Tenor

Auf die Revi­si­on der Klä­ge­rin wird das Urteil des Säch­si­schen Lan­des­so­zi­al­ge­richts vom 20. Okto­ber 2010 auf­ge­ho­ben und der Rechts­streit zur erneu­ten Ver­hand­lung und Ent­schei­dung an das Lan­des­so­zi­al­ge­richt zurück­ver­wie­sen.

Tat­be­stand

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Die Betei­lig­ten strei­ten über eine Ver­sor­gung mit dem Arz­nei­mit­tel Sortis (Wirk­stoff Ator­vas­ta­tin) ohne Begren­zung auf den Fest­be­trag.
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Die 1940 gebo­re­ne Klä­ge­rin ist bei der beklag­ten Kran­ken­kas­se (KK) ver­si­chert. Sie bezieht nach ihren Anga­ben seit 1.4.2000 eine Alters­ren­te, der­zeit in Höhe von monat­lich 666,30 Euro. Bei Klagen über Herz­schmer­zen und ‑rasen, Ver­dau­ungs­stö­run­gen, Schlaf­stö­run­gen, Rücken­schmer­zen, Schwin­del, Kopf­schmer­zen, depres­si­ven Stö­run­gen, Haar­aus­fall und Mus­kel­schmer­zen dia­gnos­ti­zier­te ihre Ärztin Hyper­to­nus, somat­o­for­me kar­dia­le Funk­ti­ons­stö­run­gen seit 1981, Hyper­li­pi­dä­mie seit 1991, funk­tio­nel­le Magen-Darm-Stö­run­gen, ein Radi­ku­lär­syn­drom bei NPP L 3/4, L 4/5, eine gestör­te Glu­ko­se­to­le­ranz, vaso-vagale Syn­ko­pen, Tor­ti­kol­lis spas­mo­di­cus und Tremor. Sie senkte die erhöh­ten Cho­le­ste­rin­wer­te mit Fen­ofib­rat, seit 1999 mit Ator­vas­ta­tin. Unter der Ein­nah­me von Pra­vas­ta­tin in der Zeit von März bis Juni 2005 kam es zuneh­mend zu Neben­wir­kun­gen wie Mus­kel­ver­span­nung, Ver­dau­ungs­stö­run­gen, Haar­aus­fall, Kata­rakt und einer Ver­schlech­te­rung der Blut­fet­te. Nach Abset­zen von Pra­vas­ta­tin und allei­ni­ger Diät ver­schlech­ter­ten sich die Blut­fet­te weiter. Für die in einer Fest­be­trags­grup­pe zusam­men­ge­fass­ten Sta­ti­ne besteht seit 2005 ein in der Folge mehr­fach abge­senk­ter Fest­be­trag. Arz­nei­mit­tel mit den Wirk­stof­fen Flu­vas­ta­tin, Lovas­ta­tin, Pra­vas­ta­tin und Sim­vas­ta­tin, nicht aber Ator­vas­ta­tin waren jeden­falls seit 2007 zu Prei­sen unter­halb des Fest­be­trags erhält­lich. Die Klä­ge­rin bean­trag­te des­halb, Ver­sor­gung mit dem ihr wegen Hyper­li­pi­dä­mie ver­trags­ärzt­lich ver­ord­ne­ten Arz­nei­mit­tel Sortis ohne Begren­zung auf den Fest­be­trag zu erhal­ten. Es sei in ihrem Fall das einzig neben­wir­kungs­freie Mittel (26.4.2007). Ator­vas­ta­tin gehört zur Gruppe der Sta­ti­ne. Die Beklag­te lehnte den Antrag unter Hin­weis auf die Ver­füg­bar­keit ver­gleich­ba­rer eigen­an­teils­frei­er Sta­ti­ne ab (Bescheid vom 15.5.2007, Wider­spruchs­be­scheid vom 4.7.2007).
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Die Klage auf künf­ti­ge Ver­sor­gung mit dem ver­trags­ärzt­lich ver­ord­ne­tem Arz­nei­mit­tel Sortis ohne Beschrän­kung auf den Fest­be­trag und auf Erstat­tung der den Fest­be­trag über­stei­gen­den, um die gesetz­li­che Zuzah­lung berei­nig­ten Eigen­an­tei­le, die die Klä­ge­rin seit Zugang des Beschei­des vom 15.5.2007 auf­wand­te, ist bei dem SG erfolg­los geblie­ben (Urteil vom 10.7.2008). Das LSG hat ihre Beru­fung zurück­ge­wie­sen: Die Fest­be­trags­fest­set­zung für Sta­ti­ne sei nicht zu bean­stan­den. Ein Aus­nah­me­fall, in dem Ver­si­cher­te Arz­nei­mit­tel­ver­sor­gung ohne Beschrän­kung auf den Fest­be­trag bean­spru­chen könn­ten, liege nicht vor. Es bestün­den auch trotz eines inzwi­schen erfolg­ten Behand­lungs­ver­suchs mit Sim­vas­ta­tin Zwei­fel an der Alter­na­tiv­lo­sig­keit der Behand­lung mit Sortis (Urteil vom 20.10.2010).
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Mit ihrer Revi­si­on rügt die Klä­ge­rin die Ver­let­zung der § 27 Abs 1 S 2 Nr 3, § 31 Abs 1 S 1 iVm § 2 Abs 1 SGB V. Bei ver­fas­sungs­kon­for­mer Aus­le­gung bestehe im Hin­blick auf den all­ge­mei­nen Gleich­heits­satz (Art 3 Abs 1 GG), das Recht auf Leben und kör­per­li­che Unver­sehrt­heit (Art 2 Abs 1 GG) iVm dem Sozi­al­staats­prin­zip (Art 20 Abs 1 GG) und der Rechts­schutz­ga­ran­tie (Art 19 Abs 4 GG) ein Anspruch auf Ver­sor­gung mit Sortis ohne Beschrän­kung auf den Fest­be­trag, wenn nur dieses Arz­nei­mit­tel zur neben­wir­kungs­frei­en The­ra­pie geeig­net sei.
