei­mit­tel­zu­las­sung sind alle wei­te­ren all­ge­mei­nen Vor­aus­set­zun­gen für eine Leis­tungs­pflicht der GKV erfüllt.

Ent­spre­chend § 15 Abs 1 SGB V wurde Tomu­dex® der Klä­ge­rin ärzt­lich ver­ord­net. Wie von § 31 Abs 1 Satz 1 SGB V (idF durch Art 1 Nr 8 Buchst a des Geset­zes vom 23. Juni 1997, BGBl I 1520) ver­langt, wardie Klä­ge­rin bei der Beklag­ten ver­si­chert, Tomu­dex® ein apo­the­ken­pflich­ti­ges Arz­nei­mit­tel (§ 43 Abs 3 AMG) und als sol­ches nicht nach § 34 SGB V aus­ge­schlos­sen. Es unter­fiel weder dem Kata­log des § 34 Abs 1 SGB V noch der Ver­ord­nung über unwirt­schaft­li­che Arz­nei­mit­tel in der GKV (hier anzu­wen­den mit den Ände­run­gen durch die Ver­ord­nung vom 16. Novem­ber 2000, BGBl I 1593). Es wurde auch nicht im Rahmen einer Arz­nei­mit­tel­stu­die ver­ab­reicht (zum grund­sätz­li­chen Aus­schluss sol­cher Mittel vgl BSGE 93, 137 ff = SozR 4–2500 § 137c Nr 2).

6. Der Import von Tomu­dex® aus Kanada und der Bezug von Tomu­dex® ver­stieß nicht gegen das Arz­nei­mit­tel­recht.

a) Das all­ge­mein gel­ten­de, dem Gesund­heits­schutz die­nen­de inner­staat­li­che arz­nei­mit­tel­recht­li­che Zulas­sungs­er­for­der­nis darf durch eine ver­meint­lich “groß­zü­gi­ge”, im Inter­es­se des ein­zel­nen Ver­si­cher­ten erfol­gen­de rich­ter­recht­li­che Zuer­ken­nung von Ansprü­chen auf Ver­sor­gung mit einem bestimm­ten Arz­nei­mit­tel nicht fak­tisch sys­te­ma­tisch unter­lau­fen und umgan­gen werden. Ein sol­ches Vor­ge­hen wäre näm­lich sowohl mit einem inak­zep­ta­blen unkal­ku­lier­ba­ren Risiko etwa­iger Gesund­heits­schä­den für den betrof­fe­nen Ver­si­cher­ten behaf­tet als auch mit einer nicht gerecht­fer­tig­ten Aus­wei­tung der Leis­tungs­pflicht zu Lasten der übri­gen Ver­si­cher­ten ver­bun­den. Solche Aus­wir­kun­gen dürfen einer Ver­si­cher­ten­ge­mein­schaft nicht auf­ge­bür­det werden, die die Behand­lung — typi­scher­wei­se unter Anwen­dung des Instru­ments der Ver­si­che­rungs­pflicht, also zwangs­wei­se — finan­ziert (vgl schon BSGE 89, 184, 190 = SozR 32500 § 31 Nr 8 S 34; zuletzt: Senats-Urteil vom 27. Sep­tem­ber 2005 — B 1 KR 6/04 R — SozR 4–2500 § 31 Nr 3 RdNr 25 Wobe-Mugos E, auch zur Ver­öf­fent­li­chung in BSGE vor­ge­se­hen). Eine Aus­wei­tung der Ansprü­che der Ver­si­cher­ten der GKV auf Arz­nei­mit­tel, die deut­schen arz­nei­mit­tel­recht­li­chen Zulas­sungs­stan­dards nicht genü­gen, muss mithin auf eng umgrenz­te Sach­ver­hal­te mit not­stands­ähn­li­chem Cha­rak­ter begrenzt blei­ben (vgl schon BSGE 93, 236 = SozR 4–2500 § 27 Nr 1 — Visu­dy­ne®, jeweils RdNr 27). Die Vor­aus­set­zun­gen für eine der­ar­ti­ge not­stands­ähn­li­che Situa­ti­on liegen hier vor (vgl oben 4.a und b).

