Leit­sät­ze

Die Frage des Arbeit­ge­bers nach der Schwer­be­hin­de­rung bzw. einem dies­be­züg­lich gestell­ten Antrag ist im bestehen­den Arbeits­ver­hält­nis jeden­falls nach sechs Mona­ten, dh. ggf. nach Erwerb des Behin­der­ten­schut­zes gemäß §§ 85 ff. SGB IX, zuläs­sig. Das gilt ins­be­son­de­re zur Vor­be­rei­tung von beab­sich­tig­ten Kün­di­gun­gen.

Tenor

  1. 1. Die Revi­si­on des Klä­gers gegen das Urteil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Hamm vom 30. Juni 2010 — 2 Sa 49/10 — wird zurück­ge­wie­sen.

  2. Der Kläger hat die Kosten der Revi­si­on zu tragen.

Tat­be­stand

1
Die Par­tei­en strei­ten über die Wirk­sam­keit einer ordent­li­chen betriebs­be­ding­ten Kün­di­gung.
2
Der mit einem GdB von 60 schwer­be­hin­der­te Kläger stand seit dem 1. Novem­ber 2007 in einem bis zum 31. Okto­ber 2009 befris­te­ten Arbeits­ver­hält­nis mit der Schuld­ne­rin. Am 8. Januar 2009 ord­ne­te das Amts­ge­richt Arns­berg (- 21 IN 21/09 -) das vor­läu­fi­ge Insol­venz­ver­fah­ren über deren Ver­mö­gen an und bestell­te den Beklag­ten zum vor­läu­fi­gen Insol­venz­ver­wal­ter. Zugleich über­trug es ihm das Recht zur Aus­übung der Arbeit­ge­ber­be­fug­nis­se ein­schließ­lich der Ermäch­ti­gung, Kün­di­gun­gen aus­zu­spre­chen. Am 1. März 2009 wurde das Insol­venz­ver­fah­ren über das Ver­mö­gen der Schuld­ne­rin eröff­net und der Beklag­te zum Insol­venz­ver­wal­ter bestellt.
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In seiner Eigen­schaft als vor­läu­fi­ger Insol­venz­ver­wal­ter gab der Beklag­te zur Ver­voll­stän­di­gung bzw. Über­prü­fung der Sozi­al­da­ten an sämt­li­che Arbeit­neh­mer Fra­ge­bö­gen aus. Erfragt wurden das Geburts­da­tum, der Fami­li­en­stand, die Anzahl der unter­halts­pflich­ti­gen Kinder sowie das Vor­lie­gen einer Schwer­be­hin­de­rung bzw. die Gleich­stel­lung mit einem Schwer­be­hin­der­ten. Der Kläger ant­wor­te­te in den Fel­dern „Schwer­be­hin­de­rung“ und „Gleich­stel­lung“ jeweils mit „Nein“.
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Auf der Grund­la­ge eines am 20. Mai 2009 geschlos­se­nen Inter­es­sen­aus­gleichs mit Namens­lis­te kün­dig­te der Beklag­te das Arbeits­ver­hält­nis am 26. Mai 2009 ordent­lich zum 30. Juni 2009. Das Kün­di­gungs­schrei­ben ging dem Kläger am fol­gen­den Tag zu.
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Der Kläger, der in der Kla­ge­schrift vom 9. Juni 2009 seine Schwer­be­hin­de­rung mit­ge­teilt hat, hat — soweit für die Revi­si­on noch von Bedeu­tung — die Ansicht ver­tre­ten, die ohne Betei­li­gung des Inte­gra­ti­ons­am­tes erklär­te Kün­di­gung sei unwirk­sam. Die Frage nach der Schwer­be­hin­de­rung stelle eine ver­bo­te­ne Benach­tei­li­gung iSd. §§ 1, 7 AGG dar. Ein Arbeit­neh­mer habe des­halb wäh­rend des gesam­ten Arbeits­ver­hält­nis­ses ein Recht zur wahr­heits­wid­ri­gen Beant­wor­tung der Frage nach seiner Schwer­be­hin­der­ten­ei­gen­schaft. Vor Ablauf der Regel­frist für die Ver­wir­kung des Son­der­kün­di­gungs­schut­zes drei Wochen nach Zugang der Kün­di­gung sei der Arbeit­neh­mer auch nicht ver­pflich­tet, seine Schwer­be­hin­de­rung zu offen­ba­ren.
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Der Kläger hat zuletzt bean­tragt
fest­zu­stel­len, dass das zwi­schen den Par­tei­en bestehen­de Arbeits­ver­hält­nis nicht durch die Kün­di­gung des Beklag­ten vom 26. Mai 2009 auf­ge­löst wird, son­dern über den 30. Juni 2009 hinaus unge­kün­digt fort­be­steht.
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Der Beklag­te hat seinen Kla­ge­ab­wei­sungs­an­trag damit begrün­det, dass der Kläger sich wider­sprüch­lich ver­hal­ten habe und sich des­halb nach der wahr­heits­wid­ri­gen Beant­wor­tung der Frage nach seiner Schwer­be­hin­der­ten­ei­gen­schaft auf diese nicht mehr beru­fen könne.
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Das Arbeits­ge­richt hat der Kün­di­gungs­schutz­kla­ge statt­ge­ge­ben, das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat auf die Beru­fung des Beklag­ten die Klage abge­wie­sen. Mit der vom Lan­des­ar­beits­ge­richt zuge­las­se­nen Revi­si­on ver­folgt der Kläger sein Kla­ge­ziel weiter. Er rügt, die Frage nach der Schwer­be­hin­de­rung ver­sto­ße gegen daten­schutz­recht­li­che Bestim­mun­gen. Er macht weiter gel­tend, das Lan­des­ar­beits­ge­richt habe nicht berück­sich­tigt, dass der Beklag­te die Frage nach der Schwer­be­hin­de­rung im Insol­venz­er­öff­nungs­ver­fah­ren ohne Angabe von Grün­den gestellt habe. Für den Kläger sei des­halb die Inten­ti­on der Frage nicht erkenn­bar gewe­sen, so dass er sich durch die wahr­heits­wid­ri­ge Beant­wor­tung dieser Frage nicht treu­wid­rig ver­hal­ten habe.

Ent­schei­dungs­grün­de

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Die Revi­si­on des Klä­gers ist unbe­grün­det. Die Kün­di­gung des Beklag­ten vom 26. Mai 2009 hat das Arbeits­ver­hält­nis zum 30. Juni 2009 been­det. Das hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt rechts­feh­ler­frei fest­ge­stellt.
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A. Die Kün­di­gung ist nicht nach § 134 BGB nich­tig. Sie bedurf­te zwar an sich der vor­he­ri­gen Zustim­mung des Inte­gra­ti­ons­am­tes gemäß § 85 SGB IX, an der es hier fehlt. Der Kläger hat sich auch inner­halb von drei Wochen und damit inner­halb einer ange­mes­se­nen Frist auf den im Zeit­punkt der Kün­di­gungs­er­klä­rung bereits bestehen­den Schwer­be­hin­der­ten­schutz beru­fen, so dass dieser Schutz nicht ver­wirkt ist (st. Rspr. zuletzt BAG 9. Juni 2011 — 2 AZR 703/09 — Rn. 22, EzA SGB IX § 85 Nr. 7). Dem Kläger ist es den­noch unter dem Gesichts­punkt von Treu und Glau­ben (§ 242 BGB) ver­wehrt, sich auf den Son­der­kün­di­gungs­schutz als Schwer­be­hin­der­ter zu beru­fen. Das Beru­fen des Klä­gers auf diesen Schutz nach Erklä­rung der Kün­di­gung trotz Ver­nei­nung der ihm im Vor­feld eben dieser Kün­di­gung recht­mä­ßig gestell­ten Frage nach der Schwer­be­hin­de­rung ist als wider­sprüch­li­ches Ver­hal­ten unbe­acht­lich.
