Fahr­eig­nung: Gut­ach­ten muss sich mit dem maß­geb­li­chen Kri­te­ri­um des Auf­tre­tens einer “schwe­ren Unter­zu­cke­rung” aus­ein­an­der­set­zen

Tenor

I. Der Beschluss des Ver­wal­tungs­ge­richts Augs­burg vom 24. März 2022 wird in Nr. 1 und 2 auf­ge­ho­ben.

Die auf­schie­ben­de Wir­kung der Klage gegen Nr. I. und II. des Bescheids des Land­rats­amts Augs­burg vom 24. Febru­ar 2022 wird wie­der­her­ge­stellt.

II. Der Antrags­geg­ner trägt die Kosten des Ver­fah­rens in beiden Rechts­zü­gen

III. Der Streit­wert für das Beschwer­de­ver­fah­ren wird auf 6.250,- Euro fest­ge­setzt.

Gründe

I.

Die 1957 gebo­re­ne Antrag­stel­le­rin wendet sich gegen die sofor­ti­ge Voll­zieh­bar­keit der Ent­zie­hung ihrer 1975 erteil­ten Fahr­erlaub­nis der Klasse 3 (alt).

Im Rahmen eines Antrags auf Umtausch ihres Füh­rer­scheins in einen neuen Kar­ten­füh­rer­schein gab die Antrag­stel­le­rin frei­wil­lig an, an Dia­be­tes mel­li­tus Typ 2 und Blut­hoch­druck zu leiden. Auf Bitte des Land­rats­amts Augs­burg reich­te sie ärzt­li­che Stel­lung­nah­men des behan­deln­den Dia­be­to­lo­gen ein. In einem Arzt­brief vom 21. Januar 2021 heißt es, in den frühen Mor­gen­stun­den würden einige Hypo­glyk­ämien ange­zeigt. Kli­ni­sche Sym­pto­me lägen nicht vor, bei Gegen­kon­trol­len mit blu­ti­gen Mes­sun­gen gebe es zum Teil einen Abstand von 40 bis 50 mg/dl. Dieser Abstand zeige sich teil­wei­se auch bei ande­ren Sen­sor­da­ten, so dass die Genau­ig­keit der Mess­da­ten ange­zwei­felt werden müsse. In einer Stel­lung­nah­me vom 27. Juli 2021 wird aus­ge­führt, rele­van­te Hypo­glyk­ämie­nei­gun­gen lägen nicht vor, aller­dings zum Teil Sen­sor­feh­ler, wobei die ange­zeig­ten nied­ri­gen Werte durch die blu­ti­gen Mes­sun­gen nicht hätten bestä­tigt werden können. Unter der aktu­el­len Insu­lin­the­ra­pie liege eine sta­bi­le Stoff­wech­sel­la­ge vor.

Dar­auf­hin for­der­te das Land­rats­amt die Antrag­stel­le­rin auf, ein Gut­ach­ten eines Arztes einer Begut­ach­tungs­stel­le für Fahr­eig­nung vor­zu­le­gen. Das von der Antrag­stel­le­rin vor­ge­leg­te Gut­ach­ten der TÜV S. L2. Ser­vice GmbH vom 13. Dezem­ber 2021 kommt zu dem Ergeb­nis, die Antrag­stel­le­rin sei auf­grund einer nicht aus­rei­chend sta­bi­len Blut­zu­cker­la­ge nicht in der Lage, den Anfor­de­run­gen zum Führen von Kraft­fahr­zeu­gen der Gruppe 1 und 2 gerecht zu werden. Die vor­ge­leg­ten Ergeb­nis­se der Blut­zu­ckerei­gen­mes­sun­gen für den Zeit­raum vom 8. Sep­tem­ber bis zum 7. Okto­ber 2021 sprä­chen nicht für eine sta­bi­le Blut­zu­cker­stoff­wech­sel­la­ge und wiesen nahezu täg­lich deut­li­che Schwan­kun­gen auf. Die Werte beweg­ten sich in einem Bereich zwi­schen weni­ger als 50 und 350 mg/dl. In einem Monat seien 25 ernste Hypo­glyk­ämien doku­men­tiert worden, 26% der Werte beweg­ten sich im Bereich des Über­zu­ckers. Auf­grund der wie­der­keh­rend sehr nied­ri­gen Werte müsse zudem die zuver­läs­si­ge Wahr­neh­mung von Hypo­glyk­ämien in Frage gestellt werden. Es liege keine aus­rei­chen­de Com­pli­ance (u.a. Krank­heits­ein­sicht) vor und diese werde auch nicht umge­setzt (Adhä­renz). Dem Gut­ach­ten lässt sich ent­neh­men, dass der Dia­be­tes seit 1994 bekannt ist, seit län­ge­rer Zeit mit Insu­lin behan­delt wird und die Antrag­stel­le­rin alle sechs Monate einen Kon­troll­ter­min beim Dia­be­to­lo­gen wahr­nimmt. Sie messe fünf bis sechs Mal am Tag selbst ihre Blut­zu­cker­wer­te. Auf Nach­fra­ge habe sie mög­li­chen Warn­zei­chen einer sich abzeich­nen­den Unter­zu­cke­rung geschil­dert; solche Sym­pto­me seien bei ihr aber noch nie auf­ge­tre­ten. Sie habe zutref­fend ange­ge­ben, welche Maß­nah­men in so einem Fall zu ergrei­fen seien, bei der Auto­fahrt immer z.B. ein Stück Scho­ko­la­de dabei und an einer Dia­be­tes­schu­lung teil­ge­nom­men. Den Krank­heits­ver­lauf habe sie, soweit er aus den Akten nach­voll­zieh­bar sei, prä­zi­se und detail­liert wie­der­ge­ben können.

