Leit­sät­ze

Auf­wen­dun­gen für eine Lipo­suk­ti­on zur Behand­lung eines Lipö­dems können jeden­falls ab dem Jahr 2016 ohne vor­he­ri­ge Vor­la­ge eines vor den Ope­ra­tio­nen erstell­ten amts­ärzt­li­chen Gut­ach­tens oder einer ärzt­li­chen Beschei­ni­gung eines Medi­zi­ni­schen Diens­tes der Kran­ken­ver­si­che­rung als außer­ge­wöhn­li­che Belas­tung zu berück­sich­ti­gen sein.
Tenor

Die Revi­si­on des Beklag­ten gegen das Urteil des Säch­si­schen Finanz­ge­richts vom 10.09.2020 — 3 K 1498/18 wird als unbe­grün­det zurück­ge­wie­sen.

Die Kosten des Revi­si­ons­ver­fah­rens hat der Beklag­te zu tragen.

Tat­be­stand

I. Strei­tig ist, ob Auf­wen­dun­gen für eine Lipo­suk­ti­on ohne die Nach­weis­er­for­der­nis­se des § 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. f der Ein­kom­men­steu­er-Durch­füh­rungs­ver­ord­nung (EStDV) als außer­ge­wöhn­li­che Belas­tung gemäß § 33 des Ein­kom­men­steu­er­ge­set­zes (EStG) zu berück­sich­ti­gen sind.

Die Kläger und Revi­si­ons­be­klag­ten (Kläger) sind zusam­men­ver­an­lag­te Ehe­leu­te. Bei der Klä­ge­rin wurde im Jahr 2012 vom MVZ Gefäß­zen­trum in X ein Lipö­dem dia­gnos­ti­ziert. Mit Schrei­ben vom 12.01.2016 beschei­nig­te eine pri­vat­ärzt­li­che Praxis für Ope­ra­ti­ve Lym­pho­lo­gie, dass die Klä­ge­rin seit meh­re­ren Jahren an einem Lipö­dem leide und die Erkran­kung weder durch Ernäh­rung noch durch Sport posi­tiv zu beein­flus­sen sei. Es bestehe eine deut­li­che Ein­schrän­kung im täg­li­chen Leben. Eine Schmerz­lo­sig­keit habe auch durch kom­ple­xe Ent­stau­ungs­the­ra­pie nicht erreicht werden können. Als The­ra­pie der Wahl zur Ver­hin­de­rung der Chro­ni­zi­tät gelte daher eine Lym­pho­lo­gi­sche Lipos­culp­tur.

Im Streit­jahr (2017) wurden bei der Klä­ge­rin dar­auf­hin drei Lipo­suk­ti­ons­be­hand­lun­gen durch­ge­führt. Die Auf­wen­dun­gen hier­für betru­gen … €. Die Kran­ken­kas­se der Klä­ge­rin erstat­te­te die Kosten nicht.

In ihrer Ein­kom­men­steu­er­erklä­rung für das Streit­jahr bean­trag­ten die Kläger, diese Auf­wen­dun­gen als außer­ge­wöhn­li­che Belas­tung zu berück­sich­ti­gen.

Der Beklag­te und Revi­si­ons­klä­ger (Finanz­amt ‑‑FA‑‑) ließ die gel­tend gemach­ten Kosten nicht zum Abzug nach § 33 EStG zu, da die Kläger kein vor der Behand­lung aus­ge­stell­tes amts­ärzt­li­ches Gut­ach­ten oder eine ärzt­li­che Beschei­ni­gung eines Medi­zi­ni­schen Diens­tes der Kran­ken­ver­si­che­rung (§ 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. f EStDV) vor­ge­legt hätten.