b) Arz­nei­mit­tel­recht­lich war für Tomu­dex® weder die Zulas­sung förm­lich abge­lehnt noch gemäß § 30 AMG zurück­ge­nom­men, wider­ru­fen oder ruhend gestellt worden. Der Import von Tomu­dex® wider­sprach im Falle der Klä­ge­rin auch nicht dem Gesetz und erfüll­te keinen Straf- oder Ord­nungs­wid­rig­kei­ten-Tat­be­stand; denn die Ein­fuhr durch eine Apo­the­ke ent­sprach den Vor­aus­set­zun­gen für den Ein­zel­im­port eines weder in Deutsch­land noch EU-weit zuge­las­se­nen Arz­nei­mit­tels nach § 73 Abs 3 AMG (in den im Zeit­punkt der strei­ti­gen Behand­lung maß­geb­li­chen Fas­sun­gen vom 26. Juli 1999 und vom 21. August 2002 — BGBl I, S 3352). Diese Rege­lung erlaubt die Ein­fuhr von Fer­tig­arz­nei­mit­teln in gerin­gen Mengen und auf Bestel­lung ein­zel­ner Per­so­nen im Rahmen des übli­chen Apo­the­ken­be­triebs, wenn sie in dem Staat in den Ver­kehr gebracht werden dürfen, aus dem sie nach Deutsch­land ver­bracht werden, und von Apo­the­ken bestellt worden sind. Arz­nei­mit­tel­recht­lich muss dabei all­ge­mein gewähr­leis­tet sein, dass der Ver­kauf oder die Ver­ab­rei­chung des Arz­nei­mit­tels nicht gesetz- und ver­bots­wid­rig ist (stRspr, zB BSGE 93, 1 = SozR 4–2500 § 31 Nr 1, jeweils RdNr 22). Auch diese Vor­aus­set­zung war hier erfüllt.

Das von der Klä­ge­rin im Ein­zel­fall unter Vor­la­ge eines Rezepts von Dr. H. beschaff­te Mittel Tomu­dex® ver­füg­te über eine Zulas­sung in meh­re­ren EG-Staa­ten, sodass es zumin­dest den Kri­te­ri­en des euro­päi­schen Rechts für die Zulas­sung von Arz­nei­mit­teln in den ein­zel­nen Mit­glied­staa­ten nach Art 4 ff Richt­li­nie 65/65/EWG (ABl S 369; jetzt Art 6 ff Richt­li­nie 2001/83/EG ) ent­sprach. Es wurde nur in der jeweils benö­tig­ten Menge und nicht auf Vorrat ein­ge­führt. In Kanada, von wo aus das Arz­nei­mit­tel impor­tiert wurde, ist Tomu­dex® zuge­las­sen und ver­kehrs­fä­hig. Wie der Senat bereits in seinem Visudyne®-Urteil (BSGE 93, 236 = SozR 4–2500 § 27 Nr 1, jeweils RdNr 25, 18) aus­ge­führt hat, kann — wie hier — bei Vor­lie­gen eines inter­na­tio­na­len Abkom­mens zur Gute-Labor- bzw Gute-Her­stel­lungs­pra­xis von Arz­nei­mit­teln von der Ein­hal­tung des not­wen­di­gen Min­dest­stan­dards der erfor­der­li­chen Pro­dukt­mit­tel­si­cher­heit in der Regel aus­ge­gan­gen werden (vgl hier spe­zi­ell inso­weit Abkom­men zwi­schen der EG und Kanada über die gegen­sei­ti­ge Aner­ken­nung vom 20. Juli 1998 98/566/EG mit sek­to­ra­lem Anhang Nr 6 über die Gute Her­stel­lungs­pra­xis für Arz­nei­mit­tel S 37, in Kraft getre­ten am 1. Novem­ber 1998 , abge­druckt bei Kloesel/Cyran, Arz­nei­mit­tel­recht Kom­men­tar, Bd X, EU 120).

