In einer Apo­the­ken­zeit­schrift habe ich gele­sen, dass ich als Arzt die Stra­ßen­ver­kehrs­be­hör­de über einen Pati­en­ten unter­rich­ten dürfe, der sich — obwohl über die Risi­ken belehrt — den­noch in Unter­zu­cke­rung hin­ters Steuer setzt.

Ist diese Info wirk­lich zutref­fend ? Muss ich womög­lich sogar eine Mel­dung an die Behör­de machen ?

Dr. Helmut G., M.


Bruch der Schwei­ge­pflicht: Straf­tat und Daten­schutz­ver­stoss

Ohne Ein­wil­li­gung des Pati­en­ten dürfen Sie grund­sätz­lich nie­man­dem — keiner Behör­de, auch nicht vor Gericht ‑Aus­künf­te über den Gesund­heits­zu­stand des Pati­en­ten geben; Sie würden sich straf­bar machen und Ihre ärzt­li­che Zulas­sung ris­kie­ren.

Gem. » § 203 Abs. 1 Straf­ge­setz­buch (StGB) wird der­je­ni­ge, “der unbe­fugt ein frem­des Geheim­nis, nament­lich ein zum per­sön­li­chen Lebens­be­reich gehö­ren­des Geheim­nis oder ein Betriebs- oder Geschäfts­ge­heim­nis offen­bart, dass ihm als Arzt anver­traut oder sonst bekannt gewor­den ist, mit Frei­heits­stra­fe bis zum einem Jahr oder Geld­stra­fe bestraft”. Dieser Schwei­ge­pflicht unter­fal­len gem. » § 203 Abs. 3 Satz 1 StGB auch Arzt­hel­fe­rin­nen, Arzt­se­kre­tä­rin­nen, sowie das ein­ge­setz­te Betreu­ungs- und Behand­lungs­per­so­nal wie bei­spiels­wei­se Dia­be­tes-Bera­ter-/innen.

Neben Dia­gno­se, The­ra­pie­ge­stal­tung und Krank­heits­ge­schich­te sind zudem sämt­li­che Tat­sa­chen und Umstän­de von der ärzt­li­chen Schwei­ge­pflicht umfasst, die nur einem beschränk­ten Per­so­nen­kreis bekannt sind und an deren Geheim­hal­tung der Betrof­fe­ne ein bei Berück­sich­ti­gung seiner per­sön­li­chen Situa­ti­on sach­lich begrün­de­tes Inter­es­se hat. Hierzu zählt bereits der Name des Pati­en­ten sowie die Tat­sa­che, dass jemand über­haupt einen Arzt kon­sul­tiert hat.

Eine unge­fug­te Wei­ter­ga­be von Gesund­heits­da­ten ist dazu auch daten­schutz­recht­lich unzu­läs­sig (Art. 9 DS-GVO i.V.m. Art. 4 Nr. 15 DS-GVO) und kann zu erheb­li­chen Kon­se­quen­zen führen (Beschwer­de bei der Auf­sichts­be­hör­de, Buss­geld, Scha­dens­er­satz des Betrof­fe­nen).

Ein Arzt darf — ohne Ein­wil­li­gung des Pati­en­ten — grund­sätz­lich keine vom Arzt­ge­heim­nis umfass­ten Infor­ma­tio­nen an Dritte wei­ter­ge­ben.

Aus­nah­men

Nur in ein­zel­nen, gesetz­lich genau gere­gel­ten Fällen darf der Arzt von seiner Schwei­ge­pflicht keinen Gebrauch machen, son­dern muss bestimm­te Umstän­de sogar melden. Hierzu zählen bei­spiels­wei­se bestimm­te anste­cken­de Krank­hei­ten, die nach den §§ » 6, » 7 » Infek­ti­ons­schutz­ge­setz an die Gesund­heits­be­hör­den gemel­det werden müssen.

Mel­de­pflicht nur bei schwe­ren Straf­ta­ten !

Gem. » § 138 StGB müssen die dort genann­ten, schwe­ren Ver­bre­chen grund­sätz­lich ange­zeigt werden, wenn jemand davon bzw. von deren Pla­nung zuver­läs­sig Kennt­nis erlangt.

Wenn der Arzt sich aber ernst­haft bemüht hat, den Pati­en­ten von der Tat abzu­hal­ten, so ist er gem. » § 139 (3) S.2 StGB grund­sätz­lich nicht ver­pflich­tet anzu­zei­gen, was ihm in dieser Eigen­schaft anver­traut worden ist; eine Aus­nah­me gilt nur für geplan­ten Mord oder Tot­schlag, Völ­ker­mord, Ver­bre­chen gegen die Mensch­lich­keit, erpres­se­ri­schen Men­schen­raub, eine Gei­sel­nah­me oder einen Angriff auf den Luft- und See­ver­kehr durch eine ter­ro­ris­ti­sche Ver­ei­ni­gung.