Dage­gen ließ die Antrag­stel­le­rin ein­wen­den, die Gut­ach­te­rin stütze sich allein auf die von dem Mess­sys­tem des Typs Free­Style Libre 2 ermit­tel­ten Werte. Diese beruh­ten jedoch auf einem Fehler des Sen­sors. Die Antrag­stel­le­rin messe jedes Mal, wenn das System einen nied­ri­gen Wert anzei­ge, manu­ell blutig nach und ermitt­le dabei nor­ma­le Werte. Die Ergeb­nis­se dieser blu­ti­gen Mes­sun­gen würden jedoch nicht gespei­chert und könn­ten daher auch nicht zur Ver­fü­gung gestellt werden. Dazu legte die Antrag­stel­le­rin ein Attest des behan­deln­den Dia­be­to­lo­gen vom 18. Januar 2022 vor. Darin heißt es, bei einer Zwi­schen­kon­trol­le am 10. Novem­ber 2021 seien keine rele­van­ten Hypo­glyk­ämien fest­ge­stellt worden. Es gebe, wie bereits erwähnt, Pro­ble­me mit der Mess­ge­nau­ig­keit des ver­wen­de­ten Sen­sors. Vor allem im nied­ri­gen Glu­ko­se­be­reich würden zu Unrecht Hypo­glyk­ämien ermit­telt. Nach Aus­sa­ge des Außen­diens­tes des Her­stel­lers vom Dezem­ber 2021 sei das Pro­blem dort bekannt und mehr­fach an die Firma wei­ter­ge­ge­ben worden, die an der Behe­bung des Pro­blems arbei­te. Zudem ließ die Antrag­stel­le­rin Aus­dru­cke ihres Mess­sys­tems für den Zeit­raum vom 26. Novem­ber 2021 bis zum 9. Januar 2022 vor­le­gen mit dem Hin­weis, dass dort nur eine nen­nens­wer­te Unter­zu­cke­rung am 26. Dezem­ber 2021 ange­zeigt werde. Bei der blu­ti­gen Kon­troll­mes­sung habe dieser Wert sich nicht bestä­tigt, son­dern im Ziel­be­reich gele­gen.

Zu diesen Ein­wen­dun­gen nahm die Gut­ach­te­rin mit Schrei­ben vom 7. Januar, 30. Januar und 14. Febru­ar 2022 ergän­zend Stel­lung. Bei dem ver­wen­de­ten Mess­sys­tem sei inner­halb weni­ger Wochen, in der Regel im Abstand von 14 Tagen, ein Sen­sor­wech­sel erfor­der­lich. Es dürfe daher davon aus­ge­gan­gen werden, dass ein mög­li­cher­wei­se feh­ler­haf­ter Sensor zwi­schen­zeit­lich aus­ge­tauscht worden sei. Die insta­bi­le Stoff­wech­sel­la­ge bestehe jedoch fort. Die Antrag­stel­le­rin habe trotz dahin­ge­hen­der Auf­for­de­rung keine Ergeb­nis­se der blu­ti­gen Kon­troll­mes­sun­gen vor­ge­legt, so dass inso­weit keine Beur­tei­lung habe vor­ge­nom­men werden können. Zudem sei nicht nach­voll­zieh­bar, wes­halb sie über einen derart langen Zeit­raum mit feh­ler­haf­ten Sen­so­ren gemes­sen habe, da auf dieser Grund­la­ge die erfor­der­li­che Kon­trol­le der Blut­wer­te nicht gewähr­leis­tet wäre.

Mit Bescheid vom 24. Febru­ar 2022 entzog das Land­rats­amt der Antrag­stel­le­rin unter Anord­nung des Sofort­voll­zugs die Fahr­erlaub­nis und ver­pflich­te­te sie zur Abgabe des Füh­rer­scheins. Die Nicht­eig­nung stehe auf­grund des vor­ge­leg­ten Gut­ach­tens fest.

Dage­gen erhob die Antrag­stel­le­rin Klage zum Ver­wal­tungs­ge­richts Augs­burg (Au 7 K 22.517). Zugleich stell­te sie einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO, den das Ver­wal­tungs­ge­richt mit Beschluss vom 24. März 2022 ablehn­te.

Dage­gen rich­tet sich die Beschwer­de, der der Antrags­geg­ner ent­ge­gen­tritt.

Wegen des wei­te­ren Sach- und Streit­stands wird auf die Gerichts- und Behör­den­ak­ten Bezug genom­men.

II.

Die zuläs­si­ge Beschwer­de ist begrün­det.

