Das erste (posi­ti­ve) Gerichts­ur­teil zum Free­Style Libre liegt nun vor: ich konnte für einen Pati­en­ten die Kos­ten­über­nah­me beim Sozi­al­ge­richt durch­set­zen !

Die beklag­te Kran­ken­kas­se wurde vom Sozi­al­ge­richt Kon­stanz (SG Kon­stanz, Aner­kennt­nis­ge­richts­be­scheid vom 31.05.2016, S 8 KR 1870/15) ver­ur­teilt, dem Kläger die Kosten in Höhe von 553,10 EUR für selbst beschaff­te Sen­so­ren des Free­Style Libre zu erstat­ten. Wei­ter­hin muss sie die Anwalts­kos­ten tragen.

Diese Ent­schei­dung kann auch ande­ren Dia­be­ti­kern helfen, die Kosten von der Kran­ken­kas­se erstat­tet zu erhal­ten.
Nach einem Urteil des Bun­des­so­zi­al­ge­richt (Urteil vom 08.07.2015, B 3 KR 5/14 R) wurden viele Anträ­ge von Pati­en­ten abge­lehnt, die von ihrer Kran­ken­kas­se die Kos­ten­über­nah­me eines Free­Style Libre-Sys­tems  wünsch­ten. Das Bun­des­so­zi­al­ge­richt hatte näm­lich ent­schie­den, daß eine  “kon­ti­nu­ier­li­che inters­ti­ti­el­le Glu­ko­semes­sung  auch nicht aus­nahms­wei­se ohne posi­ti­ve Emp­feh­lung des GBA im Rahmen der ver­trags­ärzt­li­chen Ver­sor­gung ein­ge­setzt werden” dürfe. Denn es han­de­le sich dabei um eine neue Unter­su­chungs- und Behand­lungs­me­tho­de, deren Nutzen und Wirk­sam­keit erst einmal nach­ge­wie­sen werden müsse.

Die Urteils­be­grün­dung legt aller­dings nahe, daß das höchs­te Gericht bei seiner Ent­schei­dung von voll­kom­men fal­schen Tat­sa­chen aus­ging. So führt es bei­spiels­wei­se an, daß “die Ver­wen­dung von CGM ins­be­son­de­re dann Risi­ken birgt, wenn – wie im Fall der Klä­ge­rin – die Insu­lin­pum­pe auto­ma­tisch über diese Geräte gesteu­ert wird”. Und weiter: “Schließ­lich sendet das von der Klä­ge­rin beschaff­te Gerät die Glu­ko­se­wer­te per Funk an die Veo-Insu­lin­pum­pe, so dass die Aus­schüt­tung von Insu­lin sogleich über dieses System gesteu­ert wird.

Das Pro­blem: ein sol­ches “closed-loop”-System, was eine Insu­lin­pum­pe auto­ma­tisch steu­ert, gibt es der­zeit noch gar nicht.  Dane­ben zeigt die Ent­schei­dung zahl­rei­che wei­te­re gra­vie­ren­de Fehler, die aber eben­falls eher nicht dem Gericht anzu­las­ten sind. Denn sehr wahr­schein­lich hat die dor­ti­ge Klä­ge­rin erheb­lich “geschlampt” und den Sach­ver­halt wohl äußerst schlecht auf­be­rei­tet- und damit allen Pati­en­ten einen Bären­dienst erwie­sen. Nun wird erst die Ent­schei­dung des dafür zustän­di­gen Gemein­sa­men Bun­des­aus­schuss (“G‑BA”, diese wird für den 16.06.2016 erwar­tet) zeigen, ob und für welche Pati­en­ten ein CGM in Frage kommen wird.

Was hat das nun mit dem Free­Style Libre und der aktu­el­len Ent­schei­dung zu tun ?

Das Free­Style Libre ist man­gels Funk­ver­bin­dung und Alar­mie­rung  zwar kein  System zum kon­ti­nu­ier­li­chen Glu­ko­semoni­to­ring, bietet also keine auto­ma­ti­sche “Über­wa­chung” bzw. Beob­ach­tung. Aber selbst­ver­ständ­lich misst es — genau­so wie die CGM-Sys­te­me — kon­ti­nu­ier­lich den Glu­ko­se­ge­halt im Inters­ti­ti­um (d.h. im Unter­haut­fett­ge­we­be bzw. der Zwi­schen­zell­flüs­sig­keit).