5
Die Klä­ge­rin bean­tragt,

die Urtei­le des Säch­si­schen Lan­des­so­zi­al­ge­richts vom 20. Okto­ber 2010 und des Sozi­al­ge­richts Dres­den vom 10. Juli 2008 sowie den Bescheid der Beklag­ten vom 15. Mai 2007 in der Gestalt des Wider­spruchs­be­schei­des vom 4. Juli 2007 auf­zu­he­ben und die Beklag­te zu ver­ur­tei­len, die Klä­ge­rin abzüg­lich der gesetz­li­chen Zuzah­lung mit dem Arz­nei­mit­tel Sortis ohne Beschrän­kung auf den Fest­be­trag zu ver­sor­gen sowie ihr die den Fest­be­trag über­stei­gen­den Eigen­an­tei­le für die Beschaf­fung des Arz­nei­mit­tels Sortis in der Zeit vom Zugang des Beschei­des vom 15. Mai 2007 bis 20. Okto­ber 2010 in Höhe von 905,24 Euro zu erstat­ten.

6
Die Beklag­te bean­tragt,

die Revi­si­on zurück­zu­wei­sen.

7
Sie hält die ange­foch­te­ne Ent­schei­dung für zutref­fend.

Ent­schei­dungs­grün­de

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Die zuläs­si­ge Revi­si­on der Klä­ge­rin ist im Sinne der Zurück­ver­wei­sung der Sache an das LSG zur erneu­ten Ver­hand­lung und Ent­schei­dung begrün­det (§ 170 Abs 2 S 2 SGG). Das ange­foch­te­ne LSG-Urteil ist auf­zu­he­ben, denn es ver­letzt mate­ri­el­les Recht. Der erken­nen­de Senat ist an einer abschlie­ßen­den Ent­schei­dung gehin­dert. Die unan­ge­grif­fe­nen, den Senat bin­den­den (§ 163 SGG) Fest­stel­lun­gen des LSG rei­chen nicht aus, um abschlie­ßend über den zuläs­sig mit der kom­bi­nier­ten Anfech­tungs- und Leis­tungs­kla­ge (§ 54 Abs 4 SGG) gel­tend gemach­ten Sach­leis­tungs- und Kos­ten­er­stat­tungs­an­spruch bezüg­lich fest­be­trags­frei­er Arz­nei­mit­tel­ver­sor­gung auf­grund eines aty­pi­schen Ein­zel­falls zu ent­schei­den. Die Klä­ge­rin hat diesen Anspruch gegen die beklag­te KK auf der Grund­la­ge von § 27 Abs 1 S 2 Nr 3, § 31 SGB V und § 13 Abs 3 S 1 SGB V nur dann, wenn auf­grund unge­wöhn­li­cher Indi­vi­du­al­ver­hält­nis­se keine aus­rei­chen­de Ver­sor­gung zum Fest­be­trag mög­lich ist (dazu 1.). Die hierzu getrof­fe­nen Fest­stel­lun­gen des LSG rei­chen nicht für eine abschlie­ßen­de Ent­schei­dung des erken­nen­den Senats aus (dazu 2.). Das LSG wird das Erfor­der­li­che nun­mehr auf­zu­klä­ren haben (dazu 3.).
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Die Klä­ge­rin macht zu Recht den Anspruch auf fest­be­trags­freie Voll­ver­sor­gung mit dem Arz­nei­mit­tel Sortis mit der Anfech­tungs- und (unech­ten) Leis­tungs­kla­ge nach § 54 Abs 1 und 4 SGG gel­tend.
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Zuläs­si­ger Streit­ge­gen­stand ist der Anspruch auf Voll­ver­sor­gung mit dem Fest­be­trags­arz­nei­mit­tel Sortis, nicht die zugrun­de lie­gen­de Fest­be­trags­fest­set­zung für Arz­nei­mit­tel mit Sta­ti­nen als Wirk­stoff. Der erken­nen­de Senat hat bereits ent­schie­den, dass die Ver­sor­gung mit Fest­be­trags­arz­nei­mit­teln iS des § 35 SGB V anders als im Hilfs­mit­tel­be­reich (hierzu BSGE 105, 170 = SozR 4–2500 § 36 Nr 2, RdNr 30 f — Hör­ge­rä­te­ver­sor­gung) einem zwei­ge­teil­ten Rechts­schutz­kon­zept unter­liegt: Sind betrof­fe­ne Ver­si­cher­te mit der Fest­be­trags­fest­set­zung für Arz­nei­mit­tel nicht ein­ver­stan­den, müssen sie unmit­tel­bar die Fest­be­trags­fest­set­zung selbst gericht­lich über­prü­fen lassen (§ 35 Abs 7 S 2 SGB V). Beruft sich der Ver­si­cher­te — wie hier — für sich selbst auf einen aty­pi­schen Ein­zel­fall, in wel­chem er trotz gene­rel­ler Ach­tung der all­ge­mei­nen gesetz­li­chen Vor­ga­ben für Fest­be­trä­ge keine hin­rei­chen­de Arz­nei­mit­tel­ver­sor­gung zum Fest­be­trag erhält, kann er die kon­kre­te Leis­tung eines Arz­nei­mit­tels geson­dert auf dem dafür regel­haft vor­ge­se­he­nen Weg eines Ver­wal­tungs- und Gerichts­ver­fah­rens gegen die KK gel­tend machen (BSGE 107, 287 = SozR 4–2500 § 35 Nr 4, RdNr 24 ff — Sortis). Dem­entspre­chend kann die Klä­ge­rin, die die Fest­be­trags­fest­set­zung für Arz­nei­mit­tel mit Sta­ti­nen als Wirk­stoff nicht in Zwei­fel zieht, die Voll­ver­sor­gung mit dem Fest­be­trags­arz­nei­mit­tel Sortis im Wege der Anfech­tungs- und Leis­tungs­kla­ge als Sach­leis­tung für die Zukunft und als sach­leis­tungs­er­set­zen­de Kos­ten­er­stat­tung für die Ver­gan­gen­heit (§ 13 Abs 3 S 1 SGB V) ein­for­dern. Den Anspruch auf Kos­ten­er­stat­tung bis zum Tag der münd­li­chen Ver­hand­lung beim LSG am 20.10.2010 ist über­dies kon­kret bezif­fert bzw bezif­fer­bar (vgl zur Not­wen­dig­keit der Bezif­fe­rung BSGE 83, 254, 263 = SozR 3–2500 § 37 Nr 1 S 10 f; BSGE 102, 30 = SozR 4–2500 § 34 Nr 4, RdNr 8 — Gel­o­myr­tol; BSG SozR 4–2500 § 31 Nr 15 RdNr 14 — Rital­in). Im wie­der­eröff­ne­ten Beru­fungs­ver­fah­ren kann die Tat­sa­chen­in­stanz sodann auf eine wei­te­re Kon­kre­ti­sie­rung des Antrags hin­wir­ken.
