Leit­satz

Die erfor­der­li­che Hilfe durch einen Ein­zel­fall­hel­fer zur Sicher­stel­lung der Teil­nah­me am Sport­un­ter­richt weist die gemäß § 92 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB XII not­wen­di­ge unmit­tel­ba­re Ver­knüp­fung mit dem Schul­be­such auf.

Tenor

Auf die Beschwer­de der Antrag­stel­le­rin wird der Beschluss des Sozi­al­ge­richts Neu­rup­pin vom 9. Dezem­ber 2016 geän­dert.

Der Antrags­geg­ner wird ver­pflich­tet, die Kosten eines Ein­zel­fall­hel­fers für die Antrag­stel­le­rin mit den Auf­ga­ben­ge­bie­ten Blut­zu­cker­mes­sun­gen vor und nach dem Sport­un­ter­richt, Hilfe bei Unter­zu­cke­rungs- oder Über­zu­cke­rungs­sym­pto­men sowie Inter­pre­ta­ti­on von Blut­zu­cker­wer­ten, Erken­nen und sofor­ti­ge adäqua­te Behand­lung von Unter- und Über­zu­cke­run­gen und Anpas­sung der Koh­le­hy­drat­men­ge bei Dia­be­tes mel­li­tus Typ I für jeweils 15 Minu­ten vor Beginn des Sport­un­ter­richts bis ein­schließ­lich 15 Minu­ten nach dem Ende des Sport­un­ter­richts ohne Kos­ten­bei­trag der Antrag­stel­le­rin oder ihrer Eltern zu über­neh­men.

Die Ver­pflich­tung beginnt mit dem ersten Schul­tag der Antrag­stel­le­rin nach Zugang dieses Beschlus­ses per Tele­fax beim Antrags­geg­ner und endet mit dem Ablauf des Schul­jahrs 2016/2017, spä­tes­tens jedoch mit Ein­tritt der Bestands­kraft eines Beschei­des des Antrags­geg­ners bzgl. des gel­tend gemach­ten Anspruchs der Kosten eines Ein­zel­fall­hel­fers.

Im Übri­gen wird die Beschwer­de zurück­ge­wie­sen.

Der Antrags­geg­ner hat der Antrag­stel­le­rin die außer­ge­richt­li­chen Kosten des gesam­ten Ver­fah­rens zu erstat­ten.

Gründe

Die Beschwer­de der Antrag­stel­le­rin gegen den Beschluss des Sozi­al­ge­richts Neu­rup­pin vom 9. Dezem­ber 2016, mit dem dieses es abge­lehnt hat, den Antrags­geg­ner im Wege der einst­wei­li­gen Anord­nung zu ver­pflich­ten, die Kosten eines Ein­zel­fall­hel­fers für das Schul­jahr 2016/2017 zu über­neh­men, ist zuläs­sig und teil­wei­se begrün­det. Der Antrag­stel­le­rin steht der Anspruch in dem aus der Beschluss­for­mel her­vor­ge­hen­den Umfang zu.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozi­al­ge­richts­ge­setz (SGG) sind einst­wei­li­ge Anord­nun­gen zur Rege­lung eines vor­läu­fi­gen Zustands im Bezug auf ein strei­ti­ges Rechts­ver­hält­nis zuläs­sig, wenn eine solche Rege­lung zur Abwen­dung wesent­li­cher Nach­tei­le nötig erscheint. Die Not­wen­dig­keit einer vor­läu­fi­gen Rege­lung (Anord­nungs­grund) und der gel­tend gemach­te Anspruch (Anord­nungs­an­spruch) sind glaub­haft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. den § 920 Abs. 2, 294 Zivil­pro­zess­ord­nung ).

Die Antrag­stel­le­rin hat sowohl einen Anord­nungs­an­spruch als auch einen Anord­nungs­grund, also ein Eil­be­dürf­nis, glaub­haft gemacht. Sie gehört auf­grund des bei ihr dia­gnos­ti­zier­ten Dia­be­tes mel­li­tus Typ I zum Kreis der behin­der­ten Men­schen nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch/Neuntes Buch (SGB IX) und wei­ter­ge­hend zum Kreis der­je­ni­gen, die dem Grunde nach Leis­tun­gen der Ein­glie­de­rungs­hil­fe nach den §§ 53ff SGB XII bean­spru­chen können (§ 1 Nr. 3 Ver­ord­nung nach § 60 des Zwölf­ten Buches Sozi­al­ge­setz­buch [Ein­glie­de­rungs­hil­fe-VO]).