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I. Die Frage des Arbeit­ge­bers nach der Schwer­be­hin­de­rung bzw. einem dies­be­züg­lich gestell­ten Antrag ist im bestehen­den Arbeits­ver­hält­nis jeden­falls nach sechs Mona­ten, dh. ggf. nach Erwerb des Behin­der­ten­schut­zes gemäß §§ 85 ff. SGB IX, zuläs­sig. Das gilt ins­be­son­de­re zur Vor­be­rei­tung von beab­sich­tig­ten Kün­di­gun­gen. Der Arbeit­neh­mer hat die Frage auf­grund seiner Rück­sicht­nah­me­pflicht gemäß § 241 Abs. 2 BGB wahr­heits­ge­mäß zu beant­wor­ten.
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1. Aus einem Schuld­ver­hält­nis erwächst einer Ver­trags­par­tei auch die Pflicht zur Rück­sicht­nah­me auf die Rechte, Rechts­gü­ter und Inter­es­sen des ande­ren Ver­trags­teils. Dies dient dem Schutz und der För­de­rung des Ver­trags­zwecks. Die Ver­trags­part­ner sind ver­pflich­tet, ihre Pflich­ten aus dem Arbeits­ver­hält­nis so zu erfül­len, ihre Rechte so aus­zu­üben und die im Zusam­men­hang mit dem Arbeits­ver­hält­nis ste­hen­den Inter­es­sen des Ver­trags­part­ners so zu wahren, wie dies unter Berück­sich­ti­gung der wech­sel­sei­ti­gen Belan­ge ver­langt werden kann. Welche kon­kre­ten Folgen sich aus der Rück­sicht­nah­me­pflicht erge­ben, hängt von der Art des Schuld­ver­hält­nis­ses und den Umstän­den des Ein­zel­falls ab (BAG 13. August 2009 — 6 AZR 330/08 — Rn. 31, BAGE 131, 325; 19. Mai 2010 — 5 AZR 162/09 — Rn. 26, BAGE 134, 296).
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2. Unter Berück­sich­ti­gung dieser Grund­sät­ze durfte der Beklag­te den Kläger, der im bestehen­den Arbeits­ver­hält­nis den Son­der­kün­di­gungs­schutz nach §§ 85 ff. SGB IX bereits erwor­ben hatte, zur Vor­be­rei­tung von Kün­di­gun­gen nach einer Schwer­be­hin­der­ten­ei­gen­schaft fragen. Für diese Frage bestand ein berech­tig­tes, bil­li­gens­wer­tes und schutz­wür­di­ges Inter­es­se des Beklag­ten. Sie stand im Zusam­men­hang mit seiner Pflich­ten­bin­dung durch das Erfor­der­nis, bei der Sozi­al­aus­wahl gemäß § 1 Abs. 3 KSchG die Schwer­be­hin­de­rung zu berück­sich­ti­gen sowie den Son­der­kün­di­gungs­schutz nach §§ 85 ff. SGB IX zu beach­ten. Die ver­lang­te Aus­kunft belas­te­te den Kläger in dieser Situa­ti­on nicht über­mä­ßig. Sie benach­tei­lig­te ihn auch nicht iSv. §§ 1, 7 AGG wegen seiner Behin­de­rung. Schließ­lich wurden auch daten­schutz­recht­li­che Belan­ge des Klä­gers dadurch nicht ver­letzt (vgl. zu diesen Anfor­de­run­gen grund­le­gend bereits BAG 7. Sep­tem­ber 1995 — 8 AZR 828/93 — BAGE 81, 15, 22).
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a) Die Frage nach der Schwer­be­hin­de­rung ist im bestehen­den Arbeits­ver­hält­nis jeden­falls nach Ablauf der Frist des § 90 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX zuzu­las­sen, um dem Arbeit­ge­ber ein rechts­treu­es Ver­hal­ten zu ermög­li­chen, etwa im Zusam­men­hang mit seinen Pflich­ten zur behin­de­rungs­ge­rech­ten Beschäf­ti­gung (§ 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX), Zah­lung einer Aus­gleichs­ab­ga­be (§ 77 SGB IX) und Gewäh­rung von Zusatz­ur­laub (§ 125 SGB IX) (vgl. Schaub/Koch ArbR-Hdb. 14. Aufl. § 179 Rn. 18c; Grie­be­l­ing in Hauck/Noftz SGB IX K § 85 Rn. 27a; unklar MünchKommBGB/Thüsing 6. Aufl. § 11 AGG Rn. 24, der eine Offen­ba­rungs­pflicht des Arbeit­neh­mers nach Ein­stel­lung bejaht). Ins­be­son­de­re im Vor­feld einer beab­sich­tig­ten Kün­di­gung zeigt der Arbeit­ge­ber mit dieser Frage, dass er seine zum Schutz des Schwer­be­hin­der­ten bei einer Kün­di­gung bestehen­den Pflich­ten nach § 1 Abs. 3 KSchG und §§ 85 ff. SGB IX erfül­len will (vgl. v. Hoynin­gen-Hue­ne/­Linck KSchG 14. Aufl. § 1 Rn. 950; Schaub/Koch aaO; Müller-Wenner in Müller-Wen­ner/­Wink­ler SGB IX Teil 2 2. Aufl. § 85 Rn. 63).
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b) Andere, gleich geeig­ne­te und gleich zuver­läs­si­ge Mög­lich­kei­ten des Arbeit­ge­bers, sich die zur Erfül­lung dieser Pflich­ten erfor­der­li­che Kennt­nis von der Schwer­be­hin­der­ten­ei­gen­schaft rechts­si­cher zu ver­schaf­fen, bestehen nicht.
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aa) Ins­be­son­de­re kann der Arbeit­ge­ber ent­ge­gen der vom Kläger in der Ver­hand­lung vor dem Senat ver­tre­te­nen Ansicht nicht auf die Ein­ho­lung eines sog. Nega­tiv­at­tests ver­wie­sen werden. Mit einem sol­chen Bescheid weist das Inte­gra­ti­ons­amt den form- und frist­ge­recht gestell­ten Antrag des Arbeit­ge­bers auf Ertei­lung zur Zustim­mung zu einer beab­sich­tig­ten Kün­di­gung als unzu­läs­sig ab, weil eine Zustim­mung zur Kün­di­gung nicht erfor­der­lich ist. Obwohl dieses Insti­tut im SGB IX nicht vor­ge­se­hen ist und obwohl es nicht die Auf­ga­be des Inte­gra­ti­ons­am­tes, son­dern gemäß § 69 SGB IX iVm. §§ 1, 6 KOVVfG die des Ver­sor­gungs­am­tes ist, die Schwer­be­hin­der­ten­ei­gen­schaft eines bestimm­ten Arbeit­neh­mers zu klären (BAG 7. März 2002 — 2 AZR 612/00 — BAGE 100, 355, 358; BVerwG 15. Dezem­ber 1988 — 5 C 67.85 — BVerw­GE 81, 84), wird es all­ge­mein für zuläs­sig gehal­ten (KR/Etzel 9. Aufl. §§ 85 — 90 SGB IX Rn. 54; Schaub/Koch ArbR-Hdb. 14. Aufl. § 179 Rn. 28; Trenk-Hin­ter­ber­ger in HK-SGB IX 3. Aufl. § 88 Rn. 55; Düwell in LPG-SGB IX 3. Aufl. § 85 Rn. 37; Müller-Wenner in Müller-Wen­ner/­Wink­ler SGB IX Teil 2 2. Aufl. § 85 Rn. 69). Liegt ein sol­cher bestands­kräf­ti­ger Bescheid vor der Erklä­rung der Kün­di­gung vor, ent­fal­tet er Bin­dungs­wir­kung auch gegen­über den Arbeits­ge­rich­ten und besei­tigt ebenso wie die Zustim­mung des Inte­gra­ti­ons­am­tes die Kün­di­gungs­sper­re des § 85 SGB IX (BAG 6. Sep­tem­ber 2007 — 2 AZR 324/06 — Rn. 15, BAGE 124, 43; grund­le­gend 27. Mai 1983 — 7 AZR 482/81 — BAGE 42, 169, 174).