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1. Rechts­grund­la­ge des Anspruchs gegen die Beklag­te auf zukünf­ti­ge fest­be­trags­freie Arz­nei­mit­tel­ver­sor­gung mit Sortis als Natu­ral­leis­tung ist § 27 Abs 1 S 2 Nr 3, § 31 SGB V. Daran knüpft auch der Anspruch auf Erstat­tung der der Klä­ge­rin ent­stan­de­nen Kosten für die Ver­gan­gen­heit nach § 13 Abs 3 S 1 Fall 2 SGB V an (idF durch Art 1 Nr 5 Buchst b Gesetz zur Siche­rung und Struk­tur­ver­bes­se­rung der gesetz­li­chen Kran­ken­ver­si­che­rung <Gesund­heits­struk­tur­ge­setz — GSG> vom 21.12.1992, BGBl I 2266). Denn der Anspruch auf Kos­ten­er­stat­tung für die Ver­gan­gen­heit reicht nicht weiter als ein ent­spre­chen­der Natu­ral­leis­tungs­an­spruch; er setzt daher voraus, dass die selbst beschaff­te und zukünf­tig zu beschaf­fen­de Behand­lung zu den Leis­tun­gen gehört, welche die KKn all­ge­mein in Natur als Sach- oder Dienst­leis­tung zu erbrin­gen haben (stRspr, vgl zB BSGE 79, 125, 126 f = SozR 3–2500 § 13 Nr 11 S 51 f mwN; BSGE 100, 103 = SozR 4–2500 § 31 Nr 9, RdNr 13 mwN — “Loren­zos Öl”; BSG SozR 4–2500 § 31 Nr 15 RdNr 19 — Rital­in).
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Ver­si­cher­te erhal­ten grund­sätz­lich die krank­heits­be­dingt not­wen­di­gen, nicht der Eigen­ver­ant­wor­tung (§ 2 Abs 1 S 1 SGB V) zuge­ord­ne­ten Arz­nei­mit­tel (§ 27 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB V) aus dem Leis­tungs­ka­ta­log der gesetz­li­chen Kran­ken­ver­si­che­rung (GKV) auf­grund ver­trags­ärzt­li­cher Ver­ord­nung (BSG SozR 4–2500 § 13 Nr 3 RdNr 14 mwN). Ist für ein Arz­nei­mit­tel wirk­sam ein Fest­be­trag fest­ge­setzt, trägt die KK grund­sätz­lich — abge­se­hen von der Zuzah­lung (§ 31 Abs 3 SGB V idF GKV-Moder­ni­sie­rungs­ge­set­zes <GMG> vom 14.11.2003, BGBl I 2190) — die Kosten bis zur Höhe dieses Betrags (§ 31 Abs 2 S 1 bis 5 SGB V idF durch Art 1 Nr 1 Buchst a Gesetz zur Ver­bes­se­rung der Wirt­schaft­lich­keit in der Arz­nei­mit­tel­ver­sor­gung <AVWG> vom 26.4.2006, BGBl I 984). Für andere Arznei- oder Ver­band­mit­tel trägt die KK dage­gen regel­mä­ßig die vollen Kosten abzüg­lich der vom Ver­si­cher­ten zu leis­ten­den Zuzah­lung (§ 31 Abs 2 S 1 Halbs 2 SGB V; zur Ver­fas­sungs­mä­ßig­keit der Zuzah­lungs­re­ge­lun­gen vgl grund­le­gend BSGE 100, 221 = SozR 4–2500 § 62 Nr 6). Ist für eine Leis­tung — wie hier für Sortis (vgl hierzu BSGE 107, 287 = SozR 4–2500 § 35 Nr 4) — wirk­sam ein Fest­be­trag fest­ge­setzt, erfüllt die KK ihre Leis­tungs­pflicht gegen­über dem Ver­si­cher­ten regel­mä­ßig mit dem Fest­be­trag (§ 12 Abs 2 SGB V). Die behan­deln­den Ärzte müssen ihr The­ra­pie­ver­hal­ten an der Ver­pflich­tung zur wirt­schaft­li­chen Ver­ord­nung aus­rich­ten und auf die sich aus der Ver­ord­nung erge­ben­de Pflicht zur Über­nah­me der Mehr­kos­ten hin­wei­sen, wenn sie ein Arz­nei­mit­tel ver­ord­nen, dessen Preis den Fest­be­trag über­schrei­tet (§ 73 Abs 5 S 3 SGB V; vgl zum Ganzen BSGE 107, 287 = SozR 4–2500 § 35 Nr 4, RdNr 15).