7. Die vor der Behand­lung mit einem Arz­nei­mit­tel der vor­be­schrie­be­nen Art regel­mä­ßig erfor­der­li­che abs­trak­te und kon­kret auf den Ver­si­cher­ten bezo­ge­ne Nutzen-Risiko-Ana­ly­se musste im Falle der Klä­ge­rin unter Beach­tung des gebo­te­nen Wahr­schein­lich­keits­maß­sta­bes posi­tiv aus­fal­len.

a) Der Wahr­schein­lich­keits­maß­stab, der zu ver­lan­gen ist, um davon aus­ge­hen zu dürfen, dass die behaup­te­ten Behand­lungs­er­fol­ge mit hin­rei­chen­der Sicher­heit dem Ein­satz gerade der strei­ti­gen Behand­lung zuge­rech­net werden können und das ein­zu­ge­hen­de Risiko ver­tret­bar ist, unter­liegt Abstu­fun­gen je nach der Schwe­re und dem Sta­di­um der Erkran­kung.

Dabei sind Dif­fe­ren­zie­run­gen im Sinne der Gel­tung abge­stuf­ter Evi­denz­gra­de nach dem Grund­satz vor­zu­neh­men “je schwer­wie­gen­der die Erkran­kung und ‘hoff­nungs­lo­ser’ die Situa­ti­on, desto gerin­ge­re Anfor­de­run­gen an die ‘ernst­haf­ten Hin­wei­se’ auf einen nicht ganz ent­fernt lie­gen­den Behand­lungs­er­folg” (mit ähn­li­cher Ten­denz schon: Di Fabio, Risi­koent­schei­dun­gen im Rechts­staat, 1994, 179; Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, Hand­buch des Arzt­rechts, 3. Aufl 2002, § 130 RdNr 23). Anhalts­punk­te zur Ent­wick­lung sol­cher Abstu­fun­gen können die in der Richt­li­nie des G‑BA über die Bewer­tung medi­zi­ni­scher Unter­su­chungs­und Behand­lungs­me­tho­den nie­der­ge­leg­ten Grund­sät­ze bieten (idF vom 1. Dezem­ber 2003 , zuletzt geän­dert am 18. Okto­ber 2005 ; seit 1. April 2006 “Richt­li­nie zu Unter­su­chungs- und Behand­lungs­me­tho­den in der ver­trags­ärzt­li­chen Ver­sor­gung” idF vom 17. Januar 2006 ; die BUB-RL ist aller­dings für den Bereich des Ein­sat­zes von Fer­tig­arz­nei­mit­teln nicht unmit­tel­bar anwend­bar, vgl zuletzt BSGE 94, 221 RdNr 30 = SozR 4–2400 § 89 Nr 3 RdNr 31 mwN), ebenso die Ver­fah­rens­ord­nung des G‑BA (vom 20. Sep­tem­ber 2005, BAnz 2005, S 16998). Danach können als Beur­tei­lungs­grund­la­ge beim Fehlen ande­rer Stu­di­en auch “Asso­zia­ti­ons­be­ob­ach­tun­gen, patho­phy­sio­lo­gi­sche Über­le­gun­gen, deskrip­ti­ve Dar­stel­lun­gen, Ein­zel­fall­be­rich­te, u.Ä.; nicht mit Stu­di­en beleg­te Mei­nun­gen aner­kann­ter Exper­ten, Berich­te von Exper­ten­ko­mi­tees und Kon­sen­sus­kon­fe­ren­zen” in Betracht kommen (vgl § 9 Abs 3 Punkt IV BUB-RL, § 18 Abs 2 Punkt IV und Abs 3 Punkt IV; § 20 Abs 2 Ver­fah­rens­ord­nung).