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Folgte man der Ansicht des Klä­gers, müsste der Arbeit­ge­ber vor jeder von ihm beab­sich­tig­ten Kün­di­gung ein Nega­tiv­at­test ein­ho­len. Allein das würde, ins­be­son­de­re bei Mas­sen­ent­las­sun­gen, selbst dann zu erheb­li­chen, dem Arbeit­ge­ber unzu­mut­ba­ren Ver­zö­ge­run­gen bei der Umset­zung des Kün­di­gungs­ent­schlus­ses führen, wenn ein bestands­kräf­ti­ger Bescheid des Inte­gra­ti­ons­am­tes ergin­ge (vgl. BAG 7. März 2002 — 2 AZR 612/00 — BAGE 100, 355, 358). Der Arbeit­neh­mer kann zudem als Betei­lig­ter des Ver­wal­tungs­ver­fah­rens, das zum Nega­tiv­at­test führt, gegen dieses Wider­spruch und bei Nicht­ab­hil­fe Anfech­tungs­kla­ge erhe­ben (KR/Etzel 9. Aufl. §§ 85 — 90 SGB IX Rn. 56; Trenk-Hin­ter­ber­ger in HK-SGB IX 3. Aufl. § 88 Rn. 66 f.; Müller-Wenner in Müller-Wen­ner/­Wink­ler SGB IX Teil 2 2. Aufl. § 85 Rn. 69). Der Arbeit­neh­mer kann also einer­seits durch die bloße Erhe­bung von Rechts­be­hel­fen bzw. Rechts­mit­teln die Mög­lich­keit des Arbeit­ge­bers, rechts­si­cher eine Kün­di­gung ohne Ver­let­zung seiner ihm gegen­über Schwer­be­hin­der­ten oblie­gen­den Pflich­ten zu erklä­ren, erheb­lich hin­aus­zö­gern. Bis zur Unan­fecht­bar­keit der Ent­schei­dung des Inte­gra­ti­ons­am­tes trägt der Arbeit­ge­ber ande­rer­seits das Risiko, dass sich im Laufe des gericht­li­chen Ver­fah­rens doch noch die Zustim­mungs­be­dürf­tig­keit der Kün­di­gung her­aus­stellt (Müller-Wenner in Müller-Wen­ner/­Wink­ler aaO Rn. 70). Die Ein­ho­lung eines Nega­tiv­at­tests ist daher für den Arbeit­ge­ber keine gleich geeig­ne­te Alter­na­ti­ve zur Frage nach der Schwer­be­hin­de­rung, um ihm die Kennt­nis zu ver­schaf­fen, die er zur Erfül­lung der ihm gesetz­lich gegen­über Schwer­be­hin­der­ten oblie­gen­den Pflich­ten benö­tigt.
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bb) Die Ver­pflich­tung des Arbeit­neh­mers, den Arbeit­ge­ber nach Erklä­rung einer Kün­di­gung zum Erhalt des Son­der­kün­di­gungs­schut­zes binnen ange­mes­se­ner Frist auf die Schwer­be­hin­de­rung hin­zu­wei­sen, schützt ent­ge­gen der Auf­fas­sung von Deinert/Neumann (Reha­bi­li­ta­ti­on und Teil­ha­be behin­der­ter Men­schen 2. Aufl. § 17 Rn. 29) den Arbeit­ge­ber nicht hin­rei­chend, weil dies die Ein­hal­tung der dem Arbeit­ge­ber bereits vor Erklä­rung der Kün­di­gung oblie­gen­den Pflich­ten nicht sicher­stel­len kann.
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c) Die Frage nach der Schwer­be­hin­de­rung im Vor­feld einer Kün­di­gung dis­kri­mi­niert den Arbeit­neh­mer nicht wegen seiner Behin­de­rung unmit­tel­bar iSd. § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG.
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aa) Aller­dings kann die Frage nach der Schwer­be­hin­de­rung nur von Trä­gern dieses Merk­mals wahr­heits­wid­rig beant­wor­tet werden. Weder die Frage selbst noch deren wahr­heits­ge­mä­ße Beant­wor­tung führen jedoch zu dem vom Kläger ange­nom­me­nen Nach­teil für den behin­der­ten Men­schen, also zu einer „weni­ger güns­ti­gen Behand­lung“ iSd. § 3 Abs. 1 AGG. Ob ein sol­cher Nach­teil vor­liegt, ist objek­tiv aus der Sicht eines ver­stän­di­gen Drit­ten zu beur­tei­len (vgl. BAG 25. Febru­ar 2010 — 6 AZR 911/08 — Rn. 33, BAGE 133, 265).
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(1) Durch die Frage nach der Schwer­be­hin­de­rung und deren wahr­heits­ge­mä­ße Beant­wor­tung werden behin­der­te Arbeit­neh­mer gegen­über Nicht­be­hin­der­ten nicht zurück­ge­setzt (zu dieser Defi­ni­ti­on des Nach­teils iSd. § 3 Abs. 1 AGG für das Merk­mal „Alter“ siehe BAG 25. Febru­ar 2010 — 6 AZR 911/08 — Rn. 25, BAGE 133, 265). Die Frage nach der Schwer­be­hin­de­rung soll es bei objek­ti­ver Betrach­tung dem Arbeit­ge­ber ermög­li­chen, den beson­de­ren Schutz des Schwer­be­hin­der­ten zu ver­wirk­li­chen, ins­be­son­de­re den Son­der­kün­di­gungs­schutz des Schwer­be­hin­der­ten­ge­set­zes zu beach­ten. Dieser öffent­lich-recht­li­che Son­der­kün­di­gungs­schutz ist prä­ven­ti­ver Art. Er unter­wirft die Aus­übung des arbeit­ge­ber­sei­ti­gen Kün­di­gungs­rechts einer vor­he­ri­gen Kon­trol­le durch das Inte­gra­ti­ons­amt, indem er die Kün­di­gung einem Verbot mit Erlaub­nis­vor­be­halt unter­stellt, um so bereits im Vor­feld der Kün­di­gung die spe­zi­fi­schen Schutz­in­ter­es­sen schwer­be­hin­der­ter Arbeit­neh­mer zur Gel­tung zu brin­gen und eine mit den Schutz­zwe­cken des SGB IX unver­ein­ba­re Kün­di­gung zu ver­hin­dern. Dem Inte­gra­ti­ons­amt obliegt im Rahmen des Son­der­kün­di­gungs­schut­zes die Inschutz­nah­me des Schwer­be­hin­der­ten mit dem Ziel, die aus seiner Behin­de­rung resul­tie­ren­den Benach­tei­li­gun­gen auf dem Arbeits­markt aus­zu­glei­chen, dadurch seine Wett­be­werbs­fä­hig­keit mit Nicht­be­hin­der­ten her­zu­stel­len und sicher­zu­stel­len, dass er gegen­über Letz­te­ren nicht ins Hin­ter­tref­fen gerät (vgl. BVerwG 2. Juli 1992 — 5 C 39.90 — BVerw­GE 90, 275; 2. Juli 1992 — 5 C 51.90 — BVerw­GE 90, 287; 31. Juli 2007 — 5 B 81.06 — Rn. 5). Die Frage dient also der Wah­rung der Rechte und Inter­es­sen des Schwer­be­hin­der­ten, nicht aber dazu, ihn gegen­über nicht behin­der­ten Arbeit­neh­mern zurück­zu­set­zen. Die Belan­ge des schwer­be­hin­der­ten Men­schen sollen durch § 1 Abs. 3 KSchG sowie in dem nach §§ 85 ff. SGB IX ein­zu­hal­ten­den Ver­fah­ren gerade gewahrt werden. Das setzt aber voraus, dass der Arbeit­ge­ber von der Schwer­be­hin­der­ten­ei­gen­schaft Kennt­nis hat oder zumin­dest die Mög­lich­keit hat, sich diese durch Nach­fra­ge zu ver­schaf­fen.