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Die Fest­be­trags­re­ge­lung ist Aus­druck des Wirt­schaft­lich­keits­ge­bots (§ 12 Abs 1 SGB V; BVerfGE 106, 275, 301, 302, 303 = SozR 3–2500 § 35 Nr 2 S 19, 20, 21 = juris RdNr 113 f, 117, 122). Arz­nei­mit­tel, die über das Maß des Not­wen­di­gen hin­aus­ge­hen oder unwirt­schaft­lich sind, weil sie gegen­über gleich geeig­ne­ten, aus­rei­chen­den und erfor­der­li­chen Mit­teln teurer sind, sind aus dem Leis­tungs­ka­ta­log der GKV grund­sätz­lich aus­ge­schlos­sen (vgl zur Rege­lungs­kon­zep­ti­on für Arz­nei­mit­tel BSGE 95, 132 RdNr 17 = SozR 4–2500 § 31 Nr 3, RdNr 24 mwN). Betrof­fe­ne Ver­si­cher­te müssen unmit­tel­bar die Fest­be­trags­fest­set­zung für Arz­nei­mit­tel selbst gericht­lich über­prü­fen lassen, wenn sie — anders als die Klä­ge­rin — hier­mit nicht ein­ver­stan­den sind (vgl zum Ganzen BSGE 107, 287 = SozR 4–2500 § 35 Nr 4, RdNr 24).
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Die Reich­wei­te des Wirt­schaft­lich­keits­ge­bots begrenzt zugleich die Wirk­kraft der Fest­be­trags-fest­set­zung für Arz­nei­mit­tel. Die Ver­si­cher­ten haben unter Beach­tung des Wirt­schaft­lich­keits­ge­bots Anspruch auf eine in der Qua­li­tät gesi­cher­te Voll­ver­sor­gung durch Sach­leis­tun­gen aus einer Pflicht­ver­si­che­rung, die durch Arbeit­neh­mer- und Arbeit­ge­ber­bei­trä­ge soli­da­risch finan­ziert wird (vgl § 3 SGB V; BVerfGE 106, 275, 306, 307 = SozR 3–2500 § 35 Nr 2 S 23 f = juris RdNr 130). Die Ver­si­cher­ten müssen sich nicht mit Teil­kos­ten­er­stat­tung zufrie­den geben(vgl BVerfGE 106, 275, 309 = SozR 3–2500 § 35 Nr 2 S 26 = juris RdNr 139). Der Nach­weis der Wirt­schaft­lich­keit bedingt im Sinne des Mini­mal­prin­zips den Beleg, dass bei Exis­tenz ver­schie­de­ner gleich zweck­mä­ßi­ger und not­wen­di­ger Behand­lungs­mög­lich­kei­ten die Kosten für den glei­chen zu erwar­ten­den Erfolg gerin­ger oder zumin­dest nicht höher sind (vgl zB BSGE 97, 190 = SozR 4–2500 § 27 Nr 12, RdNr 26; BSGE 97, 133 = SozR 4–2500 § 139 Nr 2, RdNr 40; BSGE 96, 261 = SozR 4–2500 § 92 Nr 5, RdNr 70; Hauck, SGb 2010, 193, 197 f mwN). Das Wirt­schaft­lich­keits­ge­bot greift aber nicht ein, wenn ledig­lich über­haupt nur eine Leis­tung in Rede steht (vgl BSGE 78, 70, 89 f = SozR 3–2500 § 92 Nr 6 S 46; Hauck, SGb 2010, 193, 198). Hin­ge­gen ent­spricht es dem Wirt­schaft­lich­keits­ge­bot, bei glei­cher Eig­nung im indi­vi­du­el­len Fall ein ande­res, nicht unter die Fest­be­trags­re­ge­lung fal­len­des, preis­güns­ti­ge­res Arz­nei­mit­tel bean­spru­chen zu können.
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Diesem Grund­prin­zip trägt die Fest­be­trags­re­ge­lung des § 35 SGB V Rech­nung. Sie garan­tiert für die Ver­si­cher­ten im Wesent­li­chen eine Gleich­be­hand­lung, indem sie die Rechts­grund­la­ge schafft, um typi­sche Fälle in Grup­pen zusam­men­zu­fas­sen. Dies erleich­tert auch die Erfül­lung der Auf­ga­be, die Ver­si­cher­ten nach dem jewei­li­gen Stand der medi­zi­ni­schen Erkennt­nis oder dem Stand der Tech­nik ange­mes­sen zu ver­sor­gen. Die Kon­kre­ti­sie­rung des Wirt­schaft­lich­keits­ge­bots durch das Ver­fah­ren nach §§ 35, 36 SGB V macht das Ver­wal­tungs­han­deln der KKn für die Teil­neh­mer am Gesund­heits­markt effek­ti­ver und vor­her­seh­ba­rer (vgl BVerfGE 106, 275, 308 f = SozR 3–2500 § 35 Nr 2 S 25 = juris RdNr 137). Die Fest­be­trags­fest­set­zung gilt jeweils für eine Gruppe von Arz­nei­mit­teln (§ 35 Abs 1 S 2 SGB V) und setzt hier­für die Geld­be­trä­ge fest, mit denen einer­seits eine aus­rei­chen­de medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung gewähr­leis­tet, ande­rer­seits aber ein Preis­wett­be­werb unter den Her­stel­lern ermög­licht werden soll (§ 35 Abs 5 S 1 und 2 SGB V). Die gesetz­lich vor­ge­ge­be­nen Kri­te­ri­en der Fest­be­trags­fest­set­zung sind nicht an den indi­vi­du­el­len Ver­hält­nis­sen des ein­zel­nen Pati­en­ten aus­ge­rich­tet, son­dern ori­en­tie­ren sich in gene­ra­li­sie­ren­der Weise an allen Ver­si­cher­ten (vgl näher BSGE 107, 287 = SozR 4–2500 § 35 Nr 4, RdNr 26). Dem­entspre­chend sind die Fest­be­trä­ge so fest­zu­set­zen, dass sie ledig­lich “im All­ge­mei­nen” eine aus­rei­chen­de, zweck­mä­ßi­ge und wirt­schaft­li­che sowie in der Qua­li­tät gesi­cher­te Ver­sor­gung gewähr­leis­ten (§ 35 Abs 5 S 1 SGB V).