1. Die Begrün­dung der Anord­nung der sofor­ti­gen Voll­zie­hung genügt zwar ent­ge­gen der Auf­fas­sung der Antrag­stel­le­rin den Vor­ga­ben des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Diese Bestim­mung nor­miert ledig­lich eine for­mel­le und keine mate­ri­el­le Recht­mä­ßig­keits­vor­aus­set­zung, so dass es auf die inhalt­li­che Rich­tig­keit oder Trag­fä­hig­keit der Begrün­dung des Sofort­voll­zugs nicht ankommt (vgl. BayVGH, B.v. 26.2.2021 — 11 CS 20.2979 — juris Rn. 23; B.v. 10.10.2019 — 11 CS 19.1451 — juris Rn. 21). Inso­weit ist das Ver­wal­tungs­ge­richt der stän­di­gen ober­ge­richt­li­chen Recht­spre­chung gefolgt, wonach an den Inhalt der schrift­li­chen Begrün­dung der Voll­zugs­an­ord­nung keine zu hohen Anfor­de­run­gen zu stel­len sind und bei Kraft­fah­rern, denen die erfor­der­li­che Eig­nung zum Führen eines Kraft­fahr­zeugs fehlt, das Erlass­in­ter­es­se regel­mä­ßig mit dem Voll­zugs­in­ter­es­se iden­tisch ist. Bei dieser häufig wie­der­keh­ren­den Sach­ver­halts­ge­stal­tung, der eine typi­sche Inter­es­sen­la­ge zugrun­de liegt, reicht es aus, diese Inter­es­sen­la­ge auf­zu­zei­gen und deut­lich zu machen, dass sie nach Auf­fas­sung der Fahr­erlaub­nis­be­hör­de auch im kon­kre­ten Fall vor­liegt (vgl. BayVGH, B.v. 10.10.2019, a.a.O. Rn. 21; B.v. 8.6.2021 — 11 CS 20.2342 — juris Rn. 17; B.v. 11.3.2016 — 11 CS 16.259 — juris Rn. 16; Hoppe in Eyer­mann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 80 Rn. 46, 55). Dem hat das Land­rats­amt genügt, indem es — aus­ge­hend von der Annah­me der feh­len­den Fahr­eig­nung der Antrag­stel­le­rin — ihren sofor­ti­gen Aus­schluss vom Stra­ßen­ver­kehr im Inter­es­se der Ver­kehrs­si­cher­heit und des Schut­zes ande­rer Ver­kehrs­teil­neh­mer für erfor­der­lich erklärt hat. Das Gewicht der per­sön­li­chen Belan­ge der Antrag­stel­le­rin, ins­be­son­de­re die Abhän­gig­keit der Erwerbs­tä­tig­keit von der Fahr­erlaub­nis, ändert nichts an der vor­be­nann­ten Inter­es­sen­la­ge. Somit musste das Land­rats­amt, anders als die Beschwer­de meint, nicht näher hier­auf ein­ge­hen (vgl. BayVGH, B.v. 7.9.2020 — 11 CS 20.1436 — juris Rn. 20).

2. Ohne Erfolg rügt die Antrag­stel­le­rin, die Anord­nung des Sofort­voll­zugs sei ermes­sens­feh­ler­haft. Wie das Ver­wal­tungs­ge­richt zutref­fend aus­führt, über­prüft das Gericht im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO nicht die Ent­schei­dung der Behör­de, son­dern trifft eine ori­gi­nä­re Ermes­sens­ent­schei­dung (vgl. BayVGH, B.v. 19.6.2020 — 22 AS 20.40008 — juris Rn. 15; Hoppe in Eyer­mann, VwGO, § 80 Rn. 51 und 55).

3. Dem Gut­ach­ten kann auch nicht ent­ge­gen­ge­hal­ten werden, das Land­rats­amt habe sich in seiner Begut­ach­tungs­an­ord­nung nicht damit aus­ein­an­der­ge­setzt, dass die Begut­ach­tungs­leit­li­ni­en zur Kraft­fahr­eig­nung vom 27. Januar 2014 (Vkbl S. 110) i.d.F.v. 17. Febru­ar 2021 (Vkbl S. 198), in Kraft getre­ten am 1. Juni 2022, für die Gruppe 2 bei The­ra­pie mit höhe­rem Hypo­glyk­ämie­ri­si­ko grund­sätz­lich eine fach­ärzt­li­che Begut­ach­tung durch einen Fach­arzt mit nach­ge­wie­se­ner dia­be­to­lo­gi­scher Qua­li­fi­ka­ti­on vor­se­hen.

Nach der Recht­spre­chung des Ober­ver­wal­tungs­ge­richts für das Land Nord­rhein-West­fa­len hat zwar die Fahr­erlaub­nis­be­hör­de bei der Anord­nung der Vor­la­ge eines ärzt­li­chen Gut­ach­tens die Ent­schei­dung, wer von den in § 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 bis 5 der Ver­ord­nung über die Zulas­sung von Per­so­nen zum Stra­ßen­ver­kehr vom 13. Dezem­ber 2010 (Fahr­erlaub­nis-Ver­ord­nung — FeV, BGBl I S. 1980), im maß­geb­li­chen Zeit­punkt des Beschei­der­las­ses zuletzt geän­dert durch die teil­wei­se zum 19. Januar 2022 in Kraft getre­te­ne Ver­ord­nung vom 18. März 2022 (BGBl I S. 498), genann­ten Gut­ach­ter­grup­pen das Gut­ach­ten erstel­len soll, nach pflicht­ge­mä­ßem Ermes­sen zu tref­fen, hier­bei die Begut­ach­tungs­leit­li­ni­en zur Kraft­fahr­eig­nung in den Blick zu nehmen und ggf. dar­zu­le­gen, aus wel­chem Grund sie eine von den Begut­ach­tungs­leit­li­ni­en abwei­chen­de Gut­ach­ter­aus­wahl getrof­fen hat (vgl. OVG NW, B.v. 13.12.2021 — 16 B 784/21 — DAR 2022, 167 = juris Rn. 6 ff., 12). Diese Recht­spre­chung bezieht sich jedoch auf eine Bei­brin­gungs­an­ord­nung und bedarf hier keiner nähe­ren Erör­te­rung. Legt der Betrof­fe­ne, wie hier die Antrag­stel­le­rin, das von ihm gefor­der­te Gut­ach­ten vor, kann dieses unab­hän­gig davon ver­wer­tet werden, ob die Anord­nung gerecht­fer­tigt war. Das Ergeb­nis des Gut­ach­tens schafft eine neue Tat­sa­che, die selb­stän­di­ge Bedeu­tung hat (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 28.6.2012 — 3 C 30.11 — NJW 2012, 3669 = juris Rn. 23; U.v. 28.4.2010 — 3 C 2.10 — BVerw­GE 137, 10 Rn. 19, 27 ff.; BayVGH, B.v. 18.1.2022 — 11 CS 21.1767 — juris Rn. 12; Dauer in Hentschel/König/Dauer, Stra­ßen­ver­kehrs­recht, 46. Aufl. 2021, § 11 FeV Rn. 26).