Der nach erfolg­lo­sem Vor­ver­fah­ren erho­be­nen Klage gab das Finanz­ge­richt (FG) mit den in Ent­schei­dun­gen der Finanz­ge­rich­te 2021, 43 ver­öf­fent­lich­ten Grün­den statt. Zur Begrün­dung führte es u.a. aus, Auf­wen­dun­gen für die Durch­füh­rung der Lipo­suk­ti­on seien im Streit­jahr auch ohne ein vor Beginn der Heil­maß­nah­me aus­ge­stell­tes amts­ärzt­li­ches Gut­ach­ten oder eine vor­he­ri­ge ärzt­li­che Beschei­ni­gung eines Medi­zi­ni­schen Diens­tes der Kran­ken­ver­si­che­rung als außer­ge­wöhn­li­che Belas­tung nach § 33 EStG abzieh­bar. Soweit in der bis­he­ri­gen finanz­ge­richt­li­chen Recht­spre­chung die Lipo­suk­ti­on bei einem Lipö­dem ein­kom­men­steu­er­recht­lich als “wis­sen­schaft­lich nicht aner­kann­te Behand­lungs­me­tho­de” ange­se­hen worden sei, sei diese Recht­spre­chung nicht (mehr) auf das Streit­jahr über­trag­bar, da sich der Stand der Wis­sen­schaft zwi­schen­zeit­lich gewan­delt habe.

Mit der Revi­si­on rügt das FA die Ver­let­zung mate­ri­el­len Rechts.

Es bean­tragt,

das Urteil des Säch­si­schen FG vom 10.09.2020 — 3 K 1498/18 auf­zu­he­ben und die Klage abzu­wei­sen, hilfs­wei­se das ange­foch­te­ne Urteil auf­zu­he­ben und die Sache zur ander­wei­ti­gen Ver­hand­lung und Ent­schei­dung an das FG zurück­zu­ver­wei­sen.

Die Kläger bean­tra­gen,

die Revi­si­on als unbe­grün­det zurück­zu­wei­sen.

Ent­schei­dungs­grün­de

II. Die Revi­si­on des FA ist unbe­grün­det und des­halb zurück­zu­wei­sen (§ 126 Abs. 2 der Finanz­ge­richts­ord­nung ‑‑FGO‑‑). Das FG ist in revi­si­ons­recht­lich nicht zu bean­stan­den­der Weise zu dem Ergeb­nis gelangt, dass es sich bei der Lipo­suk­ti­on im Streit­jahr nicht um eine wis­sen­schaft­lich nicht aner­kann­te Metho­de zur Behand­lung eines Lipö­dems (krank­haf­te Fett­ver­tei­lungs­stö­rung) han­delt. Dem­entspre­chend hat es die dahin­ge­hen­den Auf­wen­dun­gen zu Recht gemäß § 33 EStG als außer­ge­wöhn­li­che Belas­tun­gen berück­sich­tigt, obwohl die Kläger weder ein vor der Behand­lung erstell­tes amts­ärzt­li­ches Gut­ach­ten noch eine ärzt­li­che Beschei­ni­gung eines Medi­zi­ni­schen Diens­tes der Kran­ken­ver­si­che­rung (§ 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. f EStDV) vor­ge­legt haben. Eines sol­chen Gut­ach­tens bzw. einer sol­chen Beschei­ni­gung bedurf­te es zum Nach­weis der Zwangs­läu­fig­keit der strei­ti­gen Auf­wen­dun­gen vor­lie­gend nicht.

1. Nach § 33 Abs. 1 EStG wird die Ein­kom­men­steu­er auf Antrag ermä­ßigt, wenn einem Steu­er­pflich­ti­gen zwangs­läu­fig grö­ße­re Auf­wen­dun­gen als der über­wie­gen­den Mehr­zahl der Steu­er­pflich­ti­gen glei­cher Ein­kom­mens­ver­hält­nis­se, glei­cher Ver­mö­gens­ver­hält­nis­se und glei­chen Fami­li­en­stands (außer­ge­wöhn­li­che Belas­tung) erwach­sen. Zwangs­läu­fig erwach­sen dem Steu­er­pflich­ti­gen Auf­wen­dun­gen dann, wenn er sich ihnen aus recht­li­chen, tat­säch­li­chen oder sitt­li­chen Grün­den nicht ent­zie­hen kann und soweit die Auf­wen­dun­gen den Umstän­den nach not­wen­dig sind und einen ange­mes­se­nen Betrag nicht über­stei­gen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG).

a) In stän­di­ger Recht­spre­chung geht der Bun­des­fi­nanz­hof davon aus, dass Krank­heits­kos­ten ‑‑ohne Rück­sicht auf die Art und die Ursa­che der Erkrankung‑‑ dem Steu­er­pflich­ti­gen aus tat­säch­li­chen Grün­den zwangs­läu­fig erwach­sen. Aller­dings werden nur solche Auf­wen­dun­gen als Krank­heits­kos­ten berück­sich­tigt, die zum Zweck der Hei­lung einer Krank­heit (z.B. Medi­ka­men­te, Ope­ra­ti­on) oder mit dem Ziel getä­tigt werden, die Krank­heit erträg­li­cher zu machen, bei­spiels­wei­se Auf­wen­dun­gen für einen Roll­stuhl (Senats­ur­teil vom 18.06.2015 — VI R 68/14, BFHE 250, 166, BStBl II 2015, 803, Rz 10, m.w.N.).