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Geht es dage­gen um einen aty­pi­schen Aus­nah­me­fall, in dem — trotz Gewähr­leis­tung einer aus­rei­chen­den Arz­nei­mit­tel­ver­sor­gung durch die Fest­be­trags­fest­set­zung im All­ge­mei­nen — auf­grund der unge­wöhn­li­chen Indi­vi­du­al­ver­hält­nis­se keine aus­rei­chen­de Ver­sor­gung zum Fest­be­trag mög­lich ist, greift die Leis­tungs­be­schrän­kung auf den Fest­be­trag nicht ein. In Ein­klang damit weist das BVerfG darauf hin, dass es der gesetz­li­chen Rege­lungs­kon­zep­ti­on wider­spricht, mit den Geset­zes­ma­te­ria­li­en (vgl BT-Drucks 11/2237 S 176) davon aus­zu­ge­hen, es könne sich vor­über­ge­hend — ins­be­son­de­re in der Anfangs­pha­se — erge­ben, dass für den Fest­be­trag kein Mittel auf dem Markt zur Ver­fü­gung stehe (vgl BVerfGE 106, 275, 309 = SozR 3–2500 § 35 Nr 2 S 26 = juris RdNr 139).
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Auf­grund unge­wöhn­li­cher Indi­vi­du­al­ver­hält­nis­se ist keine aus­rei­chen­de Ver­sor­gung zum Fest­be­trag mehr mög­lich, wenn die zum Fest­be­trag erhält­li­chen Arz­nei­mit­tel uner­wünsch­te Neben­wir­kun­gen ver­ur­sa­chen, die über bloße Unan­nehm­lich­kei­ten oder Befind­lich­keits­stö­run­gen hin­aus­ge­hen und damit die Qua­li­tät einer behand­lungs­be­dürf­ti­gen Krank­heit (§ 27 Abs 1 S 1 SGB V) errei­chen. Die Beur­tei­lung der Ver­ur­sa­chung rich­tet sich nach der im Sozi­al­recht maß­geb­li­chen Theo­rie der wesent­li­chen Bedin­gung. Die Erfül­lung dieser Vor­aus­set­zun­gen muss in Gerichts­ver­fah­ren grund­sätz­lich zur vollen Über­zeu­gung des Gerichts fest­ste­hen. Ledig­lich für die zu prü­fen­den Kau­sal­zu­sam­men­hän­ge genügt die über­wie­gen­de Wahr­schein­lich­keit. Nach all­ge­mei­nen Grund­sät­zen tragen die Ver­si­cher­ten hier­für die objek­ti­ve Beweis­last.
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2. Die Fest­stel­lun­gen des LSG rei­chen nicht aus, um über den gel­tend gemach­ten Anspruch zu ent­schei­den. Der Anspruch eines Ver­si­cher­ten auf eigen­an­teils­freie Ver­sor­gung mit einem nur ober­halb des Fest­be­trags erhält­li­chen Fest­be­trags­arz­nei­mit­tel hängt — wie dar­ge­legt — davon ab, dass bei ihm zumin­dest objek­tiv nach­weis­bar eine zusätz­li­che behand­lungs­be­dürf­ti­ge Krank­heit oder eine behand­lungs­be­dürf­ti­ge Ver­schlim­me­rung einer bereits vor­lie­gen­den Krank­heit nach indi­ka­ti­ons­ge­rech­ter Nut­zung aller anwend­ba­ren, preis­lich den Fest­be­trag unter­schrei­ten­den Arz­nei­mit­tel ein­tritt (dazu a, c), dass die zusätz­li­che Erkrankung/Krankheitsverschlimmerung zumin­dest mit über­wie­gen­der Wahr­schein­lich­keit jeweils wesent­lich durch die Anwen­dung der den Fest­be­trag im Preis unter­schrei­ten­den Arz­nei­mit­tel bedingt ist (dazu b, c) und dass die Anwen­dung des nicht zum Fest­be­trag ver­füg­ba­ren Fest­be­trags­arz­nei­mit­tels dage­gen ohne Neben­wir­kun­gen im Ausmaß einer behand­lungs­be­dürf­ti­gen Krank­heit bleibt und in diesem Sinne alter­na­tiv­los ist (dazu d).
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Bei den der­ge­stalt zu qua­li­fi­zie­ren­den Neben­wir­kun­gen kann es sich um solche han­deln, die nach Art, Ausmaß und Aus­gang noch nicht Gegen­stand der arz­nei­mit­tel­recht­li­chen Zulas­sung gewe­sen sind (sog uner­war­te­te Neben­wir­kun­gen, vgl § 4 Abs 13 S 3 Arz­nei­mit­tel­ge­setz <AMG>; hierzu Reh­mann, AMG, 3. Aufl 2008, § 4 RdNr 12). Der Atypik ent­spre­chend sind aber auch solche Neben­wir­kun­gen nicht aus­ge­schlos­sen, die bereits Gegen­stand des arz­nei­mit­tel­recht­li­chen Zulas­sungs­ver­fah­rens (§§ 21, 22 Abs 1 Nr 8 AMG) und der Fest­be­trags­grup­pen­bil­dung und ‑fest­set­zung (§ 35 SGB V) gewe­sen sind, wenn diese den Beson­der­hei­ten des Falles nicht aus­rei­chend Rech­nung tragen.
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a) Das objek­ti­vier­bar gesi­cher­te Hin­zu­tre­ten einer neuen Krank­heit oder die Ver­schlim­me­rung einer bestehen­den Krank­heit nach der Ver­ab­rei­chung eines Fest­be­trags­arz­nei­mit­tels in einem Behand­lungs­be­dürf­tig­keit begrün­den­den Ausmaß ist erste Vor­aus­set­zung dafür, dass über­haupt ein Anspruch auf Voll­kos­ten­über­nah­me eines ande­ren, in die Fest­be­trags­grup­pe ein­be­zo­ge­nen Arz­nei­mit­tels in Betracht kommt. Diese Umstän­de müssen im Sinne des Voll­be­wei­ses nach den Regeln der ärzt­li­chen Kunst gesi­chert sein. Allein das sub­jek­ti­ve Emp­fin­den eines Ver­si­cher­ten vermag die Regel­wid­rig­keit und die daraus abge­lei­te­te (hier zusätz­li­che) Behand­lungs­be­dürf­tig­keit seines Zustan­des nicht zu bestim­men. Maß­geb­lich sind viel­mehr objek­ti­ve Kri­te­ri­en, näm­lich der all­ge­mein aner­kann­te Stand der medi­zi­ni­schen Erkennt­nis­se (§ 2 Abs 1 S 3, § 28 Abs 1 S 1 SGB V; BSG SozR 4–2500 § 27 Nr 20 RdNr 14; vgl zur Gesetz- und Ver­fas­sungs­mä­ßig­keit BSGE 97, 190 = SozR 4–2500 § 27 Nr 12, RdNr 23 mwN) und die danach zur Ver­fü­gung ste­hen­den Metho­den, um Beschwer­den zu objek­ti­vie­ren.