Die Ent­schei­dung des höchs­ten Gerichts, welche für Kran­ken­kas­sen grund­sätz­lich bin­dend ist, ver­bie­tet daher auch eine Kos­ten­über­nah­me des Free­Style Libre, solan­ge keine posi­ti­ven Emp­feh­lung des G‑BA vor­liegt.

In dem Ver­fah­ren vor dem Sozi­al­ge­richt Kon­stanz habe ich nun sehr aus­führ­lich argu­men­tiert und auf­ge­zeigt, welche Mängel die Ent­schei­dung des Bun­des­so­zi­al­ge­richts auf­weist bzw. wel­cher Unter­scheid zum Free­Style Libre besteht. Im münd­li­chen Erör­te­rungs­ter­min hat das Gericht dar­auf­hin signa­li­siert, daß es meinen Aus­füh­run­gen durch­aus folge und einen Anspruch auf Ver­sor­gung mit dem Free­Style Libre sehe. Die Kran­ken­kas­se hat in der Folge die kom­plet­te Erstat­tung der Kosten für das Sen­so­ren aner­kannt — und ging dabei offen­sicht­lich davon aus, daß die Sache damit still­schwei­gend erle­digt wäre.

Um daraus einen für alle Pati­en­ten mög­lichst gros­sen Nutzen zu ziehen, habe ich jedoch eine im sozi­al­ge­richt­li­chen Ver­fah­ren äußerst sel­te­ne Pro­zess­tak­tik gewählt: ich habe das Ver­fah­ren nicht ein­fach für erle­digt erklärt (und mir damit wei­te­re Arbeit erspart) , son­dern das Aner­kennt­nis nicht ange­nom­men und auf einem Urteil bestan­den.

Dieses wurde nun vom Sozi­al­ge­richt Kon­stanz in Form eines sog. “Aner­kennt­nis­ge­richts­be­scheids” erlas­sen:

Der mit der zuläs­si­gen Klage gel­tend gemach­te Anspruch auf Erstat­tung von Kosten in Höhe von 553,10 EUR wurde von der Beklag­ten durch wirk­sa­mes Aner­kennt­nis in dem Schrei­ben vom 21.03.2016 in Ver­bin­dung mit dem Schrei­ben vum 10.05.2016 voll­um­fäng­lich aner­kannt. Von der Mög­lich­keit, die Erle­di­gung des Rechts­strei­tes durch Annah­me dieses Aner­kennt­nis­ses nach § 101 Abs. 2 SGG  her­bei­zu­füh­ren, hat die Klä­ger­sei­te keinen Gebrauch gemacht. Daher ergeht auf­grund des Aner­kennt­nis­ses ein Aner­kennt­nis­ur­teil (hier in Form eines Gerichts­be­scheids), das nach § 202 SGG in Ver­bin­dung mit § 313 b Abs. l Satz 1 Zivil­pro­zess­ord­nung keiner wei­te­ren Begrün­dung bedarf.” (SG Kon­stanz, Aner­kennt­nis­ge­richts­be­scheid vom 31.05.2016, S 8 KR 1870/15)

Die Ent­schei­dung ist zwar nicht weiter begrün­det. Bereits die bloße Exis­tenz dieses Urteils kann nun aber auch ande­ren Pati­en­ten in mehr­fa­cher Hin­sicht helfen:

  1. Es wurde damit erst­mals durch eine gesetz­li­che Kran­ken­kas­se in dieser Form öffent­lich aner­kannt, daß  Pati­en­ten ein Anspruch auf Ver­sor­gung mit dem Free­Style Libre zuste­hen kann.
  2. Dies bedeu­tet zugleich auch, daß zumin­dest diese Kran­ken­kas­se das Free­Style Libre offen­sicht­lich als grund­sätz­lich erstat­tungs­fä­hig ansieht
  3. Das SG Kon­stanz bringt mit Erlass dieses Urteils zum Aus­druck, daß es das Free­Style Libre eben­falls als erstat­tungs­fä­hig ansieht und davon aus­geht, daß die Vor­ga­ben des Bun­des­so­zi­al­ge­richts zu CGM nicht zwin­gend für das Free­Style Libre gelten müssen. Denn im ande­ren Fall hätte das Gericht nicht von einem wirk­sa­men Aner­kennt­nis aus­ge­hen können — und dann auch ein sol­ches Urteil gar nicht erlas­sen dürfen