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Dies steht auch im Ein­klang mit den Zielen der Richt­li­nie 2000/78/EG des Rates vom 27. Novem­ber 2000 zur Fest­le­gung eines all­ge­mei­nen Rah­mens für die Ver­wirk­li­chung der Gleich­be­hand­lung in Beschäf­ti­gung und Beruf (RL 2000/78/EG). Nach ihrem Erwä­gungs­grund Nr. 16 strebt diese durch das AGG umge­setz­te Richt­li­nie Maß­nah­men an, die darauf abstel­len, den Bedürf­nis­sen von Men­schen mit Behin­de­rung am Arbeits­platz Rech­nung zu tragen. Aus­weis­lich des Erwä­gungs­grun­des Nr. 27 will sie der Auf­recht­erhal­tung des Beschäf­ti­gungs­ver­hält­nis­ses von Men­schen mit Behin­de­rung beson­de­re Auf­merk­sam­keit widmen. Diesen Zwe­cken dienen ua. § 1 Abs. 3 KSchG und der in §§ 85 ff. SGB IX gere­gel­te Son­der­kün­di­gungs­schutz.
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(2) Der Hin­weis des Klä­gers in der münd­li­chen Ver­hand­lung vor dem Senat, er werde gegen­über einem Behin­der­ten, der durch den Fra­ge­bo­gen „vor­ge­warnt“ den Antrag auf Aner­ken­nung als Schwer­be­hin­der­ter erst nach Aus­fül­len des Fra­gen­bo­gens gestellt und sich erst dann den gesetz­li­chen Son­der­kün­di­gungs­schutz ver­schafft habe, zurück­ge­setzt, ver­fängt nicht. Deckt die Frage nach der Schwer­be­hin­de­rung nicht alle denk­ba­ren Kon­stel­la­tio­nen des noch zu erwer­ben­den Schut­zes als Schwer­be­hin­der­ter ab, folgt daraus nicht, dass die Frage nach einem bereits bestehen­den Schutz unzu­läs­sig ist. Es ist Sache des Arbeit­ge­bers, die Frage nach einem bestehen­den Son­der­kün­di­gungs­schutz zu for­mu­lie­ren und dadurch ihre Reich­wei­te fest­zu­le­gen. Fragt er, wie im vor­lie­gen­den Fall, nicht nach einem bereits gestell­ten Antrag auf Aner­ken­nung als Schwer­be­hin­der­ter, for­dert er auch nicht dazu auf, erst später gestell­te Anträ­ge mit­zu­tei­len und lässt einige Zeit zwi­schen der Beant­wor­tung der Frage und Kün­di­gungs­er­klä­rung ver­strei­chen, hat er die sich aus einer solch unzu­rei­chen­den Fra­ge­stel­lung für ihn even­tu­ell erge­ben­den nach­tei­li­gen Folgen zu tragen, setzt aber nicht den Arbeit­neh­mer, der iSd. § 2 Abs. 2 SGB IX als schwer­be­hin­dert aner­kannt ist, gegen­über dem im Zeit­punkt der Fra­ge­bo­gen­ak­ti­on ledig­lich iSd. § 2 Abs. 1 SGB IX behin­der­ten Arbeit­neh­mer zurück.
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bb) Schließ­lich über­zeugt auch das Argu­ment der Revi­si­on, ein wirk­sa­mer Dis­kri­mi­nie­rungs­schutz sei nur gewähr­leis­tet, wenn bereits die Vor­be­rei­tung einer mög­li­chen Dis­kri­mi­nie­rung aus­ge­schlos­sen werde, nicht. Im Unter­schied zur Situa­ti­on der Ver­trags­an­bah­nung (zum Streit­stand hin­sicht­lich der Frage nach der Schwer­be­hin­der­ten­ei­gen­schaft des Stel­len­be­wer­bers vgl. BAG 7. Juli 2011 — 2 AZR 396/10 — Rn. 17, NZA 2012, 34) befin­det sich der behin­der­te Arbeit­neh­mer in der hier vor­lie­gen­den Situa­ti­on bereits in einer gesetz­lich beson­ders geschütz­ten Rechts­stel­lung, die gerade zum Ziel hat, Dis­kri­mi­nie­run­gen des Behin­der­ten zu ver­mei­den. Meint der Arbeit­neh­mer, dass es nach Kennt­nis­er­lan­gung des Arbeit­ge­bers von einer Schwer­be­hin­de­rung zu einer sol­chen Dis­kri­mi­nie­rung gekom­men ist, ist er auf den gesetz­li­chen Dis­kri­mi­nie­rungs­schutz zu ver­wei­sen.
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d) Auch daten­schutz­recht­li­che Belan­ge stehen der Zuläs­sig­keit der Frage nicht ent­ge­gen.
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aa) § 28 Abs. 6 Nr. 3 BDSG lässt die Frage nach der Schwer­be­hin­de­rung bei uni­ons­rechts­kon­for­mer Aus­le­gung unter Beach­tung des dadurch umge­setz­ten Art. 8 Abs. 2 Buchst. b der Richt­li­nie 95/46/EG des Euro­päi­schen Par­la­ments und des Rates vom 24. Okto­ber 1995 zum Schutz natür­li­cher Per­so­nen bei der Ver­ar­bei­tung per­so­nen­be­zo­ge­ner Daten und zum freien Daten­ver­kehr (RL 95/46/EG) zu, wenn wie im vor­lie­gen­den Fall nach der von den natio­na­len Gerich­ten vor­zu­neh­men­den, am Zweck der RL 95/46/EG ori­en­tier­ten Abwä­gung das Inter­es­se des Arbeit­neh­mers an der Geheim­hal­tung seiner Behin­de­rung das Inter­es­se des Arbeit­ge­bers an der Erhe­bung dieser Daten nicht über­wiegt.
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(1) Die vor­lie­gen­de Fra­ge­bo­gen­ak­ti­on wird vom Bun­des­da­ten­schutz­ge­setz erfasst. Auch Samm­lun­gen aus­ge­füll­ter For­mu­la­re sind nicht auto­ma­ti­sier­te Datei­en iSd. § 1 Abs. 2 Nr. 3 iVm. § 3 Abs. 2 Satz 2 BDSG (Dam­mann in Simi­tis BDSG 7. Aufl. § 3 Rn. 99; Thüsing/Lambrich BB 2002, 1146, 1150 mwN).
28
(2) Nach § 28 Abs. 6 Nr. 3 BDSG ist das Erhe­ben, Ver­ar­bei­ten und Nutzen beson­de­rer Arten per­so­nen­be­zo­ge­ner Daten iSd. § 3 Abs. 9 BDSG für eigene Geschäfts­zwe­cke auch ohne Ein­wil­li­gung des Betrof­fe­nen zuläs­sig, wenn dies zur Gel­tend­ma­chung, Aus­übung oder Ver­tei­di­gung recht­li­cher Ansprü­che erfor­der­lich ist und kein Grund zu der Annah­me besteht, dass das schutz­wür­di­ge Inter­es­se des Betrof­fe­nen an dem Aus­schluss der Erhe­bung, Ver­ar­bei­tung oder Nut­zung über­wiegt. Diese Vor­aus­set­zun­gen sind bei der Frage nach der Schwer­be­hin­de­rung im bestehen­den Arbeits­ver­hält­nis jeden­falls nach Erwerb des Behin­der­ten­schut­zes und zur Vor­be­rei­tung kon­kret bevor­ste­hen­der Kün­di­gun­gen erfüllt.