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b) Ist zumin­dest eine neu hin­zu­ge­tre­te­ne Krank­heit oder die Ver­schlim­me­rung einer bestehen­den Krank­heit voll­be­weis­lich gesi­chert, muss diese mit Wahr­schein­lich­keit wesent­lich jeweils durch die Anwen­dung des Fest­be­trags­arz­nei­mit­tels bedingt sein. Der Senat folgt inso­weit der Theo­rie der wesent­li­chen Bedin­gung, wie sie ins­be­son­de­re der 2. und 9. BSG-Senat bei der Fest­stel­lung der Kau­sa­li­tät im Unfall­ver­si­che­rungs- und sozia­len Ent­schä­di­gungs­recht zugrun­de legen, sie aber auch der erken­nen­de Senat ua im Zusam­men­hang mit Kos­ten­er­stat­tungs­an­sprü­chen anstel­le des Voll­be­wei­ses hat aus­rei­chen lassen (vgl hierzu BSGE 79, 125, 127 = SozR 3–2500 § 13 Nr 11 S 52). Als kausal und rechts­er­heb­lich werden danach nur solche Ursa­chen ange­se­hen, die wegen ihrer beson­de­ren Bezie­hung zur kon­kre­ten Krank­heits­ent­ste­hung zum Ein­tritt des Erfolgs wesent­lich mit­ge­wirkt haben. Bei der rein recht­li­chen Zurech­nungs­prü­fung der “Wesent­lich­keit” einer Bedin­gung für die Ent­ste­hung (oder wesent­li­che Ver­schlim­me­rung) der Krank­heit sind also nicht alle Bedin­gun­gen zu berück­sich­ti­gen, son­dern nur jene, die nach den — im jewei­li­gen Ent­schei­dungs­zeit­punkt über die Behand­lung — aner­kann­ten wis­sen­schaft­li­chen Erfah­rungs­sät­zen not­wen­di­ge oder hin­rei­chen­de Bedin­gun­gen für den Ein­tritt einer Krank­heit dieser Art sind (vgl BSG Urteil vom 29.11.2011 — B 2 U 26/10 R — RdNr 31 mwN; BSG SozR 4–3200 § 81 Nr 5 RdNr 21 mwN).
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Inso­weit sind die tat­säch­li­chen Lebens­um­stän­de des Ver­si­cher­ten, die als (Mit-)Ursache der objek­ti­vier­ten Krank­heit in Betracht kommen, umfas­send abzu­klä­ren. Um die Wahr­schein­lich­keit des ursäch­li­chen Zusam­men­hangs zwi­schen Anwen­dung des Fest­be­trags­arz­nei­mit­tels und fest­ge­stell­ter behand­lungs­be­dürf­ti­ger Erkran­kung beja­hen zu können, ist auch der Her­stel­ler des ange­wen­de­ten, ver­meint­lich der Neben­wir­kun­gen ver­däch­ti­gen Arz­nei­mit­tels hierzu zu befra­gen. Ein gewich­ti­ges, stets zu über­prü­fen­des Indiz stellt in diesem Zusam­men­hang auch der Umstand dar, dass der Ver­trags­arzt die bei dem Ver­si­cher­ten im Rahmen der Behand­lung mit dem Fest­be­trags­arz­nei­mit­tel auf­ge­tre­te­nen, objek­tiv fest­ge­stell­ten behand­lungs­be­dürf­ti­gen Krank­heits­er­schei­nun­gen zumin­dest als ver­mu­te­te Neben­wir­kun­gen gemel­det hat.
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Das har­mo­niert mit der stän­di­gen Recht­spre­chung des erken­nen­den Senats, bei der Ver­sor­gung GKV-Ver­si­cher­ter mit Fer­tig­arz­nei­mit­teln im Rahmen einer Pri­mär­kon­trol­le weit­ge­hend auf GKV-spe­zi­fi­sche Prü­fun­gen zur Qua­li­täts­si­che­rung zu ver­zich­ten und statt­des­sen an das Arz­nei­mit­tel­recht anzu­knüp­fen. Das AMG schreibt für Fer­tig­arz­nei­mit­tel eine staat­li­che Zulas­sung vor und macht deren Ertei­lung vom Nach­weis der Qua­li­tät, Wirk­sam­keit und Unbe­denk­lich­keit des Medi­ka­ments abhän­gig (stRspr, vgl zB BSG Urteil vom 8.11.2011 — B 1 KR 19/10 R — RdNr 11 f mwN — BTX/A, zur Ver­öf­fent­li­chung in BSGE und SozR vor­ge­se­hen; zum System vgl Hauck, NZS 2007, 461).
