Oberverwaltungsgericht NRW, Beschluss vom 12.03.2008, 6 A 4819/05
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf bis zu 25.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe:
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Aus den im Zulassungsantrag dargelegten Gründen, die der Senat allein zu prüfen hat, ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (Zulassungsgrund gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
Die Klägerin meint, dem beklagten Land sei es entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts verwehrt, die Ablehnung ihres Antrags auf Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe auf das Gutachten der Amtsärztin beim Gesundheitsamt der Stadt X. Dr. I. vom 8. Mai 2002 und auf deren weitere Stellungnahme vom 16. März 2005 zu stützen. Die darin enthaltenen prognostischen Aussagen seien nicht auf sie — die Klägerin — bezogen, sondern gäben nur eine generelle Einschätzung wieder, die nicht geeignet sei, im Einzelfall die Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe zu versagen.
Dem ist nicht zu folgen. An der gesundheitlichen Eignung fehlt es bereits dann, wenn die Möglichkeit künftiger Erkrankungen oder des Eintritts dauernder Dienstunfähigkeit vor Erreichen der Altersgrenze nicht mit einem hohen Grad an Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann. Vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Februar 1993 — 2 C 27.90 -, DVBl. 1993, 953.
Zur Feststellung der gesundheitlichen Eignung bedarf es daher einer Prognose dahingehend, ob tatsächliche Anhaltspunkte die Möglichkeit künftiger Erkrankungen oder des Eintritts dauernder Dienstunfähigkeit vor Erreichen der Altersgrenze nahe legen. Eine solche Prognose wird zwar naturgemäß am individuellen Gesundheitszustand des Bewerbers anknüpfen müssen, wie er sich gegenwärtig und in der Vergangenheit dargestellt hat, kann aber zudem auch den Rückgriff auf wissenschaftliche Erkenntnisse und Erfahrungswerte erfordern.
Dementsprechend ist die Amtsärztin verfahren. Sie hat die Prognose richtigerweise auf einen Zeitraum erstreckt, der der im Zeitpunkt der Prognoseerstellung voraussichtlich noch abzuleistenden Dienstzeit der Klägerin entsprach, und darüber hinaus berücksichtigt, dass die Diabeteserkrankung bei ihr bereits seit etwa zwanzig Jahren bestand. Die Amtsärztin hat ihrer Prognose zu Grunde gelegt, dass die Klägerin im Hinblick auf ihre Diabeteserkrankung medikamentös befriedigend eingestellt ist und bei ihr bisher keine über diese Erkrankung als solche hinausgehenden gesundheitlichen Auswirkungen der Grunderkrankung festzustellen waren. Weitere Grundlage der Prognose war die auf wissenschaftliche Erkenntnisse und Erfahrungswerte gestützte Annahme, dass eine Diabeteserkrankung mit einiger Wahrscheinlichkeit selbst bei optimal eingestellten Patienten verschiedenste Folgeerkrankungen und Spätschäden im Bereich des Herz-Kreislauf-Systems, der Nieren, der Augen und des Nervensystems hervorzurufen vermag, die auch eine vorzeitige dauernde Dienstunfähigkeit bewirken können. Dabei ist die Amtsärztin davon ausgegangen, dass die Wahrscheinlichkeit solcher Folgeerkrankungen und Spätschäden mit der Dauer der Grunderkrankung zunimmt. Schließlich hat sie die benannten allgemeinen wissenschaftlichen Erkenntnisse und Erfahrungswerte auf die Situation der Klägerin übertragen und eine auf deren Person bezogene Prognose erstellt, nach der bei der Klägerin mit dem vorzeitigen Eintritt einer dauernden Dienstunfähigkeit gerechnet werden muss. Die Richtigkeit der dieser Prognose zu Grunde liegenden Annahmen wird durch das Zulassungsvorbringen nicht in Frage gestellt. Die in der privatärztlichen Stellungnahme des Dr. L. genannte DCCT- Studie, wonach bei intensivierter Insulintherapie im Beobachtungszeitraum von zehn Jahren das Auftreten und Voranschreiten von Netzhautschäden mit fortschreitender Sehschwäche sowie diabetischer Nieren- und Nervenerkrankungen deutlich vermindert werden konnte, wirft insoweit keine durchgreifenden Zweifel auf. Die Amtsärztin hat im gerichtlichen Verfahren mit Schreiben vom 16. März 2005 unwidersprochen erläutert, dass auch bei Patienten, die mit einer intensivierten Insulintherapie behandelt würden, das Risiko von Komplikationen im Herz-Kreislauf-Bereich unverändert bleibe. Was die Verbesserungen im Bereich sonstiger Folgeerkrankungen und Spätschäden angehe, sei zu berücksichtigen, dass der hier in Rede stehende Prognosezeitraum den Beobachtungszeitraum der DCCT-Studie bei weitem überschreite. Eine positive Prognose sei im Falle der Klägerin nicht möglich.