29
(a) Die Frage nach der Behin­de­rung ver­langt Anga­ben zur Gesund­heit und stellt damit eine Erhe­bung beson­de­rer Arten per­so­nen­be­zo­ge­ner Daten (sen­si­ti­ver Daten) iSv. § 3 Abs. 9 BDSG dar (Gola/Schomerus BDSG 10. Aufl. § 3 Rn. 56a; Thüsing/Lambrich BB 2002, 1146, 1151).
30
(b) Aller­dings ist die Erhe­bung der Schwer­be­hin­der­ten­ei­gen­schaft nicht zur „Gel­tend­ma­chung, Aus­übung oder Ver­tei­di­gung“ eines Anspruchs des Arbeit­ge­bers iSd. Legal­de­fi­ni­ti­on des § 194 Abs. 1 BGB, also eines Rechts, von einer ande­ren Person ein Tun oder Unter­las­sen zu ver­lan­gen, erfor­der­lich. Sie ist, wie bereits aus­ge­führt, ledig­lich Vor­aus­set­zung für die Erfül­lung der dem Arbeit­ge­ber nach § 1 Abs. 3 KSchG und § 85 SGB IX oblie­gen­den Pflich­ten. Die Daten­er­he­bung findet also im Vor­feld der Erfül­lung gesetz­li­cher Pflich­ten des Arbeit­ge­bers statt und dient dazu, diesem die Kennt­nis zu ver­schaf­fen, die erfor­der­lich ist, um ihm anschlie­ßend ein geset­zes­kon­for­mes Han­deln zu ermög­li­chen. Auch eine solche Daten­er­he­bung zur Klä­rung von gegen den Arbeit­ge­ber gerich­te­ten Ansprü­chen, die sich für diesen spie­gel­bild­lich als Pflich­ten dar­stel­len, ist jedoch unter Berück­sich­ti­gung der RL 95/46/EG von § 28 Abs. 6 Nr. 3 BDSG gedeckt (Gola RDV 2001, 125, 127).
31
(aa) § 28 Abs. 6 bis Abs. 9 BDSG setzen nach dem aus­drück­li­chen Willen des Gesetz­ge­bers (BT-Drucks. 14/4329 S. 43) Art. 8 RL 95/46/EG, ins­be­son­de­re Art. 8 Abs. 2 Buchst. b dieser Richt­li­nie, um. Nach dieser Bestim­mung ist die Ver­ar­bei­tung von Daten, wor­un­ter nach Art. 2 Buchst. b RL 95/46/EG auch deren Erhe­bung fällt, zuläs­sig, um den Rech­ten und Pflich­ten des für die Ver­ar­bei­tung Ver­ant­wort­li­chen auf dem Gebiet des Arbeits­rechts Rech­nung zu tragen, sofern dies auf­grund von ein­zel­staat­li­chem Recht, das ange­mes­se­ne Garan­tien vor­sieht, zuläs­sig ist. Ein Wille des Gesetz­ge­bers, durch die For­mu­lie­rung der Vor­aus­set­zun­gen in § 28 Abs. 6 Nr. 3 BDSG der Erhe­bung, Ver­ar­bei­tung und Nut­zung sen­si­ti­ver Daten durch den Arbeit­ge­ber im Bereich des Arbeits­rechts engere Gren­zen als durch Art. 8 Abs. 2 Buchst. b RL 95/46/EG vor­ge­se­hen zu setzen, ist nicht ersicht­lich (vgl. Gola RDV 2001, 125, 127). Es han­delt sich viel­mehr ledig­lich um eine miss­glück­te For­mu­lie­rung (vgl. Thüsing/Lambrich BB 2002, 1146, 1152). Des­halb kann dahin­ste­hen, ob es dem deut­schen Gesetz­ge­ber ver­wehrt gewe­sen wäre, die in Art. 8 Abs. 2 Buchst. b RL 95/46/EG nie­der­ge­leg­ten Grund­sät­ze weiter ein­zu­schrän­ken (vgl. für Art. 7 Buchst. f RL 95/46/EG: EuGH 24. Novem­ber 2011 — C‑468/10 — [Aso­cia­ción Nacio­nal] Rn. 35 f., 48, NZA 2011, 1409).
32
(bb) Eine „Gel­tend­ma­chung, Aus­übung oder Ver­tei­di­gung recht­li­cher Ansprü­che“ als Vor­aus­set­zung einer Daten­er­he­bung nach § 28 Abs. 6 Nr. 3 BDSG liegt des­halb in Über­ein­stim­mung mit der For­mu­lie­rung des Art. 8 Abs. 2 Buchst. b RL 95/46/EG auch vor, wenn die Daten­er­he­bung erfor­der­lich ist, um den Rech­ten und Pflich­ten des Arbeit­ge­bers Rech­nung zu tragen. Dazu gehö­ren auch die Pflich­ten des Arbeit­ge­bers zur Beach­tung der Schwer­be­hin­de­rung im Rahmen der Sozi­al­aus­wahl und zur Wah­rung des Schwer­be­hin­der­ten­schut­zes nach §§ 85 ff. SGB IX (vgl. beja­hend zur Zuläs­sig­keit der Frage nach der Schwer­be­hin­de­rung unter daten­schutz­recht­li­chen Gesichts­punk­ten auch Sei­fert in Simi­tis BDSG 7. Aufl. § 32 Rn. 68 für § 32 BDSG nF; zur Daten­er­he­bung im bestehen­den Arbeits­ver­hält­nis all­ge­mein Gola RDV 2001, 125, 127).
33
© Letzt­lich sind damit die Anfor­de­run­gen an das recht­mä­ßi­ge Inter­es­se bei der Frage nach einer Schwer­be­hin­de­rung des Arbeit­neh­mers durch den Arbeit­ge­ber und die Anfor­de­run­gen des Daten­schut­zes deckungs­gleich. Die RL 95/46/EG schränkt das Fra­ge­recht nach der Schwer­be­hin­de­rung, sofern diese unter arbeits­recht­li­chen Gesichts­punk­ten zuläs­sig ist, nicht ein. Sie soll das Gleich­ge­wicht zwi­schen dem freien Ver­kehr per­so­nen­be­zo­ge­ner Daten und dem Schutz der Pri­vat­sphä­re wahren. Dieses ange­mes­se­ne Gleich­ge­wicht zwi­schen den betrof­fe­nen Rech­ten und Inter­es­sen ist vor allem bei der Anwen­dung des die RL 95/46/EG umset­zen­den natio­na­len Rechts zu finden, wobei die durch das Uni­ons­recht geschütz­ten Rechte der Betrof­fe­nen zu wahren sind (EuGH 6. Novem­ber 2003 — C‑101/01 — [Lind­q­vist] Rn. 97, 85, 87, Slg. 2003, I‑12971). Ein über­wie­gen­des Inter­es­se des Arbeit­neh­mers an der Wah­rung seiner Pri­vat­sphä­re liegt nicht vor. Die Frage nach der Schwer­be­hin­de­rung dient, wie wie­der­holt aus­ge­führt, letzt­lich der Wah­rung der Rechte, die dem Arbeit­neh­mer gerade wegen der Schwer­be­hin­de­rung zukom­men. (Erst) in dem Ver­fah­ren nach § 85 SGB IX sind die behin­de­rungs­be­ding­ten Nach­tei­le aus­zu­glei­chen und die durch das Uni­ons­recht, ins­be­son­de­re die RL 2000/78/EG, gewähr­leis­te­ten Rechte des Arbeit­neh­mers zu wahren.