Maß­geb­lich ist damit, ob das vor­ge­leg­te Gut­ach­ten ver­wert­bar ist. Dabei kann auch die Sach­kun­de des Gut­ach­ters von Bedeu­tung sein. Diese kann der Gut­ach­te­rin hier jedoch auch dann, wenn sie über keine nach­ge­wie­se­ne dia­be­to­lo­gi­sche Qua­li­fi­ka­ti­on ver­fü­gen sollte, nicht von vorn­her­ein abge­spro­chen werden. Grund­sätz­lich müssen auch die Ärzte einer Begut­ach­tungs­stel­le für Fahr­eig­nung zu einer Ein­schät­zung der in der Anl. 4 zur FeV auf­ge­führ­ten Krank­hei­ten und Mängel in der Lage sein. Sollte der beauf­trag­te Gut­ach­ter hierzu nicht aus­rei­chend qua­li­fi­ziert sein, müsste er den Auf­trag­ge­ber oder die Fahr­erlaub­nis­be­hör­de darauf hin­wei­sen und die Erstel­lung des Gut­ach­tens ableh­nen (vgl. BayVGH, B.v. 19.3.2019 — 11 CS 19.57 — juris Rn. 16).

4. Die Beschwer­de macht jedoch zu Recht gel­tend, dass das Land­rats­amt die Fahr­eig­nung der Antrag­stel­le­rin nicht ohne wei­te­re Auf­klä­rung ver­nei­nen durfte. Das vor­ge­leg­te Gut­ach­ten der Begut­ach­tungs­stel­le für Fahr­eig­nung TÜV … L2. Ser­vice GmbH vom 13. Dezem­ber 2021, auf das es sich stützt, bietet keine trag­fä­hi­ge Grund­la­ge für die Annah­me, dass die Antrag­stel­le­rin unge­eig­net zum Führen von Kraft­fahr­zeu­gen der Grup­pen 1 und 2 ist.

a) Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Stra­ßen­ver­kehrs­ge­set­zes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310), im maß­geb­li­chen Zeit­punkt des Beschei­der­las­ses zuletzt geän­dert durch Gesetz vom 7. Mai 2021 (BGBl I S. 850), und § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV hat die Fahr­erlaub­nis­be­hör­de die Fahr­erlaub­nis zu ent­zie­hen, wenn sich deren Inha­ber als unge­eig­net oder nicht befä­higt zum Führen von Kraft­fahr­zeu­gen erweist. Nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV gilt dies ins­be­son­de­re dann, wenn Erkran­kun­gen oder Mängel nach den Anla­gen 4, 5 oder 6 der FeV vor­lie­gen oder erheb­lich oder wie­der­holt gegen ver­kehrs­recht­li­che Vor­schrif­ten oder Straf­ge­set­ze ver­sto­ßen wurde. Die Unge­eig­ne­t­heit muss dabei auf­grund erwie­se­ner Tat­sa­chen posi­tiv fest­ge­stellt werden; die mate­ri­el­le Beweis­last trägt die Fahr­erlaub­nis­be­hör­de unter Ein­be­zie­hung der Mit­wir­kungs­pflich­ten des Betrof­fe­nen (vgl. BVerwG, U.v. 9.6.2005 — 3 C 25.04 — NJW 2005, 3081 = juris Rn. 17; OVG NW, B.v. 4.7.2007 — 16 B 666/07 — NJW 2007, 2938 = juris Rn. 1; VGH BW, U.v. 27.7.2016 — 10 S 1880/15 — VRS 131, 32 = juris Rn. 21; Dauer in Hentschel/König/Dauer, Stra­ßen­ver­kehrs­recht, § 3 StVG Rn. 24). Werden Tat­sa­chen bekannt, die Beden­ken gegen die kör­per­li­che oder geis­ti­ge Eig­nung des Fahr­erlaub­nis­in­ha­bers begrün­den, kann die Fahr­erlaub­nis­be­hör­de die Bei­brin­gung eines ärzt­li­chen Gut­ach­tens anord­nen (§ 46 Abs. 3 i.V.m. § 11 Abs. 2 Satz 1 FeV). Beden­ken gegen die kör­per­li­che oder geis­ti­ge Eig­nung bestehen ins­be­son­de­re, wenn Tat­sa­chen bekannt werden, die auf eine Erkran­kung oder einen Mangel nach Anlage 4 oder 5 zur FeV hin­wei­sen (§ 11 Abs. 2 Satz 2 FeV).

Die 1975 erteil­te Fahr­erlaub­nis der Antrag­stel­le­rin umfasst nach Anl. 3 A I Lfd.Nr. 17 die Klas­sen A, A1, AM, B, BE und L, die der Gruppe 1 zuge­ord­net sind, und die Klas­sen C1, C1E und CE, die der Gruppe 2 zuge­ord­net sind. Bei medi­ka­men­tö­ser The­ra­pie eines Dia­be­tes mel­li­tus mit hohem Hypo­glyk­ämie­ri­si­ko (z.B. Insu­lin) ist die Fahr­eig­nung nach den stren­ge­ren Anfor­de­run­gen an das Führen von Kraft­fahr­zeu­gen der Gruppe 2 zu beja­hen bei guter Stoff­wech­sel­füh­rung ohne schwe­re Unter­zu­cke­rung über drei Monate und unge­stör­ter Hypo­glyk­ämie­wahr­neh­mung (Nr. 5.4 der Anl. 4 zur FeV). Schwe­re Unter­zu­cke­rung (Hypo­glyk­ämie) bedeu­tet dabei nach den Begut­ach­tungs­leit­li­ni­en zur Kraft­fahr­eig­nung, die nach Anl. 4a zur FeV Grund­la­ge für die Beur­tei­lung der Eig­nung sind, die Not­wen­dig­keit von Hilfe durch eine andere Person (S. 34).