b) Bei der erfor­der­li­chen Gegen­über­stel­lung von (ange­nom­me­nem) Nutzen der Behand­lung und dem Risiko schäd­li­cher Neben­wir­kun­gen kann für die Not­wen­dig­keit der Durch­füh­rung einer nicht durch all­ge­mein aner­kann­te wis­sen­schaft­li­che Erkennt­nis­se gesi­cher­ten Behand­lung spre­chen, dass das anzu­wen­den­de Arz­nei­mit­tel bereits in einem ein­zel­nen ande­ren EU-Mit­glied­staat bzw einem ver­gleich­ba­ren Abkom­mens­staat unter Beach­tung der euro­pa­recht­lich im Arz­nei­mit­tel­be­reich gel­ten­den Richt­li­ni­en-Vor­ga­ben zuge­las­sen worden ist. Umge­kehrt müsste die abs­trak­te Risiko-Nutzen-Abwä­gung für ein Arz­nei­mit­tel nega­tiv ver­lau­fen, wenn auf Grund der Ver­sa­gens­grün­de des § 25 Abs 2 Satz 1 Nr 3 bis 5a und 7 AMG bereits eine ableh­nen­de Zulas­sungs­ent­schei­dung des Bun­des­in­sti­tu­tes für Arz­nei­mit­tel und Medi­zin­pro­duk­te (BfArM) ergan­gen ist und sich zwi­schen­zeit­lich keine neuen Erkennt­nis­se erge­ben haben. Sofern das BfArM die Zulas­sung eines Arz­nei­mit­tels aus einem der genann­ten Gründe ver­sagt oder die Zulas­sung wider­ru­fen, zurück­ge­nom­men oder dessen Ruhen nach § 30 AMG ange­ord­net hat, hat es näm­lich die Risi­ken und den Nutzen des kon­kre­ten Arz­nei­mit­tels geprüft und als nicht aus­rei­chend nach­ge­wie­sen ange­se­hen (vgl schon BSGE 72, 252 ff = SozR 3–2200 § 182 Nr 17 — Gold­nerz-Auf­bau­creme; BSG SozR 3–2500 § 31 Nr 3 — Edel­fo­sin; BSG SozR 3–2500 § 31 Nr 7; BSGE 94, 213 ff = SozR 4–5570 § 30 Nr 1 — Tasmar®, auch zur Ver­öf­fent­li­chung in SozR vor­ge­se­hen). Ent­spre­chen­des gilt, wenn für ein Arz­nei­mit­tel im Rahmen der zen­tra­len oder dezen­tra­len Zulas­sung auf EU-Ebene die Zulas­sung ver­wei­gert wurde. — Solche nega­ti­ven Zulas­sungs­ent­schei­dun­gen sind bezüg­lich Tomu­dex® nicht fest­ge­stellt worden oder sonst ersicht­lich.

Spe­zi­ell bei der Arz­nei­mit­tel­ver­sor­gung müssen die vor­han­de­nen Erkennt­nis­se abs­trakt die Annah­me recht­fer­ti­gen, dass mit der geplan­ten Arz­nei­mit­tel­the­ra­pie der ange­streb­te Erfolg erreicht werden kann und zwar in dem Sinne, dass die Anwen­dung des Arz­nei­mit­tels — unter Berück­sich­ti­gung von Spon­tan­hei­lung und wirk­stoff­un­ab­hän­gi­gen Effek­ten — eher zu einem the­ra­peu­ti­schen Erfolg führt als seine Nicht­an­wen­dung (ähn­lich schon BVerw­GE 94, 215, Leit­satz 2 und 219 = Buch­holz 418.32 AMG Nr 25 = NJW 1994, 2433 ).