34
bb) Wird dem Arbeit­ge­ber das Recht zur Frage nach der Schwer­be­hin­de­rung im Vor­feld von Kün­di­gun­gen zuge­stan­den, ver­letzt dies den schwer­be­hin­der­ten Arbeit­neh­mer auch nicht in seinem Recht auf infor­ma­tio­nel­le Selbst­be­stim­mung.
35
(1) Es kann dahin­ste­hen, ob die Über­prü­fung des Fra­ge­rechts im All­ge­mei­nen und des diese Frage nach Vor­ste­hen­dem zulas­sen­den § 28 Abs. 6 Nr. 3 BDSG im Beson­de­ren am Maß­stab des Grund­ge­set­zes im Hin­blick auf den Anwen­dungs­vor­rang des Uni­ons­rechts ent­behr­lich ist.
36
(a) Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt übt — jen­seits des Ultra-vires- und des Ver­fas­sungs­iden­ti­täts­vor­be­halts — über die Anwend­bar­keit von Uni­ons­recht als Rechts­grund­la­ge für die natio­na­len Gerich­te und Behör­den seine Gerichts­bar­keit nicht mehr aus und über­prüft dieses Recht nicht mehr am Maß­stab der Grund­rech­te, solan­ge die Euro­päi­sche Union einen gleich wirk­sa­men Grund­rechts­schutz ver­bürgt. Dies gilt aller­dings bei inner­staat­li­chen Rechts­vor­schrif­ten, die Richt­li­ni­en des Uni­ons­rechts umset­zen, nur dann, wenn das Uni­ons­recht zwin­gen­de Vor­ga­ben macht, also dem natio­na­len Gesetz­ge­ber keinen Umset­zungs­spiel­raum lässt (BVerfG 4. Okto­ber 2011 — 1 BvL 3/08 — Rn. 46, NJW 2012, 45). Lässt das Uni­ons­recht den Mit­glied­staa­ten dage­gen einen Umset­zungs­spiel­raum, ist dieser grund­ge­setz­kon­form aus­zu­fül­len. In diesem uni­ons­recht­lich nicht oder jeden­falls nicht voll­stän­dig deter­mi­nier­ten Nor­men­be­reich müssen die natio­na­len Fach­ge­rich­te den Ein­fluss der Grund­rech­te bei der Aus­le­gung von Vor­schrif­ten des natio­na­len Rechts nach wie vor zur Gel­tung brin­gen. Ob ein sol­cher die Grund­rechts­prü­fung der Fach­ge­rich­te eröff­nen­der Umset­zungs­spiel­raum des natio­na­len Gesetz­ge­bers besteht, hat das Fach­ge­richt durch Aus­le­gung des ein­schlä­gi­gen Uni­ons­rechts zu ermit­teln, wobei es gege­be­nen­falls die Vor­aus­set­zun­gen eines Vor­ab­ent­schei­dungs­ver­fah­rens nach Art. 267 AEUV — auch in Bezug auf den Schutz der durch das Uni­ons­recht ver­bürg­ten Grund­rech­te — in Betracht ziehen muss (BVerfG 19. Juli 2011 — 1 BvR 1916/09 — [Cas­si­na] Rn. 88 f., NJW 2011, 3428).
37
(b) Die RL 95/46/EG eröff­net dem natio­na­len Gesetz­ge­ber durch Art. 5 Hand­lungs­spiel­räu­me, auf­grund derer er die in Art. 6 bis Art. 8 RL 95/46/EG fest­ge­leg­ten Grund­sät­ze näher bestim­men kann. Es ist ihm ledig­lich ver­wehrt, zusätz­li­che Bedin­gun­gen vor­zu­se­hen, durch die die Trag­wei­te eines der in der RL 95/46/EG fest­ge­leg­ten Grund­sät­ze ver­än­dert wird (vgl. zu Art. 7 RL 95/46/EG: EuGH 24. Novem­ber 2011 — C‑468/10 — [Aso­cia­ción Nacio­nal] Rn. 35, NZA 2011, 1409; 6. Novem­ber 2003 — C‑101/01 — [Lind­q­vist] Rn. 82 f., Slg. 2003, I‑12971). Ins­be­son­de­re kann er gemäß Art. 8 Abs. 4 RL 95/46/EG, sofern „ange­mes­se­ne Garan­tien“ bestehen, aus Grün­den eines wich­ti­gen öffent­li­chen Inter­es­ses andere als die in Art. 8 Abs. 2 RL 95/46/EG genann­ten Aus­nah­men vor­se­hen.
38
© Ob damit nach vor­ste­hen­den Grund­sät­zen die Grund­rechts­prü­fung eröff­net ist oder ob jeden­falls in Bezug auf das Fra­ge­recht des Arbeit­ge­bers nach der Schwer­be­hin­de­rung Art. 8 Abs. 2 RL 95/46/EG dem deut­schen Gesetz­ge­ber keinen Umset­zungs­spiel­raum ließ, kann dahin­ste­hen. Das Recht auf infor­ma­tio­nel­le Selbst­be­stim­mung wird durch die Frage nach der Schwer­be­hin­de­rung unter den genann­ten Vor­aus­set­zun­gen nicht ver­letzt. Einer Vor­la­ge an den Gerichts­hof der Euro­päi­schen Union nach Art. 267 AEUV zur Klä­rung des Umset­zungs­spiel­raums des natio­na­len Gesetz­ge­bers im streit­be­fan­ge­nen Zusam­men­hang bedarf es des­halb nicht.
39
(2) Das von Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG umfass­te Recht auf infor­ma­tio­nel­le Selbst­be­stim­mung gewähr­leis­tet die Befug­nis des Ein­zel­nen, grund­sätz­lich selbst zu ent­schei­den, wann und inner­halb wel­cher Gren­zen per­sön­li­che Lebens­sach­ver­hal­te offen­bart werden. Das Recht gewährt seinen Trä­gern ins­be­son­de­re Schutz gegen unbe­grenz­te Erhe­bung, Spei­che­rung, Ver­wen­dung oder Wei­ter­ga­be der auf sie bezo­ge­nen, indi­vi­dua­li­sier­ten oder indi­vi­dua­li­sier­ba­ren Daten. Vom Schutz­be­reich dieses Grund­rechts sind per­sön­li­che oder per­so­nen­be­zo­ge­ne Daten umfasst, wor­un­ter Ein­zel­an­ga­ben über per­sön­li­che oder sach­li­che Ver­hält­nis­se einer bestimm­ten oder bestimm­ba­ren Person zu ver­ste­hen sind (BVerfG 24. Novem­ber 2010 — 1 BvF 2/05 — BVerfGE 128, 1, 42 f.). Dar­un­ter fällt auch die Schwer­be­hin­de­rung.
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(3) Der Ein­griff in das infor­ma­tio­nel­le Selbst­be­stim­mungs­recht ist jedoch durch § 28 Abs. 6 Nr. 3 BDSG gerecht­fer­tigt (zu den Anfor­de­run­gen an die Schran­ken des Rechts auf infor­ma­tio­nel­le Selbst­be­stim­mung BVerfG 24. Novem­ber 2010 — 1 BvF 2/05 — BVerfGE 128, 1, 46). Aus dem Grund­ge­setz erge­ben sich inso­weit keine wei­ter­ge­hen­den Anfor­de­run­gen als aus dem Uni­ons­recht.