Der Anspruch ist auf Hilfen zur ange­mes­se­nen Schul­bil­dung in Gestalt eines Ein­zel­fall­hel­fers gerich­tet und ergibt sich aus §§ 53 Abs. 1 Satz 1, 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V. mit § 12 Nr. 2 Ein­glie­de­rungs­hil­fe-VO. Ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Antrags­geg­ners ist den in § 19 Abs. 3 SGB XII genann­ten Per­so­nen, hier den Eltern der Antrag­stel­le­rin, die Auf­brin­gung der Mittel für diese Hilfe nicht zuzu­mu­ten. Dies ergibt sich aus § 92 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB XII, wonach die Auf­brin­gung der Mittel bei der Hilfe zu einer ange­mes­se­nen Schul­bil­dung nur für die Kosten des Lebens­un­ter­halts zuzu­mu­ten ist. Die von der Antrag­stel­le­rin benö­tig­ten Hilfen sind allein behin­de­rungs­be­dingt und des­halb keine Kosten des Lebens­un­ter­halts.

Wie der Senat bereits in seinen Beschlüs­sen vom 8. Febru­ar 2016 — Az. L 15 SO 362/15 B ER — und 2. Sep­tem­ber 2016 — 15 SO 204/16 B ER — (beide nicht ver­öf­fent­licht) zu Fällen mit ver­gleich­ba­rem Sach­ver­halt aus­ge­führt hat, weist die erfor­der­li­che Hilfe die not­wen­di­ge unmit­tel­ba­re Ver­knüp­fung mit dem Schul­be­such auf (siehe zu einem ähn­lich gela­ger­ten Fall auch Sozi­al­ge­richt Berlin, Beschluss vom 24. Sep­tem­ber 2009 — Az. S 47 SO 2142/09 ER -; außer­dem Urteil des Bun­des­so­zi­al­ge­rich­tes vom 20. Sep­tem­ber 2012, Az. B 8 SO 15/11 R = SozR 4–3500 § 92 Nr. 1, juris Rn. 21, unter Hin­weis auf die Recht­spre­chung des Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richts , Urteil vom 10. Sep­tem­ber 1992 — Az. 5 C 7/87 -, juris Rn. 11). Nach § 12 Nr. 1 Ein­glie­de­rungs­hil­fe-VO umfasst die Hilfe zu einer ange­mes­se­nen Schul­bil­dung heil­päd­ago­gi­sche sowie sons­ti­ge Maß­nah­men zuguns­ten kör­per­lich und geis­tig behin­der­ter Kinder und Jugend­li­cher, wenn die Maß­nah­me erfor­der­lich und geeig­net ist, dem behin­der­ten Men­schen den Schul­be­such im Rahmen der all­ge­mei­nen Schul­pflicht zu ermög­li­chen oder zu erleich­tern. Nach der Recht­spre­chung des BSG liegt den Vor­schrif­ten der §§ 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 12 Nr. 2 Ein­glie­de­rungs­hil­fe-VO ein indi­vi­dua­li­sier­tes För­der­ver­ständ­nis zugrun­de. Grund­sätz­lich kommen alle Maß­nah­men in Betracht, die geeig­net und erfor­der­lich sind, die Behin­de­rungs­fol­gen zu besei­ti­gen oder zu mil­dern (vgl. Urteil des BSG vom 23. August 2013, Az. B 8 SO 10/12 R, juris Rn. 18 = SozR 4–1500 § 130 Nr. 4). Im vor­lie­gen­den Fall ergibt sich die unmit­tel­ba­re Ver­knüp­fung mit dem Schul­be­such daraus, dass die Ein­zel­fall­hil­fe zum einen über­haupt nur die Zeit des Schul­be­suchs betrifft, zum ande­ren und vor allem aber, dass die Antrag­stel­le­rin nach den vor­lie­gen­den medi­zi­ni­schen Unter­la­gen ohne Unter­stüt­zung bei der Kon­trol­le ihres Blut­zu­cker­spie­gels nicht gesi­chert in der Lage wäre, an dem Sport­un­ter­richt teil­neh­men zu können. Es muss not­wen­dig einer Unter- oder Über­zu­cke­rung schnellst­mög­lich begeg­net werden, um die Antrag­stel­le­rin keiner Gesund­heits­ge­fähr­dung aus­zu­set­zen. Dies ergibt sich aus dem Bericht der C, Sozi­al­päd­ia­tri­sches Zen­trum für chro­nisch kranke Kinder, vom 22. Dezem­ber 2016. Bei einem sechs­jäh­ri­gen Kind ist auch davon aus­zu­ge­hen, dass es selb­stän­di­ges Blut­zu­cker­mes­sen mit Ein­schät­zung einer mög­li­chen Gefähr­dungs­la­ge noch nicht vor­neh­men kann. Der Antrags­geg­ner geht selbst auch von der Not­wen­dig­keit des Ein­sat­zes des Ein­zel­fall­hel­fers für die Antrag­stel­le­rin aus, was sich bereits daraus ergibt, dass er ihn für die Zeit des Kin­der­gar­ten­be­suchs der Antrag­stel­le­rin für sport­li­che Unter­neh­mun­gen bewil­ligt hatte.