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Das Ver­fah­ren der Qua­li­täts­si­che­rung nach dem AMG ist nach Ertei­lung der Zulas­sung für ein Fer­tig­arz­nei­mit­tel nicht abge­schlos­sen. Viel­mehr schließt sich eine Dau­er­über­wa­chung der in Ver­kehr gebrach­ten Arz­nei­mit­tel an. Zu diesem Zweck besteht auch im Anschluss an die Zulas­sung ein eng­ma­schi­ges Netz von Doku­men­ta­ti­ons- und Mel­de­pflich­ten, welche die Phar­ma­ko­vi­gi­lanz sicher­stel­len sollen (sog Phar­ma­ko­vi­gi­lanz­ver­fah­ren). Nach erteil­ter Zulas­sung (§ 25 AMG) bleibt der Inha­ber der Zulas­sung zur Anzei­ge von Ände­run­gen ver­pflich­tet (§ 29 Abs 1 S 2 AMG in der Neu­fas­sung vom 12.12.2005, BGBl I 3394). Dies gilt auch für Neben­wir­kun­gen (§ 4 Abs 13 AMG). Ins­be­son­de­re hat er aus­führ­li­che Unter­la­gen über alle Ver­dachts­fäl­le von Neben­wir­kun­gen zu führen (§ 63b Abs 1 AMG idF des Gewe­be­ge­set­zes vom 20.7.2007, BGBl I 1574) und ferner ua jeden ihm bekannt gewor­de­nen Ver­dachts­fall einer schwer­wie­gen­den Neben­wir­kung, der im Gel­tungs­be­reich dieses Geset­zes auf­ge­tre­ten ist, zu erfas­sen und der zustän­di­gen Bun­des­ober­be­hör­de unver­züg­lich, spä­tes­tens aber inner­halb von 15 Tagen nach Bekannt­wer­den, anzu­zei­gen (§ 63b Abs 2 S 1 Nr 1 iVm § 4 Abs 13 S 2 AMG). Der zustän­di­gen Bun­des­ober­be­hör­de hat er ua alle zur Beur­tei­lung von Ver­dachts­fäl­len vor­lie­gen­den Unter­la­gen sowie eine wis­sen­schaft­li­che Bewer­tung vor­zu­le­gen (§ 63b Abs 4 AMG; hierzu Reh­mann, AMG, 3. Aufl 2008, § 63b RdNr 2). Der Inha­ber der Zulas­sung hat über­dies gestaf­fel­te Berichts­pflich­ten (§ 63b Abs 5 S 1 bis 3 AMG). Die regel­mä­ßi­gen aktua­li­sier­ten Berich­te über die Unbe­denk­lich­keit von Arz­nei­mit­teln umfas­sen auch eine wis­sen­schaft­li­che Beur­tei­lung des Nut­zens und der Risi­ken des betref­fen­den Arz­nei­mit­tels (§ 63b Abs 5 S 4 AMG). Der Inha­ber der Zulas­sung hat der zustän­di­gen Bun­des­ober­be­hör­de zusätz­lich zu den Ver­pflich­tun­gen nach § 29 Abs 1 und § 63b AMG unver­züg­lich alle Ver­bo­te oder Beschrän­kun­gen durch die zustän­di­gen Behör­den jedes Landes, in dem das betref­fen­de Arz­nei­mit­tel in Ver­kehr gebracht wird, sowie alle ande­ren neuen Infor­ma­tio­nen mit­zu­tei­len, die die Beur­tei­lung des Nut­zens und der Risi­ken des betref­fen­den Arz­nei­mit­tels beein­flus­sen könn­ten (§ 29 Abs 1a S 1 AMG). Der Phar­ma­be­ra­ter des phar­ma­zeu­ti­schen Unter­neh­mers (bei zulas­sungs­pflich­ti­gen Arz­nei­mit­teln der Inha­ber der Zulas­sung, § 4 Abs 18 AMG) hat Mit­tei­lun­gen von Ange­hö­ri­gen der Heil­be­ru­fe über Neben­wir­kun­gen und Gegen­an­zei­gen oder sons­ti­ge Risi­ken bei Arz­nei­mit­teln schrift­lich auf­zu­zeich­nen und dem Auf­trag­ge­ber schrift­lich mit­zu­tei­len (§ 76 Abs 1 S 2 AMG). Die Ärz­te­schaft ist zudem ver­pflich­tet, die ihnen aus ihrer ärzt­li­chen Behand­lungs­tä­tig­keit bekannt wer­den­den uner­wünsch­ten Wir­kun­gen von Arz­nei­mit­teln der Arz­nei­mit­tel­kom­mis­si­on der deut­schen Ärz­te­schaft (AkdÄ) mit­zu­tei­len (vgl § 6 Muster-Berufs­ord­nung der in Deutsch­land täti­gen Ärz­tin­nen und Ärzte — MBO‑Ä 1997 — idF der Beschlüs­se des 114. Deut­schen Ärz­te­ta­ges 2011, abruf­bar unter www.bundesaerztekammer.de; inhalt­lich über­ein­stim­mend etwa § 6 Berufs­ord­nung der Säch­si­schen Lan­des­ärz­te­kam­mer idF der Ände­rungs­sat­zung vom 23.11.2011, abruf­bar unter www.slaek.de; ebenso die Fas­sung vom 23.11.2007, ÄBS 2007, 605). Dieser wie­der­um obliegt die Ver­pflich­tung zur Mit­wir­kung gegen­über der zustän­di­gen Bun­des­ober­be­hör­de für Phar­ma­ko­vi­gi­lanz, mithin grund­sätz­lich dem Bun­des­in­sti­tut für Arz­nei­mit­tel und Medi­zin­pro­duk­te (<BfArM>, § 62 S 2, § 77 Abs 1 AMG). Dort werden die ein­zel­nen Arz­nei­mit­tel­ri­si­ken gesam­melt, in einem Stu­fen­plan der Gefah­ren­ab­wehr nach ver­schie­de­nen Gefah­ren­stu­fen (Risiko oder kon­kre­ter Ver­dacht) aus­ge­wer­tet (§ 63 S 1 und 2 AMG; sog Stu­fen­plan­ver­fah­ren, Nähe­res abruf­bar unter www.bfarm.de).