Aus­nah­me nur bei Gefahr

Neben diesen gesetz­li­chen Aus­nah­men darf das Arzt­ge­heim­nis nur dann gebro­chen werden, wenn eine sog. Not­stands­la­ge vor­liegt.

Gem. » § 34 StGB han­delt auf­grund einer Not­stands­si­tua­ti­on nicht rechts­wid­rig, wer in einer gegen­wär­ti­gen, nicht anders abwend­ba­ren Gefahr für Leben, Leib, Frei­heit, Ehre, Eigen­tum oder ein ande­res Rechts­gut eine Tat begeht, um die Gefahr von sich oder einem ande­ren abzu­wen­den, wenn bei Abwä­gung der wider­strei­ten­den Inter­es­sen, nament­lich der betrof­fe­nen Rechts­gü­ter und des Grades der ihnen dro­hen­den Gefah­ren, das geschütz­te Inter­es­se das beein­träch­tig­te wesent­lich über­wiegt und die Tat ein ange­mes­se­nes Mittel ist, die Gefahr abzu­wen­den.

Diese Vor­schrift ist aber sehr eng aus­zu­le­gen:
ent­spre­chend dem Geset­zes­wort­laut muss u.A. eine gegen­wär­ti­ge, d.h. unmit­tel­bar bevor­ste­hen­de Gefahr vor­lie­gen.

Nur in ganz weni­gen Aus­nah­me­fäl­len !

Die Schwei­ge­pflicht des Arztes gilt als eine der höchs­ten ärzt­li­chen Stan­des- und Rechts­pflich­ten und ist daher auch straf­recht­lich sank­tio­niert.
Der Bruch des Pati­en­ten­ge­heim­nis­ses darf nur letz­tes Mittel sein und setzt voraus, daß der Arzt eine sorg­fäl­ti­ge Güter­ab­wä­gung im jewei­li­gen Ein­zel­fall vor­ge­nom­men hat.

Der Bun­des­ge­richts­hof hat in einem Urteil vom 08.10.1968 (NJW 1968, 2288) zwar fest­ge­stellt, dass ein Arzt nicht rechts­wid­rig gehan­delt habe, der einen fahr­un­tüch­ti­gen, unein­sich­ti­gen Pati­en­ten bei der Stra­ßen­ver­kehrs­be­hör­de gemel­det hatte: das öffent­li­che Inter­es­se an der Sicher­heit des Stra­ßen­ver­kehrs müsse dem indi­vi­du­el­len Bedürf­nis nach Geheim­hal­tung einer Erkran­kung vor­ge­hen.

In einem ande­ren Fall gelang­te das OLG Frank­furt zu der — in Fach­krei­sen umstrit­te­nen und auch nicht höchst­rich­ter­lich bestä­tig­ten — Auf­fas­sung, dass die ärzt­li­che Schwei­ge­pflicht nicht der Auf­klä­rung über die Aids-Erkran­kung des Lebens­part­ners und die bestehen­de Anste­ckungs­ge­fahr ent­ge­gen­ste­he, wenn der Pati­ent erkenn­bar unein­sich­tig sei und die Bekannt­ga­be ver­bie­te.

Wenn der Gefähr­de­te sogar auch Pati­ent des Arztes ist, könne im Aus­nah­me­fall sogar eine Offen­ba­rungs­pflicht bestehen (Urteil OLG Frank­furt am Main vom 08.07.1999, Az.: 8 U 67/99; Urteil des OLG Mün­chen vom 18.12.1997 Az.: 1 U 5625/95 Hepa­ti­tis C‑Erkrankung).

Diese Urtei­le dürfen nun aber nicht dahin­ge­hend miss­ver­stan­den werden:
es han­del­te sich hier­bei um auf den jewei­li­gen Ein­zel­fall bezo­ge­ne Ent­schei­dun­gen, die nicht ver­all­ge­mei­nert werden dürfen.
So hat der der Bun­des­ge­richts­hof mit Urteil vom 22. 12. 1999, Az: 3 StR 401–99 auch noch­mals die beson­de­re Ver­trau­ens­be­zie­hung zwi­schen Arzt und Pati­ent aus­drück­lich betont.

Man kann daher kei­nes­falls pau­schal davon aus­ge­hen, dass die Mel­dung eines unter­zu­cke­rungs­ge­fähr­de­ten, unein­sich­ti­gen Dia­be­ti­kers an die Füh­rer­schein­be­hör­de immer zuläs­sig sei, auch wenn dieser eine poten­ti­el­le Gefahr für die All­ge­mein­heit dar­stellt.