41
e) Ent­ge­gen der Auf­fas­sung der Revi­si­on wird durch das Beja­hen eines Fra­ge­rechts des Arbeit­ge­bers nach der Schwer­be­hin­de­rung im Vor­feld von beab­sich­tig­ten Kün­di­gun­gen die stän­di­ge Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts, wonach dem schwer­be­hin­der­ten Arbeit­neh­mer der Son­der­kün­di­gungs­schutz noch zukommt, sofern er seine Schwer­be­hin­de­rung dem Arbeit­ge­ber inner­halb der Frist des § 4 KSchG offen­legt (zuletzt 23. Febru­ar 2010 — 2 AZR 659/08 — Rn. 16, BAGE 133, 249), nicht unter­lau­fen. Auch der von ihr gezo­ge­ne Schluss, aus dieser Recht­spre­chung folge, dass der Arbeit­neh­mer nicht ver­pflich­tet sei, vor Ablauf der Frist des § 4 KSchG seine Schwer­be­hin­de­rung zu offen­ba­ren, trägt nicht. Diese Recht­spre­chung dient dem Ver­trau­ens­schutz sowie der Rechts­si­cher­heit und ver­wehrt es dem Arbeit­neh­mer, seine sich aus der Schwer­be­hin­de­rung erge­ben­den Rechte gegen­über dem Arbeit­ge­ber, der bei Erklä­rung der Kün­di­gung von der Schwer­be­hin­de­rung bzw. einem bereits gestell­ten Antrag auf Aner­ken­nung der Schwer­be­hin­de­rung keine Kennt­nis hat, illoy­al ver­spä­tet gel­tend zu machen. Sie ver­wehrt es aber nicht dem Arbeit­ge­ber, diese Rechts­un­si­cher­heit bereits im Vor­feld der Kün­di­gung durch die Frage nach der Schwer­be­hin­de­rung zu besei­ti­gen.
42
II. Die Revi­si­on nimmt zu Unrecht an, die Frage nach der Schwer­be­hin­de­rung des Klä­gers sei jeden­falls des­halb unzu­läs­sig gewe­sen, weil der Beklag­te den Anlass dieser Frage nicht kon­kret dar­ge­legt habe, so dass der Kläger schon des­halb die Frage habe wahr­heits­wid­rig beant­wor­ten dürfen, zumal er dem Beklag­ten als vor­läu­fi­gem Insol­venz­ver­wal­ter ohne­hin nicht zur Aus­kunft ver­pflich­tet gewe­sen sei.
43
1. Wie bereits aus­ge­führt, ist die Frage nach einer Schwer­be­hin­de­rung im bestehen­den Arbeits­ver­hält­nis jeden­falls nach Ablauf der Frist des § 90 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX zuzu­las­sen, um dem Arbeit­ge­ber ein rechts­treu­es Ver­hal­ten zu ermög­li­chen. Der Arbeit­ge­ber muss des­halb den kon­kre­ten Anlass seiner Frage dem Arbeit­neh­mer nicht mit­tei­len.
44
2. Dar­über hinaus war die Frage für den Kläger erkenn­bar im Vor­feld einer beab­sich­tig­ten Kün­di­gungs­wel­le gestellt worden, damit der Beklag­te die ihm bei der Umset­zung dieses Kün­di­gungs­ent­schlus­ses im Zusam­men­hang mit der Schwer­be­hin­de­rung von Arbeit­neh­mern oblie­gen­den Pflich­ten erfül­len konnte.
45
a) Die Revi­si­on macht inso­weit gel­tend, das Lan­des­ar­beits­ge­richt habe zwar im Tat­be­stand aus­ge­führt, dass die Frage zur Ver­mei­dung von Feh­lern bei der Sozi­al­aus­wahl erfolgt sei. Der Beklag­te habe jedoch nicht vor­ge­tra­gen, dass er dem Kläger die Inten­ti­on seiner Frage erläu­tert habe. Rich­tig sei dage­gen die Fest­stel­lung des Arbeits­ge­richts, wonach für den Kläger bei der Frage nicht ersicht­lich gewe­sen sei, wel­chen Zweck der Beklag­te damit ver­folgt habe.
46
b) Mit dieser Argu­men­ta­ti­on berück­sich­tigt der Kläger nicht, dass der Fra­ge­bo­gen im Insol­venz­er­öff­nungs­ver­fah­ren ver­teilt worden ist. Wenn in einem der­ar­ti­gen Ver­fah­ren vom vor­läu­fi­gen Insol­venz­ver­wal­ter eine Umfra­ge zur „Ver­voll­stän­di­gung bzw. Über­prü­fung“ der Sozi­al­da­ten erfolgt, liegt auf der Hand, dass dies der Vor­be­rei­tung von Kün­di­gun­gen, wie sie in einer Insol­venz im Regel­fall erfor­der­lich sind, dient. Ebenso liegt auf der Hand, dass der (vor­läu­fi­ge) Insol­venz­ver­wal­ter mit einer sol­chen Fra­ge­bo­gen­ak­ti­on zum Aus­druck bringt, dass er ins­be­son­de­re den Schwer­be­hin­der­ten­schutz ver­wirk­li­chen will. Im All­ge­mei­nen ist davon aus­zu­ge­hen, dass der (vor­läu­fi­ge) Ver­wal­ter gesetz­mä­ßig han­delt (vgl. BGH 20. Juli 2010 — IX ZR 37/09 — Rn. 26, BGHZ 186, 242).
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3. Der Kläger war auch gegen­über dem Beklag­ten, der im Zeit­punkt der Durch­füh­rung der Fra­ge­bo­gen­ak­ti­on noch „schwa­cher“ vor­läu­fi­ger Insol­venz­ver­wal­ter war, zur Aus­kunft ver­pflich­tet.
48
a) Das Insol­venz­ge­richt hat dem Beklag­ten mit Beschluss vom 8. Januar 2009 das Recht zur Aus­übung der Arbeit­ge­ber­be­fug­nis­se ein­schließ­lich der Ermäch­ti­gung, Kün­di­gun­gen aus­zu­spre­chen, über­tra­gen. Es hat ihn damit zum sog. „halb­star­ken“ vor­läu­fi­gen Insol­venz­ver­wal­ter bestellt (zu diesem Begriff Graf-Schli­cker InsO 2. Aufl. § 22 Rn. 13 ff.). Zwar ist eine pau­scha­le gericht­li­che Ermäch­ti­gung des vor­läu­fi­gen Insol­venz­ver­wal­ters, mit recht­li­cher Wir­kung für den Schuld­ner zu han­deln, nach § 22 Abs. 2 Satz 1 InsO unzu­läs­sig. Das Insol­venz­ge­richt darf jedoch nach § 22 Abs. 2 Satz 2 InsO den „schwa­chen“ vor­läu­fi­gen Insol­venz­ver­wal­ter zu ein­zel­nen, bestimmt bezeich­ne­ten Maß­nah­men berech­ti­gen und ver­pflich­ten. Dazu gehört auch die Ermäch­ti­gung zur Kün­di­gung bestimm­ba­rer Arten von Dau­er­schuld­ver­hält­nis­sen (BGH 18. Juli 2002 — IX ZR 195/01 — BGHZ 151, 353, 365). Der Beklag­te war dem­nach bereits im Insol­venz­er­öff­nungs­ver­fah­ren jeden­falls hin­sicht­lich der Kün­di­gungs­be­rech­ti­gung in die Arbeit­ge­ber­stel­lung ein­ge­rückt und war berech­tigt, alle damit ver­bun­de­nen Ent­schei­dun­gen vor­zu­be­rei­ten und zu tref­fen.
49
b) Dar­über hinaus hat auch ein „schwa­cher“ vor­läu­fi­ger Insol­venz­ver­wal­ter, dem das Insol­venz­ge­richt keine Arbeit­ge­ber­be­fug­nis­se über­tra­gen hat, einen gesetz­li­chen Aus­kunfts­an­spruch gegen die bei der Insol­venz­schuld­ne­rin beschäf­tig­ten Arbeit­neh­mer. Gemäß § 97 Abs. 1 Satz 1 InsO ist der Schuld­ner ver­pflich­tet, dem Insol­venz­ver­wal­ter über alle das Ver­fah­ren betref­fen­den Ver­hält­nis­se Aus­kunft zu geben. Diese Norm gilt gemäß § 101 Abs. 2 InsO ent­spre­chend auch für die Ange­stell­ten des Schuld­ners und damit ohne Beschrän­kung auf den arbeits­recht­li­chen Ange­stell­ten­be­griff für alle im Betrieb täti­gen Per­so­nen des Schuld­ners (Graf-Schli­cker InsO 2. Aufl. § 101 Rn. 5). Die Ver­pflich­tung zur Aus­kunft besteht kraft der Ver­wei­sung in § 22 Abs. 3 Satz 3 InsO schon im Eröff­nungs­ver­fah­ren, wobei es uner­heb­lich ist, ob der vor­läu­fi­ge Insol­venz­ver­wal­ter „stark“ oder „schwach“ ist (Unter­busch Der vor­läu­fi­ge Insol­venz­ver­wal­ter S. 131; Leit­haus in Andres/Leithaus InsO 2. Aufl. § 97 Rn. 14).