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c) Der erfor­der­li­che kau­sa­le Zusam­men­hang zwi­schen Arz­nei­mit­tel­an­wen­dung und uner­wünsch­ter Neben­wir­kung im Ausmaß einer behand­lungs­be­dürf­ti­gen Krank­heit oder einer Ver­schlim­me­rung muss auch — abge­se­hen vom bean­spruch­ten — hin­sicht­lich aller ande­ren Fest­be­trags­arz­nei­mit­tel mit über­wie­gen­der Wahr­schein­lich­keit bestehen. Not­wen­di­ge Bedin­gung dafür, dass die Fest­be­trags­gren­ze im Ein­zel­fall infol­ge der inne­ren Begren­zung des Wirt­schaft­lich­keits­ge­bots (§ 12 Abs 1 SGB V) ent­fällt, ist näm­lich grund­sätz­lich, dass der Arzt unter Beach­tung der all­ge­mein aner­kann­ten Regeln der ärzt­li­chen Kunst dem Ver­si­cher­ten die in Betracht kom­men­den, zum Fest­be­trag erhält­li­chen und nach ihrer Wir­kungs­wei­se the­ra­peu­tisch geeig­ne­ten Arz­nei­mit­tel ver­ord­net und der Ver­si­cher­te die ver­ord­ne­ten Arz­nei­mit­tel über einen the­ra­peu­tisch rele­van­ten Zeit­raum hinweg auch tat­säch­lich in vor­ge­schrie­be­ner Weise anwen­det.
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d) Bei Krank­hei­ten von behand­lungs­be­dürf­ti­gem Ausmaß als Folgen uner­wünsch­ter Arz­nei­mit­tel­wir­kun­gen besteht aber nicht bereits dann ein dau­er­haf­ter Anspruch auf das Nicht-Fest­be­trags­arz­nei­mit­tel, wenn alle Fest­be­trags­arz­nei­mit­tel im kon­kret-indi­vi­du­el­len Behand­lungs­fall eines Ver­si­cher­ten nach­weis­bar nach dem Maß­stab der Theo­rie der wesent­li­chen Bedin­gung glei­cher­ma­ßen neben­wir­kungs­be­haf­tet sind. Viel­mehr besteht der Anspruch auf das begehr­te Fest­be­trags­arz­nei­mit­tel ohne Zah­lung des über der Fest­be­trags­gren­ze lie­gen­den Anteils zunächst nur wäh­rend eines Heil­ver­suchs im Rahmen eines aus­sa­ge­kräf­ti­gen indi­ka­ti­ons­be­zo­ge­nen The­ra­pie­zeit­raums. Dort muss der Weg­fall oder der deut­li­che Rück­gang der neben­wir­kungs­be­ding­ten behand­lungs­be­dürf­ti­gen Krank­hei­ten voll­be­weis­lich gesi­chert sein. Ist dies der Fall, muss die Neben­wir­kungs­frei­heit bzw ‑armut nach dem oben auf­ge­zeig­ten Kau­sa­li­täts­maß­stab mit über­wie­gen­der Wahr­schein­lich­keit wesent­lich auf der The­ra­pie mit dem preis­lich über dem Fest­be­trag lie­gen­den Arz­nei­mit­tel beru­hen. Zugleich dürfen keine ande­ren, ähn­lich belas­ten­den neuen Neben­wir­kun­gen wie bei den bisher ange­wen­de­ten Fest­be­trags­arz­nei­mit­teln auf­tre­ten. Hier­über hat die KK vor Ablauf des Heil­ver­suchs unter Berück­sich­ti­gung der gewon­ne­nen Erkennt­nis­se erneut zu ent­schei­den.
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3. Fest­stel­lun­gen zur Alter­na­tiv­lo­sig­keit von Sortis im auf­ge­zeig­ten Sinne hat das LSG — aus seiner Sicht fol­ge­rich­tig — bisher nicht getrof­fen. Dies wird es im wie­der­eröff­ne­ten Beru­fungs­ver­fah­ren nach­zu­ho­len haben. Vor allem bestehen nach den Aus­füh­run­gen der Vor­in­stanz Zwei­fel daran, dass alle zum Fest­be­trag in Betracht kom­men­den Arz­nei­mit­tel­al­ter­na­ti­ven zu Sortis bereits erfolg­los aus­ge­schöpft sind. Zwar hat danach vom 28.10.2008 bis Januar 2009 eine Behand­lung mit Sim­vas­ta­tin statt­ge­fun­den, die angeb­lich wegen zuneh­men­der Beschwer­den in der Mus­ku­la­tur, vor allem in den Beinen, und einer deut­li­chen Ver­schlech­te­rung des essen­ti­el­len Tre­mors been­det wurde. Weder sind bisher in diesem Umfang behand­lungs­be­dürf­ti­ge Krank­heits­zu­stän­de objek­ti­viert noch alle Wirk­stof­fe der Fest­be­trags­grup­pe bei der Klä­ge­rin getes­tet worden. Auch die Ursäch­lich­keit etwa­iger Neben­wir­kun­gen ist nicht im dar­ge­leg­ten, gebo­te­nen Umfang geklärt. Hieran ändert sich nicht dadurch, dass offen­bar auch The­ra­pie­ver­su­che mit Pra­vas­ta­tin und Fen­ofib­rat (zur Fest­be­trags­grup­pe der Clo­fi­brin­säu­re­de­ri­va­te und Struk­tur­ana­loga gehö­rend; s Über­sicht der Arz­nei­mit­tel-Fest­be­trags­fest­set­zungs­be­schlüs­se, Stand 1.7.2012, abruf­bar unter www.gkv-spitzenverband.de) statt­ge­fun­den haben. Die Beklag­te hat inso­weit zutref­fend ange­führt, dass auch eine Ver­sor­gung mit den in der­sel­ben Fest­be­trags­grup­pe ent­hal­te­nen Wirk­stof­fen Flu­vas­ta­tin und Lovas­ta­tin zum Fest­be­trag mög­lich ist und ebenso nach Ablauf des Patent­schut­zes für Sortis zwi­schen­zeit­lich Gene­ri­ka mit dem Wirk­stoff Ator­vas­ta­tin erhält­lich sind. Es ist bis­lang nichts ersicht­lich dafür, dass dies der Klä­ge­rin nach den Regeln der ärzt­li­chen Kunst nicht zumut­bar ist.
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4. Die Kos­ten­ent­schei­dung bleibt dem LSG vor­be­hal­ten.