b) Auf­wen­dun­gen für die eigent­li­che Heil­be­hand­lung werden typi­sie­rend als außer­ge­wöhn­li­che Belas­tung berück­sich­tigt, ohne dass es im Ein­zel­fall der nach § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG an sich gebo­te­nen Prü­fung der Zwangs­läu­fig­keit dem Grunde und der Höhe nach bedarf. Eine derart typi­sie­ren­de Behand­lung von Krank­heits­kos­ten ist zur Ver­mei­dung eines unzu­mut­ba­ren Ein­drin­gens in die Pri­vat­sphä­re gebo­ten. Dies gilt aber nur dann, wenn die Auf­wen­dun­gen nach den Erkennt­nis­sen und Erfah­run­gen der Heil­kun­de und nach den Grund­sät­zen eines gewis­sen­haf­ten Arztes zur Hei­lung oder Lin­de­rung der Krank­heit ange­zeigt (ver­tret­bar) sind und vor­ge­nom­men werden, also medi­zi­nisch indi­ziert sind (Senats­ur­teil in BFHE 250, 166, BStBl II 2015, 803, Rz 11, m.w.N.).

c) Den Nach­weis der Zwangs­läu­fig­keit von Auf­wen­dun­gen im Krank­heits­fall hat der Steu­er­pflich­ti­ge in den abschlie­ßend gere­gel­ten Kata­log­fäl­len des § 64 Abs. 1 Nr. 2 EStDV (Senats­ur­teil in BFHE 250, 166, BStBl II 2015, 803, Rz 12, m.w.N.) durch ein vor Beginn der Heil­maß­nah­me oder dem Erwerb des medi­zi­ni­schen Hilfs­mit­tels aus­ge­stell­tes amts­ärzt­li­ches Gut­ach­ten oder eine vor­he­ri­ge ärzt­li­che Beschei­ni­gung eines Medi­zi­ni­schen Diens­tes der Kran­ken­ver­si­che­rung (§ 275 des Fünf­ten Buches Sozi­al­ge­setz­buch ‑‑SGB V‑‑) zu führen (§ 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStDV).

d) Ein sol­cher qua­li­fi­zier­ter Nach­weis ist auch bei krank­heits­be­ding­ten Auf­wen­dun­gen für wis­sen­schaft­lich nicht aner­kann­te Behand­lungs­me­tho­den, wie z.B. Frisch- und Tro­cken­zel­len­be­hand­lun­gen, Sauerstoff‑, Chelat- und Eigen­blut­the­ra­pie (§ 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. f EStDV) erfor­der­lich.

