Fahr­eig­nung: Behör­de muss vor Anord­nung zur Bei­brin­gung eines Gut­ach­tens die Inter­es­sen und der Situa­ti­on des Antrag­stel­lers berück­sich­ti­gen und dessen Belan­ge auch in ihre Ermes­sens­ent­schei­dung ein­be­zie­hen

Tenor

I.

Die auf­schie­ben­de Wir­kung der Klage (Az. M 6 K 16.4525) gegen den Bescheid des Land­rats­amts Mün­chen vom 1. Sep­tem­ber 2016 wird hin­sicht­lich Nrn. 1 und 2 des Bescheids wie­der­her­ge­stellt, hin­sicht­lich der Nr. 5 wird sie ange­ord­net. Im Übri­gen wird der Antrag abge­lehnt.

II.

Der Antrags­geg­ner hat die Kosten des Ver­fah­rens zu tragen.

III.

Der Streit­wert wird auf EUR 7.500,00 fest­ge­setzt.

Gründe

I.

Der 19… gebo­re­ne Antrag­stel­ler bean­trag­te bei der Fahr­erlaub­nis­be­hör­de des Antrags­geg­ners am … Januar 2016 die Ver­län­ge­rung seiner Fahr­erlaub­nis der Klasse CE samt Unter­klas­sen und legte hier­für Unter­la­gen vor, dar­un­ter eine Beschei­ni­gung über eine ärzt­li­che Augen­un­ter­su­chung vom … Dezem­ber 2015, die aus­rei­chen­des Seh­ver­mö­gen bestä­tigt, sowie den Unter­su­chungs­be­richt des … Zen­trums … Dr. A… vom … Dezem­ber 2015. Darin ist u. a. unter der Über­schrift “Eine wei­ter­ge­hen­de Unter­su­chung wegen…” ver­merkt: “Dia­be­tes mell.” (d. h. Dia­be­tes mel­li­tus). Das nahm die Behör­de zum Anlass, vom Antrag­stel­ler ohne vor­he­ri­ge Anhö­rung mit Ver­fü­gung vom … Januar 2016 die Bei­brin­gung eines Gut­ach­tens einer amt­lich aner­kann­ten Begut­ach­tungs­stel­le für Fahr­eig­nung nach § 46 Abs. 3 Fahr­erlaub­nis­ver­ord­nung — FeV -, § 11 Abs. 2 Nr. 5 FeV i. V. m. der Anlage 4 Nr.5 der FeV zu for­dern, das bis zum … März 2016 vor­zu­le­gen sei. Mit diesem Gut­ach­ten solle u. a. geklärt werden, wel­cher Typ der Dia­be­tes-Erkran­kung vor­lie­ge (Frage Nr. 1), ob die Dia­be­tes-Erkran­kung behand­lungs­be­dürf­tig sei und wenn ja, um welche Behand­lungs­me­tho­de es sich handle (Nr. 2), ob eine aus­ge­gli­che­ne Stoff­wech­sel­la­ge ohne Gefahr von Hyper­glyk­ämie oder Hypo­glyk­ämie vor­lie­ge (Nr. 3) und ob krank­heits­be­ding­te Kom­pli­ka­tio­nen gege­ben oder zu erwar­ten seien wie Reti­no­pa­thia-Dia­be­ti­ka, Neph­ro­pa­thia-Dia­be­ti­ka oder kar­dia­le und zere­bra­le Angio­pa­thie. Außer­dem wird in den ins­ge­samt 9 Fragen nicht nur eine Klä­rung der Fahr­eig­nung bezüg­lich Kraft­fahr­zeu­gen der Gruppe II, son­dern auch der Gruppe I (Nr. 8) gefor­dert sowie nach der Not­wen­dig­keit von Nach­un­ter­su­chun­gen gefragt.