Die Unter­su­chung ist anlass­be­zo­gen und unter Ver­wen­dung der von der Fahr­erlaub­nis­be­hör­de zuge­sand­ten Unter­la­gen über den Betrof­fe­nen vor­zu­neh­men. Der Gut­ach­ter hat sich an die durch die Fahr­erlaub­nis­be­hör­de vor­ge­ge­be­ne Fra­ge­stel­lung zu halten (Nr. 1 Buchst. a der Anlage 4a zur FeV). Das Gut­ach­ten muss in all­ge­mein­ver­ständ­li­cher Spra­che abge­fasst sowie nach­voll­zieh­bar und nach­prüf­bar sein. Die Nach­prüf­bar­keit betrifft die Wis­sen­schaft­lich­keit der Begut­ach­tung. Sie erfor­dert, dass die Unter­su­chungs­ver­fah­ren, die zu den Befun­den geführt haben, ange­ge­ben und, soweit die Schluss­fol­ge­run­gen auf For­schungs­er­geb­nis­se gestützt sind, die Quel­len genannt werden. Die Nach­voll­zieh­bar­keit betrifft die logi­sche Ord­nung (Schlüs­sig­keit) des Gut­ach­tens. Sie erfor­dert die Wie­der­ga­be aller wesent­li­chen Befun­de und die Dar­stel­lung der zur Beur­tei­lung füh­ren­den Schluss­fol­ge­run­gen (Nr. 2 Buchst. a der Anlage 4a zur FeV). Zudem setzt die Nach­voll­zieh­bar­keit die Ein­hal­tung all­ge­mei­ner Grund­sät­ze zur Ver­wert­bar­keit von Gut­ach­ten voraus. Dazu gehört u.a., dass das Gut­ach­ten von zutref­fen­den tat­säch­li­chen Vor­aus­set­zun­gen aus­geht, keine inhalt­li­chen Wider­sprü­che oder fach­li­chen Mängel auf­weist, kein Anlass zu Zwei­feln an der Sach­kun­de des Gut­ach­ters besteht und das Ergeb­nis nicht durch sub­stan­ti­ier­ten Vor­trag der Betei­lig­ten oder eigene Über­le­gun­gen der Behör­de bzw. des Gerichts ernst­haft erschüt­tert wird (vgl. BayVGH, B.v. 18.1.2022 — 11 CS 21.1767 — juris Rn. 14; zur Ver­wert­bar­keit von Gut­ach­ten siehe BVerwG, B.v. 26.6.2020 — 7 BN 3.19 — NVwZ-RR 2020, 1093 = juris Rn. 6; B.v. 20.12.2019 — 3 B 20.19 — NVwZ-RR 2020, 539 = juris Rn. 33; Schü­bel-Pfis­ter in Eyer­mann, VwGO, § 98 Rn. 37; Zim­mer­mann in MüKo ZPO, 6. Aufl. 2020, § 412 ZPO Rn. 2).

b) Diesen Anfor­de­run­gen an die Nach­voll­zieh­bar­keit wird das vor­ge­leg­te Gut­ach­ten nicht gerecht, soweit es zu dem Ergeb­nis kommt, die Antrag­stel­le­rin sei wegen einer “nicht aus­rei­chend sta­bi­len Blut­zu­cker­la­ge” unge­eig­net zum Führen von Kraft­fahr­zeu­gen der Grup­pen 1 und 2.

aa) Diese Schluss­fol­ge­rung ergibt sich bereits des­we­gen nicht schlüs­sig aus dem Gut­ach­ten, weil es eine nach­voll­zieh­ba­re Aus­ein­an­der­set­zung mit dem maß­geb­li­chen Kri­te­ri­um des Auf­tre­tens einer “schwe­ren Unter­zu­cke­rung” zumin­dest ver­mis­sen lässt, wenn es die inso­weit gel­ten­den Maß­stä­be nicht gar ver­fehlt.

Die Gut­ach­te­rin stellt zwar in Ein­klang mit den Begut­ach­tungs­leit­li­ni­en (S. 32) auf eine “sta­bi­le Stoff­wech­sel­füh­rung” ab. Dieser Begriff deckt sich mit dem der “guten Stoff­wech­sel­füh­rung ohne schwe­re Unter­zu­cke­rung”, wie es in Nr. 5.4 der Anl. 4 zur FeV heißt.