Immer muss also eine kon­kre­te — nicht nur poten­ti­el­le ! — erheb­li­che Gefahr für hohe Rechts­gü­ter (Leib und Leben) bestehen, die unmit­tel­bar bevor­steht und vom Arzt auch nicht anders als durch eine Mel­dung an die Behör­de abge­wen­det werden kann.

Der Fall eines Dia­be­ti­kers. der ledig­lich “leicht­sin­nig” ist, reicht hierzu nicht aus, viel­mehr müssen min­des­tens schwe­re, fort­lau­fen­de Stoff­wech­sel­ent­glei­sun­gen vor­lie­gen und auch eine erheb­li­che, nach­hal­ti­ge- und vom Arzt auch nach­weis­ba­re ! — Unein­sich­tig­keit des Pati­en­ten bestehen.

Arzt trägt Risiko !

Der Arzt, der die Schwei­ge­pflicht bre­chen will, muß also wissen, daß er sich auf juris­ti­schem Glatt­eis bewegt:

Lagen die stren­gen tat­be­stand­li­chen Vor­aus­set­zun­gen einer Not­stands­si­tua­ti­on tat­säch­lich nicht vor, so ris­kiert er eine Bestra­fung gem.

» § 203 StGB bzw. berufs­recht­li­che Sank­tio­nen (» vgl. § 9 MBO) und muß dazu­hin noch damit rech­nen, vom Pati­en­ten auf Scha­dens­er­satz und Unter­las­sung ver­klagt zu werden.

Check­lis­te

Die nach­fol­gen­de Check­lis­te soll Ihnen Anhalts­punk­te bei der Ein­schät­zung geben, ob ein Bruch der Schwei­ge­pflicht im Aus­nah­me­fall mög­li­cher­wei­se gerecht­fer­tigt sein kann:

  • Liegen beim Pati­en­ten schwe­re und häu­fi­ge Unter­zu­cke­run­gen vor ?
  • Ist der Pati­ent über die The­ra­pie­form (zB ICT) und die damit ver­bun­de­nen Risiken/Verhaltensanforderungen hin­rei­chend auf­ge­klärt ?
  • Wurde der Pati­ent im Umgang mit Hypo­glyk­ämien aus­rei­chend geschult ?
  • Ist der Pati­ent über die hier­durch poten­ti­ell resul­tie­ren­den Gefah­ren beim Führen eines KFZ infor­miert ?
  • Liegen kon­kre­te Anhalts­punk­te dafür vor, daß der Pati­ent — durch sein Ver­hal­ten oder plötz­lich auf­tre­ten­de, nicht wahr­nehm­ba­re Hypo­glyk­ämien ! — eine tat­säch­li­che und nicht nur poten­ti­el­le Gefahr im Stra­ßen­ver­kehr dar­stellt ?
  • Können Sie im Zwei­fel nach­wei­sen bzw. mit hin­rei­chen­der Sicher­heit bele­gen, daß der Pati­ent sich im Stra­ßen­ver­kehr tat­säch­lich (und nicht nur mut­maß­lich !) unein­sich­tig bzw. ver­ant­wor­tungs­los zeigt(e) ?
  • Haben Sie dem Pati­en­ten die ggf. gebo­te­nen Maß­nah­men zur Risi­ko­mi­ni­mie­rung (zB Schu­lung, Hypo-Awa­re­ness-Trai­ning) vor­ge­schla­gen und wurden diese von ihm abge­lehnt bzw. waren diese Maß­nah­men erfolg­los ?
  • Haben Sie (nach­weis­bar !) alle Ihnen zumut­ba­ren Mög­lich­kei­ten aus­ge­schöpft, den Pati­en­ten zu einem ver­ant­wort­li­chen Ver­hal­ten zu bewe­gen ?
  • Haben Sie dem Pati­en­ten unmiss­ver­ständ­lich vorher ange­droht, dass Sie ihn ggf. bei der Stra­ßen­ver­kehrs­be­hör­de melden werden ?
  • Gibt es tat­säch­lich keine andere erfolg­ver­spre­chen­de, für den Pati­en­ten weni­ger ein­schnei­den­de Alter­na­ti­ve als die Mel­dung an die Stra­ßen­ver­kehrs­be­hör­de, bei­spiels­wei­se die Ein­schal­tung eines Ehe­part­ners oder der Eltern ?
Nur wenn alle der genann­ten Punkte mit “ja” beant­wor­tet werden können — und dies von Ihnen auch im Zwei­fel nach­ge­wie­sen werden kann ! — soll­ten Sie einen Bruch der Schwei­ge­pflicht über­haupt in Erwä­gung ziehen.

Zur eige­nen Absi­che­rung: holen Sie unbe­dingt anwalt­li­chen Rat ein, bevor Sie der Behör­de eine Mit­tei­lung machen !

(Ver­öf­fent­licht im Dia­be­tes-Jour­nal (http://www.diabetes-journal.de)