Auf der Gut­ach­tens­an­ord­nung ist auf Seite 2 (Blatt 18 der Akte) neben dem ein­ge­rückt gesetz­ten Termin zur Vor­la­ge hand­schrift­lich ver­merkt, “ver­län­gert bis …4.2016”, ohne dass der Akte ent­nom­men werden kann, worauf diese Anmer­kung Bezug nimmt oder wer sie warum ver­an­lasst hat. Trotz dieser Frist­ver­län­ge­rung hörte die Behör­de den Antrag­stel­ler bereits mit Schrei­ben vom … März 2016, zuge­stellt am … März 2016, zur beab­sich­tig­ten Ent­zie­hung der Fahr­erlaub­nis an. Nach­dem am … März 2016 dann der vom Antrag­stel­ler unter­zeich­ne­te Gut­ach­tens­auf­trag ein­ge­gan­gen war, über­sand­te die Behör­de mit Schrei­ben vom … März 2016 die Akte an die benann­te Begut­ach­tungs­stel­le, von wo sie mit Schrei­ben vom … Juli 2016 wieder zurück­ge­sandt wurde.

Mit Schrei­ben vom … Juli 2016 bestell­te sich sodann der Bevoll­mäch­tig­te des Antrag­stel­lers und teilte mit, es sei zu Dif­fe­ren­zen seines Man­dan­ten mit der Begut­ach­tungs­stel­le gekom­men. Da sich For­de­run­gen nach einer Nach­bes­se­rung gegen­über Begut­ach­tungs­stel­len regel­mä­ßig als nutz­los erwei­sen, werde um die Beauf­tra­gung einer ande­ren Begut­ach­tungs­stel­le gebe­ten. Außer­dem solle die Begut­ach­tung auf Fahr­zeu­ge der Gruppe II beschränkt werden, da sein Man­dant Fahr­zeu­ge der Gruppe I nicht mehr führen wolle. Dieses Ansin­nen wies die Behör­de mit Schrei­ben vom … August 2016 zurück, hörte zur beab­sich­tig­ten Ent­zie­hung der Fahr­erlaub­nis wegen Nicht­vor­la­ge des gefor­der­ten Gut­ach­tens an und gab dem Antrag­stel­ler letzt­mals Gele­gen­heit, einen kos­ten­pflich­ti­gen Bescheid über die Ent­zie­hung seiner Fahr­erlaub­nis durch Ver­zicht hier­auf abzu­wen­den.

Hierzu trug der Bevoll­mäch­tig­te des Antrag­stel­lers mit Schrift­satz vom … August 2016, der am selben Tag bei der Behör­de ein­ging, für diesen umfang­reich dazu vor, was er bzw. dessen Ehe­frau unter­nom­men habe, um die Fahr­eig­nungs­zwei­fel aus­zu­räu­men, warum man das Fahr­eig­nungs­gut­ach­ten, das ein nega­ti­ves Ergeb­nis habe, nicht vor­le­gen son­dern eine erneu­te Begut­ach­tung durch­füh­ren wolle und wes­halb es zu Ver­zö­ge­run­gen bei der Behand­lung der Ange­le­gen­heit gekom­men sei. Außer­dem wird ange­ge­ben, der Man­dant wolle keine Fahr­zeu­ge der Klasse A mehr führen.

Dar­auf­hin entzog die Behör­de dem Antrag­stel­ler mit Bescheid vom 1. Sep­tem­ber 2016 unter Anord­nung der sofor­ti­gen Voll­zie­hung (Nr. 4 des Bescheids) die Fahr­erlaub­nis aller Klas­sen (Nr. 1), gab ihm auf, seinen Füh­rer­schein inner­halb einer Woche ab Zustel­lung des Bescheids bei der Behör­de abzu­lie­fern (Nr.2) und drohte ihm für den Fall der nicht frist­ge­rech­ten Abgabe des Füh­rer­scheins ein Zwangs­geld in Höhe von a… Euro an (Nr.3). Nr. 5 des Bescheids ent­hält die Kos­ten­ent­schei­dung. Der ins­be­son­de­re auf § 11 Abs. 8 FeV gestütz­te Bescheid ist mit der Nicht­vor­la­ge des Gut­ach­tens begrün­det. Die Anord­nung der sofor­ti­gen Voll­zie­hung sei erfor­der­lich, weil der Antrag­stel­ler die wegen seiner Dia­be­tes-Erkran­kung an seiner Fahr­eig­nung bestehen­den Zwei­fel nicht mit­tels Vor­la­ge des gefor­der­ten Gut­ach­tens aus­ge­räumt habe. Weil eine solche Erkran­kung zur Gefähr­dung ande­rer Ver­kehrs­teil­neh­mer, etwa infol­ge Bewusst­seins­ver­lusts, führen könn­ten, müsse die wei­te­re Ver­kehrs­teil­nah­me des Antrag­stel­lers sofort unter­bun­den werden. Dieser hat seinen Füh­rer­schein am … Sep­tem­ber 2016 abge­lie­fert.