50
Der Begriff der „Aus­kunft“ ist weit aus­zu­le­gen, da er sich am Ver­fah­rens­zweck der Haf­tungs­ver­wirk­li­chung ori­en­tiert. Er umfasst alle recht­li­chen und wirt­schaft­li­chen Umstän­de, die für die Abwick­lung des Insol­venz­ver­fah­rens oder von Gläu­bi­ger­for­de­run­gen in irgend­ei­ner Weise von Bedeu­tung sein können (BGH 11. Febru­ar 2010 — IX ZB 126/08 — Rn. 5, NZI 2010, 264; Kayser in HK-InsO 6. Aufl. § 97 Rn. 11; HambKomm/Wendler 3. Aufl. § 97 Rn. 3; Unter­busch Der vor­läu­fi­ge Insol­venz­ver­wal­ter S. 134). Hier­un­ter fällt auch die Frage nach der Schwer­be­hin­der­ten­ei­gen­schaft, die sich auf die Dauer eines Arbeits­ver­hält­nis­ses mit ent­spre­chen­der Ent­gelt­zah­lungs­pflicht aus­wir­ken kann.
51
III. Auch die Rüge der Revi­si­on, der Beklag­te habe nichts zur Wah­rung der Mit­be­stim­mungs­rech­te des Betriebs­rats aus § 94 BetrVG vor­ge­tra­gen, was aber zur Dar­le­gung der Recht­fer­ti­gung der Frage nach der Schwer­be­hin­de­rung erfor­der­lich gewe­sen sei, ver­hilft ihr nicht zum Erfolg. Damit macht die Revi­si­on einen recht­li­chen Gesichts­punkt gel­tend, der neuen Tat­sa­chen­vor­trag des Beklag­ten zur Betei­li­gung des Betriebs­rats erfor­der­lich macht. Neues tat­säch­li­ches Vor­brin­gen im Revi­si­ons­ver­fah­ren kann aber nur unter Vor­aus­set­zun­gen erfol­gen bzw. erzwun­gen werden, die hier nicht vor­lie­gen. Ohne­hin berech­tigt eine solche Ver­let­zung von Mit­be­stim­mungs­rech­ten den Arbeit­neh­mer zwar mög­li­cher­wei­se, die Ant­wort auf die gestell­ten Fragen zu ver­wei­gern, nicht jedoch, seinen Arbeit­ge­ber zu täu­schen (BAG 2. Dezem­ber 1999 — 2 AZR 724/98 — BAGE 93, 41, 47).
52
IV. Infol­ge der wahr­heits­wid­ri­gen Beant­wor­tung der ihm recht­mä­ßig gestell­ten Frage nach seiner Schwer­be­hin­de­rung ist es dem Kläger unter dem Gesichts­punkt wider­sprüch­li­chen Ver­hal­tens ver­wehrt, sich auf seine Schwer­be­hin­der­ten­ei­gen­schaft zu beru­fen.
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1. Grund­sätz­lich steht es jedem Teil­neh­mer des Rechts­ver­kehrs frei, sein Ver­hal­ten oder seine Rechts­an­sicht zu ändern und sich damit in Wider­spruch zu seinem frü­he­ren Ver­hal­ten zu setzen. Ein sol­ches Ver­hal­ten ist aber rechts­miss­bräuch­lich, wenn der Erklä­ren­de durch seine Erklä­rung oder durch sein Ver­hal­ten unbe­wusst oder bewusst eine Sach- oder Rechts­la­ge geschaf­fen hat, auf die sich der andere Teil ver­las­sen durfte und ver­las­sen hat. Das Verbot wider­sprüch­li­chen Ver­hal­tens als Aus­prä­gung des Grund­sat­zes von Treu und Glau­ben bildet eine allen Rech­ten, Rechts­la­gen und Rechts­nor­men imma­nen­te Inhalts­be­gren­zung. Das Ver­trau­en des ande­ren am Rechts­ver­hält­nis betei­lig­ten Teils, dass eine bestimm­te Rechts­la­ge gege­ben sei, ist vor allem dann schutz­wür­dig, wenn er von dem ande­ren Teil in diesem Glau­ben bestärkt worden ist und im Hin­blick darauf Dis­po­si­tio­nen getrof­fen hat. In einem sol­chen Fall ist die Aus­nut­zung der durch das wider­sprüch­li­che Ver­hal­ten geschaf­fe­nen Rechts­la­ge wegen der Rechts­über­schrei­tung unzu­läs­sig. Ob ein sol­cher Fall vor­liegt, ist unter Berück­sich­ti­gung der Umstän­de des Ein­zel­falls zu ent­schei­den (BAG 12. März 2009 — 2 AZR 894/07 — Rn. 17, BAGE 130, 14; 23. Febru­ar 2005 — 4 AZR 139/04 — BAGE 114, 33, 42 f.).
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2. Nach diesen Grund­sät­zen liegt hier ein Fall der unzu­läs­si­gen Rechts­aus­übung vor. Der Kläger hat durch das Leug­nen seiner aner­kann­ten Schwer­be­hin­de­rung den Beklag­ten im Glau­ben bestärkt, er könne ohne die Betei­li­gung des Inte­gra­ti­ons­am­tes wirk­sam kün­di­gen, und ihn dadurch davon abge­hal­ten, vor der Kün­di­gung die Zustim­mung des Inte­gra­ti­ons­am­tes ein­zu­ho­len. Erst bei der Fol­ge­kün­di­gung vom 20. August 2009 konn­ten die Rechte des Klä­gers aus § 85 SGB IX gewahrt werden. Bliebe sein Ver­hal­ten fol­gen­los, würde das Arbeits­ver­hält­nis des Klä­gers auf­grund seiner Schwer­be­hin­de­rung länger fort­be­stehen als das eines nicht behin­der­ten, ansons­ten ver­gleich­ba­ren Arbeit­neh­mers oder eines Schwer­be­hin­der­ten, der seine Schwer­be­hin­de­rung offen­ge­legt hätte. Eine der­ar­ti­ge Bevor­zu­gung ist aber nicht Zweck des Son­der­kün­di­gungs­schut­zes, der, wie aus­ge­führt, nur dem Aus­gleich behin­de­rungs­be­ding­ter Nach­tei­le dient (BAG 26. Juni 2001 — 9 AZR 244/00 — BAGE 98, 114, 122; BVerwG 2. Juli 1992 — 5 C 39.90 — BVerw­GE 90, 275).
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B. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat rechts­feh­ler­frei fest­ge­stellt, dass die Kün­di­gung vom 26. Mai 2009 aus betriebs­be­ding­ten Grün­den sozial gerecht­fer­tigt (§ 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG iVm. § 125 Abs. 1 Satz 1 InsO) und auch nicht gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirk­sam ist. Gegen die ent­spre­chen­de Wür­di­gung des Lan­des­ar­beits­ge­richts und die dieser zugrun­de lie­gen­den Tat­sa­chen­fest­stel­lun­gen erhebt die Revi­si­on auch keine Rügen.
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C. Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolgs­lo­sen Revi­si­on zu tragen.