Warum diese Vor­aus­set­zung zu ver­nei­nen sein sollte, wird jedoch nicht nach­voll­zieh­bar aus den Befun­den her­ge­lei­tet. Ins­be­son­de­re ver­hält sich das Gut­ach­ten nicht aus­drück­lich zu der Vor­aus­set­zung der “schwe­ren Unter­zu­cke­rung”. Die Begut­ach­tungs­leit­li­ni­en stel­len inso­weit nicht auf einen bestimm­ten Blut­glu­ko­se­wert ab, son­dern folgen der inter­na­tio­na­len Ein­tei­lung in milde und schwe­re Hypo­glyk­ämien anhand der Fähig­keit zur Selbst­the­ra­pie. “Schwe­re Hypo­glyk­ämie” bedeu­tet danach, wie bereits erwähnt, die Not­wen­dig­keit von Hilfe durch eine andere Person (Begut­ach­tungs­leit­li­ni­en S. 34; Schubert/Huetten/Reimann/Graw, Begut­ach­tungs­leit­li­ni­en zur Kraft­fahr­eig­nung, 3. Aufl. 2018, S. 151, 153). Dass aus den vom Mess­sys­tem im Zeit­raum vom 8. Sep­tem­ber bis zum 7. Okto­ber 2021 ermit­tel­ten und von der Gut­ach­te­rin in den Blick genom­me­nen Werten auf solche fremd­hil­fe­be­dürf­ti­gen Hypo­glyk­ämien geschlos­sen werden kann, ergibt sich nicht ansatz­wei­se aus dem Gut­ach­ten. Ein sol­cher Schluss dürfte auch fern­lie­gen. Nach der Lite­ra­tur treten erste neu­ro­gly­ko­pe­ni­sche Sym­pto­me wie Benom­men­heit (Neu­ro­gly­ko­pe­nie = Mangel an Glu­ko­se im Gehirn) ab einem Blut­zu­cker von ca. 50 mg/dl auf, wäh­rend Krämp­fe und Bewusst­seins­ver­lust erst bei einer Blut­glu­ko­se unter­halb von 30 mg/dl drohen (Schubert/Huetten/Reimann/Graw, a.a.O. S. 154). Die Gut­ach­te­rin hin­ge­gen beschreibt allein “Werte von weni­ger als 50 mg/dl”. Ob sie — ent­spre­chend dem ein­gangs des Gut­ach­tens skiz­zier­ten Prüf­pro­gramm — aus­drück­lich nach fremd­hil­fe­be­dürf­ti­gen Hypo­glyk­ämien gefragt hat, lässt sich den Aus­füh­run­gen nicht ent­neh­men. In diese Rich­tung wird allein ange­führt, Sym­pto­me einer sich abzeich­nen­den Unter­zu­cke­rung wie Schweiß­aus­brü­che, Zit­tern, Blässe oder Heiß­hun­ger seien nach Anga­ben der Antrag­stel­le­rin bei ihr noch nie auf­ge­tre­ten.

Somit bleibt auch unklar, an wel­chem Kri­te­ri­um die Gut­ach­te­rin sich ori­en­tiert und ob sie diesen Begriff mit dem der schwe­ren Unter­zu­cke­rung gleich­setzt, wenn sie von “25 erns­ten Hypo­glyk­ämien” spricht. Der Aus­druck der Eigen­mes­sun­gen für den betrach­te­ten Zeit­raum liegt dem Senat nicht vor. Die ein­ge­reich­ten Ergeb­nis­se für die Spanne vom 26. Novem­ber 2021 bis zum 9. Januar 2022 legen jedoch nahe, dass die Gut­ach­te­rin die “erns­ten Hypo­glyk­ämien” der Aus­wer­tung des Mess­sys­tems ent­nom­men hat, das inso­weit einen kon­kre­ten Blut­glu­ko­se­wert, wohl von 54 mg/dl, zu Grunde legt. Sollte dem so sein und die Gut­ach­te­rin sich mit den “erns­ten Hypo­glyk­ämien” zu schwe­ren Unter­zu­cke­run­gen im Sinne der Begut­ach­tungs­leit­li­ni­en ver­hal­ten wollen, wäre das Urteil der Unge­eig­ne­t­heit nicht nur man­gels nähe­rer Aus­ein­an­der­set­zung mit dem maß­geb­li­chen Kri­te­ri­um nicht nach­voll­zieh­bar, son­dern läge ihm sicher ein unzu­tref­fen­der Maß­stab zu Grunde.

bb) Ferner spricht, ohne dass es für die Ent­schei­dung noch darauf ankommt, viel dafür, dass die Gut­ach­te­rin die Ein­wän­de zur Zwei­fel­haf­tig­keit der vom Mess­sys­tem ermit­tel­ten Werte nicht ohne wei­te­re Auf­klä­rung bei­sei­te­schie­ben durfte.

Der behan­deln­de Arzt ist zwar wegen des anzu­neh­men­den Inter­es­sen­kon­flikts regel­mä­ßig nicht dazu beru­fen, sich zur Frage der Fahr­eig­nung seines Pati­en­ten zu äußern (vgl. BayVGH, B.v. 14.11.2018 — 11 CS 18.963 — juris Rn. 17). Gleich­wohl kann den von ihm erho­be­nen Befun­den eine wich­ti­ge Rolle in der Begut­ach­tung zukom­men und eine Aus­ein­an­der­set­zung damit gebo­ten sein, wenn das Gut­ach­ten die tat­säch­li­chen Grund­la­gen der Eig­nungs­be­ur­tei­lung abwei­chend davon beur­teilt.

Hier hat der behan­deln­de Arzt, der nach eige­nen Anga­ben Dia­be­to­lo­ge DDG ist, also eine von der Deut­schen Dia­be­tes Gesell­schaft aner­kann­te Wei­ter­bil­dung absol­viert hat, in seiner Stel­lung­nah­me vom 18. Januar 2022 nach­voll­zieh­bar und in Ein­klang mit seinen Äuße­run­gen aus dem Januar und Juli 2021 aus­ge­führt, dass es vor allem im nied­ri­gen Glu­ko­se­be­reich Pro­ble­me mit der Mess­ge­nau­ig­keit des Sen­sors für das Gerät Free­Style Libre 2 gebe und feh­ler­haft Hypo­glyk­ämien ange­zeigt würden. Ferner hat er von seinem Kon­takt mit dem Außen­dienst­mit­ar­bei­ter des Her­stel­lers wegen dieses Pro­blems berich­tet. Er legt zwar, wie das Ver­wal­tungs­ge­richt aus­führt, nicht offen, auf wel­cher tat­säch­li­chen Grund­la­ge er zu dem Ergeb­nis gelangt ist, dass die vom Mess­ge­rät ermit­tel­ten Werte nicht mit den Ergeb­nis­sen der blu­ti­gen Kon­troll­mes­sun­gen über­ein­stim­men. Es liegt hier aber weder nahe, dass der Dia­be­to­lo­ge seine Ein­schät­zung ohne plau­si­ble Grund­la­ge vor­ge­nom­men hat, zumal er in der Stel­lung­nah­me vom 21. Januar 2021 kon­kret bezif­fer­te Dif­fe­ren­zen benennt, noch, dass die Antrag­stel­le­rin ihm sys­te­ma­tisch fal­sche Ergeb­nis­se der blu­ti­gen Mes­sun­gen vor­ge­spie­gelt hat. Aus der Akte ergibt sich der Ein­druck einer Pati­en­tin, die ihre Krank­heit und die damit ver­bun­de­nen Gefah­ren ver­steht und ver­nünf­tig damit umgeht, u.a. indem sie sich einer eng­ma­schi­gen dia­be­to­lo­gi­schen Kon­trol­le unter­zieht.