Im Rahmen des gericht­li­chen Ver­fah­rens legte der Pro­zess­be­voll­mäch­tig­te des Antrag­stel­lers als Anlage zu Antrags­schrift vom … Okto­ber 2016 u. a. das Gut­ach­ten der … GmbH vom … Juli 2016 vor, das mit einem ins­ge­samt nega­ti­ven Ergeb­nis endet, jedoch fest­stellt, es liege ein mit Insu­lin behan­del­ter, stabil ein­ge­stell­ter Dia­be­tes mel­li­tus vor. Dane­ben wird u. a. fest­ge­stellt, es lägen krank­heits­be­ding­te Kom­pli­ka­tio­nen wie Neph­ro­pa­thia-Dia­be­ti­ka und zere­bra­le Angio­pa­thie vor. Eine Reti­no­pa­thia Dia­be­ti­ka, eine kar­dia­le Angio­pa­thie und eine peri­phe­re Neu­ro­pa­thie könne nicht bewer­tet werden, da die erfor­der­li­chen Befun­de nicht vor­ge­legt worden seien. Außer­dem sei der Antrag­stel­ler nicht aus­rei­chend mit sämt­li­chen Vor­sor­ge­maß­nah­men, die ein auto­fah­ren­der Dia­be­ti­ker beach­ten müsse, ver­traut. Er sei wegen einer Erkran­kung (Dia­be­tes mel­li­tus), die nach Anlage 4 Nr. 5 der FeV die Fahr­eig­nung in Frage stelle, nicht in der Lage, den Anfor­de­run­gen zum Führen von Kraft­fahr­zeu­gen der Gruppe I und II gerecht zu werden.

Gegen den am … Sep­tem­ber 2016 zuge­stell­ten Bescheid ließ der Antrag­stel­ler durch seinen Pro­zess­be­voll­mäch­tig­ten durch Schrift­satz vom … Okto­ber 2016, ein­ge­gan­gen bei Gericht am selben Tag, unter Wie­der­ho­lung seines Vor­brin­gens im Ver­wal­tungs­ver­fah­ren Klage zum Baye­ri­schen Ver­wal­tungs­ge­richt Mün­chen erhe­ben (Az. M 6 K 16.4525) mit dem Antrag, den Bescheid vom 1. Sep­tem­ber 2016 auf­zu­he­ben und außer­dem

die auf­schie­ben­de Wir­kung der Klage gegen den Bescheid anzu­ord­nen.

Der Antrags­geg­ner legte mit Schrift­satz vom 20. Okto­ber 2016, ein­ge­gan­gen am 24. Okto­ber 2016, seine Akte vor und bean­trag­te,

den Antrag abzu­leh­nen.

Am 16. Januar 2017 führte der Bericht­erstat­ter einen Erör­te­rungs­ter­min durch, wobei beide Par­tei­en erschie­nen waren, sich der Antrags­geg­ner jedoch einer ein­ver­nehm­li­chen Lösung des Rechts­streits ver­wei­ger­te.

Durch Beschluss vom 17. Januar 2017 wurde der Rechts­streit zur Ent­schei­dung auf den Ein­zel­rich­ter über­tra­gen (§ 6 Abs. 1 Ver­wal­tungs­ge­richts­ord­nung — VwGO).

Hin­sicht­lich der wei­te­ren Ein­zel­hei­ten des Sach­ver­halts und des Vor­brin­gens der Betei­lig­ten im Übri­gen wird auf die Gerichts- und Behör­den­ak­ten ein­schließ­lich der­je­ni­gen im Ver­fah­ren M 6 K 16.4525 sowie die Nie­der­schrift über den Erör­te­rungs­ter­min am 16. Januar 2017 Bezug genom­men (§ 117 Abs. 3 VwGO analog).

II.