Eine posi­ti­ve Aus­wir­kung auf den Krank­heits­ver­lauf ist zu beja­hen, wenn zumin­dest das Fort­schrei­ten der Krank­heit auf­ge­hal­ten oder Kom­pli­ka­tio­nen ver­hin­dert werden. Fehlen theo­re­tisch-wis­sen­schaft­li­che Erklä­rungs­mus­ter, kann im Ein­zel­fall bei ver­tret­ba­ren Risi­ken auch die bloße ärzt­li­che Erfah­rung für die Annah­me eines Behand­lungs­er­folgs ent­schei­dend sein, wenn sich diese Erkennt­nis­se durch andere Ärzte in ähn­li­cher Weise wie­der­ho­len lassen (so schon zur Aus­lands­be­hand­lung BSGE 84, 90, 97 = SozR 3–2500 § 18 Nr 4 S 20).

c) Die Anwen­dung von Tomu­dex® war abs­trakt in Bezug auf die Schwe­re der zu behan­deln­den Erkran­kung bei einem plau­si­blen Nutzen mit Risi­ken ver­bun­den, die ins­ge­samt ver­tret­bar waren. Dass Tomu­dex® in keinem Staat für die beglei­ten­de Che­mo­the­ra­pie zuge­las­sen wurde, ändert daran nichts. Die Anwen­dung außer­halb seiner aus­län­di­schen Zulas­sun­gen für die pal­lia­ti­ve und kura­ti­ve Che­mo­the­ra­pie war nicht rechts­wid­rig. Zwar wurde 1999 eine groß ange­leg­te Studie zur beglei­ten­den Che­mo­the­ra­pie mit Tomu­dex® abge­bro­chen, nach­dem meh­re­re Todes­fäl­le auf­ge­tre­ten waren. Bei der Mehr­zahl der Fälle war aber anschei­nend die The­ra­pie­an­lei­tung nicht beach­tet worden. Des­halb wurde in der Folge in der medi­zi­ni­schen Wis­sen­schaft wei­ter­hin die Anwen­dung von Tomu­dex® auch in der adju­van­ten The­ra­pie befür­wor­tet, da die Gründe für die Todes­fäl­le und der Erfolg von Tomu­dex® wei­te­rer Über­prü­fung bedurf­ten und die vor­lie­gen­den abge­schlos­se­nen Stu­di­en den Ein­satz von Tomu­dex® recht­fer­tig­ten (vgl Stel­lung­nah­men von Prof. Dr. Köhne vom 30. August 2002 und von Prof. Dr. Schmoll vom 3. Sep­tem­ber 2002; vgl auch Bericht “Drug-com­pa­ny decis­i­on to end cancer trial” in: The Lancet 354 <1999>, 1045).

d) Auch die kon­kre­te Risiko-Nutzen-Abwä­gung des behan­deln­den Arztes durfte in objek­tiv nicht zu bean­stan­den­der Weise zu Guns­ten der Klä­ge­rin aus­fal­len.

Die Behand­lung mit Tomu­dex® ver­sprach mit der gebo­te­nen Wahr­schein­lich­keit ent­spre­chend der Ein­schät­zung des behan­deln­den Arztes Dr. H. , der als inter­nis­ti­scher Onko­lo­ge umfas­sen­de Erfah­rung bei der Behand­lung mit Zyto­sta­ti­ka hatte, auch den bereits mit der 5‑FU-The­ra­pie erstreb­ten Behand­lungs­er­folg für die Tumor­er­kran­kung der Klä­ge­rin. Seine Ein­schät­zung stütz­te sich auf eigene Erkennt­nis­se und Erwä­gun­gen, die Anga­ben der Exper­ten Prof. Dr. Schmoll und Prof. Dr. Köhne gegen­über dem MDK und auf die zu Tomu­dex® ver­öf­fent­lich­ten Stu­di­en, in denen dessen Ein­satz im Ver­gleich mit 5‑FU bzw seinen Vor­for­men über­prüft worden war. Daraus ergab sich — bei Ein­hal­tung der Dosie­rungs­emp­feh­lun­gen — für Tomu­dex® ein der Behand­lung mit 5‑FU ähn­li­ches Erfolgs- und Risi­ko­pro­fil (vgl Tech­ni­sche Mono­gra­phie Tomu­dex® S 18 ff; Van Custem et al, Annals of Onco­lo­gy 13 <2002>, 513 f; Tumor­zen­trum Frei­burg, Emp­feh­lun­gen zur stan­dar­di­sier­ten Dia­gnos­tik, The­ra­pie und Nach­sor­ge ‑Kolo­rek­ta­les Kar­zi­nom, 2000, unter 3.2.3, im Inter­net recher­chiert im Febru­ar 2006 unter: www.tumorzentrum-freiburg.de/medizin_info/kolorektal_karzinom.htm).