Wenn die Gut­ach­te­rin dem ent­ge­gen­hält, dass der Sensor in dem betrach­te­ten Mess­zeit­raum aus­ge­tauscht worden sein müsste, über­geht dies bereits die Mög­lich­keit, dass eine gesam­te Sen­sor­char­ge und damit auch der Aus­tausch­sen­sor defekt war. Im Inter­net finden sich Bei­trä­ge von Nut­zern des Free­Style Libre 2, in denen von eben jenem Pro­blem berich­tet wird. Es spricht viel dafür, dass die Gut­ach­te­rin der Frage weiter hätte nach­ge­hen müssen, etwa durch Rück­fra­gen beim behan­deln­den Arzt oder indem sie der Antrag­stel­le­rin auf­ge­ge­ben hätte, für einen wei­te­ren Beob­ach­tungs­zeit­raum etwa­ige Kon­troll­mes­sun­gen zu doku­men­tie­ren. Dass die Antrag­stel­le­rin — ohne ent­spre­chen­de Auf­for­de­rung durch die Gut­ach­te­rin — in der Ver­gan­gen­heit kein Blut­zu­cker­ta­ge­buch geführt hat, kann ihr nicht vor­ge­hal­ten werden. Inso­weit ist keine Ver­let­zung der Mit­wir­kungs­pflicht ersicht­lich. Mit Blick darauf, dass die mate­ri­el­le Beweis­last für das Fehlen der Fahr­eig­nung im Falle der Fahr­erlaub­nis­ent­zie­hung bei der Behör­de liegt, dürfte es auch nicht zu ihren Lasten gehen, dass sie den Vor­trag zum Vor­lie­gen eines (all­ge­mei­nen) Sen­sor­feh­lers nicht weiter sub­stan­ti­iert und keinen Nach­weis für die Kau­sa­li­tät eines etwa­igen Sen­sor­feh­lers für die von der Gut­ach­te­rin ange­nom­me­nen Hypo­glyk­ämien geführt hat.

Letzt­lich dürfte sich die Frage, ob die Gut­ach­te­rin ohne wei­te­re Auf­klä­rung abwei­chend vom behan­deln­den Arzt von einem unzu­rei­chend sta­bi­len Blut­zu­cker­spie­gel aus­ge­hen durfte, aber zumin­dest teil­wei­se mit der Pro­ble­ma­tik des Maß­stabs über­schnei­den. Es liegt nahe, dass der behan­deln­de Dia­be­to­lo­ge — abge­se­hen von seinen Beden­ken hin­sicht­lich der Zuver­läs­sig­keit des Mess­sys­tems — auch des­we­gen von vorn­her­ein keine erheb­li­chen Hypo­glyk­ämien erken­nen konnte und keinen Anlass zur Über­prü­fung der The­ra­pie sah, weil er anders als die Gut­ach­te­rin zu Recht keinen festen Schwel­len­wert zu Grunde gelegt hat.

cc) Damit bietet das Gut­ach­ten keine trag­fä­hi­ge Grund­la­ge, um die Fahr­eig­nung zu ver­nei­nen. Zur zuver­läs­si­gen Wahr­neh­mung von Hypo­glyk­ämien äußert die Gut­ach­te­rin allein Zwei­fel, die nach dem Vor­ge­nann­ten zudem auf keinem trag­fä­hi­gen Fun­da­ment ruhen. Ein Eig­nungs­aus­schluss auf­grund von Hyper­glyk­ämien (vgl. dazu Begut­ach­tungs­leit­li­ni­en S. 34; Schubert/Huetten/Reimann/Graw, Begut­ach­tungs­leit­li­ni­en zur Kraft­fahr­eig­nung, S. 155) lässt sich dem Gut­ach­ten eben­falls nicht schlüs­sig ent­neh­men. Damit ent­fällt — abge­se­hen davon, dass diese Annah­me in dem Gut­ach­ten nicht plau­si­bel begrün­det ist und sich aus der Akte, wie bereits erwähnt, das Bild eines bedach­ten und ver­ant­wor­tungs­vol­len Umgangs mit der Krank­heit ergibt — auch von vorn­her­ein die Grund­la­ge für die Annah­me unzu­rei­chen­der Com­pli­ance und Adhä­renz. Dass die Kom­or­bi­di­tä­ten des Dia­be­tes mel­li­tus Typ 2 oder der Blut­hoch­druck die Fahr­eig­nung der Antrag­stel­le­rin aus­schlie­ßen, nimmt die Gut­ach­te­rin nicht an.

c) Somit wird die Klage der Antrag­stel­le­rin vor­aus­sicht­lich Erfolg haben und fällt die Inter­es­sen­ab­wä­gung zu ihren Guns­ten aus. Es erscheint auch ver­tret­bar, sie wei­ter­hin mit Fahr­zeu­gen der Grup­pen 1 und 2 am Stra­ßen­ver­kehr teil­neh­men zu lassen. Sie hat zuletzt eine Stel­lung­nah­me ihres behan­deln­den Dia­be­to­lo­gen vom 18. Juli 2022 ein­ge­reicht, wonach im letz­ten Quar­tal keine Hypo­glyk­ämien vor­la­gen. Zudem stell­te sie Aus­wer­tun­gen ihres neuen Mess­ge­räts zur Ver­fü­gung. Danach ermit­tel­te das System im Zeit­raum vom 15. Juni bis zum 10. August 2022 noch nicht einmal Unter­schrei­tun­gen des Schwel­len­wer­tes von 70 mg/dl, an dem es sich in Anleh­nung an die Emp­feh­lung der ame­ri­ka­ni­schen Dia­be­tes Gesell­schaft (vgl. dazu Schubert/Huetten/Reimann/Graw, a.a.O. S. 151) ori­en­tiert.