Der Antrag ist unzu­läs­sig, soweit er sich gegen die Zwangs­geld­an­dro­hung (Nr. 3) im Bescheid vom 1. Sep­tem­ber 2016 rich­tet. Im Übri­gen ist er zuläs­sig und begrün­det. Bei der hier gebo­te­nen, aber auch aus­rei­chen­den sum­ma­ri­schen Prü­fung erweist sich der Bescheid ins­be­son­de­re bezüg­lich der Ent­zie­hung der Fahr­erlaub­nis als rechts­wid­rig, so dass die hier­ge­gen gerich­te­te Klage Erfolg haben wird. In einem sol­chen Fall besteht kein öffent­li­ches Inter­es­se an der Bei­be­hal­tung des Sofort­voll­zugs.

1. Der Antrag auf Anord­nung der auf­schie­ben­den Wir­kung der Klage ist hin­sicht­lich der Zwangs­geld­an­dro­hung in Nr. 3 des streit­ge­gen­ständ­li­chen Bescheids bereits unzu­läs­sig. Denn der Antrag­stel­ler hat seinen Füh­rer­schein bereits vor Kla­ge­er­he­bung abge­ge­ben. Damit ist die Ver­pflich­tung aus Nr. 2 des Bescheids erfüllt. Es ist weder vor­ge­tra­gen noch sonst ersicht­lich, dass der Antrags­geg­ner das Zwangs­geld ent­ge­gen der Vor­schrift des Art. 37 Abs. 4 Satz 1 VwZVG gleich­wohl noch bei­trei­ben wird. Daher fehlt es dem Antrag­stel­ler für einen Antrag auf Anord­nung der auf­schie­ben­den Wir­kung der Klage hin­sicht­lich Nr. 3 des Bescheids am erfor­der­li­chen Rechts­schutz­be­dürf­nis.

2. Im Übri­gen ist der Antrag zuläs­sig und begrün­det. Ins­be­son­de­re die Ent­zie­hung der Fahr­erlaub­nis in Nr. 1 des Bescheids vom 1. Sep­tem­ber 2016 ist rechts­wid­rig, da sie ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Antrags­geg­ners in § 11 Abs. 8 FeV vor­lie­gend keine Rechts­grund­la­ge findet. Die Vor­aus­set­zung einer recht­mä­ßi­gen Gut­ach­tens­an­ord­nung gegen­über dem Antrag­stel­ler ist aus meh­re­ren, selbst­tra­gend neben­ein­an­der ste­hen­den Grün­den nicht erfüllt, so dass die Behör­de aus der Nicht­vor­la­ge des somit zu Unrecht gefor­der­ten Gut­ach­tens nicht auf die man­geln­de Eig­nung des Antrag­stel­lers zum Führen von Kraft­fahr­zeu­gen schlie­ßen durfte.

2.1 Die Gut­ach­tens­an­ord­nung vom … Januar 2016 ist bereits des­halb rechts­wid­rig, weil sie gegen den Grund­satz der Ver­hält­nis­mä­ßig­keit ver­stößt. Der Behör­de war zu diesem Zeit­punkt ledig­lich bekannt, dass der Antrag­stel­ler an Dia­be­tes mel­li­tus erkrankt ist, was er offen­sicht­lich dem unter­su­chen­den Arzt am … Dezem­ber 2016 selbst offen­bart hat. Dies für sich genom­men ist jedoch kei­nes­falls eine Infor­ma­ti­on, die eine Fahr­erlaub­nis­be­hör­de dazu berech­tigt, sogleich ein ärzt­li­ches Gut­ach­ten einer aner­kann­ten Begut­ach­tungs­stel­le für Fahr­eig­nung anzu­ord­nen. Das ergibt sich ein­deu­tig aus den unter­schied­li­chen Kon­se­quen­zen, welche in Nr. 5 der Anlage 4 zur FeV hin­sicht­lich der Fahr­eig­nung aus den ver­schie­de­nen Formen und Inten­si­tä­ten der Dia­be­tes­er­kran­kung gezo­gen werden, wobei diese auch noch unter­schied­lich aus­fal­len je nach­dem, ob es um Fahr­zeu­ge der Gruppe I oder der Gruppe II geht. So ist etwa nach Nr. 5.3 der Anlage 4 zur FeV die Eig­nung zum Führen von Kraft­fahr­zeu­gen der Gruppe I unein­ge­schränkt gege­ben, wenn eine aus­ge­gli­che­ne Stoff­wech­sel­la­ge unter der The­ra­pie mit Diät oder oralen Anti­dia­be­ti­ka mit nied­ri­gem Hypo­glyk­ämie­ri­si­ko vor­liegt; auch für Kraft­fahr­zeu­ge der Gruppe II besteht in diesem Fall Fahr­eig­nung, wenn eine sta­bi­le Stoff­wech­sel­füh­rung besteht und in den letz­ten 3 Mona­ten keine Hypo­glyk­ämie auf­ge­tre­ten ist. Ob ein sol­cher Fall vor­liegt, kann und muss die Behör­de zunächst durch die Auf­for­de­rung zur Vor­la­ge geeig­ne­ter Beschei­ni­gun­gen des den Dia­be­tes behan­deln­den Arztes abklä­ren. Werden solche vor­ge­legt und geht aus ihnen hervor, dass ein Fall der Nr. 5.4 der Anlage 4 zur FeV gege­ben ist, so darf die Behör­de hin­sicht­lich Kraft­fahr­zeu­gen der Gruppe I kei­ner­lei wei­te­re Maß­nah­men ergrei­fen, ohne dass ihr wei­te­re Tat­sa­chen hierzu Anlass geben. Wird eine sta­bi­le Stoff­wech­sel­la­ge sowie keine Hypo­glyk­ämie in den ver­gan­ge­nen 3 Mona­ten beschei­nigt, wonach der Betrof­fe­ne sei­tens der Behör­de aus­drück­lich zu fragen ist, sind in Fällen, in denen es auch um Kraft­fahr­zeu­ge der Gruppe II geht, eben­falls keine wei­te­ren Maß­nah­men mehr ver­an­lasst, sofern nicht zusätz­li­che Tat­sa­chen hier­für aus­rei­chend Anlass geben.