aa) Wis­sen­schaft­lich nicht aner­kannt ist eine Behand­lungs­me­tho­de, wenn Qua­li­tät und Wirk­sam­keit dem all­ge­mein aner­kann­ten Stand der medi­zi­ni­schen Erkennt­nis­se nicht ent­spre­chen (Senats­ur­teil vom 26.06.2014 — VI R 51/13, BFHE 246, 326, BStBl II 2015, 9). Hier­un­ter fallen Behand­lungs­me­tho­den, die die große Mehr­heit der ein­schlä­gi­gen Fach­leu­te (Ärzte, Wis­sen­schaft­ler) nicht befür­wor­tet, weil sich die Metho­den in der medi­zi­ni­schen Praxis nicht bewährt haben und über ihre gene­rel­le Wirk­sam­keit und/oder Zweck­mä­ßig­keit nen­nens­wert Streit besteht, sie folg­lich nicht auf einem trag­fä­hi­gen medi­zi­nisch-wis­sen­schaft­li­chen Kon­sens grün­den. Dem­ge­gen­über ist von einem sol­chen Kon­sens schon dann aus­zu­ge­hen, wenn die vor­ge­se­he­ne Behand­lung den evi­denz­ba­sier­ten Hand­lungs­emp­feh­lun­gen eines insti­tu­tio­na­li­sier­ten Exper­ten­gre­mi­ums ent­spricht. Dazu zählen etwa die Stel­lung­nah­men des Wis­sen­schaft­li­chen Bei­rats der Bun­des­ärz­te­kam­mer und ebenso die von füh­ren­den medi­zi­ni­schen Gesell­schaf­ten erstell­ten Leit­li­ni­en, welche den ‑‑nach defi­nier­tem, trans­pa­rent gemach­tem Vor­ge­hen erzielten‑‑ Kon­sens zu bestimm­ten ärzt­li­chen Vor­ge­hens­wei­sen wie­der­ge­ben und denen des­halb die Bedeu­tung wis­sen­schaft­lich begrün­de­ter Hand­lungs­emp­feh­lun­gen zukommt (vgl. z.B. Beschluss des Bun­des­ge­richts­hofs vom 30.06.2021 — XII ZB 191/21, Monats­schrift für Deut­sches Recht 2021, 1199). Die Anfor­de­run­gen an die vor­ge­nann­ten Hand­lungs­emp­feh­lun­gen dürfen zudem nicht über­spannt werden. Denn wie sich den in § 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. f EStDV auf­ge­führ­ten Regel­bei­spie­len ent­neh­men lässt, soll sich das for­ma­li­sier­te Nach­weis­ver­lan­gen nur auf Auf­wen­dun­gen für Behand­lungs­me­tho­den erstre­cken, deren Aus­wir­kung auf die Hei­lung oder Lin­de­rung einer Krank­heit regel­mä­ßig nicht mess­bar ist, deren im Ein­zel­fall gleich­wohl bestehen­de medi­zi­ni­sche Indi­ka­ti­on daher des beson­de­ren Nach­wei­ses bedarf.

bb) Ob eine neue Behand­lungs­me­tho­de gene­rell oder in Ein­zel­fäl­len zum “Leis­tungs­ka­ta­log” der gesetz­li­chen Kran­ken­kas­sen zählt, ist für die Beur­tei­lung der Frage, ob es sich um eine wis­sen­schaft­lich nicht aner­kann­te Behand­lungs­me­tho­de i.S. von § 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. f EStDV han­delt, grund­sätz­lich nicht maß­ge­bend.

Denn dieser umfasst nach den gesetz­li­chen Rah­men­re­ge­lun­gen im SGB V und den ‑‑diese konkretisierenden‑‑ Richt­li­ni­en des Gemein­sa­men Bun­des­aus­schus­ses (G‑BA) Leis­tun­gen, die für eine aus­rei­chen­de, zweck­mä­ßi­ge und wirt­schaft­li­che Ver­sor­gung der Ver­si­cher­ten unter Berück­sich­ti­gung des all­ge­mein aner­kann­ten Stan­des der medi­zi­ni­schen Erkennt­nis­se erfor­der­lich sind (§ 137c Abs. 1 Satz 1 SBG V). Neue Unter­su­chungs- und Behand­lungs­me­tho­den dürfen gemäß § 135 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V zu Lasten der Kran­ken­kas­sen nur erbracht werden, wenn die dort im Ein­zel­nen benann­ten Aus­schüs­se und Ver­ei­ni­gun­gen Emp­feh­lun­gen u.a. zu der Wirt­schaft­lich­keit ‑‑auch im Ver­gleich zu bereits zu Lasten der Kran­ken­kas­sen erbrach­ten Methoden‑‑ abge­ge­ben haben.

Dem­ge­gen­über sind Auf­wen­dun­gen im Krank­heits­fall, wenn die kos­ten­ver­ur­sa­chen­den Maß­nah­men medi­zi­nisch indi­ziert sind, ‑‑wie oben dargelegt‑‑ typi­sie­rend als außer­ge­wöhn­li­che Belas­tung zu berück­sich­ti­gen, ohne dass es im Ein­zel­fall der nach § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG an sich gebo­te­nen Prü­fung der Zwangs­läu­fig­keit des Grun­des und der Höhe nach bedarf. Dabei ist zu beach­ten, dass nicht nur das medi­zi­nisch Not­wen­di­ge im Sinne einer (gesetz­li­chen) Min­dest­ver­sor­gung erfasst wird, son­dern jedes dia­gnos­ti­sche oder the­ra­peu­ti­sche Ver­fah­ren, dessen Anwen­dung in einem Erkran­kungs­fall hin­rei­chend gerecht­fer­tigt (ange­zeigt) bzw. medi­zi­nisch indi­ziert ist. Dieser medi­zi­ni­schen Wer­tung hat die steu­er­li­che Beur­tei­lung zu folgen (Senats­ur­teil vom 11.11.2010 — VI R 17/09, BFHE 232, 40, BStBl II 2011, 969, Rz 26, m.w.N.).