Das beklagte Land ist auf dieser Grundlage davon ausgegangen, dass bei ihr die Möglichkeit künftiger Erkrankungen oder des Eintritts dauernder Dienstunfähigkeit vor Erreichen der Altersgrenze nicht mit einem hohen Grad an Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden könne und ihr deshalb die gesundheitliche Eignung für die Einstellung in das Beamtenverhältnis fehle. Diese Einschätzung ist nach den vorstehenden Ausführungen nicht zu beanstanden.
Die Auffassung der Klägerin, das beklagte Land sei bei der Ausübung des ihm im Zusammenhang mit der Einstellung von Bewerbern in das Beamtenverhältnis auf Probe zustehenden Ermessens durch die Richtlinien über die Beschäftigung von Diabetikern im öffentlichen Dienst (Runderlass des Innenministers vom 22. November 1982, MBl. NRW, S. 1918) dahingehend gebunden, dass die gesundheitliche Nichteignung eines Bewerbers nur auf der Grundlage eines fundierten Diabetes-Gutachtens eines Facharztes oder einer Diabetes- Klinik festgestellt werden dürfe, trifft nicht zu. Für den hier maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über das Einstellungsgesuch der Klägerin ergibt sich aus den besagten Richtlinien in Verbindung mit den darin in Bezug genommenen Richtlinien der Deutschen-Diabetes-Gesellschaft für die Einstellung von Diabetikern in den öffentlichen Dienst vom 20. April 1982 (MBl. NRW 1982, S. 1918) weder eine solche noch eine andere Ermessensbindung. Der Runderlass des Innenministers vom 22. November 1982 ist gemäß § 6 Abs. 2 der Verwaltungsverordnung über den Abschluss der Bereinigung der Verwaltungsvorschriften vom 29. August 1961 (SMBl.NRW.1141) nicht mehr in Kraft. Nach dieser Regelung treten Verwaltungsvorschriften der Landesregierung und der obersten Landesbehörden, die nicht in die Sammlung des bereinigten Ministerialblattes für das Land Nordrhein-Westfalen (SMBl.NRW) aufgenommen werden und keine Beschränkung der Geltungsdauer enthalten, grundsätzlich fünf Jahre nach Ablauf des Jahres außer Kraft, in dem sie erlassen worden sind. Der Runderlass des Innenministers vom 22. November 1982, der diese Voraussetzungen erfüllt und dessen Weitergeltung auch nicht ausdrücklich angeordnet worden ist, hat seine Gültigkeit mithin bereits im November 1987 verloren.
Soweit die Klägerin die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend macht (Zulassungsgrund gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO), hat sie diese nicht in einer den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechenden Weise dargelegt. Zur Darlegung des Zulassungsgrundes gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist die Rechtsfrage, auf die es nach Auffassung des Rechtsmittelführers ankommen soll, auszuformulieren und substanziiert auszuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich gehalten und aus welchen Gründen ihr Bedeutung über den Einzelfall hinaus zugemessen wird.
Zur Beantwortung der Rechtsfrage, ob an Diabetes mellitus erkrankten Einstellungsbewerbern die Verbeamtung allein mit der Begründung versagt werden darf, dass bei einer Prognose über einen Zeitraum von 50 Jahren Grunderkrankung die Wahrscheinlichkeit einer vorzeitigen Zurruhesetzung nicht ausgeräumt werden könne, bedarf es keines Berufungsverfahrens. Sie kann auf der Grundlage der oben zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bejaht werden.
Die weiter aufgeworfene Rechtsfrage, ob auf der Grundlage des Runderlasses des Innenministers vom 22. November 1982 (MBl. NRW, S. 1918) in Verbindung mit den Richtlinien der Deutschen-Diabetes- Gesellschaft für die Einstellung von Diabetikern in den öffentlichen Dienst vom 20. April 1982 die Feststellung der Nichteignung nur auf der Grundlage eines fachärztlichen Gutachtens getroffen werden darf, das von einem diabetologisch erfahrenen Arzt oder einer Diabetes-Klinik erstattet worden ist, ist — wie oben ausgeführt — nicht entscheidungserheblich, da der Runderlass bereits im November 1987 außer Kraft getreten ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 40, 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 GKG.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).
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