Dieses Vor­ge­hen der Behör­de ist unter Beach­tung des Grund­sat­zes der Ver­hält­nis­mä­ßig­keit schon des­halb gebo­ten, weil es den Betrof­fe­nen weni­ger stark belas­tet als ein Gut­ach­ten einer amt­lich aner­kann­ten Begut­ach­tungs­stel­le, indem es weni­ger (oder sogar nichts) kostet und weni­ger stark in die Per­sön­lich­keits­rech­te des Betrof­fe­nen ein­greift. Zugleich ist es aber auch ein geeig­ne­tes Mittel, um abzu­klä­ren, ob wei­ter­ge­hen­de Maß­nah­men ver­an­lasst sind, weil ein ande­rer als ein Fall der Nr. 5.3 der Anlage 4 zur FeV vor­liegt.

Im vor­lie­gen­den Fall hat die Behör­de nicht einmal ver­sucht, durch weni­ger ein­schnei­den­de Maß­nah­men erst einmal zu klären, welche Art einer Dia­be­tes­er­kran­kung beim Antrag­stel­ler vor­liegt, wie sie behan­delt wird und mit wel­chem Ergeb­nis. Sie hat noch nicht einmal in Erwä­gung gezo­gen, dass ein Fall der Nr. 5.3 der Anlage 4 zur FeV vor­lie­gen könnte. Das Vor­ge­hen der Behör­de war also weder ver­hält­nis­mä­ßig noch erfor­der­lich, zumal sie nicht zwi­schen Maß­nah­men in Bezug auf Fahr­zeu­ge der Grup­pen I und II unter­schie­den hat.

Bei einer als “Volks­krank­heit” bezeich­ne­ten Erkran­kung wie Dia­be­tes mel­li­tus Typ 2 kann es offen­sicht­lich nicht rich­tig sein, jeder­mann ohne Kennt­nis von wei­te­ren kon­kre­ten Umstän­den des Falles sei­tens der Fah­rer­er­laub­nis­be­hör­den mit einem ärzt­li­chen Gut­ach­ten einer amt­lich aner­kann­ten Begut­ach­tungs­stel­le für Fahr­eig­nung zu über­zie­hen. Schät­zun­gen zufol­ge gibt es in Deutsch­land aktu­ell mehr als sechs Mil­lio­nen behan­del­te und noch einmal so viele uner­kann­te und damit unbe­han­del­te Dia­be­tes­er­kran­kun­gen (Anga­ben des Deut­schen Dia­be­tes-Zen­trums, News­let­ter vom 19. Januar 2017, http://www.diabetes-heute.uni-duesseldorf.de/fachthemen/entstehungausbreitungverbreitung/index.html?TextID=3836). Bei diesem Per­so­nen­kreis müssen zunächst die Umstän­de des jewei­li­gen Falles mit den mil­des­ten Mit­teln so weit wie mög­lich abge­klärt und sodann auf Basis der so gewon­ne­nen Erkennt­nis­se unter Aus­übung pflicht­ge­mä­ßen Ermes­sens ent­schie­den werden, ob und ggf. welche Fragen einer Beant­wor­tung durch ein Gut­ach­ten einer amt­lich aner­kann­ten Begut­ach­tungs­stel­le für Fahr­eig­nung zuge­führt werden sollen. Das ist vor­lie­gend unter­blie­ben, was allein für sich schon zur Rechts­wid­rig­keit der Gut­ach­tens­an­ord­nung, damit zur Rechts­wid­rig­keit des auf ihr beru­hen­den Bescheids vom 1. Sep­tem­ber 2016 und letzt­lich zum (über­wie­gen­den) Erfolg des vor­lie­gen­den Antrags führt.