Im Übri­gen ist die feh­len­de Über­nah­me der Behand­lungs­kos­ten durch die Kran­ken­kas­se letzt­lich “Vor­aus­set­zung” für die Berück­sich­ti­gung krank­heits­be­ding­ter Auf­wen­dun­gen nach § 33 EStG, da es ansons­ten bereits an einer steu­er­erheb­li­chen außer­ge­wöhn­li­chen “Belas­tung” des Steu­er­pflich­ti­gen fehlt.

e) Ob eine Behand­lungs­me­tho­de als wis­sen­schaft­lich nicht aner­kannt anzu­se­hen ist, hat das FG auf­grund der ihm oblie­gen­den Wür­di­gung der Umstän­de des Ein­zel­falls fest­zu­stel­len (Senats­ur­teil in BFHE 250, 166, BStBl II 2015, 803, Rz 14, m.w.N.). Hier­bei kann es sich u.a. auf all­ge­mein zugäng­li­che Fach­gut­ach­ten stüt­zen (Senats­ur­teil in BFHE 250, 166, BStBl II 2015, 803, Rz 16).

f) Maß­geb­li­cher Zeit­punkt für die feh­len­de wis­sen­schaft­li­che Aner­ken­nung i.S. des § 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. f EStDV ist der Zeit­punkt der Vor­nah­me der Behand­lung. Denn das Nach­weis­er­for­der­nis soll Auf­schluss dar­über geben, ob eine Behand­lungs­me­tho­de im Zeit­punkt der Behand­lung medi­zi­nisch indi­ziert ist und die ange­fal­le­nen Auf­wen­dun­gen daher zwangs­läu­fig zum Zweck der Hei­lung oder Lin­de­rung einer Krank­heit ent­stan­den sind (Senats­ur­teil in BFHE 250, 166, BStBl II 2015, 803, Rz 15, m.w.N.).

2. Nach Maß­ga­be dieser Rechts­grund­sät­ze ist das FG im Streit­fall in revi­si­ons­recht­lich nicht zu bean­stan­den­der Weise zu dem Ergeb­nis gelangt, dass es sich bei der im Streit­fall durch­ge­führ­ten Lipo­suk­ti­on jeden­falls seit dem Jahr 2016 und damit auch im Streit­jahr unab­hän­gig vom Sta­di­um der Erkran­kung nicht (mehr) um eine wis­sen­schaft­lich nicht aner­kann­te Behand­lungs­me­tho­de han­delt.

Denn nach den den Senat bin­den­den Fest­stel­lun­gen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) ent­spricht die Durch­füh­rung einer Lipo­suk­ti­on der S‑1 Leit­li­nie Lipö­dem der Arbeits­ge­mein­schaft der Wis­sen­schaft­li­chen Medi­zi­ni­schen Fach­ge­sell­schaf­ten e.V. (AWMF Regis­ter­num­mer 037–012; Stand 10/2015). In dieser von einer Exper­ten­grup­pe im infor­mel­len Kon­sens erar­bei­te­ten Leit­li­nie wird die Lipo­suk­ti­on als medi­zi­nisch indi­zier­te, eta­blier­te und risi­ko­ar­me ope­ra­ti­ve Metho­de zur Ver­bes­se­rung von Spon­t­an­schmerz, Druck­schmerz, Ödem- und Häma­tom­nei­gung beschrie­ben sowie als medi­zi­ni­sche Maß­nah­me zur Reduk­ti­on des Risi­kos für wei­te­re ortho­pä­di­sche Kom­pli­ka­tio­nen in Folge eines lipö­dem-asso­zi­ier­ten patho­lo­gi­schen Gang­bil­des beur­teilt.