5. Der Beschwer­de war daher mit der Kos­ten­fol­ge des § 154 Abs. 1 VwGO statt­zu­ge­ben.

6. Für das wei­te­re Vor­ge­hen wird darauf hin­ge­wie­sen, dass der Bescheid vom 24. Febru­ar 2022 — soll­ten sich im Haupt­sa­che­ver­fah­ren nicht noch wei­te­re Erkennt­nis­se erge­ben — nach Auf­fas­sung des Senats auf­zu­he­ben sein wird. Da es sich bei der Ent­zie­hung nach § 3 Abs. 1 StVG, § 46 Abs. 1 FeV um eine gebun­de­ne Ent­schei­dung han­delt, ließe sich zwar daran denken, dass im Haupt­sa­che­ver­fah­ren auf­zu­klä­ren wäre, ob die Fahr­eig­nung der Antrag­stel­le­rin zum Zeit­punkt des Beschei­der­las­ses zu Recht ver­neint wurde (vgl. all­ge­mein zum Begrün­dungs­man­gel Schü­bel-Pfis­ter in Eyer­mann, VwGO, § 113 Rn. 29 f.). Dies liefe jedoch auf die erst­ma­li­ge Sach­auf­klä­rung und Beur­tei­lung nach den ein­schlä­gi­gen Maß­stä­ben hinaus. Dies ist nach der Sys­te­ma­tik des Fahr­erlaub­nis­rechts aber im Behör­den­ver­fah­ren durch ein vom Betrof­fe­nen vor­zu­le­gen­des Fahr­eig­nungs­gut­ach­ten i.S.d. § 11 Abs. 2 FeV zu leis­ten. Dem Ver­wal­tungs­ge­richt hin­ge­gen fehlt es an einer Rechts­grund­la­ge zur Anord­nung eines Fahr­eig­nungs­gut­ach­tens im Rechts­sinn. Es kann allen­falls ein gericht­li­ches Sach­ver­stän­di­gen­gut­ach­ten in Auf­trag geben, das den Stan­dards eines Fahr­eig­nungs­gut­ach­tens ent­spre­chen soll (vgl. Geiger, DAR 2013, 231). Wegen dieser beson­de­ren Aus­ge­stal­tung des Ver­fah­rens und der her­vor­ge­ho­be­nen Stel­lung des vom Betrof­fe­nen vor­zu­le­gen­den Gut­ach­tens erscheint es sach­ge­recht, die Begut­ach­tung hier einem erneu­ten Behör­den­ver­fah­ren vor­zu­be­hal­ten.

Darin wird das Land­rats­amt die Fahr­eig­nung der Antrag­stel­le­rin vor­aus­sicht­lich erneut abzu­klä­ren haben, wobei die Antrag­stel­le­rin zur Mit­wir­kung ver­pflich­tet bleibt (vgl. BayVGH, B.v. 19.3.2019 — 11 CS 19.57 — juris Rn. 28). Zu diesem Zwecke wäre zunächst eine (erneu­te) Vor­ab­klä­rung der Schwe­re der Dia­be­tes-Erkran­kung der Antrag­stel­le­rin anhand der aktu­el­len Aus­wer­tung des Mess­ge­räts und der aktu­el­len (ggf. auch wei­te­ren) Aus­kunft des behan­deln­den Arztes vor­zu­neh­men (vgl. BayVGH, B.v. 3.5.2017 — 11 CS 17.312 — juris Rn. 17 ff.; B.v. 3.11.2020 — 11 CS 20.1469 — juris Rn. 23). Sollte sich bei einer sorg­fäl­ti­gen Prü­fung erge­ben, dass die Zwei­fel an der Fahr­eig­nung aus der maß­geb­li­chen Sicht eines medi­zi­ni­schen Laien nicht rest­los aus­ge­räumt sind (vgl. dazu BayVGH, B.v. 7.2.2022 — 11 CS 21.2385 — Blut­al­ko­hol 59, 152 = juris Rn. 19), käme zur wei­te­ren Abklä­rung in erster Linie die in den Begut­ach­tungs­leit­li­ni­en vor­ge­se­he­ne Ein­ho­lung eines Gut­ach­tens eines Fach­arz­tes mit ver­kehrs­me­di­zi­ni­scher Qua­li­fi­ka­ti­on (§ 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 FeV) in Betracht. Ent­spre­chend qua­li­fi­zier­te Dia­be­to­lo­gen, auch in der Nähe des Wohn­orts der Antrag­stel­le­rin, sind über die Home­page der Deut­schen Dia­be­tes Gesell­schaft (Arzt­su­che) zu finden.

7. Die Streit­wert­fest­set­zung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. den Emp­feh­lun­gen in Nr. 1.5 Satz 1, 46.2, 46.3 und 46.5 des Streit­wert­ka­ta­logs für die Ver­wal­tungs­ge­richts­bar­keit 2013 (vgl. BayVGH, B.v. 15.12.2014 — 11 CS 14.2202 — juris Rn. 7).

8. Dieser Beschluss ist unan­fecht­bar (§ 152 Abs. 1 VwGO).