2.2 Unab­hän­gig hier­von — und inso­weit selbst­tra­gend — hat der vor­lie­gen­de Antrag allein schon des­halb Erfolg, weil die Gut­ach­tens­fra­gen jeden­falls teil­wei­se rechts­wid­rig sind, so dass die Gut­ach­tens­an­ord­nung ins­ge­samt als rechts­wid­rig anzu­se­hen ist. Dazu ist zunächst darauf hin­zu­wei­sen, dass eine Gut­ach­tens­an­ord­nung ins­ge­samt als rechts­wid­rig anzu­se­hen ist, wenn sie aus meh­re­ren Fragen besteht, von denen zumin­dest eine unzu­läs­sig ist; denn es kann dem Betrof­fe­nen nicht zuge­mu­tet werden, selbst her­aus­zu­fin­den, wel­chem Teil einer Gut­ach­tens­an­ord­nung er Folge leis­ten muss (st. Rspr. etwa VG Mün­chen B. v. 13.9.2013, M 6b S 13.2756 m. w. N.).

Vor­lie­gend ist bereits die Frage 1 unzu­läs­sig, weil diese mit­tels Vor­la­ge ein­fa­cher Attes­te des den Dia­be­tes behan­deln­den Arztes (so der Dia­be­tes über­haupt behand­lungs­be­dürf­tig ist) hätte beant­wor­tet werden können. Das­sel­be gilt für die Fragen 2–4. Gerade der behan­deln­de Arzt müsste neben Anga­ben zu Art und Inten­si­tät des Dia­be­tes, seiner Behand­lung und der Stoff­wech­sel­la­ge auch Aus­kunft über die Gefahr von Unter- oder Über­zu­cke­rung und den Stand der Ein­stel­lung des Dia­be­tes sowie dazu geben können, ob solche Stoff­wech­sel­pro­ble­me inner­halb der ver­gan­ge­nen 3 Monate auf­ge­tre­ten sind (rele­vant für Kraft­fahr­zeu­ge der Gruppe II). Jeden­falls teil­wei­se müsste der behan­deln­de Arzt auch die Fragen 5 und 6 beant­wor­ten können, etwa weil er den Pati­en­ten mit den Mög­lich­kei­ten und Vor­keh­run­gen zur Erken­nung einer Unter­zu­cke­rung und den Vor­sichts­maß­nah­men für dia­be­tes­er­krank­te Auto­fah­rer bekannt und ver­traut gemacht hat. Frag­lich ist hier, warum Moto­rad- oder LKW-Fahrer nach Ansicht der Behör­de mit diesen Maß­nah­men nicht ver­traut sein müssen (sie kommen in Frage 6 nicht vor). Schließ­lich lassen sich diese Fragen ggf. auch anhand des Dia­be­ti­ker­pas­ses und des Zucker­ta­ge­buchs beant­wor­ten.