Über­dies hat das FG her­aus­ge­ar­bei­tet, dass die Bun­des­ärz­te­kam­mer und fast sämt­li­che medi­zi­ni­schen Fach­ge­sell­schaf­ten (z.B. die Deut­sche Gesell­schaft für Wund­hei­lung und Wund­be­hand­lung e.V., die Deut­sche Gesell­schaft der Plas­ti­schen, Rekon­struk­ti­ven und Ästhe­ti­schen Chir­ur­gen, die Deut­sche Gesell­schaft für Phy­si­ka­li­sche Medi­zin und Reha­bi­li­ta­ti­on e.V. sowie zu Beginn des Bewer­tungs­ver­fah­rens auch die Deut­sche Kran­ken­haus­ge­sell­schaft und die Kas­sen­ärzt­li­che Bun­des­ver­ei­ni­gung), die mit der Erkran­kung befasst sind, in dem Stel­lung­nah­me­ver­fah­ren des G‑BA in den Jahren 2015 und 2016 die Auf­fas­sung ver­tre­ten haben, dass bei einem Lipö­dem eine Lipo­suk­ti­on in den meis­ten Fällen sym­ptom­lin­dern­de Wir­kun­gen hat.

Auch der G‑BA selbst hat ‑‑obwohl das Ver­fah­ren zur Durch­füh­rung einer (auf­grund sowohl des Lei­dens­drucks der betrof­fe­nen Frauen als auch auf den drin­gen­den Wunsch des Bun­des­ge­sund­heits­mi­nis­te­ri­ums zur Beschleu­ni­gung des Bewer­tungs­ver­fah­rens in Auf­trag gege­be­nen) Erpro­bungs­stu­die aus­ge­setzt ist‑‑ aus­weis­lich der Fest­stel­lun­gen des FG das medi­zi­ni­sche Poten­ti­al der strei­ti­gen Behand­lungs­me­tho­de im Streit­jahr bestä­tigt.

Nach den Fest­stel­lun­gen des FG steht zudem fest, dass es sich bei der Lipo­suk­ti­on regel­mä­ßig nicht um einen kos­me­ti­schen Ein­griff han­delt. Den her­an­ge­zo­ge­nen Stel­lung­nah­men der mit der Behand­lung von Lipö­de­men befass­ten Wis­sen­schaft­ler ist viel­mehr zu ent­neh­men, dass eine Lipo­suk­ti­on regel­mä­ßig nicht auf eine opti­sche Ver­schö­ne­rung der Pati­en­tin­nen, son­dern auf die Lin­de­rung von Schmer­zen sowie die Ver­mei­dung von Sekun­där­erkran­kun­gen zielt, und dadurch die ‑‑häufig wir­kungs­lo­se und die Pati­en­tin­nen erheb­lich ein­schrän­ken­de und belastende‑‑ kon­ser­va­ti­ve Behand­lung redu­ziert oder gar über­flüs­sig wird.

Ange­sichts dessen kann für das Streit­jahr nicht (mehr) davon aus­ge­gan­gen werden, dass es sich bei einer Lipo­suk­ti­on zur Behand­lung eines Lipö­dems um eine ledig­lich gesund­heits­för­dern­de Vor­beu­ge-/Fol­ge­maß­nah­me oder eine Maß­nah­me han­delt, die nicht ein­deu­tig der Lin­de­rung einer Krank­heit dient und des­halb eine mit den in § 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. f EStDV auf­ge­führ­ten Behand­lungs­me­tho­den ver­gleich­ba­re Metho­de dar­stellt.

3. Ent­ge­gen der Auf­fas­sung des FA steht das Fehlen eines vor den Ope­ra­tio­nen erstell­ten amts­ärzt­li­chen Gut­ach­tens oder einer ärzt­li­chen Beschei­ni­gung eines Medi­zi­ni­schen Diens­tes der Kran­ken­ver­si­che­rung der Aner­ken­nung der Kosten als außer­ge­wöhn­li­che Belas­tung daher nicht ent­ge­gen. Dass die Lipo­suk­ti­on bei der Klä­ge­rin nicht kos­me­ti­schen Zwe­cken gedient hat, son­dern medi­zi­nisch indi­ziert war, wird durch das pri­vat­ärzt­li­che Schrei­ben vom 12.01.2016 hin­rei­chend nach­ge­wie­sen. Die Sache ist spruch­reif. Denn die Höhe der Auf­wen­dun­gen steht zwi­schen den Betei­lig­ten nicht in Streit.

4. Die Kos­ten­ent­schei­dung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.