Vor dem Hin­ter­grund der hohen Wahr­schein­lich­keit eines töd­li­chen Krank­heits­ver­laufs in naher Zeit ohne 5‑FU oder eine ent­spre­chen­de The­ra­pie und bei ver­tret­ba­ren Risi­ken des kon­trol­lier­ten Ein­sat­zes von Tomu­dex® rei­chen erheb­li­che ernst­haf­te Hin­wei­se auf einen indi­vi­du­el­len Wir­kungs­zu­sam­men­hang aus, wäh­rend der Nach­weis eines gene­rel­len Wir­kungs­zu­sam­men­hangs, wie er in Regel­fäl­len erfor­der­lich ist (vgl BSGE 76, 194, 198 f = SozR 3–2500 § 27 Nr 5 S 11 f — Reme­da­cen), nicht ver­langt werden kann. Solche Hin­wei­se können sich aus einem Ver­gleich des betrof­fe­nen Ver­si­cher­ten mit dem Zustand ande­rer ähn­lich erkrank­ter Pati­en­ten erge­ben, wobei die Erfah­run­gen einer länger andau­ern­den Behand­lung Fol­ge­run­gen für die Wirk­sam­keit erlau­ben können. Abge­stellt werden kann dabei auf die fach­li­che Ein­schät­zung der Wirk­sam­keit der Metho­de durch den behan­deln­den Arzt unter Mit­be­rück­sich­ti­gung der wis­sen­schaft­li­chen Dis­kus­si­on im betrof­fe­nen Fach­ge­biet.

Trotz Feh­lens von Phase-III-Stu­di­en zur Frage, ob Tomu­dex® gerin­ge­re kar­dio­to­xi­sche Neben­wir­kun­gen auf­wies als 5‑FU, ergab sich aus den ver­öf­fent­lich­ten Erfah­run­gen ande­rer Ärzte, dass Pati­en­ten, bei denen es unter 5‑FU zu kar­dio­lo­gi­schen Neben­wir­kun­gen gekom­men war, die Behand­lung mit Tomu­dex® neben­wir­kungs­frei über­stan­den hatten (Köhne et al, Bri­tish Jour­nal of Cancer <1998> 77 <6>, 973; Küchen­meis­ter et al, Strah­len­the­ra­pie und Onko­lo­gie 2000 <176> 560, 563; Mross/Semsek, Praxis 2001 <90>, 497, 500; aus jün­ge­rer Zeit: Vanhoefer/Köhne, DÄBl 2003, A‑705, 706; Ng/Cunningham/Norman, Euro­pean Jour­nal of Cancer 41 <2005>, 1542, 1545). Bekann­te Risi­ko­fak­to­ren von Tomu­dex® in Bezug auf die Nie­ren­funk­ti­on der behan­del­ten Pati­en­ten (Tech­ni­sche Mono­gra­phie Tomu­dex®, S 36, 68 und Pro­dukt­in­for­ma­ti­on) konn­ten bei der Klä­ge­rin aus­ge­schlos­sen werden, sodass das Risiko bei ihr im Wesent­li­chen inso­weit dem­je­ni­gen von 5‑FU ent­sprach.