Erst nach Abklä­rung dieser Fragen im Vor­feld hätte geprüft und ent­schie­den werden können und müssen, was von den nach­fol­gen­den Fragen 7 und 8 noch Gegen­stand einer Begut­ach­tung sein soll bzw. muss. Schließ­lich ist es unzu­läs­sig, wenn die Behör­de, die ledig­lich von der Exis­tenz einer Dia­be­tes-Erkran­kung weiß, nach mög­li­chen Fol­ge­er­kran­kun­gen “forscht”, ohne für deren Vor­lie­gen irgend­ei­nen kon­kre­ten Anhalts­punkt zu haben. Unzu­läs­sig war vor­lie­gend auch die Frage nach einer Reti­no­pa­thia dia­be­ti­ca, weil der Antrag­stel­ler eine Beschei­ni­gung über eine Augen­un­ter­su­chung vom … Dezem­ber 2015 vor­ge­legt hat, die ihm voll aus­rei­chen­des Seh­ver­mö­gen bestä­tigt, so dass kei­ner­lei Anlass für die Frage nach dieser Fol­ge­er­kran­kung bestand.

2.3 Da die Gut­ach­tens­an­ord­nung sich somit als ins­ge­samt recht­lich nicht halt­bar erweist, konnte die Behör­de auf­grund der Nicht­vor­la­ge des zu Unrecht gefor­der­ten Gut­ach­tens nicht gemäß § 11 Abs. 8 FeV auf die feh­len­de Eig­nung des Antrag­stel­lers schlie­ßen und durfte ihm die Fahr­erlaub­nis nicht ent­zie­hen. Dem Antrag war daher, soweit er zuläs­sig ist, statt zu geben.

2.4 Der Bescheid ist aus einem wei­te­ren (selbst­tra­gen­den) Grund rechts­wid­rig, der für sich allein eben­falls dessen Auf­he­bung im Haupt­sa­che­ver­fah­ren nach sich ziehen wird und daher zum Erfolg des vor­lie­gen­den Antrags führt. Zutref­fend geht die Behör­de davon aus, dass die Gut­ach­tens­an­ord­nung gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 FeV in ihrem Ermes­sen stand. Zu den Inter­es­sen des Antrag­stel­lers finden sich in der Gut­ach­tens­an­ord­nung auf deren Seite 2 Aus­füh­run­gen. Diese sind so gehal­ten, dass sie in jeder belie­bi­gen Gut­ach­tens­an­ord­nung ver­wen­det werden könn­ten. Ein Bezug zum vor­lie­gen­den Fall und den Inter­es­sen des Antrag­stel­lers, die even­tu­ell gegen den Erlass der Gut­ach­tens­an­ord­nung spre­chen könn­ten, ist nicht erkenn­bar. Das erklärt sich mit der unter­blie­be­nen Anhö­rung des Antrag­stel­lers vor Erlass der Gut­ach­tens­an­ord­nung. Die Behör­de hatte also kei­ner­lei Kennt­nis von den Inter­es­sen und der Situa­ti­on des Antrag­stel­lers, wes­halb sie dessen Belan­ge auch nicht in ihre Ermes­sens­ent­schei­dung hat ein­be­zie­hen können. Folg­lich leidet diese Ermes­sens­ent­schei­dung an einem schwe­ren Mangel, der zu ihrer Feh­ler­haf­tig­keit und damit zur Rechts­wid­rig­keit der Ermes­sens­ent­schei­dung (Gut­ach­tens­an­ord­nung) ins­ge­samt führt.

3. Die Kos­ten­ent­schei­dung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Dabei ist das Unter­lie­gen des Antrag­stel­lers hin­sicht­lich der Zwangs­geld­an­dro­hung gegen­über der Ent­zie­hung der Fahr­erlaub­nis und der Pflicht zur Abgabe des Füh­rer­scheins unab­hän­gig vom Streit­wert und der Höhe des ange­droh­ten Zwangs­gel­des nach pflicht­ge­mä­ßem Ermes­sen als derart gering anzu­se­hen, dass es gegen­über dem Obsie­gen des Antrag­stel­lers nicht nen­nens­wert ins Gewicht fällt, so dass der Antrags­geg­ner die Kosten ins­ge­samt zu tragen hat, wobei nicht außer Acht gelas­sen werden darf, dass dem Antrag­stel­ler zur Mei­dung des Zwangs­gel­des nichts ande­res übrig blieb, als seinen Füh­rer­schein abzu­lie­fern.

Die Fest­set­zung des Streit­werts ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 des Gerichts­kos­ten­ge­set­zes — GKG — i. V. m. den Emp­feh­lun­gen des Streit­wert­ka­ta­logs für die Ver­wal­tungs­ge­richts­bar­keit (abge­druckt in Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, Anh. § 164 Rn. 14).