Der Anord­nungs­grund folgt aus der Tat­sa­che, dass die Antrag­stel­le­rin ohne die begehr­ten Hilfen nicht am Sport­un­ter­richt teil­neh­men könnte, was sowohl unter gesund­heit­li­chen als auch sozia­len Grün­den für sie nach­tei­lig wäre. Dar­über hinaus besteht eine Wech­sel­wir­kung zwi­schen Anord­nungs­an­spruch und Anord­nungs­grund dahin­ge­hend, dass je größer die Erfolgs­aus­sich­ten in der Haupt­sa­che sind, umso gerin­ger sind die Anfor­de­run­gen an den Anfor­de­rungs­grund und umge­kehrt (Keller in Meyer-Lade­wi­g/Kel­ler/La­de­wig, Kom­men­tar zum SGG, 11. Auf­la­ge, § 86b Rn. 27). Da die Erfolgs­aus­sich­ten in der Haupt­sa­che hier sehr hoch sind, sind die Anfor­de­run­gen an die Eil­be­dürf­tig­keit gering. Der Anord­nungs­grund ent­fällt ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Antrags­geg­ners und des Sozi­al­ge­richts auch nicht des­halb, weil die Eltern der Antrag­stel­le­rin mög­li­cher­wei­se finan­zi­ell in der Lage wären, zumin­dest bis zu einer Ent­schei­dung in der Haupt­sa­che die Kosten des Ein­zel­fall­hel­fers zu tragen. Die sich aus § 92 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB XII erge­ben­de grund­sätz­li­che Ent­schei­dung des Gesetz­ge­bers, die in § 19 Abs. 3 SGB XII genann­ten Per­so­nen, also die nahen Ange­hö­ri­gen, nicht mit den Kosten der Ein­zel­fall­hil­fe zu belas­ten, kann auch im einst­wei­li­gen Rechts­schutz­ver­fah­ren nicht unbe­ach­tet blei­ben. Es han­delt sich um einen Anspruch der Antrag­stel­le­rin, die selbst nicht in der Lage ist, die Kosten vor­zu­stre­cken. Die Eltern sind dies­be­züg­lich Dritte, da sie gemäß § 92 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB XII nicht zur Kos­ten­tra­gung ver­pflich­tet sind. Es gibt keine Rechts­grund­la­ge, die die Eltern zur Aus­kunft über ihr Ein­kom­men und Ver­mö­gen ver­pflich­ten würde, obwohl sie für die Kosten der Ein­zel­fall­hil­fe ihrer Toch­ter nicht her­an­ge­zo­gen werden können. Die Anfor­de­rung von Unter­la­gen über die Ein­kom­mens- und Ver­mö­gens­ver­hält­nis­se der Eltern durch den Antrags­geg­ner sowie die Ableh­nung der Leis­tung auf Grund man­geln­der Mit­wir­kung wegen Nicht­vor­la­ge dieser Unter­la­gen ist daher, auch unter daten­schutz­recht­li­chen Gesichts­punk­ten, bedenk­lich. Soweit der Sach­ver­halt im vor­lie­gen­den Fall mit dem­je­ni­gen in dem vom Sozi­al­ge­richt zitier­ten Beschluss vom 26. Juli 2013, Az. L 15 SO 174/13 B ER, über­haupt ver­gleich­bar ist und der Senat darin etwas ande­res ver­tre­ten hat, wird hieran nicht fest­ge­hal­ten.

Die Leis­tungs­ge­wäh­rung war für das gesam­te (Rest-)Schuljahr anzu­ord­nen, auch hier, weil die Erfolgs­aus­sich­ten in der Haupt­sa­che hoch sind. Für eine Anord­nung für die Zeit vor dem Erlass dieses Beschlus­ses gibt es keine Not­wen­dig­keit, inso­weit war die Beschwer­de zurück­zu­wei­sen.

Die Ent­schei­dung über die Kosten beruht auf § 193 SGG analog.

Gegen diesen Beschluss gibt es kein Rechts­mit­tel (§ 177 SGG).