8. Die Arz­nei­mit­tel-The­ra­pie wurde im Falle der Klä­ge­rin nach den Regeln der ärzt­li­chen Kunst durch einen erfah­re­nen Onko­lo­gen durch­ge­führt und doku­men­tiert.

Die Behand­lung mit einem nicht in Deutsch­land und EU-weit zuge­las­se­nen Arz­nei­mit­tel auf Kosten der GKV muss in Fällen der strei­ti­gen Art regel­mä­ßig durch einen Fach­arzt bzw einen in glei­cher Weise ein­schlä­gig qua­li­fi­zier­ten Arzt durch­ge­führt werden. Bei der Anwen­dung von Arz­nei­mit­teln, die toxi­sche Neben­wir­kun­gen erwar­ten lassen, wie dies typi­scher­wei­se bei Zyto­sta­ti­ka der Fall ist, kann zudem erfor­der­lich sein, dass der behan­deln­de Arzt im Umgang mit ent­spre­chen­den Arz­nei­mit­teln erfah­ren ist. Der behan­deln­de Arzt muss die Behand­lung ver­ant­wor­ten (vgl § 15 Abs 1 SGB V) und die Regeln der ärzt­li­chen Kunst bei der Durch­füh­rung der Behand­lung ein­hal­ten (vgl § 28 Abs 1 Satz 1 SGB V). Das setzt auch eine hin­rei­chen­de Doku­men­ta­ti­on der Behand­lung und die Vor­nah­me von Kon­trol­len und gebo­te­nen Sicher­heits­vor­keh­run­gen voraus (zB durch Über­wa­chung geeig­ne­ter medi­zi­ni­scher Para­me­ter oder Ver­ord­nung von sta­tio­nä­rer Behand­lung bei Rea­li­sie­rung von Gefah­ren), um das Risiko für den Pati­en­ten gering zu halten und bei Bedarf schnell reagie­ren zu können (vgl schon Hart, MedR 1994, 94, 96).

Die von Dr. H. durch­ge­führ­te Behand­lung der Klä­ge­rin ent­sprach diesem Stan­dard. Er über­prüf­te kon­ti­nu­ier­lich und eng­ma­schig ihr Blut­bild sowie ihre Leber- und Nie­ren­wer­te und nahm beglei­ten­de Unter­su­chun­gen vor, um das Risiko von Tomu­dex® abschät­zen zu können. Es gibt keine Anhalts­punk­te dafür, dass er Tomu­dex® anders anwand­te als es den Anwei­sun­gen des Her­stel­lers ent­sprach. Eine sta­tio­nä­re Auf­nah­me der­Klä­ge­rin zur Behand­lung mit Tomu­dex® war bei alle­dem nicht ange­zeigt. Schließ­lich bestehen keine Hin­wei­se darauf, dass Dr. H. die Blut­wer­te der Klä­ge­rin und die Wir­kung von Tomu­dex® nicht aus­rei­chend beob­ach­te­te oder dass bei ihr ein risi­ko­er­hö­hen­der redu­zier­ter All­ge­mein­zu­stand (vgl Tech­ni­sche Mono­gra­phie Tomu­dex®, S 31 ff) vorlag. Die Behand­lung wurde umfas­send ärzt­lich doku­men­tiert.

9. Bei der Arz­nei­mit­tel-The­ra­pie mit Tomu­dex® lag nach alle­dem die vom BVerfG gefor­der­te auf Indi­zi­en gestütz­te, nicht ganz fern lie­gen­de Aus­sicht auf Hei­lung bzw auf eine posi­ti­ve Ein­wir­kung auf den wei­te­ren Krank­heits­ver­lauf vor. Denn der vor­aus­sicht­li­che Nutzen des Ein­sat­zes von Tomu­dex® über­wog bei der abs­trak­ten und kon­kre­ten, spe­zi­ell auf die Klä­ge­rin bezo­ge­nen Abwä­gung gegen­über den Risi­ken unter Beach­tung des gebo­te­nen Wahr­schein­lich­keits­maß­stabs. Tomu­dex® wurde — wie bereits dar­ge­legt — auch im Übri­gen bei der Klä­ge­rin ent­spre­chend den Regeln der ärzt­li­chen Kunst und bei aus­rei­chen­der ärzt­li­cher Doku­men­ta­ti­on ohne Ver­stoß gegen das Arz­nei­mit­tel­recht ein­ge­setzt.

10. Dem Schutz der Klä­ge­rin als Pati­en­tin und ihrem Selbst­be­stim­mungs­recht wurde bei der Arz­nei­mit­tel­the­ra­pie mit Tomu­dex® schließ­lich durch aus­rei­chen­de ärzt­li­che Infor­ma­ti­on Rech­nung getra­gen.

Ver­si­cher­te müssen der kon­kre­ten Heil­be­hand­lung in Kennt­nis ihrer Art und Bedeu­tung zuge­stimmt haben. Hierzu finden sich für die Arz­nei­mit­tel­prü­fung am Men­schen Kon­kre­ti­sie­run­gen und Min­dest­an­for­de­run­gen in §§ 40, 41 AMG sowie in Art 3 Abs 2 Buchst a und b der Richt­li­nie 2001/20/EG des Euro­päi­schen Par­la­ments und des Rates zur Anglei­chung der Rechts- und guten Ver­wal­tungs­vor­schrif­ten über die Anwen­dung der guten kli­ni­schen Praxis bei der Durch­füh­rung von kli­ni­schen Prü­fun­gen mit Human­arz­nei­mit­teln (ABl 2001 L 121 S 34). Diese Rege­lun­gen zeigen Wer­tun­gen auf, welche auch in Fällen der vor­lie­gen­den Art sinn­ge­mäß her­an­ge­zo­gen werden können (vgl dazu schon Hart, MedR 1994, 94, 97). Sowohl bei der Arz­nei­mit­tel­prü­fung wie bei der Frage der Not­wen­dig­keit der Behand­lung einer lebens­be­droh­li­chen bzw töd­lich ver­lau­fen­den Krank­heit ohne bestehen­de schul­me­di­zi­ni­sche Behand­lungs­al­ter­na­ti­ve geht es näm­lich darum, aus über­ge­ord­ne­ten Grün­den ein Arz­nei­mit­tel bei Pati­en­ten zur Anwen­dung zu brin­gen, dessen Wir­kun­gen und Risi­ken noch nicht in dem an sich dafür vor­ge­se­he­nen Ver­fah­ren aus­rei­chend wis­sen­schaft­lich erforscht sind. Die mit dem Arz­nei­mit­tel­ein­satz ver­bun­de­ne Risiko-Nutzen-Abwä­gung erfor­dert dann, neben der stän­di­gen Über­wa­chung des Arz­nei­mit­tel­ein­sat­zes auch, dass die Pati­en­ten nach umfas­sen­der Auf­klä­rung über die Trag­wei­te der Behand­lung darin ein­ge­wil­ligt haben.

Die Klä­ge­rin ist in diesem Sinne nach ihren unstrei­tig geblie­be­nen Anga­ben im Revi­si­ons­ver­fah­ren von dem behan­deln­den Onko­lo­gen, der ihr das Mittel ver­ord­ne­te, über die Nutzen und Risi­ken der Behand­lung mit Tomu­dex® in vollem Umfang infor­miert worden und hat in Kennt­nis dessen aus­drück­lich in die Behand­lung ein­ge­wil­ligt.

11. Die Kos­ten­ent­schei­dung beruht auf § 193 Sozi­al­ge­richts­ge­setz.

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